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L 4 R 2/98

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin seit 01.05.1995 nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung versicherungspflichtig ist.

Die 1950 geborene Klägerin meldete am 12.04.1995 bei der Beklagten die Aufnahme der Tätigkeit als Porzellanpuppenherstellerin, Puppenbekleidung und Patchworknähen ab 01.05.1995 an. Vorher war die Klägerin bis 30.04.1995 wegen Bezugs von Leistungen des Arbeitsamts I. Pflichtmitglied der AOK F ... Bereits während des Leistungsbezugs meldete sie am 07.02.1994 das Gewerbe „Herstellung und Verkauf von kunsthandwerklichen Artikeln“ an und ließ am 29.07.1994 bei der Handwerkskammer für M. und O. ein handwerksähnliches Gewerbe „Dekorationsnäherei, Theaterkostümnäherei“ eintragen.

Nachdem die Klägerin beschrieben hatte, wie sie Puppen herstellt, den Leistungsnachweis des Arbeitsamts vorgelegt, außerdem eine Bestätigung der Volkshochschule N. darüber, dass sie im Herbstsemester 1995 einen Kurs „Porzellanpuppen“ durchführen werde und schließlich Fotos von Patchworkarbeiten und ihren Puppen vorgelegt hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.1995 die Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz ab. Die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten stellten keine künstlerische Tätigkeiten, sondern vorwiegend handwerkliche dar. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.1996 zurückgewiesen.

Mit der zum Sozialgericht München erhobenen Klage beantragte die Klägerin weiterhin die Feststellung der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz und führte zur Begründung aus, das künstlerische Element sei Voraussetzung dafür, dass der handwerkliche Prozess in Gang gesetzt werden könne. Sie legte ein Mitgliedszertifikat der D. sowie weitere Fotos der von ihr hergestellten Puppen und Decken vor.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.11.1997 zeigte die Klägerin dem Gericht mehrere von ihr gefertigte Puppen. Sie gab an, sie präsentiere ihre Puppen auf Ausstellungen vorwiegend im Inland, Patchwork stelle sie nicht mehr her. Die Verkaufspreise für eine Puppe beliefen sich im Durchschnitt auf 560,00 DM. Der Volkshochschulkurs habe nur einmal stattgefunden.

Das Sozialgericht entschied mit Urteil vom 20.11.1997, die Klägerin sei seit Mai 1995 im Bereich bildende Kunst-Design nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz versicherungspflichtig in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Die Tätigkeit der Klägerin stelle einen Grenzfall der Anwendbarkeit der §§ 1 und 2 KSVG dar. Unstreitig sei, dass die Klägerin selbständig tätig sei. Ihre Tätigkeite enthalte Elemente des Textildesigners, des Keramikers und des Textilgestalters. Ihr Wirken sei deshalb dem Bereich der bildenden Kunst zuzuordnen. Die Eintragung in die Handwerksrolle schließe die Möglichkeit, in der Künstlersozialversicherung versichert zu sein, nicht grundsätzlich aus. Aufgrund der In-Augenscheinnahme komme die Kammer zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit der Klägerin als Puppenmacherin dem künstlerischen Bereich zuzuordnen sei. Entscheidend sei der äußere Gesamteindruck der hergestellten Puppen. Von einer gleichmäßigen und wiederkehrenden Gestaltung der Puppen könne nicht gesprochen werden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie damit begründet, die „Grenzfall“-Ausführungen in einem „zwar-aber“-Stil könnten nicht überzeugen. Die Klägerin sei kunsthandwerklich tätig. Sie stelle Puppen serienmäßig her, die Arbeit erfolge nach Mustern und Vorlagen. Der Tätigkeitsschwerpunkt liege in der Anfertigung und weniger im Entwurf. Außerdem werde die Klägerin nicht in Künstlerkreisen - im vorliegenden Fall wären das Designer-, Keramiker- und Bildhauerkreise - als Künstlerin anerkannt.

Auf Anfrage des Senats teilt die früher beigeladene AOK Bayern mit, dass die Klägerin seit Mai 1995 bei ihr freiwillig versichert ist.

Die Bevollmächtigten der Klägerin geben an, die Klägerin erziele seit 1995 pro Jahr einen Gewinn von ungefähr 1.500,00 DM. Sie sei Mitglied der lokalen Kunsthandwerkergruppe „L.“ und einmal zu einer Ausstellung im Tessin eingeladen gewesen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts München vom 20.11.1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Hilfsweise beantragt sie, die Revision zuzulassen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

  • die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiten Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.

Die Beklagte hat in den vom Sozialgericht aufgehobenen Bescheiden zutreffend festgestellt, dass die Klägerin nicht Künstlerin im Sinne des § 2 KSVG ist und daher nicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KSVG in der Rentenversicherung der Angestellten, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert ist.

Der Senat schließt sich der Auffassung des Erstgerichts insoweit an, als die Tätigkeit der Klägerin als Grenzfall angesehen werden kann. Er kommt jedoch bei Abwägung der vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Kriterien insbesondere bei der Entscheidung, ob das Werk eines Kunsthandwerkers Kunst ist (siehe Urteil vom 24.06.1998, SozR 3-5425 § 2 Nr. 8 m.w.N.), zu dem Ergebnis, dass die Puppenfertigung der Klägerin dem Bereich des Kunsthandwerks zuzuordnen ist. Wie das BSG im zitierten Urteil ausführt, gibt es einen fließenden Übergang von Handwerk und Kunst für zahlreiche Berufe. Puppenmacher können durchaus letzterem Bereich zugeordnet werden. Zur Entscheidung, ob Kunst vorliegt, reicht es allerdings nicht aus, dass Unikate gefertigt werden. Ebensowenig kann das Gericht durch Betrachten der vorgelegten Werke feststellen, ob die Tätigkeit dem künstlerischen Bereich zuzurechnen ist. Das BSG verlangt vielmehr, dass bei der handwerklichen Fertigung von Einzelstücken nach eigenen Entwürfen eine Zuordnung zum Bereich der Kunst dann anzunehmen ist, wenn der Betroffene mit seinen Werken in einschlägigen Kreisen als „Künstler“ anerkannt und behandelt wird (BSG a.a.O. m.w.N.). Hierfür ist bei Vertretern der bildenden Kunst vor allem maßgebend, ob der Betroffene an Kunstausstellungen teilnimmt, Mitglied von Künstlervereinigungen ist, in Künstlerlexika aufgeführt wird, Auszeichnungen als Künstler erhalten hat oder andere Indizien auf eine derartige Anerkennung schließen lassen. Im Fall der Klägerin lassen die vorliegenden Indizien darauf schließen, dass ihre Puppen dem kunstgewerblichen Bereich zuzuordnen sind, also nicht Kunst darstellen. Die Klägerin ist zwar Mitglied in der Gruppe „L.“, die teilweise als Künstlergruppe, andererseits, als Kunsthandwerkergruppe oder Hobbykünstlergruppe bezeichnet wird. Mitglieder von „L.“ stellen Produkte wie Seidenmalerei, Moosgummi, Stickerei, Kilt, Gesteck, Puppen und Tonarbeiten her und bezeichnen ihre Werke selbst als Kunst.

Die Klägerin hat auch an einer Ausstellung im Tessin teilgenommen, die davon vorliegenden Fotos von Kissen, Gestecken und ähnlichem weisen jedoch sehr viel mehr auf Kunstgewerbe denn auf Kunst hin. Es gibt keinen Nachweis dafür, dass die Klägerin in Künstlerlexika aufgeführt wird und für ihre Puppen Auszeichnungen als Künstlerin erhalten hat. Von einer Anerkennung in Fachkreisen kann damit nicht die Rede sein.

Es kann daher offenbleiben, ob eine Tätigkeit, die pro Jahr nicht mehr als 1.500,00 DM Gewinn bringt, überhaupt erwerbsmäßig im Sinne von § 1 Satz 1 Nr. 1 KSVG ausgeübt wird. Nicht nur das Einkommen, sondern auch die Art der Verwertung und Interessenvertretung lassen mehr auf ein Hobby als auf eine Erwerbstätigkeit schließen.

Aufgrund ihres geringen Arbeitseinkommens ist die Klägerin unabhängig von der Einordnung ihrer Tätigkeit als künstlerisch oder erwerbsmäßig zumindest ab Mai 2000 wegen § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 KSVG versicherungsfrei. Danach ist nach Ablauf von 5 Jahren nach erstmaliger Aufnahme der Tätigkeit versicherungsfrei nach dem KSVG, wer in dem Kalenderjahr aus selbständiger künstlicher Tätigkeit ein Arbeitseinkommen erzielt, das 1/7 der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht übersteigt. Das Arbeitseinkommen der Klägerin, die die selbständige Anfertigung der Puppen seit 01.05.1995 betreibt, erreicht bei weitem nicht 1/7 der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV, die seit 01.01.2000 53.760,00 DM jährlich beträgt.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Klägerin.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, liegen nicht vor. Das BSG hat eindeutige Kriterien zur Abgrenzung von Kunsthandwerk und Kunst aufgestellt, von denen der Senat nicht abgewichen ist.

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