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C-631/17

Gründe

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigung in ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SF und dem Inspecteur van de Belastingdienst (Inspektor der Finanzverwaltung, Niederlande, im Folgenden: Inspecteur) wegen der Zugehörigkeit von SF zum niederländischen allgemeinen Sozialversicherungssystem für die Zeit vom 13. August bis zum 31. Dezember 2013.

Rechtlicher Rahmen

Titel II der Verordnung Nr. 883/2004 regelt die Bestimmung des anwendbaren Rechts der sozialen Sicherheit und umfasst die Art. 11 bis 16.

In Art. 11 („Allgemeine Regelung“) dieser Verordnung heißt es:

„(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;

eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a bis d fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.

(4) Für die Zwecke dieses Titels gilt eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit, die gewöhnlich an Bord eines unter der Flagge eines Mitgliedstaats fahrenden Schiffes auf See ausgeübt wird, als in diesem Mitgliedstaat ausgeübt. Eine Person, die einer Beschäftigung an Bord eines unter der Flagge eines Mitgliedstaats fahrenden Schiffes nachgeht und ihr Entgelt für diese Tätigkeit von einem Unternehmen oder einer Person mit Sitz oder Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat erhält, unterliegt jedoch den Rechtsvorschriften des letzteren Mitgliedstaats, sofern sie in diesem Staat wohnt. …

…“

Die Art. 12 bis 16 der Verordnung Nr. 883/2004 enthalten Sonderregelungen, die für Personen gelten, die entsandt sind (Art. 12), die Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausüben (Art. 13), die sich für eine freiwillige Versicherung oder eine freiwillige Weiterversicherung entschieden haben (Art. 14), die Hilfskräfte der Europäischen Organe sind (Art. 15), sowie Ausnahmen von den Art. 11 bis 15 dieser Verordnung (Art. 16).

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

In der Zeit vom 13. August bis zum 31. Dezember 2013 arbeitete SF, ein lettischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Lettland, als Steward für die Oceanwide Offshore Services BV, ein Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden.

SF übte diese Beschäftigung an Bord eines unter der Flagge der Bahamas fahrenden Schiffes aus, das in dieser Zeit über dem deutschen Teil des Nordsee-Festlandsockels kreuzte.

Die niederländischen Steuerbehörden erteilten SF einen Bescheid für das Steuerjahr 2013 über Einkommensteuer und Sozialversicherungsbeiträge. Auf den von SF gegen diesen Bescheid eingelegten Einspruch hin bestätigte der Inspecteur diesen Bescheid nur insoweit, als SF darin für verpflichtet erklärt wurde, für die Zeit vom 13. August bis zum 31. Dezember 2013 Sozialbeiträge zum niederländischen Sozialversicherungssystem zu entrichten.

SF erhob bei der Rechtbank Zeeland-West-Brabant (Gericht Zeeland-West-Brabant, Niederlande) Klage gegen diese Entscheidung des Inspecteur und berief sich darauf, dass er nicht unter das niederländische Sozialversicherungssystem falle.

Da die Rechtbank Zeeland-West-Brabant (Gericht Zeeland-West-Brabant) unsicher war, wie die ihr vorliegende Frage, ob SF diese Beiträge tatsächlich zu entrichten habe, zu beantworten sei, beschloss sie, dem Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) ist der Ansicht, dass die von SF in der maßgeblichen Zeit ausgeübte Beschäftigung zwar nicht als im Gebiet eines Mitgliedstaats der Union ausgeübt angesehen werden könne, dass aber eine hinreichend enge Anknüpfung an das Gebiet der Union gegeben sei, die bewirke, dass im vorliegenden Fall die Verordnung Nr. 883/2004 anzuwenden sei. Auch falle SF in den persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung.

Die Situation, um die es in dem bei der Rechtbank Zeeland-West-Brabant (Gericht Zeeland-West-Brabant) anhängigen Rechtsstreit gehe, in der die Beschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers auf einem unter der Flagge eines Drittstaats fahrenden Schiffes ausgeübt werde, unterliege weder Art. 11 Abs. 3 Buchst. a bis d noch Art. 11 Abs. 4 der Verordnung Nr. 883/2004.

Allerdings könne eine solche Situation unter Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 fallen, wonach jede andere Person, die nicht unter Art. 11 Abs. 3 Buchst. a bis d dieser Verordnung falle, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats unterliege.

Das vorlegende Gericht hebt insoweit hervor, dass vor ihm vorgetragen worden sei, dass Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 nicht für eine Situation wie die im Ausgangsverfahren gelte, weil sich aus den Erläuterungen der Kommission zur modernisierten Koordination der sozialen Sicherheit - Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 vom Januar 2011 ergebe, dass diese Bestimmung nur für nicht erwerbstätige Personen gelte.

Allerdings ergebe sich diese Auslegung nicht aus dem Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung, die eine allgemein formulierte Zuweisungsregel sei, die automatisch für alle Personen gelte, auf die nicht Art. 11 Abs. 3 Buchst. a bis d und Art. 12 bis 16 der Verordnung Nr. 883/2004 Anwendung fänden.

Vor dem vorlegenden Gericht wurde im Übrigen auch geltend gemacht, dass Art. 11 Abs. 3 Buchst. a und Art. 11 Abs. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 zwar nicht unmittelbar gälten, aber entsprechend anzuwenden seien und zur Bestimmung des Rechts des Mitgliedstaats führen müssten, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz habe, wie dies der Gerichtshof in den Urteilen vom 29. Juni 1994, Aldewereld (C-60/93, EU:C:1994:271), und vom 19. März 2015, Kik (C-266/13, EU:C:2015:188), in Bezug auf die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, diese wiederum geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl. 2005, L 117, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), entschieden habe. Jedoch ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass das mit der Verordnung Nr. 883/2004 eingeführte System der Zuweisungsregeln geschlossener sei und keine Lücken enthalte, weshalb im vorliegenden Fall kein Grund dafür bestehe, sich an der angeführten Rechtsprechung zu orientieren.

Gleichwohl bestünden noch Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Vorschriften der Verordnung Nr. 883/2004 zur Bestimmung des in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anwendbaren Rechts.

In Anbetracht dieser Erwägungen hat der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Auf die Rechtsvorschriften welches Mitgliedstaats verweist die Verordnung Nr. 883/2004, wenn es um einen Abgabenschuldner geht, der a) in Lettland wohnt, b) die lettische Staatsangehörigkeit besitzt, c) bei einem in den Niederlanden ansässigen Arbeitgeber beschäftigt ist, d) als Seemann tätig ist, e) seine Arbeit an Bord eines unter der Flagge der Bahamas fahrenden Seeschiffs verrichtet und f) diese Tätigkeit außerhalb des Gebiets der Europäischen Union ausübt?

Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen ist, dass eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in der eine Person als Seemann für einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber auf einem unter der Flagge eines Drittstaats fahrenden und außerhalb des Gebiets der Europäischen Union kreuzenden Schiff tätig ist, ihren Wohnsitz aber in ihrem Herkunftsmitgliedstaat behalten hat, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt, so dass das anwendbare nationale Recht das des Wohnmitgliedstaats dieser Person ist.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass dann, wenn eine Person in den in Art. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 definierten persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt, grundsätzlich die in Art. 11 Abs. 1 dieser Verordnung aufgestellte Regel der Einheitlichkeit einschlägig ist und sich das anwendbare nationale Recht nach den Vorschriften des Titels II der Verordnung bestimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2015, Kik, C-266/13, EU:C:2015:188, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil vom 25. Oktober 2018, Walltopia, C-451/17, EU:C:2018:861, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Im vorliegenden Fall geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass SF in der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit seinen Wohnsitz in seinem Herkunftsmitgliedstaat, nämlich Lettland, behalten hat, während er als Seemann für einen in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich den Niederlanden, ansässigen Arbeitgeber auf einem unter der Flagge eines Drittstaats fahrenden und außerhalb des Gebiets der Union kreuzenden Schiff tätig war.

Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der bloße Umstand, dass ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Gebiets der Union ausübt, nicht ausreicht, um die Anwendung der Unionsvorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, und insbesondere der Verordnung Nr. 883/2004, auszuschließen, wenn das Arbeitsverhältnis eine hinreichend enge Anknüpfung an das Gebiet der Union behält (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2015, Kik, C-266/13, EU:C:2015:188, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ein hinreichend enger Bezug zwischen dem fraglichen Arbeitsverhältnis und dem Gebiet der Union u. a. aus dem Umstand, dass ein Unionsbürger, der in einem Mitgliedstaat wohnt, von einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat angestellt worden ist, für das er seine Tätigkeiten ausübt (Urteil vom 19. März 2015, Kik, C-266/13, EU:C:2015:188, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Wie das vorlegende Gericht angenommen hat, ergibt sich daraus, dass, auch wenn SF im vorliegenden Fall seine Tätigkeit außerhalb des Gebiets der Union ausgeübt hat, das in Rede stehende Arbeitsverhältnis eine hinreichend enge Anknüpfung an das Gebiet der Union behält, weil SF in der maßgeblichen Zeit seinen Wohnsitz in Lettland behalten hatte und sich der Sitz seines Arbeitgebers in den Niederlanden befand.

Eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende ist folglich als in den Geltungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 fallend zu betrachten, weshalb das im Ausgangsverfahren anwendbare nationale Recht nach den Vorschriften von Titel II dieser Verordnung zu bestimmen ist.

Im vorliegenden Fall steht fest, dass eine Person wie SF nicht unter die Sonderregelungen der Art. 12 bis 16 der Verordnung Nr. 883/2004 fällt, die Personen betreffen, die entsandt sind, die in zwei oder mehr Mitgliedstaaten tätig sind, die sich für eine freiwillige Versicherung oder eine freiwillige Weiterversicherung entschieden haben oder aber Hilfskräfte der Europäischen Organe sind.

Beim Betroffenen liegt auch keiner der in Art. 11 Abs. 3 Buchst. a bis d der Verordnung Nr. 883/2004 vorgesehenen Fälle vor, die sich auf Personen beziehen, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausüben, auf Beamte, auf Personen, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten, sowie auf Personen, die zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufen oder wiedereinberufen werden.

Da SF als Seemann auf einem unter der Flagge eines Drittstaats fahrenden Schiff tätig ist, fällt er ferner auch nicht unter die in Art. 11 Abs. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 enthaltene Grundregel, die für Seeleute die Anwendung der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats der Flagge vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2015, Kik, C-266/13, EU:C:2015:188, Rn. 56).

Hinsichtlich der Frage, ob Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 auf eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Anwendung findet, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, und ihr Zusammenhang zu berücksichtigen sind (Urteile vom 15. Oktober 2014, Hoštická u. a., C-561/13, EU:C:2014:2287, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 19. September 2018, González Castro, C-41/17, EU:C:2018:736, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift ebenfalls relevante Anhaltspunkte für deren Auslegung liefern kann (Urteil vom 3. Oktober 2013, Inuit Tapiriit Kanatami u. a./Parlament und Rat, C-583/11 P, EU:C:2013:625, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Aus dem Wortlaut von Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 ergibt sich, dass „jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a bis d fällt, … unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats [unterliegt]“.

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 34 und 35 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, ergibt sich aus der Prüfung des Wortlauts dieser Bestimmung, dass sich der Unionsgesetzgeber allgemeiner Formulierungen - u. a. der Worte „jede andere Person“ und „unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung“ - bedient hat, um Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 den Charakter einer Auffangnorm zu verleihen, die für alle Personen gelten soll, bei denen keine der von anderen Bestimmungen dieser Verordnung konkret geregelten Situationen vorliegt, und um ein geschlossenes System zur Bestimmung des anwendbaren Rechts einzuführen.

Im Übrigen sieht der Wortlaut dieser Bestimmung keine Beschränkung ihres Anwendungsbereichs auf nicht erwerbstätige Personen vor.

Zu den mit der Verordnung Nr. 883/2004 verfolgten Zielen ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die Vorschriften von Titel II der Verordnung Nr. 883/2004, der deren Art. 11 bis 16 umfasst, ein geschlossenes und einheitliches System von Kollisionsnormen bilden. Mit diesen Vorschriften sollen nicht nur die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden, sondern sie sollen auch verhindern, dass Personen, die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine nationalen Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind (Urteile vom 14. Juni 2016, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-308/14, EU:C:2016:436, Rn. 64, sowie vom 25. Oktober 2018, Walltopia, C-451/17, EU:C:2018:861, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Was konkret Art. 11 Abs. 3 der Verordnung Nr. 883/2004 angeht, hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Bestimmung nur festlegen soll, welche nationalen Rechtsvorschriften vorbehaltlich der Art. 12 bis 16 der Verordnung für Personen gelten, bei denen einer der in Art. 11 Abs. 3 Buchst. a bis e aufgeführten Fälle vorliegt (Urteil vom 25. Oktober 2018, Walltopia, C-451/17, EU:C:2018:861, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 insbesondere für nicht erwerbstätige Personen gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juni 2016, Kommission/Vereinigtes Königreich, C-308/14, EU:C:2016:436, Rn. 63).

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 44 und 45 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, kann eine enge Auslegung von Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004, die den Anwendungsbereich dieser Bestimmung allein auf nicht erwerbstätige Personen beschränkte, allerdings dazu führen, dass Personen, bei denen keiner der in Art. 11 Abs. 3 Buchst. a bis d dieser Verordnung vorgesehenen Fälle vorliegt und für die auch keine andere Bestimmung der Verordnung Nr. 883/2004 gilt, der Schutz der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind.

Was die Entstehungsgeschichte von Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 angeht, die sich in den Zusammenhang der Modernisierung und Vereinfachung der in der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltenen Vorschriften einfügt, ist im Einklang mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 49 seiner Schlussanträge darauf hinzuweisen, dass mit dieser Bestimmung Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1408/71 ersetzt wurde, der vorsah, dass „eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar würden, … den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats [unterliegt], in dessen Gebiet sie wohnt“.

Hierzu sei daran erinnert, dass Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 - und konkret sein Abs. 2 Buchst. f - weit ausgelegt wurde, um dem mit der Regelung, zu der er gehört, verfolgten Ziel Rechnung zu tragen, das darin besteht, zu vermeiden, dass Personen, die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, den Schutz der sozialen Sicherheit deswegen verlieren, weil keine Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 1998, Kuusijärvi, C-275/96, EU:C:1998:279, Rn. 40).

Mit Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 wird indes dasselbe Ziel verfolgt. Da diese Bestimmung weiter gefasst ist als Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1408/71 - sie erfasst ausdrücklich die Personen, die sich in einer Situation befinden, die nicht von anderen Bestimmungen dieser Verordnung erfasst ist - darf sie nicht eng ausgelegt werden.

Folglich ist Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen, dass er für alle Personen gilt, die nicht von den Buchst. a bis d dieser Bestimmung erfasst sind und nicht nur für nicht erwerbstätige Personen.

Wie der Generalanwalt in Nr. 50 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, kann diese Auslegung nicht durch die in Rn. 14 des vorliegenden Urteils angeführten Erläuterungen der Kommission und den von der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ausgearbeiteten und gebilligten und im Dezember 2013 veröffentlichten Praktischen Leitfaden zum anwendbaren Recht in der Europäischen Union (EU), im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und in der Schweiz in Frage gestellt werden. Auch wenn diese Dokumente zweckdienliche Instrumente für die Auslegung der Verordnung Nr. 883/2004 darstellen, haben sie nämlich keine verpflichtende Wirkung und sind daher nicht geeignet, den Gerichtshof bei der Auslegung dieser Verordnung zu binden.

Nach alledem gilt für eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004, der vorsieht, dass das anwendbare nationale Recht das des Wohnmitgliedstaats des Betroffenen ist.

Diese Feststellung kann auch nicht durch den von der niederländischen Regierung in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Umstand in Frage gestellt werden, dass bestimmte Mitgliedstaaten die Zugehörigkeit des Betroffenen zum nationalen System der sozialen Sicherheit an die Voraussetzung knüpften, dass dieser in ihrem Gebiet eine Beschäftigung ausübe, wodurch es in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden passieren könne, dass der Betroffene keinem System der sozialen Sicherheit beitreten könne und ihm der Schutz der sozialen Sicherheit vorenthalten würde.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte nämlich nicht, dass das nationale Recht des Wohnmitgliedstaats des Betroffenen eine solche Voraussetzung vorsähe.

Auf jeden Fall geht aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass die Voraussetzungen, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit beitreten kann, in den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats festzulegen sind, wobei die Mitgliedstaaten jedoch bei der Festlegung der diesbezüglichen Voraussetzungen verpflichtet sind, das geltende Unionsrecht zu beachten. Insbesondere sind die Kollisionsnormen der Verordnung Nr. 883/2004 für die Mitgliedstaaten zwingend, d. h., sie können nicht bestimmen, inwieweit ihre eigenen Rechtsvorschriften oder die eines anderen Mitgliedstaats anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Oktober 2018, Walltopia, C-451/17, EU:C:2018:861, Rn. 47 und 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Folglich dürfen die Voraussetzungen dafür, dass ein Recht auf Beitritt zu einem System der sozialen Sicherheit besteht, nicht zur Folge haben, dass vom Anwendungsbereich der fraglichen Rechtsvorschriften Personen ausgeschlossen werden, auf die diese Rechtsvorschriften nach der Verordnung Nr. 883/2004 anwendbar sind (Urteil vom 25. Oktober 2018, Walltopia, C-451/17, EU:C:2018:861, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen ist, dass eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in der eine Person als Seemann für einen in einem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber auf einem unter der Flagge eines Drittstaats fahrenden und außerhalb des Gebiets der Europäischen Union kreuzenden Schiff tätig ist, ihren Wohnsitz aber in ihrem Herkunftsmitgliedstaat behalten hat, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt, so dass das anwendbare nationale Recht das des Wohnmitgliedstaats dieser Person ist.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in der eine Person als Seemann bei einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Arbeitgeber auf einem unter der Flagge eines Drittstaats fahrenden und außerhalb des Gebiets der Europäischen Union kreuzenden Schiff tätig ist, ihren Wohnsitz aber in ihrem Herkunftsmitgliedstaat behalten hat, in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fällt, so dass das anwendbare nationale Recht das des Wohnmitgliedstaats dieser Person ist.

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