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C-394/13

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

1. Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates geänderten Fassung - und insbesondere ihr Art. 13 - ist dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat aufgrund des bloßen Umstands, dass eine Person in seinem Staatsgebiet einen registrierten Wohnsitz hat, ohne dass sie und ihre Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat gewöhnlich arbeiten oder wohnen, als der Staat angesehen wird, der für die Gewährung einer Familienleistung an diese Person zuständig ist. Art. 13 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat, der nicht der zuständige Mitgliedstaat für eine bestimmte Person ist, auch verwehrt, dieser Person Familienleistungen zu gewähren, es sei denn, es besteht eine eindeutige und besonders enge Verknüpfung zwischen der in Rede stehenden Situation und dem Staatsgebiet dieses erstgenannten Mitgliedstaats.

2. Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 geänderten Fassung - und insbesondere ihr Art. 11 - ist dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat aufgrund des bloßen Umstands, dass eine Person in seinem Staatsgebiet einen registrierten Wohnsitz hat, ohne dass sie und ihre Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat gewöhnlich arbeiten oder wohnen, als der Staat angesehen wird, der für die Gewährung einer Familienleistung an diese Person zuständig ist.

Gründe

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 (ABl. L 177, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) sowie von Art. 87 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, und - Berichtigung - ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. L 284, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ministerstvo práce a sociálních vecí (Ministerium für Arbeit und Soziales) und Frau B. über eine Entscheidung, mit der ihr Familienleistungen mit der Begründung entzogen werden, dass die Tschechische Republik für die Gewährung dieser Leistungen unzuständig sei.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1408/71

Nach Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71 ist „‚Wohnort‘: der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts“.

Art. 13 („Allgemeine Regelung“) der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:

„(1) Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:

...

f) eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen beziehungsweise Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar würden, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften.“

Der in Kapitel 7 des Titels III der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltene Art. 76 („Prioritätsregeln für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates und den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Familienangehörigen wohnen“) bestimmt in Abs. 1:

„Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß Artikel 73 beziehungsweise 74 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag.“

Verordnungen Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009

Die Verordnung Nr. 1408/71 wurde durch die Verordnung Nr. 883/2004 ersetzt. Letztere gilt gemäß ihrem Art. 91 ab dem Tag des Inkrafttretens ihrer Durchführungsverordnung. Die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 (ABl. L 284, S. 1) ist am 1. Mai 2010 in Kraft getreten.

Art. 1 („Definitionen“) der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt unter Buchst. j, dass „‚Wohnort‘ den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person“ bezeichnet.

Art. 11 („Allgemeine Regelung“) der Verordnung Nr. 883/2004 sieht in Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. e vor:

„(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

...

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

...

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.“

Art. 87 („Übergangsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt in den Abs. 1, 3 und 8:

„(1) Diese Verordnung begründet keinen Anspruch für den Zeitraum vor dem Beginn ihrer Anwendung.

...

(3) Vorbehaltlich des Absatzes 1 begründet diese Verordnung einen Leistungsanspruch auch für Ereignisse vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung in dem betreffenden Mitgliedstaat.

...

(8) Gelten für eine Person infolge dieser Verordnung die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, der durch Titel II der Verordnung ... Nr. 1408/71 bestimmt wird, bleiben diese Rechtsvorschriften so lange, wie sich der bis dahin vorherrschende Sachverhalt nicht ändert, und auf jeden Fall für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren ab dem Geltungsbeginn dieser Verordnung anwendbar, es sei denn, die betreffende Person beantragt, den nach dieser Verordnung anzuwendenden Rechtsvorschriften unterstellt zu werden. …“

Art. 11 („Bestimmung des Wohnortes“) der Verordnung Nr. 987/2009 bestimmt:

„(1) Besteht eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Trägern von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten über die Feststellung des Wohnortes einer Person, für die die Grundverordnung gilt, so ermitteln diese Träger im gegenseitigen Einvernehmen den Mittelpunkt der Interessen dieser Person und stützen sich dabei auf eine Gesamtbewertung aller vorliegenden Angaben zu den einschlägigen Fakten, wozu gegebenenfalls die Folgenden gehören können:

a) Dauer und Kontinuität des Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats;

b) die Situation der Person, einschließlich

i) der Art und der spezifischen Merkmale jeglicher ausgeübten Tätigkeit, insbesondere des Ortes, an dem eine solche Tätigkeit in der Regel ausgeübt wird, der Dauerhaftigkeit der Tätigkeit und der Dauer jedes Arbeitsvertrags,

ii) ihrer familiären Verhältnisse und familiären Bindungen,

iii) der Ausübung einer nicht bezahlten Tätigkeit,

iv) im Falle von Studierenden ihrer Einkommensquelle,

v) ihrer Wohnsituation, insbesondere deren dauerhafter Charakter,

vi) des Mitgliedstaats, der als der steuerliche Wohnsitz der Person gilt.

(2) Können die betreffenden Träger nach Berücksichtigung der auf die maßgebenden Fakten gestützten verschiedenen Kriterien nach Absatz 1 keine Einigung erzielen, gilt der Wille der Person, wie er sich aus diesen Fakten und Umständen erkennen lässt, unter Einbeziehung insbesondere der Gründe, die die Person zu einem Wohnortwechsel veranlasst haben, bei der Bestimmung des tatsächlichen Wohnortes dieser Person als ausschlaggebend.“

Tschechisches Recht

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass gemäß § 3 und § 31 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes Nr. 117/1995 vom 26. Mai 1995 über die staatliche Sozialfürsorge (zákon c. 117/1995 Sb., o státní sociální podpore) in der zur Zeit des Erlasses der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verwaltungsentscheidung geltenden Fassung jede natürliche Person, die nach den §§ 10 und 10a des Gesetzes Nr. 133/2000 über die Registrierung der Staatsangehörigen und über Personenkennzahlen sowie über die Änderung einiger Gesetze (zákon c. 133/2000 Sb., o evidenci obyvatel a rodných císlech a o zmene nekterých zákonu [zákon o evidenci obyvatel]) im Gebiet der Tschechischen Republik mit einem ständigen Aufenthalt gemeldet ist, Anspruch auf die betreffende Elternleistung hat.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Frau B. ist eine tschechische Staatsangehörige, die mit ihrem Ehemann und ihrer in Frankreich geborenen minderjährigen Tochter in Frankreich lebt. Frau B. und ihr Ehemann haben allerdings jeweils einen gemäß § 10 des Gesetzes Nr. 133/2000 über die Registrierung der Staatsangehörigen und über Personenkennzahlen sowie über die Änderung einiger Gesetze registrierten Wohnsitz in der Tschechischen Republik.

Frau B. bezog in Frankreich Leistungen bei Arbeitslosigkeit, und ihr Ehemann übt dort eine Erwerbstätigkeit aus. Die gesamte Familie ist in Frankreich krankenversichert. In der Zeit vom 9. Februar bis zum 30. Mai 2009 war Frau B. im Mutterschaftsurlaub und bezog dafür in Frankreich eine Leistung für Mütter. Anschließend bezog Frau B. in der Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2009 in diesem Mitgliedstaat eine ergänzende Familienleistung, „prestation d’accueil du jeune enfant“ oder „PAJE“ genannt, deren Höhe sich nach dem Einkommen des Empfängers richtet. Nachdem sie ihren Anspruch auf diese Leistung ausgeschöpft hatte, stellte Frau B. in der Tschechischen Republik einen Antrag auf Erhalt einer Familienleistung.

Mit Entscheidung vom 14. Juni 2010 entschied der Úrad práce Ostrava (Arbeitsamt Ostrau), der Klägerin diese Leistung ab dem 1. Dezember 2009 zu gewähren.

Der Krajský úrad Moravskoslezského kraje (Regionalbehörde der Region Mähren und Schlesien), dessen Befugnisse auf das Ministerstvo práce a sociálních vecí übergegangen sind, war der Ansicht, dass der Anspruch von Frau B. auf eine Familienleistung mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 883/2004, das heißt zum 1. Mai 2010, neu bewertet werden müsse, und entschied mit Entscheidung vom 16. November 2010, die entsprechende Leistung ab dem 1. Mai 2010 mit der Begründung zu entziehen, dass die Tschechische Republik nicht mehr der zuständige Mitgliedstaat sei, da der Mittelpunkt der Interessen von Frau B. und ihrer Familie in Frankreich liege.

Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob die Tschechische Republik für die Gewährung von Familienleistungen an Frau B. zuständig ist. Es ist der Ansicht, dass es, wenn man davon ausgehe, dass die Tschechische Republik für die Gewährung solcher Familienleistungen zuständig gewesen sei, zweifelhaft sei, ob diese Zuständigkeit angesichts der neuen Regelung des Wohnorts in der Verordnung Nr. 987/2009 auch nach dem 1. Mai 2010 fortbestanden habe.

Unter diesen Umständen hat der Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen, dass unter Umständen, wie sie in dieser Rechtssache vorliegen - die Antragstellerin, ihr Ehemann und ihr Kind leben in Frankreich, der Ehemann arbeitet dort, sie haben dort den Mittelpunkt ihrer Interessen, und die Antragstellerin hat die Familienleistung PAJE - prestation d’accueil du jeune enfant in Frankreich in vollem Umfang in Anspruch genommen -, die Tschechische Republik der [Mitglied-]Staat ist, der für die Gewährung einer Familienleistung - Elterngeld - zuständig ist?

Wenn die erste Frage bejaht werden sollte:

2. Sind die Übergangsbestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen, dass sie die Gewährung einer Familienleistung durch die Tschechische Republik nach dem 30. April 2010 vorschreiben, auch wenn die Zuständigkeit des Staates ab dem 1. Mai 2010 durch die neue Definition des Wohnorts durch die Verordnung Nr. 987/2009 (Art. 22 ff.) beeinflusst sein kann?

Wenn die erste Frage verneint werden sollte:

3. Ist die Verordnung Nr. 883/2004, insbesondere Art. 87, dahin auszulegen, dass unter Umständen, wie sie in dieser Rechtssache vorliegen, die Tschechische Republik ab dem 1. Mai 2010 der für die Gewährung einer Familienleistung zuständige [Mitglied-]Staat ist?

Zur Zulässigkeit

Frau B. trägt vor, die Fragen seien für das Ausgangsverfahren unerheblich, da sie ihren Anspruch auf Familienleistungen ab dem 1. Dezember 2009 beträfen, obwohl unstreitig sei, dass ihr diese Leistungen für die Zeit vom 1. Dezember 2009 bis zum 1. Mai 2010 zustünden, und diese Rechtssache nur den Verlust dieses Anspruchs ab dem 1. Mai 2010 betreffe.

Es ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen hat. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung des Unionsrechts betreffen. Die Vermutung der Erheblichkeit der von den nationalen Gerichten zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen kann nur ausnahmsweise widerlegt werden, und zwar dann, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u.a. Urteil Iberdrola Distribución Eléctrica, C-300/13, EU:C:2014:188, Rn. 16).

Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, dass die von dem nationalen Gericht erbetene Auslegung des Unionsrechts in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das von ihm aufgeworfene Problem hypothetischer Natur ist. Da der Gerichtshof außerdem über alle tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind, sind diese daher entgegen dem Vorbringen von Frau B. zulässig.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteile Krüger, C-334/95, EU:C:1997:378, Rn. 22 und 23, sowie Hewlett-Packard Europe, C-361/11, EU:C:2013:18, Rn. 35).

Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage wissen, ob die Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat aufgrund des bloßen Umstands, dass eine Person in seinem Staatsgebiet einen registrierten Wohnsitz hat, ohne dass sie und ihre Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat gewöhnlich arbeiten oder wohnen, als der Staat angesehen wird, der dafür zuständig ist, dieser Person gemäß seinem nationalen Recht eine Familienleistung zu gewähren.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bezwecken die Vorschriften des Titels II dieser Verordnung u. a., dass die Betroffenen grundsätzlich dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, so dass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden. Dieser Grundsatz kommt insbesondere in Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung zum Ausdruck (vgl. u.a. Urteil Hudzinski und Wawrzyniak, C-611/10 und C-612/10, EU:C:2012:339, Rn. 41).

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich die Rechtsvorschriften, die auf die Situation von Frau B. in Bezug auf ihren Anspruch auf Familienleistungen anwendbar sind, nach Maßgabe von Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmen. Auf eine Person, die nicht mehr im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist und die folglich die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung nicht mehr erfüllt und die auch nach keiner anderen Bestimmung dieser Verordnung den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, sind nämlich nach Art. 13 Abs. 2 Buchst. f die Rechtsvorschriften des Staates anwendbar, in dem sie früher abhängig beschäftigt war, falls sie dort weiterhin wohnt (vgl. in diesem Sinne Urteil Kuusijärvi, C-275/96, EU:C:1998:279, Rn. 29 und 34).

In Anwendung dieser letztgenannten Bestimmung unterliegt Frau B. somit weiterhin den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Staatsgebiet sie zuvor abhängig beschäftigt war und in dem sich immer noch ihr Wohnort befindet, das heißt - in Anbetracht der in der Vorlageentscheidung gemachten Angaben - den französischen Rechtsvorschriften.

Insoweit ist nämlich darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71 der Ausdruck „Wohnort“ im Sinne dieser Verordnung den gewöhnlichen Aufenthalt bedeutet, das heißt den Ort, an dem die Betroffenen gewöhnlich wohnen und wo sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt ihrer Interessen befindet, und daher einen autonomen, dem Unionsrecht eigenen Begriff darstellt (vgl. Urteil Swaddling, C-90/97, EU:C:1999:96, Rn. 28 und 29). Aus dem von dem vorlegenden Gericht festgestellten und in den Rn. 12 und 13 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Sachverhalt ergibt sich, dass sich der gewöhnliche Aufenthalt und der gewöhnliche Mittelpunkt der Interessen von Frau B. in Frankreich befinden.

Da Frau B. nach Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 den französischen Rechtsvorschriften unterliegt, stellt sich noch die Frage, ob die Bestimmungen dieser Verordnung dem entgegenstehen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Familienleistungen nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats gewährt werden, der nicht der zuständige Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung ist. Aus der Vorlageentscheidung geht nämlich hervor, dass Frau B. nach den tschechischen Rechtsvorschriften diese Leistung aufgrund des bloßen Umstands in Anspruch nehmen kann, dass sie im Staatsgebiet der Tschechischen Republik einen Wohnsitz registriert hat.

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass ein nicht zuständiger Mitgliedstaat die Möglichkeit behält, Familienleistungen zu gewähren, wenn eine eindeutige und besonders enge Verknüpfung zwischen dem Staatsgebiet dieses Staates und der in Rede stehenden Situation besteht, sofern die Vorhersehbarkeit und die Effektivität der Koordinierungsregeln der Verordnung Nr. 1408/71 nicht übermäßig beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Hudzinski und Wawrzyniak, EU:C:2012:339, Rn. 65 bis 67).

Allerdings scheint die bloße Registrierung eines ständigen Wohnsitzes in der Tschechischen Republik durch Frau B., ohne dass sie in diesem Mitgliedstaat lebt, während sie offenbar mit ihrer Familie gewöhnlich in Frankreich wohnt, wo sie Leistungen bei Arbeitslosigkeit, ab dem 9. Februar 2009 eine Leistung für Mütter und dann eine Familienleistung bezogen hat, die der ähnelt, die sie anschließend in der Tschechischen Republik beantragt hat, vorbehaltlich der endgültigen Prüfungen des vorlegenden Gerichts nicht geeignet zu sein, zwischen Frau B. und der Tschechischen Republik eine solche Verknüpfung herzustellen.

In Anbetracht all dieser Erwägungen ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 1408/71 - und insbesondere ihr Art. 13 - dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat aufgrund des bloßen Umstands, dass eine Person in seinem Staatsgebiet einen registrierten Wohnsitz hat, ohne dass sie und ihre Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat gewöhnlich arbeiten oder wohnen, als der Staat angesehen wird, der für die Gewährung einer Familienleistung an diese Person zuständig ist. Art. 13 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat, der nicht der zuständige Mitgliedstaat für eine bestimmte Person ist, auch verwehrt, dieser Person Familienleistungen zu gewähren, es sei denn, es besteht eine eindeutige und besonders enge Verknüpfung zwischen der in Rede stehenden Situation und dem Staatsgebiet dieses erstgenannten Mitgliedstaats.

Zur zweiten Frage

Angesichts der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Zur dritten Frage

Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat aufgrund des bloßen Umstands, dass eine Person in seinem Staatsgebiet einen registrierten Wohnsitz hat, ohne dass sie und ihre Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat gewöhnlich arbeiten oder wohnen, ab dem 1. Mai 2010 als der Staat angesehen wird, der dafür zuständig ist, dieser Person gemäß seinem nationalen Recht eine Familienleistung zu gewähren.

Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, auf die in Rn. 21 des vorliegenden Urteils hingewiesen wurde, ist im vorliegenden Fall einleitend festzustellen, dass Art. 11 der Verordnung Nr. 883/2004, dessen Wortlaut dem von Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 entspricht, vorsieht, dass die Personen, für die die Verordnung Nr. 883/2004 gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats - des zuständigen Mitgliedstaats - unterliegen. In Anwendung von Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der letztgenannten Verordnung und aus Gründen, die den in den Rn. 24 bis 26 des vorliegenden Urteils dargestellten entsprechen, unterliegt Frau B. weiterhin den Vorschriften des Wohnmitgliedstaats.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Wohnort“ in Art. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 als der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person definiert wird. Art. 11 der Durchführungsverordnung Nr. 987/2009 setzt den Wohnort mit dem Mittelpunkt der Interessen der betreffenden Person gleich. Dieser Artikel kodifiziert auch die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgearbeiteten Gesichtspunkte, die für die Bestimmung dieses Mittelpunkts der Interessen berücksichtigt werden können, wie die Dauer und Kontinuität des Aufenthalts im Hoheitsgebiet der betreffenden Mitgliedstaaten oder die familiären Verhältnisse und die familiären Bindungen (vgl. in diesem Sinne Urteil Wencel, C-589/10, EU:C:2013:303, Rn. 50).

Unter diesen Umständen genügt die Feststellung - ohne dass es notwendig wäre, sich zu den in Art. 87 der Verordnung Nr. 883/2004 niedergelegten Übergangsbestimmungen zu äußern -, dass mit dieser Verordnung, was die für den Ausgangsrechtsstreit entscheidungserheblichen Vorschriften über die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats und den Begriff des Wohnorts betrifft, keine einschlägige Änderung gegenüber der Verordnung Nr. 1408/71 eingeführt wurde. Die Tschechische Republik ist daher in dieser Rechtssache nach den einschlägigen Regeln der Verordnung Nr. 883/2004 nicht der zuständige Mitgliedstaat.

Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Verordnung Nr. 883/2004 - und insbesondere ihr Art. 13 - dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat aufgrund des bloßen Umstands, dass eine Person in seinem Staatsgebiet einen registrierten Wohnsitz hat, ohne dass sie und ihre Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat gewöhnlich arbeiten oder wohnen, als der Staat angesehen wird, der für die Gewährung einer Familienleistung an diese Person zuständig ist.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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