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C-127/11, van den Booren

Tenor

Aus diesen Gründen

hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt:

Art. 46a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Klausel enthält, nach der eine in diesem Staat bezogene Hinterbliebenenrente infolge der Erhöhung einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats bezogenen Altersrente gekürzt wird, nicht entgegensteht, sofern insbesondere die in Art. 46a Abs. 3 Buchst. d aufgestellten Voraussetzungen beachtet werden.

Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass auch er der Anwendung einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht, wenn sie beim Versicherten nicht zu einer ungünstigeren Situation führt als bei einer Person, die sich in einer Situation ohne grenzüberschreitenden Bezug befindet, oder - sofern ein solcher Nachteil festgestellt werden sollte - wenn sie durch objektive Erwägungen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 46a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geändert und aktualisiert durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 (ABl. L 187, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), sowie des Art. 4 Abs. 3 EUV und der Art. 45 AEUV bis 48 AEUV.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau van den Booren und dem Rijksdienst voor Pensioenen (Staatliches Rentenamt, im Folgenden: RVP) über die Anwendung der belgischen Antikumulierungsvorschriften bei der Festlegung der Höhe der von der Klägerin bezogenen belgischen Hinterbliebenenrente.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

„Ist in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für den Fall des Zusammentreffens einer Leistung mit anderen Leistungen der sozialen Sicherheit oder mit jederlei sonstigen Einkünften vorgesehen, dass die Leistung gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen wird, so sind, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, diese Vorschriften einem Berechtigten gegenüber auch dann anwendbar, wenn es sich um Leistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben wurden, oder um Einkünfte handelt, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats bezogen werden.“

Kapitel 3 der Verordnung Nr. 1408/71 („Alter und Tod [Renten]“) umfasst die Art. 44 bis 51a.

Art. 45 der Verordnung Nr. 1408/71 betrifft die Berücksichtigung der Versicherungs- oder Wohnzeiten, die nach Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind, die für den Arbeitnehmer oder Selbständigen im Hinblick auf den Erwerb, die Aufrechterhaltung oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs galten.

Art. 46 der Verordnung Nr. 1408/71 legt in seinem Abs. 1 die Regeln fest, die gelten, wenn die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats auch ohne Anwendung des Art. 45 dieser Verordnung erfüllt sind. Art. 46 Abs. 2 stellt die Regeln auf, die gelten, wenn die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nur nach Anwendung des Art. 45 erfüllt sind.

Art. 46a der Verordnung Nr. 1408/71, der allgemeine Vorschriften über die nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf Leistungen bei Invalidität, Alter oder Tod anzuwendenden Kürzungs-, Ruhens- oder Entziehungsbestimmungen enthält, sieht vor:

„(1) Im Sinne dieses Kapitels bedeutet das Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art jedes Zusammentreffen von Leistungen bei Invalidität, Alter oder für Hinterbliebene, die auf der Grundlage der von ein und derselben Person zurückgelegten Versicherungs- und/oder Wohnzeiten berechnet oder gewährt wurden.

(2) Im Sinne dieses Kapitels bedeutet das Zusammentreffen von Leistungen unterschiedlicher Art jedes Zusammentreffen von Leistungen, die im Sinne des Absatzes 1 nicht als Leistungen gleicher Art betrachtet werden können.

(3) Für die Anwendung der Kürzungs-, Ruhens- und Entziehungsbestimmungen nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bei Zusammentreffen einer Leistung bei Invalidität, Alter oder für Hinterbliebene mit einer Leistung gleicher Art oder einer Leistung unterschiedlicher Art oder mit sonstigen Einkünften gelten folgende Vorschriften:

a) Die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbenen Leistungen oder die in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünfte werden nur berücksichtigt, wenn die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats die Berücksichtigung solcher im Ausland erworbenen Leistungen oder dort erzielter Einkünfte vorsehen.

b) Der Betrag der von einem anderen Mitgliedstaat zu zahlenden Leistungen wird vor Abzug der Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und anderer individueller Abgaben oder Abzüge berücksichtigt.

c) Der Betrag der nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbenen Leistungen, die auf der Grundlage einer freiwilligen Versicherung oder freiwilligen Weiterversicherung gewährt werden, wird nicht berücksichtigt.

d) Sind Kürzungs-, Ruhens- bzw. Entziehungsbestimmungen nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats anwendbar, weil der Versicherte aufgrund der Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten geschuldete Leistungen gleicher oder unterschiedlicher Art oder andere im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten erzielte Einkünfte bezieht, so kann die nach den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats geschuldete Leistung nur um den Betrag der nach den Rechtsvorschriften der anderen Mitgliedstaaten geschuldeten Leistungen oder der im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten erzielten Einkünfte gekürzt werden.“

Art. 46b Abs. 1 dieser Verordnung mit besonderen Vorschriften für das Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art, die nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten geschuldet werden, lautet folgendermaßen:

„Die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenen Kürzungs-, Ruhens- oder Entziehungsbestimmungen gelten nicht für eine nach Artikel 46 Absatz 2 berechnete Leistung.“

Die belgische Regelung

Art. 52 § 1 des Königlichen Erlasses vom 21. Dezember 1967 zur allgemeinen Regelung des Alters- und Hinterbliebenenrentensystems für Arbeitnehmer (Belgisch Staatsblad vom 16. Januar 1968) in der durch den Königlichen Erlass vom 9. Juli 1997 (Belgisch Staatsblad vom 9. August 1997) geänderten Fassung (im Folgenden: Königlicher Erlass vom 21. Dezember 1967) bestimmt:

„Hat der hinterbliebene Ehegatte Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente nach dem Rentensystem für Arbeitnehmer und auf eine oder mehrere Ruhestandsrenten oder als solche geltende Vergünstigungen nach dem Rentensystem für Arbeitnehmer oder nach einem oder mehreren anderen Rentensystemen, so kann die Hinterbliebenenrente mit den genannten Ruhestandsrenten nur bis zu einer Summe von 110 % des Betrags der Hinterbliebenenrente kumuliert werden, die dem hinterbliebenen Ehegatten für eine vollständige Versicherungslaufbahn bewilligt worden wäre.

… “

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Frau van den Booren, geboren am 18. August 1920, ist wohnhaft in Maastricht (Niederlande). Ihr Ehegatte, Herr Bartels, verstorben am 1. März 1982, arbeitete u.a. in der Zeit von 1951 bis 1961 als Bergarbeiter unter Tage in Belgien.

Mit Bescheid vom 11. Juli 1986 bewilligte der RVP Frau van den Booren rückwirkend ab dem 1. August 1985 eine belgische Hinterbliebenenrente in Höhe von 1 879,03 Euro brutto pro Jahr (Index 319,78). Ab diesem Zeitpunkt bezog die Klägerin auch eine niederländische Altersrente aufgrund der Algemene Ouderdomswet (Allgemeines Altersrentengesetz, im Folgenden: AOW) in Höhe von 827,13 Euro pro Monat.

Mit Bescheid vom 20. Mai 2003 wurde die niederländische Altersrente von Frau van den Booren rückwirkend ab dem 1. Januar 2002 auf einen Betrag von 869,24 Euro pro Monat (d. h. 10 430,88 Euro pro Jahr) erhöht.

Diese Erhöhung beruhte auf dem Umstand, dass der niederländische Gesetzgeber Ende 2002 eine Rechtslücke geschlossen hatte, die einige verheiratete Frauen mit Wohnsitz in den Niederlanden betraf, deren Ehegatten nicht nach dem AOW versichert gewesen waren, da sie im Zeitraum vom 1. Januar 1957 bis zum 1. Januar 1980 einer beruflichen Tätigkeit im Ausland nachgegangen waren.

Am 23. Januar 2004 übersandte das Bureau voor Belgische Zaken (Büro für belgische Angelegenheiten) eine Abschrift des Bescheids vom 20. Mai 2003 an den RVP.

Mit Einschreiben vom 12. August 2004 unterrichtete der RVP Frau van den Booren von der Abänderung des Bescheids vom 11. Juli 1986 dahin gehend, dass ihre belgische Hinterbliebenenrente, die am 1. Januar 2002 2 845,49 Euro brutto betragen hatte, infolge der ab diesem Zeitpunkt wirksamen Erhöhung ihrer niederländischen Altersrente auf 1 866,18 Euro brutto (Index 107,30) pro Jahr gekürzt worden sei. In diesem Schreiben forderte der RVP Frau van den Booren auch zur Rückzahlung der in der Zeit vom 1. März bis zum 31. Juli 2004 rechtsgrundlos gezahlten Leistungen, d.h. eines Gesamtbetrags in Höhe von 506,45 Euro, auf.

Frau van den Booren erhob gegen den Bescheid über die Änderung ihrer Hinterbliebenenrente sowie gegen den Rückzahlungsbescheid Klage bei der Arbeidsrechtbank te Tongeren (Arbeitsgericht Tongern), die diese Klage mit Urteil vom 21. Oktober 2009 für nicht begründet erklärte. Was insbesondere die Argumentation von Frau van den Booren mit Art. 46a der Verordnung Nr. 1408/71 betrifft, ging dieses Gericht davon aus, dass kein Verstoß gegen diesen Artikel vorliege. Da die niederländische Altersrente als eine als Ruhestandsrente geltende Vergünstigung anzusehen sei, habe die belgische Hinterbliebenenrente gemäß Art. 46a Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 gekürzt werden müssen (vgl. Urteil vom 7. März 2002, Insalaca, C-107/00, Slg. 2002, I-2403).

Überdies war dieses Gericht der Ansicht, dass auch keine Verletzung der Grundfreiheit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer vorgelegen habe. Die hierzu von Frau van den Booren geltend gemachten Urteile (Urteile vom 5. Oktober 1994, van Munster, C-165/91, Slg. 1994, I-4661, und vom 26. September 2000, Engelbrecht, C-262/97, Slg. 2000, I-7321) beträfen andere Fallgestaltungen. Art. 52 § 1 des Königlichen Erlasses vom 21. Dezember 1967 gelte unterschiedslos sowohl für belgische Staatsangehörige, die immer in Belgien geblieben seien, als auch für Wanderarbeitnehmer; die Anwendung der in diesem Art. 52 enthaltenen Regel ziehe keine Verminderung der Gesamteinkünfte von Frau van den Booren nach sich.

Am 27. November 2009 legte Frau van den Booren beim Arbeidshof te Antwerpen Berufung gegen diese Entscheidung ein. Sie macht geltend, dass die Anwendung von Art. 52 § 1 des Königlichen Erlasses vom 21. Dezember 1967 gegen Art. 46a der Verordnung Nr. 1408/71 verstoße und dass er jedenfalls eine Beschränkung der in den Art. 39 EG bis 42 EG niedergelegten Freizügigkeit darstelle. Frau van den Booren verweist hierzu auf die oben angeführten Urteile van Munster und Engelbrecht, nach denen es Sache des nationalen Gerichts ist, das innerstaatliche Gesetz in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen und dieses Gesetz unangewandt zu lassen, wenn es in Verbindung mit den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zu einem unionsrechtswidrigen Ergebnis führen würde.

Unter diesen Umständen hat der Arbeidshof te Antwerpen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die beiden folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 52 § 1 des Königlichen Erlasses vom 21. Dezember 1967, auf dessen Grundlage eine Hinterbliebenenrente als Folge der Erhöhung der auf der Grundlage des AOW bezogenen Altersrente wegen der Einführung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen durch das Gesetz vom 28. März 1985 gekürzt wird, mit dem Unionsrecht, genauer mit Art. 46a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vereinbar?

2. Ist Art. 52 § 1 des Königlichen Erlasses vom 21. Dezember 1967, wenn diese Bestimmung in der Weise ausgelegt wird, dass eine auf der Grundlage des AOW bezogene Altersrente als Ruhestandsrente im Sinne dieser Bestimmung oder als eine als solche geltende Vergünstigung aufzufassen ist, mit dem Unionsrecht, genauer mit Art. 4 Abs. 3 EUV und den Art. 45 AEUV bis 48 AEUV, vereinbar, und ist im Fall der Unvereinbarkeit Art. 52 § 1 des Königlichen Erlasses unangewandt zu lassen?

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit

In ihren schriftlichen Erklärungen hat die belgische Regierung zunächst die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens mit der Begründung in Frage gestellt, das vorlegende Gericht habe weder den rechtlichen und tatsächlichen Rahmen des Ausgangsverfahrens noch die Erforderlichkeit, die Vorlagefragen zu stellen, hinreichend dargelegt.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es ausschließlich Sache der mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte ist, die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu übernehmen haben, im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls sowohl zu beurteilen, ob eine Vorabentscheidung erforderlich ist, damit sie ihr Urteil erlassen können, als auch, ob die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen erheblich sind. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, Slg. 2009, I-1721, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 1. Juli 2010, Sbarigia, C-393/08, Slg. 2010, I-6337, Randnr. 19).

Daraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der das Unionsrecht betreffenden Fragen spricht. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof daher nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C-94/04 und C-202/04, Slg. 2006, I-11421, Randnr. 25, sowie Sbarigia, Randnr. 20).

Dies trifft jedoch auf die Ausgangsrechtssache nicht zu. Es ist nämlich festzustellen, dass die Vorlageentscheidung eine hinreichende Beschreibung des rechtlichen und tatsächlichen Rahmens des Ausgangsrechtsstreits enthält, die es dem Gerichtshof ermöglicht, die Vorlagefragen zweckdienlich zu beantworten.

Überdies ist darauf hinzuweisen, dass die belgische Regierung, wie sich aus ihren gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union eingereichten schriftlichen Erklärungen ergibt, imstande war, zu den Vorlagefragen Stellung zu beziehen.

Daher ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zur Begründetheit

Einleitend ist zu bemerken, dass der Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV zwar nicht über die Vereinbarkeit nationaler Rechtsnormen mit unionsrechtlichen Vorschriften entscheiden kann, dass er aber befugt ist, dem vorlegenden Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Unionsrechts an die Hand zu geben, die das Gericht in die Lage versetzen, die Vereinbarkeit dieser Rechtsnormen mit der Unionsregelung zu beurteilen (vgl. u.a. Urteil vom 15. Dezember 1993, Hünermund u. a., C-292/92, Slg. 1993, I-6787, Randnr. 8).

Die beiden Vorlagefragen, die gemeinsam zu prüfen sind, sind daher dahin zu verstehen, dass damit im Wesentlichen gefragt wird, ob die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 und insbesondere ihr Art. 46a dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats mit einer Klausel, nach der eine in diesem Mitgliedstaat bezogene Hinterbliebenenrente infolge der Erhöhung einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats bezogenen Altersrente gekürzt wird, entgegenstehen und ob, wenn dies zu verneinen ist, das primäre Unionsrecht und insbesondere Art. 4 Abs. 3 EUV sowie die Art. 45 AEUV bis 48 AEUV der Anwendung einer solchen nationalen Regelung entgegenstehen.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine nationale Vorschrift als Kürzungsbestimmung im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen ist, wenn die von ihr vorgeschriebene Berechnung bewirkt, dass der Rentenbetrag, auf den der Betroffene Anspruch hat, deshalb gekürzt wird, weil er in einem anderen Mitgliedstaat eine Leistung erhält (Urteil Insalaca, Randnr. 16).

Dabei sind nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenen Kürzungsbestimmungen gegenüber den Personen, die eine Leistung zulasten dieses Mitgliedstaats erhalten, anwendbar, wenn sie Anspruch auf andere Leistungen der sozialen Sicherheit haben, und zwar auch dann, wenn diese Leistungen nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben wurden (Urteil Insalaca, Randnr. 22).
Eine Ausnahme von dem in Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 aufgestellten Grundsatz ist in Art. 46b Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehen, wonach im Fall des Zusammentreffens von Leistungen gleicher Art die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vorgesehenen Kürzungsbestimmungen nicht für eine nach Art. 46 Abs. 2 dieser Verordnung berechnete Leistung gelten (Urteil Insalaca, Randnr. 23).

Nach ständiger Rechtsprechung sind dabei Leistungen der sozialen Sicherheit als Leistungen gleicher Art im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 zu betrachten, wenn ihr Gegenstand und Zweck sowie ihre Berechnungsgrundlage und die Voraussetzungen für ihre Gewährung identisch sind (Urteile vom 6. Oktober 1987, Stefanutti, 197/85, Slg. 1987, 3855, Randnr. 12, vom 11. August 1995, Schmidt, C-98/94, Slg. 1995, I-2559, Randnr. 24, und Insalaca, Randnr. 24).

Art. 46a Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 definiert das Zusammentreffen von Leistungen gleicher Art als das Zusammentreffen von Leistungen bei Invalidität, Alter oder für Hinterbliebene, „die auf der Grundlage der von ein und derselben Person zurückgelegten Versicherungs- und/oder Wohnzeiten berechnet oder gewährt wurden“. Gemäß Art. 46a Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 sind Leistungen, die aufgrund der Laufbahnen von zwei verschiedenen Personen berechnet oder gewährt werden, nicht als Leistungen gleicher Art im Sinne von Art. 46a Abs. 1 anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteile Stefanutti, Randnr. 13, und vom 12. Februar 1998, Cordelle, C-366/96, Slg. 1998, I-583, Randnrn. 20 und 21).

Da es sich in Anbetracht der dem Gerichtshof unterbreiteten schriftlichen Erklärungen zeigt, dass die von Frau van den Booren bezogene belgische Hinterbliebenenrente auf der Grundlage der beruflichen Laufbahn ihres verstorbenen Ehegatten berechnet worden ist und ihr die niederländische Altersrente aufgrund ihres persönlichen Anspruchs gezahlt wird, können diese beiden Leistungen nicht als Leistungen gleicher Art angesehen werden, die unter die in Art. 46b Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehene Ausnahme fallen.

Daher steht die Verordnung Nr. 1408/71 der Anwendung einer nationalen Antikumulierungsvorschrift wie der von dem vorlegenden Gericht genannten vorbehaltlich der Beachtung der mit der Verordnung Nr. 1408/71 auferlegten Grenzen nicht entgegen.

Insoweit sieht die Verordnung Nr. 1408/71 insbesondere in Art. 46a Abs. 3 Buchst. d für den Fall, dass nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats eine Antikumulierungsregel anwendbar ist, weil der Versicherte aufgrund der Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats geschuldete Leistungen gleicher oder unterschiedlicher Art bezieht, vor, dass die nach den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats geschuldete Leistung nur um den Betrag der nach den Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats geschuldeten Leistungen gekürzt werden kann (Urteil Cordelle, Randnr. 14).

Die belgische Hinterbliebenenrente kann somit in Anwendung dieser Regel nur um den Betrag der niederländischen Altersrente gekürzt werden (Urteil Cordelle, Randnr. 15).

Unter diesen Umständen ist insoweit der Schluss zu ziehen, dass Art. 46a der Verordnung Nr. 1408/71 der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Klausel enthält, nach der eine in diesem Staat bezogene Hinterbliebenenrente infolge der Erhöhung einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats bezogenen Altersrente gekürzt wird, nicht entgegensteht, sofern insbesondere die in Art. 46a Abs. 3 Buchst. d aufgestellten Voraussetzungen beachtet werden.

Die so vorgenommene Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71 versteht sich jedoch unbeschadet der Lösung, die sich aus der eventuellen Anwendbarkeit primärrechtlicher Bestimmungen ergibt. Denn die Feststellung der eventuellen Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts - hier der Verordnung Nr. 1408/71 - hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass die Maßnahme nicht an den Bestimmungen des Vertrags zu messen wäre (Urteil vom 16. Juli 2009, von Chamier-Glisczinski, C-208/07, Slg. 2009, I-6095, Randnr. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

In diesem Kontext fragt sich das vorlegende Gericht insbesondere, ob in der Rechtssache, mit der es befasst ist, eine Beschränkung der Freizügigkeit vorliegt, wie sie vom Gerichtshof in den angeführten Urteilen van Munster und Engelbrecht festgestellt wurde.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Urteile van Munster und Engelbrecht den Fall betrafen, dass die belgische Rente eines Ehegatten gekürzt wurde, weil die Alleinstehendenrente anstelle der Familienrente angewandt wurde, nachdem dem anderen Ehegatten eine Rente oder eine als solche geltende Vergünstigung zuerkannt worden war, und nicht, wie in der Ausgangsrechtssache, den Fall des Zusammentreffens einer belgischen Hinterbliebenenrente mit einer niederländischen Altersrente bei ein und derselben Person.

Daher ist die in diesen Urteilen gefundene Lösung nicht auf einen Fall wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden übertragbar.

Im Übrigen bestimmt zwar in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene das Recht jedes Mitgliedstaats, unter welchen Voraussetzungen Leistungen der sozialen Sicherheit gewährt werden, doch müssen die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit das Unionsrecht beachten (vgl. in diesem Sinne u.a. Urteil von Chamier-Glisczinski, Randnr. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Hinsichtlich der Bestimmungen des Primärrechts, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht, genügt insoweit der Hinweis, dass Art. 45 AEUV einen fundamentalen Grundsatz ausführt, demzufolge die Tätigkeit der Union die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten umfasst (Urteil vom 26. Januar 1999, Terhoeve, C-18/95, Slg. 1999, I-345, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Folglich steht das Unionsrecht jeder nationalen Maßnahme entgegen, die, auch wenn sie ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anwendbar ist, geeignet ist, die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch die Gemeinschaftsangehörigen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (Urteil vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C-212/06, Slg. 2008, I-1683, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nach ständiger Rechtsprechung können nationale Maßnahmen dieser Art nur dann zugelassen werden, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, wenn sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (Urteil Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, Randnr. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Somit ist es Sache des nationalen Gerichts, die Unionsrechtskonformität der fraglichen nationalen Regelung zu beurteilen, indem es prüft, ob die belgische Antikumulierungsregelung, die zwar unterschiedslos für die eigenen Staatsangehörigen und für die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten gilt, in Wirklichkeit beim Versicherten nicht zu einer ungünstigeren Situation führt als bei einer Person, die sich in einer Situation ohne grenzüberschreitenden Bezug befindet, und ob die betreffende nationale Regelung, sofern im vorliegenden Fall ein solcher Nachteil festgestellt werden sollte, durch objektive Erwägungen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht.

Nach alledem sind die Vorlagefragen wie folgt zu beantworten:

- Art. 46a der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung einer Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Klausel enthält, nach der eine in diesem Staat bezogene Hinterbliebenenrente infolge der Erhöhung einer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats bezogenen Altersrente gekürzt wird, nicht entgegensteht, sofern insbesondere die in Art. 46a Abs. 3 Buchst. d aufgestellten Voraussetzungen beachtet werden;

- Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass auch er der Anwendung einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht, wenn sie beim Versicherten nicht zu einer ungünstigeren Situation führt als bei einer Person, die sich in einer Situation ohne grenzüberschreitenden Bezug befindet, oder - sofern ein solcher Nachteil festgestellt werden sollte - wenn sie durch objektive Erwägungen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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