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C-102/98, C-211/98, Kocak, Örs

Tenor

Aus diesen Gründen hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Bundessozialgericht mit Beschlüssen vom 17. Februar und 31. März 1998 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige verwehrt es einem Mitgliedstaat nicht, auf türkische Arbeitnehmer eine Regelung anzuwenden, nach der für die Gewährung einer Altersrente und für die insoweit vergebene Versicherungsnummer dasjenige Geburtsdatum maßgebend ist, das sich aus der ersten Angabe des Betroffenen gegenüber einem Sozialleistungsträger des betreffenden Staates ergibt, und ein anderes Geburtsdatum nur berücksichtigt wird, wenn es sich aus einer Urkunde ergibt, deren Original vor dem Zeitpunkt dieser Angabe ausgestellt worden ist.

Gründe

Das Bundessozialgericht hat mit zwei Beschlüssen vom 17. Februar und 31. März 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 9. April 1998 (C-102/98) und 8. Juni 1998 (C-211/98), gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 9 des am 12. September 1963 in Ankara unterzeichneten und durch den Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (im folgenden: Assoziierungsabkommen), des Artikels 37 des am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls (im folgenden: Zusatzprotokoll), des Artikels 10 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (nicht veröffentlicht) und des Artikels 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (ABl. 1983, C 110, S. 60) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen dem türkischen Staatsangehörigen I. Kocak und der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelfranken (LVA) (C-102/98) und zwischen dem türkischen Staatsangehörigen R. Örs und der Bundesknappschaft (C-211/98) wegen der Weigerung dieser beiden Behörden, für die Gewährung einer Altersrente für die Kläger die von einem türkischen Gericht beschlossene Berichtigung des Geburtsdatums, das diese bei ihrem Eintritt in die deutsche Sozialversicherung angegeben hatten, zu berücksichtigen.

Die Assoziation EWG-Türkei

Ziel des Assoziierungsabkommens ist es nach seinem Artikel 2 Absatz 1, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern. Dazu sieht das Assoziierungsabkommen eine Vorbereitungsphase, eine Übergangsphase und eine Endphase vor; die Vorbereitungsphase soll es der Republik Türkei ermöglichen, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen (Artikel 3), in der Übergangsphase ist die schrittweise Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftspolitiken vorgesehen (Artikel 4), und die auf der Zollunion beruhende Endphase schließt eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken ein (Artikel 5).

Artikel 6 des Assoziierungsabkommens lautet:

„Um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung sicherzustellen, treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen; dieser wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind.“

Artikel 9 des Assoziierungsabkommens bestimmt:

„Die Vertragsparteien erkennen an, daß für den Anwendungsbereich des Abkommens unbeschadet der besonderen Bestimmungen, die möglicherweise auf Grund von Artikel 8 noch erlassen werden, dem in Artikel 7 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft verankerten Grundsatz entsprechend jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist.“

Artikel 12 des Assoziierungsabkommens lautet:

„Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen.“

Nach Artikel 1 des Zusatzprotokolls, das seinem Artikel 62 zufolge Bestandteil des Assoziierungsabkommens ist, werden durch dieses Protokoll die Bedingungen, die Einzelheiten und der Zeitplan für die Verwirklichung der Übergangsphase festgelegt, die in Artikel 4 des Assoziierungsabkommens vorgesehen ist.

Artikel 37 des Zusatzprotokolls lautet:

„Jeder Mitgliedstaat sieht für die in der Gemeinschaft beschäftigten Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit eine Regelung vor, die in bezug auf die Arbeitsbedingungen und das Entgelt keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende Diskriminierung gegenüber Arbeitnehmern enthält, die Staatsangehörige der anderen Mitgliedstaaten sind.“

Artikel 39 Absatz 1 des Zusatzprotokolls lautet:

„Der Assoziationsrat erläßt vor dem Ende des ersten Jahres nach Inkrafttreten dieses Protokolls Bestimmungen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, die von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu- oder abwandern, sowie für deren in der Gemeinschaft wohnende Familien.“

Der Beschluß Nr. 1/80 bezweckt nach seiner dritten Begründungserwägung, die im sozialen Bereich bestehende Regelung zugunsten der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zu verbessern und die Bestimmungen über die soziale Sicherheit und über den Austausch junger Arbeitskräfte durchzuführen.

Artikel 10 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80, der zu Kapitel II („Soziale Bestimmungen“) Abschnitt 1 („Fragen betreffend die Beschäftigung und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer“) gehört, lautet:

„Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft räumen den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt.“

Der Beschluß Nr. 3/80, der auf Artikel 39 des Zusatzprotokolls gestützt ist, soll die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten dahin gehend koordinieren, daß türkische Arbeitnehmer, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Gemeinschaft beschäftigt sind oder waren, sowie ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen Leistungen in den herkömmlichen Zweigen der sozialen Sicherheit beziehen können.

Artikel 2 („Persönlicher Geltungsbereich“) des Beschlusses Nr. 3/80 lautet:

„Dieser Beschluß gilt:

für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, und die türkische Staatsangehörige sind;

...“

Artikel 3 Absatz 1 („Gleichbehandlung“) des Beschlusses Nr. 3/80 lautet:

„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen und für die dieser Beschluß gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit dieser Beschluß nichts anderes bestimmt.“

Artikel 4 („Sachlicher Geltungsbereich“) des Beschlusses Nr. 3/80 bestimmt in Absatz 1:

„Dieser Beschluß gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

...

c) Leistungen bei Alter;

...“„

Das deutsche Recht

In Deutschland haben männliche Versicherte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und mindestens 60 Monate versichert waren, Anspruch auf Altersrente.

Für jeden in der Rentenversicherung Versicherten muß eine Versicherungsnummer vergeben werden, die sein Geburtsdatum enthält. Diese Nummer wird ihm vom zuständigen Rentenversicherungsträger aufgrund der Daten zugeteilt, die ihm der erste Arbeitgeber des Betroffenen bei der obligatorischen Anmeldung zur Krankenversicherung übermittelt.

§ 1 Absatz 5 der Verordnung über die Vergabe und Zusammensetzung der Versicherungsnummer (BGBl. 1987 I S. 2532) vom 7. Dezember 1987 bestimmt:

„Eine Versicherungsnummer wird nur einmal vergeben und nicht berichtigt. Ist das Geburtsdatum oder die Seriennummer in der Versicherungsnummer unrichtig, erhält der Versicherte eine neue Versicherungsnummer; die insoweit unrichtige Versicherungsnummer ist nicht mehr zu verwenden und als nicht verwendbar zu kennzeichnen...“

§ 33a des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), der am 1. Januar 1998 aufgrund des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16. Dezember 1997 (BGBl. 1997 I S. 2970) in Kraft getreten ist, bestimmt:

„(1) Sind Rechte oder Pflichten davon abhängig, daß eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten ist, ist das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitts des Vierten Buches handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt.

(2) Von einem nach Absatz 1 maßgebenden Geburtsdatum darf nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, daß

ein Schreibfehler vorliegt oder

sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Absatz 1 ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten für Geburtsdaten, die Bestandteil der Versicherungsnummer oder eines anderen in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs verwendeten Kennzeichens sind, entsprechend.“

Nach der Begründung des Gesetzentwurfs, wie sie das vorlegende Gericht wiedergibt, soll die Regelung eine mißbräuchliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen in Fällen verhindern, in denen aufgrund einer Änderung von Geburtsdaten u.a. ein früherer Bezug von Sozialleistungen beantragt wird. Verschiedene ausländische Rechtsordnungen sähen die Möglichkeit vor, das Geburtsdatum durch eine gerichtliche Entscheidung zu ändern. Solche Änderungen könnten im deutschen Sozialrecht zu Vorteilen führen, die in der jeweiligen ausländischen Rechtsordnung nicht damit verbunden seien, denn in diesen Rechtsordnungen würden Änderungen von Geburtsdaten für den Bereich der sozialen Sicherheit überwiegend nicht anerkannt. Gegenwärtig erforderten diese Fälle noch eine besonders verwaltungsintensive Prüfung. Die Gesetzesneuregelung solle - diese Prüfung vereinfachend - sicherstellen, daß derartige Änderungen von Geburtsdaten auch im deutschen Sozialrecht grundsätzlich nicht berücksichtigt würden. Eine besondere Übergangsvorschrift sei jedoch nicht erforderlich.

Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten

Rechtssache C-102/98

Der Kläger Kocak war von April 1962 bis Dezember 1966 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig im Bergbau erwerbstätig. Seit Mai 1970 lebt er ständig in der Bundesrepublik; bis zu seinem Eintritt in den Vorruhestand am 1. Oktober 1986 war er als Arbeiter beschäftigt. Nach Auslaufen des Vorruhestandsgeldes bezieht er seit dem 1. Oktober 1991 Sozialhilfe.

In den 1970 und 1980 vergebenen Versicherungsnummern wurde als Geburtsdatum des Klägers Kocak der 20. Oktober 1933 zugrunde gelegt. Aufgrund eines Urteils des türkischen Zivilgerichts in Düzce vom 3. Dezember 1985 wurde das Geburtsjahr des Klägers Kocak im türkischen Personenstandsregister in „1926“ geändert. Daraufhin erteilte die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein ihm am 14. August 1986 unter Berücksichtigung des so berichtigten Geburtsjahres eine neue Versicherungsnummer.

Im August 1991 stellte der Kläger Kocak bei der LVA einen Antrag auf Altersrente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Die LVA stellte mit Bescheid vom 17. Februar 1992 fest, daß die türkische Gerichtsentscheidung über die Berichtigung des türkischen Personenstandsregisters hinsichtlich des Geburtsdatums nicht anerkannt werde; das für die deutsche Rentenversicherung maßgebliche Geburtsdatum sei der 20. Oktober 1933. Deshalb erteilte sie dem Kläger Kocak eine auf das Geburtsjahr 1933 gestützte neue Versicherungsnummer. Den Rentenantrag des Klägers Kocak lehnte sie durch Bescheid vom 1. Dezember 1993 mit der Begründung ab, er sei 1933 geboren und vollende das 65. Lebensjahr erst im Oktober 1998.

Die LVA wies mit Bescheid vom 19. Januar 1994 auch die Widersprüche des Klägers Kocak gegen diese beiden Bescheide zurück und führte zur Begründung u.a. aus, es sei nicht nachgewiesen, daß dieser nicht in dem bei Eintritt in die deutsche Rentenversicherung angegebenen Jahr 1933, sondern im Jahr 1926 geboren sei. Ein solcher Nachweis werde weder durch das Urteil des türkischen Zivilgerichts noch durch die vom Kläger Kocak beigebrachte Erklärung eines Zeugen erbracht, da das Urteil lediglich auf einem ärztlichen Gutachten beruhe und keine Belege für die Angaben des Zeugen vorgelegt worden seien.

Das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe, das der hiergegen erhobenen Klage stattgegeben hatte, wurde vom Landessozialgericht Schleswig-Holstein aufgehoben. Daraufhin legte der Kläger Kocak Revision zum Bundessozialgericht ein. Der 13. Senat des Bundessozialgerichts hat Zweifel, ob § 33a SGB I mit dem Diskriminierungsverbot und dem Gleichbehandlungsgrundsatz, die der Assoziation EWG-Türkei zugrunde liegen, vereinbar ist. Er hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist das Recht betreffend die Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (insbesondere Artikel 9 des Abkommens zur Gründung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963, Artikel 37 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen vom 23. November 1970, Artikel 10 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 und Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980) dahin auszulegen, daß es dem Gesetzgeber eines Mitgliedstaats nicht gestattet ist, eine Regelung zu treffen, wonach für die Verwendung in der einem Versicherten zugeordneten Versicherungsnummer sowie für die Gewährung von Altersruhegeld auch bei türkischen Wanderarbeitnehmern - ohne Rücksicht auf Besonderheiten des türkischen Personenstandsregisters - grundsätzlich dasjenige Geburtsdatum maßgebend ist, das sich aus der ersten Angabe des Versicherten gegenüber dem Sozialleistungsträger des betreffenden Mitgliedstaats oder gegenüber dem dortigen (insoweit im Verhältnis zum Sozialleistungsträger meldepflichtigen) Arbeitgeber ergibt?

Rechtssache C-211/98

Der Kläger Örs lebt seit 1972 in Deutschland; er ist bei der Bundesknappschaft rentenversichert. Bei seinem Eintritt in diese Versicherung erklärte er, am 1. Mai 1950 geboren zu sein, so daß die Bundesknappschaft ihm eine Versicherungsnummer zuteilte, die dieses Geburtsdatum enthält.

Aufgrund eines Urteils des Landgerichts Balikesir (Türkei) vom 9. November 1992 wurde das Geburtsdatum des Klägers Örs im türkischen Personenstandsregister in „1. Mai 1946“ geändert. Das Urteil war auf vom Kläger vorgelegte eidliche Zeugenaussagen sowie die Untersuchung einer aus seinem Arm entnommenen Gewebeprobe gestützt.

Die Bundesknappschaft lehnte den Antrag des Klägers Örs, das Geburtsdatum und die Versicherungsnummer aufgrund dieses Urteils zu ändern, mit Bescheid vom 14. Juni 1993 und Widerspruchsbescheid vom 14. September 1993 ab.

Die vom Kläger Örs gegen diese ablehnenden Bescheide beim Sozialgericht Gelsenkirchen erhobene Klage und seine beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen gegen deren Abweisung eingelegte Berufung blieben ohne Erfolg. Daraufhin legte er Revision zum Bundessozialgericht ein und machte geltend, der Versicherungsnummer komme nicht nur eine Ordnungsfunktion zu, sondern sie sei insbesondere für seine Lebensarbeitszeit und damit für seine Ansprüche auf Leistungen bei Alter von entscheidender Bedeutung. Die rechtskräftige Entscheidung des türkischen Gerichts binde auch die Bundesknappschaft. Im übrigen werde er bei der Bundesknappschaft in ihrer Eigenschaft als Krankenversicherungsträger unter seinem geänderten Geburtsdatum geführt.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts weist namentlich darauf hin, daß der ihm vorliegende Fall von der Fallgestaltung des Urteils vom 2. Dezember 1997 in der Rechtssache C-336/94 (Dafeki, Slg. 1997, I-6761) abweiche, denn der Kläger Örs sei kein Gemeinschaftsangehöriger, sondern ein türkischer Wanderarbeitnehmer, und § 33a SGB I schließe nachträgliche Berichtigungen des Geburtsdatums für Zwecke des Sozialrechts aus. Das Gericht hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden beiden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Besteht aufgrund des Rechts betreffend die Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei ein auf einen türkischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar anwendbares Diskriminierungsverbot auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit?

2. Falls die Frage zu 1 bejaht wird, ist dieses Verbot so auszulegen, daß es einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der für Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und für die insoweit vergebene Versicherungsnummer dasjenige Geburtsdatum maßgebend ist, das in jenem Zeitpunkt urkundlich festgestellt war, als der türkische Arbeitnehmer erstmals einem nationalen Sozialleistungsträger gemeldet wurde?

Der Präsident des Gerichtshofes hat die beiden Rechtssachen mit Beschluß vom 2. Dezember 1998 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die Vorabentscheidungsfragen

Die Fragen des vorlegenden Gerichts, die zusammen zu prüfen sind, gehen dahin, ob das in einer der genannten Bestimmungen über die Assoziation EWG-Türkei enthaltene Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit es einem Mitgliedstaat verwehrt, auf türkische Arbeitnehmer eine Regelung anzuwenden, nach der für die Gewährung einer Altersrente und für die insoweit vergebene Versicherungsnummer dasjenige Geburtsdatum maßgebend ist, das sich aus der ersten Angabe des Betroffenen gegenüber einem Sozialleistungsträger des betreffenden Staates ergibt, und ein anderes Geburtsdatums nur berücksichtigt wird, wenn es sich aus einer Urkunde ergibt, deren Original vor dem Zeitpunkt dieser Angabe ausgestellt worden ist.

Erstens ist festzustellen, daß türkische Staatsangehörige wie die Kläger, für die die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gelten oder galten, in den persönlichen Geltungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80, der in Artikel 2 festgelegt ist, fallen.

Zudem stellt eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren strittige, mit der ein Mitgliedstaat das für die Entstehung u.a. des Anspruchs auf eine Altersrente maßgebende Geburtsdatum festlegt, eine Vorschrift über einen in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c des Beschlusses Nr. 3/80 ausdrücklich genannten Zweig der sozialen Sicherheit dar und fällt somit in den sachlichen Geltungsbereich dieses Beschlusses.

Zweitens hat der Gerichtshof im Urteil vom 4. Mai 1999 in der Rechtssache C-262/96 (Sürül, Slg. 1999, I-2685, Randnr. 74) entschieden, daß Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 in dessen Geltungsbereich einen eindeutigen, unbedingten Grundsatz aufstellt, der so bestimmt ist, daß er von einem nationalen Gericht angewandt werden kann, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des einzelnen zu regeln. Diese Bestimmung besitzt somit unmittelbare Wirkung mit der Folge, daß sich die Bürger, für die sie gilt, vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf sie berufen können.

Nach dieser Bestimmung haben türkische Staatsangehörige, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die der Beschluß Nr. 3/80 gilt, im Wohnsitzstaat Anspruch auf Leistungen der sozialen Sicherheit nach den Rechtsvorschriften dieses Staates unter den gleichen Voraussetzungen wie dessen eigene Staatsangehörige. Artikel 3 Absatz 1 bildet somit die Durchführung und Konkretisierung des allgemeinen Verbotes der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, das in Artikel 9 des Assoziierungsbkommens verankert ist, für den besonderen Bereich der sozialen Sicherheit (vgl. in diesem Sinne Urteil Sürül, Randnr. 64).

Deshalb braucht nicht geprüft zu werden, ob die letztgenannte Bestimmung, die das vorlegende Gericht ausdrücklich erwähnt, auch auf Personen anwendbar ist, die sich wie die Kläger schon auf das in Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 speziell für den Bereich der sozialen Sicherheit ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit berufen können.

Dasselbe gilt für Artikel 37 des Zusatzprotokolls und Artikel 10 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80, die das allgemeine Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit für türkische Staatsangehörige hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der sonstigen Arbeitsbedingungen konkretisieren.

Was die Tragweite des in Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 verankerten Verbotes der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit betrifft, so verbietet das Gleichbehandlungsgebot nach ständiger Rechtsprechung nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen von Diskriminierung, die bei Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu demselben Ergebnis führen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Januar 2000 in der Rechtssache C-190/98, Graf, Randnr. 14, Slg. 2000, I-0000).

Eine Regelung wie die, um die es in den Ausgangsverfahren geht, ist unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer anwendbar.

Auch erkennt sie den Urkunden, die vorgelegt werden müssen, damit von dem bei der ersten Anmeldung bei einem Sozialleistungsträger angegebenen Geburtsdatum abgewichen werden kann, die gleiche Beweiskraft zu, unabhängig davon, woher sie stammen. Sie unterscheidet weder nach dem Ausstellungsstaat noch nach der Art der vorgelegten Urkunde und spricht, wie die deutsche Regierung unwidersprochen vorgetragen hat, nicht nur Personenstandsurkunden Beweiskraft zu, sondern auch anderen Urkunden, die Rückschlüsse auf das Geburtsdatum des Betroffenen zulassen, wie etwa solchen, die anläßlich des Schulbesuchs oder des Wehrdienstes ausgestellt worden sind.

Diese Regelung unterscheidet sich somit deutlich von den in der Rechtssache Dafeki streitigen Bestimmungen, die Personenstandsurkunden, die von den zuständigen Behörden anderer Staaten ausgestellt worden sind, eine geringere Beweiskraft beimaßen als von deutschen Behörden ausgestellten Urkunden (vgl. Randnrn. 5 und 12 des Urteils D.).

Außerdem ergibt sich aus den Vorlagebeschlüssen des Bundessozialgerichts, daß auch nach türkischem Recht das im Bereich der sozialen Sicherheit maßgebende Geburtsdatum grundsätzlich dasjenige bleibt, das beim Eintritt in die Versicherung angegeben wurde, und daß eine spätere Berichtigung dieses Datums insoweit wirkungslos ist.

Demnach verleiht eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren strittige, die die Berücksichtigung eines anderen als des bei der ersten Anmeldung bei einem Sozialleistungsträger angegebenen Geburtsdatums von der Vorlage einer Urkunde abhängig macht, deren Original vor dem Zeitpunkt dieser Anmeldung ausgestellt worden ist, türkischen Arbeitnehmern keine andere Rechtsstellung als den Staatsangehörigen des Staates, in dem sie wohnen.

Das vorlegende Gericht schließt nicht aus, daß diese Regelung gleichwohl eine mittelbare Diskriminierung der türkischen Arbeitnehmer enthalten könnte, da sie den erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Unterschieden bei der Führung der Personenstandsregister in der Republik Türkei und in der Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend Rechnung trage. Während die ersten Angaben deutscher Staatsangehöriger gegenüber einem Sozialleistungsträger regelmäßig auf sicheren und zuverlässigen Personenstandseintragungen beruhten, hätten die Angaben von in ihrer Heimat geborenen türkischen Arbeitnehmern nicht selten eine wesentlich unsicherere Grundlage und bedürften daher öfter einer nachträglichen Korrektur.

Wie das vorlegende Gericht dazu in seinem Vorlagebeschluß in der Rechtssache C-102/98 feststellt, muß nach § 16 des deutschen Personenstandsgesetzes (PStG) die Geburt eines Kindes dem Standesbeamten, in dessen Bezirk es geboren ist, binnen einer Woche angezeigt werden. Anzeigepflichtig ist in erster Linie der eheliche Vater; es können aber auch andere Personen anzeigepflichtig sein. Wer seiner Anzeigepflicht nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt, handelt nach § 68 PStG ordnungswidrig und kann mit einer Geldbuße belegt werden.

Nach § 20 PStG muß der Standesbeamte die Angaben des Anzeigenden nachprüfen, wenn er an ihrer Richtigkeit zweifelt. Eine abgeschlossene Eintragung des Geburtsdatums im Geburtenbuch kann gemäß § 47 in Verbindung mit §§ 46 bis 46b PStG nur auf Anordnung des Gerichts berichtigt werden. Das Gericht hat den Sachverhalt von Amts wegen umfassend aufzuklären und dabei alle geeigneten Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Nur wenn das Gericht von der Unrichtigkeit des Eintrags überzeugt ist, darf die Berichtigung angeordnet werden.

Das vorlegende Gericht führt aus, daß die Verhältnisse in der Türkei deutlich anders seien. Zwar sei eine Geburt nach Artikel 39 des türkischen Zivilgesetzbuches innerhalb eines Monats der für die Führung des Personenstandsregisters zuständigen Behörde anzuzeigen. Diese Pflicht werde jedoch offenbar insbesondere in ländlichen Gebieten nicht immer zeitgerecht und zuverlässig erfüllt. Zwar könnten gemäß Artikel 38 des türkischen Zivilgesetzbuches und Artikel 11 des türkischen Personenstandsgesetzes Berichtigungen des Personenstandsregisters aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung vorgenommen werden, der Prüfungsmaßstab, den türkische Gerichte dabei häufig anwendeten, werde jedoch von Verwaltungsfachleuten der Versicherungsträger als äußerst großzügig bezeichnet. Wiederholt sei von deutschen Gerichten das Fehlen einer gründlichen, von Amts wegen durchgeführten Sachaufklärung beanstandet worden.

Die Kommission trägt vor, angesichts dieser unterschiedlichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse stelle die grundsätzliche Weigerung, ein anderes als das anläßlich der ersten Anmeldung bei einem Sozialleistungsträger angegebene Geburtsdatum für die Zwecke der Rentenversicherung zu berücksichtigen, es sei denn, das neue Geburtsdatum ergebe sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt dieser Anmeldung ausgestellt worden sei, eine mittelbare Diskriminierung der türkischen Wanderarbeitnehmer dar, bei der zu prüfen bleibe, ob sie durch objektive, von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt sei und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehe, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt werde (vgl. dazu Urteil vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996, I-2617, Randnr. 19).

Die besonderen Schwierigkeiten, zu denen die strittige deutsche Regelung für türkische Wanderarbeitnehmer führen kann, beruhen auf den türkischen Vorschriften über die Führung der Personenstandsregister und den besonderen Bedingungen ihrer praktischen Anwendung.

Auf der Grundlage des in Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 verankerten Verbotes der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit kann jedoch von einem Mitgliedstaat nicht verlangt werden, daß er bei der Regelung der Frage, welches Geburtsdatum für die Erteilung einer Versicherungsnummer und die Gewährung einer Altersrente maßgebend ist, der besonderen Situation Rechnung trägt, die sich aus dem Inhalt und der praktischen Anwendung der türkischen Personenstandsbestimmungen ergibt.

Eine Regelung wie die hier strittige enthält also keine Ungleichbehandlung, die eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit bilden kann. Somit braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob sie durch objektive Erwägungen gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zu den Zwecken steht, die mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt werden (vgl. dazu Urteile vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-15/96, Schöning-Kougebetopoulu, Slg.1998, I-47, Randnr. 21, und vom 7. Mai 1998 in der Rechtssache C-350/96, Clean Car Autoservice, Slg. 1998, I-2521, Randnrn. 30 und 31).

Aus dem gleichen Grund braucht auch nicht geprüft zu werden, ob die Regelung, wie die Kommission aufgrund der vom vorlegenden Gericht im Vorlagebeschluß in der Rechtssache C-102/98 geäußerten Zweifel meint, deshalb außer Verhältnis zu den verfolgten Zielen steht, weil sie mangels einer Übergangsvorschrift auch auf türkische Arbeitnehmer anwendbar ist, deren erste Angaben gegenüber einem Sozialleistungsträger nach früher geltendem Recht gemacht wurden, also zu einer Zeit, da sie nicht damit rechnen konnten, daß sie sich bei Stellung ihres Rentenantrags nur dann auf ihr tatsächliches, vom ursprünglich angegebenen Datum abweichendes Geburtsdatum würden berufen können, wenn sich dieses aus einer Urkunde ergibt, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Angabe ausgestellt worden ist.

Die Frage, ob Personen wie die Kläger aus dem Umstand, daß ihnen vor Inkrafttreten der hier streitigen Regelung eine neue Versicherungsnummer zugeteilt worden ist oder daß sie unter der Geltung früherer, weniger strenger Rechtsvorschriften einen Antrag auf Änderung ihrer Versicherungsnummer gestellt haben, Rechte für die Gewährung ihrer Altersrente herleiten können, ist nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen.

Aufgrund aller dieser Erwägungen ist auf die gestellten Fragen zu antworten, daß Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 3/80 es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, auf türkische Arbeitnehmer eine Regelung anzuwenden, nach der für die Gewährung einer Altersrente und für die insoweit vergebene Versicherungsnummer dasjenige Geburtsdatum maßgebend ist, das sich aus der ersten Angabe des Betroffenen gegenüber einem Sozialleistungsträger des betreffenden Staates ergibt, und ein anderes Geburtsdatum nur berücksichtigt wird, wenn es sich aus einer Urkunde ergibt, deren Original vor dem Zeitpunkt dieser Angabe ausgestellt worden ist.

Kosten

Die Auslagen der deutschen und der französischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

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