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79/76, Fossi

Tenor

Hat der Gerichtshof

auf die ihm vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 29. Juni 1976 vorgelegte Frage fuer Recht erkannt:

„Artikel 8 der Verordnung Nr. 3 und Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 gelten nicht fuer Leistungen der in § 108c des Reichsknappschaftsgesetzes vorgesehenen Art, soweit es sich um Versicherungzeiten handelt, die vor 1945 ausserhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland und von Berlin (West) zurueckgelegt worden sind.“

Gründe

Das Bundessozialgericht hat mit Beschluss vom 29. Juni 1976, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 6. August 1976, gemaess Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 8 der Verordnung Nr. 3 des Rates vom 25. September 1958 ueber die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (Abl. 1958, S. 561) und Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (Abl. 1971, l 149, S. 2), zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Diese Frage ist in einem Rechtsstreit aufgeworfen worden, in dem ein in Italien wohnender italienischer Staatsangehoeriger, der vom 1. Juni 1942 bis zum 1. Juli 1943 in einem Bergwerk des seinerzeit in das ehemalige Deutsche Reich eingegliederten Sudetenlandes gearbeitet hat, auf Zahlung einer Rente wegen vollstaendiger Erwerbsunfaehigkeit nach den deutschen Rechtsvorschriften klagt. Waehrend jener Zeit war der Betroffene gegen Invaliditaet und Alter bei der sudetendeutschen Knappschaft pflichtversichert, die damals der fuer Bergleute zustaendige Sozialversicherungstraeger war und fuer die das vom Reich erlassene Reichsknappschaftsgesetz (RKG) galt. Nachdem ihm im Jahre 1958 von dem zustaendigen italienischen Versicherungstraeger aufgrund der in seinem Heimatland zurueckgelegten Versicherungzeiten eine Invaliditaetsrente zuerkannt worden war, stellte er am 1. Februar 1970 einen Antrag auf Rente bei der Bundesknappschaft, dem fuer die Versicherung der Bergarbeiter zustaendigen Versicherungstraeger in der Bundesrepublik Deutschland. Dieser im Ausgangsverfahren beklagte Versicherungstraeger - auf den gewisse Verpflichtungen der Sozialversicherungstraeger uebertragen worden sind, welche vor 1945 bestanden hatten und fuer Bergarbeiter zustaendig waren - erkannte die beantragte Rente zu, verweigerte aber die Auszahlung mit der Begruendung, die Rente ruhe „gemaess den Bestimmungen der §§ 105 ff. RKG“ in dessen geaenderter Fassung, da der Antragsteller nur ausserhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland erwerbstaetig und versichert gewesen sei und ausserhalb dieses Gesetzes wohne. Nach Ansicht der Beklagten im Ausgangsverfahren verstoesst dieses Ruhen nicht gegen das Verbot des Artikels 10 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, weil Anhang V der Verordnung unter B 1 B in Faellen der vorliegenden Art eine Ausnahme von diesem Verbot vorsehe; der Klaeger ist dagegen der Ansicht, diese Ausnahme sei mit den Artikeln 48 ff. EWG-Vertrag unvereinbar und die Weigerung der Beklagten laufe auf eine Diskriminierung auslaendischer Staatsangehoeriger hinaus.

Die Frage des Bundessozialgerichts lautet: „Ist ein in Italien wohnender Italiener, der zu keiner Zeit im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder Berlin (West) gewohnt oder gearbeitet hat, nach Artikel 8 der Verordnung Nr. 3 und Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 der Europaeischen Wirtschaftsgemeinschaft bei der Anwendung des § 108c des Reichsknappschaftsgesetzes einem deutschen Staatsangehoerigen gleichgestellt, soweit es sich um Versicherungzeiten handelt, die vor 1945 ausserhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland oder Berlin (West) nach Reichsrecht bei der Reichsknappschaft zurueckgelegt worden sind?“

Die Antwort auf diese Frage haengt davon ab, ob eine Vorschrift von der Art des § 108c RKG eine Rechtsvorschrift der sozialen Sicherheit ist und deshalb in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnungen Nr. 3 und 1408/71 faellt.

Um die wirtschaftliche und soziale Eingliederung der Fluechtlinge und Vertriebenen zu erleichtern, deren Versicherungsansprueche nicht mehr durchsetzbar waren, weil die zustaendigen Versicherungstraeger nicht mehr bestanden oder sich ausserhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland befanden, bestimmte das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz von 1953, dass betroffene - Deutsche wie Nichtdeutsche - unter bestimmten Voraussetzungen ihre frueheren Ansprueche geltend machen konnten. Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes und nach der Fassung, die das RKG im Jahre 1960 erhalten hat, ruhen diese Renten, solange sich der Berechtigte gewoehnlich ausserhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland aufhaelt.

Fuer das Gemeinschaftsrecht ist die Bestimmung des deutschen Gesetzes, nach der die in Betracht kommenden Leistungen keine Leistungen der sozialen Sicherheit sind, nicht ausschlaggebend. Rechtsvorschriften, die den Betroffenen eine gesetzlich umschriebene, von jeder Ermessensbeurteilung der persoenlichen Beduerftigkeit und Verhaeltnisse im Einzelfall unabhaengige Rechtsstellung einraeumen, sind grundsaetzlich dem Bereich der sozialen Sicherheit im Sinne des Artikels 51 EWG-Vertrag und der Verordnungen Nr. 3 und Nr. 1408/71 zuzuordnen.

Da die seinerzeit zustaendigen Versicherungstraeger, bei denen die von der betroffenen Vorschrift erfassten Personen versichert waren, nicht mehr bestehen oder sich ausserhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland befinden, da weiterhin die in Rede stehenden deutschen Rechtsvorschriften bestimmte Haertefaelle mildern sollen, die durch die Ereignisse im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Herrschaft und dem zweiten Weltkrieg entstanden sind, da schliesslich die Zahlung der streitigen Leistungen an die eigenen Staatsangehoerigen Ermessenssache ist, wenn diese im Ausland wohnen, sind die Leistungen nicht als dem Bereich der sozialen Sicherheit zugehoerig anzusehen. Dieses Ergebnis wird im Uebrigen durch den im Anhang G der Verordnung Nr. 3 unter I A 2 und im Anhang V der Verordnung Nr. 1408/71 unter B 1 B enthaltenen Vorbehalt bestaetigt.

Die Antwort muss also lauten, dass Artikel 8 der Verordnung Nr. 3 und Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht fuer Leistungen der in § 108c des Reichsknappschaftsgesetzes vorgesehenen Art gelten, soweit es sich um Versicherungzeiten handelt, die vor 1945 ausserhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland und von Berlin (West) zurueckgelegt worden sind.

Kosten

Die Auslagen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der italienischen Republik sowie der Kommission der Europaeischen Gemeinschaften, die Erklaerungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfaehig. Fuer die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem vor dem Bundessozialgericht anhaengigen Rechtsstreit. Die Entscheidung ueber die Kosten obliegt daher diesem Gericht.

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