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1 BvL 9/08

Gründe:

Die Vorlage betrifft die Bewertung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn für denselben Zeitraum Pflichtbeiträge aus einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit geleistet wurden.

I.

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I S. 2998) führte der Gesetzgeber das so genannte „additive“ Verfahren bei der Ermittlung von Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten ein. Danach werden für jeden Monat der Kindererziehungszeit zusätzlich 0,0833 Entgeltpunkte, das heißt in einem Kalenderjahr 1,0 Entgeltpunkte, neben den Entgeltpunkten aus gleichzeitig geleisteten Pflichtbeiträgen oder freiwilligen Beiträgen angerechnet. Die Höhe der Entgeltpunkte insgesamt wird durch die jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze, das heißt der Einkommensgrenze von Versicherten, bis zu der Beiträge zu zahlen sind, beschränkt (vgl. BTDrucks 13/8011, S. 67).

§ 70 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der seit 1. Juli 1998 geltenden Fassung lautet:

„Kindererziehungszeiten erhalten für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte (Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten). Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten sind auch Entgeltpunkte, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die Entgeltpunkte für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b.“

Die Anlage 2b enthält für jedes Kalenderjahr den Wert an Entgeltpunkten, der bei Zahlung von Beiträgen bei einem Einkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze erreicht wird. Während Versicherte, die neben der Kindererziehung nicht versicherungspflichtig erwerbstätig waren, für jeden Kalendermonat uneingeschränkt 0,0833 Entgeltpunkte in ihrem Versicherungsverlauf gutgeschrieben erhalten, wird die Kindererziehungsleistung geringer bewertet, sobald die Summe aus den Entgeltpunkten für Kindererziehungszeiten und aus sonstigen Beitragszeiten den Höchstwert an Entgeltpunkten nach der Anlage 2b zum SGB VI überschreitet. Die in den einzelnen Jahren verschiedenen Durchschnittsentgelte und die jeweils veränderten Beitragsbemessungsgrenzen führen zudem dazu, dass die Höhe der geleisteten Pflichtbeiträge oder der freiwilligen Beiträge ganz unterschiedlich ist, ab der die Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten zu einem geringeren Wert als 0,0833 angerechnet werden.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhält seit dem 1. März 2003 eine Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Vor dem Sozialgericht begehrte sie eine höhere Rentenleistung unter Berücksichtigung höherer Entgeltpunkte für die Kindererziehungszeiten ihrer im März 1970 und im Januar 1972 geborenen Kinder. Da die Klägerin des Ausgangsverfahrens während der jeweils zwölf Kalendermonate umfassenden Kindererziehungszeit (§ 249 Abs. 1 SGB VI) überwiegend versicherungspflichtig beschäftigt war, erhielt sie zusätzliche Entgeltpunkte nur bis zu dem Höchstwert nach § 70 Abs. 2 Satz 2 letzter Halbsatz in Verbindung mit Anlage 2b SGB VI.

Das Sozialgericht Neubrandenburg hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 11. September 2008 ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, ob § 70 Abs. 2 Satz 2 SGB VI in der Fassung des Rentenreformgesetzes 1999 gegen das Grundgesetz verstößt. Das Sozialgericht ist der Auffassung, § 70 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Anlage 2b SGB VI verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Kindererziehungszeiten wirkten sich nicht bei allen Versicherten gleich günstig auf die Rente aus. Erziele ein Versicherter während der Kindererziehungszeit bereits Entgeltpunkte aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, die die Differenz aus dem (monatlichen) Höchstwert nach der Anlage 2b und 0,0833 überschritten, würden die Kindererziehungszeiten nicht mehr in gleicher Weise berücksichtigt wie bei einem Versicherten mit geringerem oder ohne beitragspflichtigem Entgelt. Erreiche das Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze, finde die Kindererziehungsleistung in der gesetzlichen Rentenversicherung keine Anerkennung mehr.

III.

Die Vorlage ist unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung nach Art. 100 Abs. 1 GG in Verbindung mit § 80

Abs. 2 Satz 1 BVerfGG. Danach hat das vorlegende Gericht darzulegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt. Der Vorlagebeschluss muss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>; stRspr). Das Gericht muss sich eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzen und die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Norm von Bedeutung sind (vgl. BVerfGE 97, 49 <60>; 105, 61 <67>). Dabei hat das Gericht sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch deren Verfassungsmäßigkeit sorgfältig zu prüfen (vgl. BVerfGE 86, 71 <76>).

Die Vorlage des Sozialgerichts genügt diesen Anforderungen nicht. Sie setzt sich insbesondere nicht hinreichend mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auseinander. Das vom Vorsitzenden Richter der vorlegenden Kammer verfasste Schreiben vom 23. Juli 2009 war zur Beseitigung der Begründungsmängel nicht geeignet, weil eine erforderliche Ergänzung eines Vorlagebeschlusses nur durch Beschluss, nicht aber durch Gerichtsverfügung erfolgen kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 31. Juli 2001 - 1 BvL 13/99 -, juris, Rn. 19) und im Übrigen in der für die Entscheidung über den Vorlagebeschluss vorgeschriebenen Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern erfolgen muss (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 7. März 1994 - 2 BvL 69/92 -, juris, Rn. 2).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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