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2 BvL 1/79

Tenor

§ 4a des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz in der Fassung des Artikels 1 des dritten Gesetzes zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz vom 6. Juni 1972 (Gesetz- und Verordnungsbl. für das Land Hessen I S. 151) ist mit dem § 57 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes vom 3. September 1953 (Bundesgesetzbl. I S. 1239, 1326) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1975 (Bundesgesetzbl. I S. 2535) vereinbar.

Gründe

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob § 4a des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz mit § 57 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes vereinbar ist.

I.

1. § 57 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - ist die Grundnorm für die örtliche Zuständigkeit der Gerichte in der Sozialgerichtsbarkeit. Die Bestimmung lautet:

§ 57

(1) Örtlich zuständig ist das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat; steht er in einem Beschäftigungsverhältnis, so kann er auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht klagen. Klagt eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts oder in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung ein Land, so ist der Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort des Beklagten maßgebend, wenn dieser eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts ist.

Hinsichtlich der Organisation der Sozialgerichte bestimmt

§ 7 Abs. 1 SGG:

§ 7

(1) Die Sozialgerichte werden als Landesgerichte errichtet. Die Errichtung und Aufhebung eines Gerichts und die Verlegung eines Gerichtssitzes werden durch Gesetz angeordnet. Änderungen in der Abgrenzung der Gerichtsbezirke können auch durch Rechtsverordnung bestimmt werden. Die Landesregierung oder die von ihr beauftragte Stelle kann anordnen, daß außerhalb des Sitzes eines Sozialgerichts Zweigstellen errichtet werden.

2. Das Hessische Ausführungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz vom 22. Dezember 1953 (GVBl. S. 204) - SGGAG HE - legt die Gerichtsbezirke - soweit hier von Interesse - wie folgt fest:

§ 4

Zum Bezirk des Sozialgerichts Darmstadt gehören ... die Landkreise ... Di. ... .

(1) Zum Bezirk des Sozialgerichts Darmstadt gehören … die Landkreise … Di. ... .

(2) Zum Bezirk des Sozialgerichts Frankfurt (Main) gehören ... die Landkreise ... O. .

Das mit der Vorlage zur Prüfung gestellte Dritte Gesetz zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz vom 6. Juni 1972 (GVBl. I S. 151) - im folgenden: SGGAGÄndG HE 3 -- lautet:

Artikel 1

Das Hessische Ausführungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz vom 22. Dezember 1953 (GVBl. S. 204), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. März 1962 (GVBl. S. 67), wird wie folgt geändert:

Als § 4a wird eingefügt:

„§ 4a

Durch Gebietsveränderungen der in § 4 aufgeführten Landkreise ändern sich die Gerichtsbezirke nicht“.

Artikel 2

Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 31. Mai 1972 in Kraft.

3. Der Hessische Landtag beschloß das Gesetz zur Neugliederung des Landkreises O. vom 26. Juni 1974 (GVBl. I S. 316) - im folgenden: Neugliederungsgesetz (NglG) -. Dieses bestimmt mit Wirkung vom 1. Januar 1977 in seinem Ersten Abschnitt (Neugliederung auf der Gemeindeebene) unter

§ 6

Gemeinde Ro.

Die Gemeinden Du., Ha., Jü. und We. sowie die Gemeinde Ni. aus dem Landkreis Di. werden zu einer Gemeinde im Landkreis O. mit dem Namen „Ro.“ zusammengeschlossen.

Das Neugliederungsgesetz enthält ferner unter anderem folgende Bestimmungen:

§ 17

Wahl der Vertretungskörperschaften der neugegliederten Gemeinden

(1) Die Vertretungskörperschaften der neugegliederten Gemeinden werden am Tage der nächsten allgemeinen Kommunalwahlen in Hessen gewählt.

(2) Der Wohnsitz in den bisherigen Gemeinden gilt als Wohnsitz in den neuen oder aufnehmenden Gemeinden.

II.

1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens wohnt in der Gemeinde Ro., Ortsteil Ni. Er war bis 31. Dezember 1977 bei einer Firma beschäftigt, die ihren Sitz in Dr. im Bezirk des Sozialgerichts F. hat. Anschließend war er vom 1. Januar 1978 bis 31. Mai 1978 arbeitslos, bevor er in die Dienste einer Firma mit Sitz in F. trat.

Am 23. Mai 1978 hat der Kläger des Ausgangsverfahrens nach erfolglosem Vorverfahren Klage beim Sozialgericht D. eingereicht mit dem Antrag, die beklagte … zur Zahlung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Januar 1978 bis 31. März 1978 zu verurteilen; hilfsweise hat er beantragt, den Rechtsstreit an das Sozialgericht F. zu verweisen. Die Beklagte hat unter Hinweis auf § 117 Arbeitsförderungsgesetz (Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld) Klageabweisung beantragt.

2. Das Sozialgericht D. hat in der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 1978 beschlossen, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob das Dritte Gesetz zur Änderung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz vom 6. Juni 1972 (GVBl. I S. 151) mit § 57 Abs. 1 SGG vereinbar ist. Zur Begründung hat es ausgeführt:

a)

Die im Sozialgerichtsverfahren zu treffende Entscheidung hänge von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Das Sozialgericht D. sei nämlich nur bei Gültigkeit des zur Prüfung vorgelegten SGGAGÄndG HE 3 für das Ausgangsverfahren gemäß § 57 Abs. 1 SGG örtlich zuständig. Weder Wohnsitz noch Beschäftigungsort des Klägers befänden sich nach Inkrafttreten des Neugliederungsgesetzes in einem der Landkreise, die nach § 4 SGGAG HE den Gerichtsbezirk des Sozialgerichts D. ausmachten. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts D. lasse sich daher nur dann bejahen, wenn die durch das Hessische Ausführungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz ursprünglich festgelegten Gerichtsbezirke - wie es § 4a SGGAG HE bestimme - ungeachtet der Gebietsveränderungen durch das Neugliederungsgesetz unverändert fortbestünden.

b)

Das SGGAGÄndG HE 3 sei mit der bundesgesetzlichen Zuständigkeitsvorschrift des § 57 Abs. 1 SGG unvereinbar. Nach letztgenannter Vorschrift sei für den speziellen Gerichtsstand in der Sozialgerichtsbarkeit der Wohnsitz des Klägers entscheidend. Seit der Bildung der Gemeinde Ro. durch das Neugliederungsgesetz liege der Wohnsitz des Klägers in Ro., nicht etwa in Ni. Das ergebe sich auch aus § 17 Abs. 2 NglG. Bei Gültigkeit des SGGAGÄndG HE 3 hätte der Kläger nunmehr seinen Wohnsitz sowohl im Bezirk des Sozialgerichts F. als auch im Bezirk des Sozialgerichts D.. § 57 Abs. 1 SGG lasse es aber nicht zu, daß für ein und denselben Wohnsitz zwei verschiedene Gerichte wahlweise in Anspruch genommen werden könnten. Das Gericht sehe sich daher gehindert, die durch das SGGAGÄndG HE 3 eingefügte Vorschrift des § 4a SGGAG HE anzuwenden.

Der vom Reichsgericht (RGZ 67, S. 191) aufgestellte Grundsatz, wonach es jedem Gliedstaat grundsätzlich unbenommen sei, sein Staatsgebiet intern über die gemeindliche Gebietseinteilung hinweg willkürlich nach hiervon unterschiedlichen Flächenabschnitten einzuteilen, also auch eine politische Gemeinde auf mehrere Gerichtssprengel aufzuteilen, könne vorliegend nicht uneingeschränkt verwertet werden. Die Hessische Gemeindeordnung - HGO - lasse nämlich derart weitgehende Einwirkungsbefugnisse staatlicher Stellen nicht mehr zu. So gehöre gem. § 81 Abs. 1 HGO die Bildung von Ortsbezirken in vollem Umfang zu den Angelegenheiten der gemeindlichen Selbstverwaltung, deren Befugnisse der Staat nicht ohne weiteres für übergeordnete Zwecke in Anspruch nehmen könne.

Nach allem sei die Vorlage gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG geboten.

III.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, dem Hessischen Landtag, der Regierung des Landes Hessen und den Parteien des Ausgangsverfahrens Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Ferner hat es eine Äußerung des Bundessozialgerichts erholt.

1. Für die Regierung des Landes Hessen hat sich der Hessische Ministerpräsident wie folgt geäußert:

a) Die Vorlage sei unzulässig. Die Begründung der Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Norm beruhe auf einer offenbar unhaltbaren Rechtsauffassung. Der durch das SGGAGÄndG HE 3 eingeführte § 4a SGGAG HE bewirke, daß die bisherige örtliche Zuständigkeit der Sozialgerichte für alle Gerichtseingesessenen erhalten bleibe, auch wenn diese als Folge der Gebietsreform nunmehr in einem Landkreis wohnten, der nach § 4 SGGAG HE zum Bezirk eines anderen Sozialgerichts gehöre oder der, was noch häufiger vorkomme, im Gesetz überhaupt nicht genannt sei. Für die Bezirke der Sozialgerichte seien damit die Kreisgrenzen vor der Gebietsreform maßgebend. Diese Regelung könne entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts in keinem Falle dazu führen, daß für denselben Wohnsitz eines Bürgers die Zuständigkeit von zwei Sozialgerichten begründet sei. Die Aufteilung einer politischen Gemeinde auf mehrere Gerichtssprengel aber sei zweifellos zulässig.

b) Die Vorlage sei aus den genannten Gründen jedenfalls unbegründet. Die beanstandete Vorschrift bleibe innerhalb der gesetzlichen Systematik und sei auch genügend bestimmt. Die Zuständigkeit der hessischen Sozialgerichte sei in allen Fällen, auf die § 4a SGGAG HE Anwendung finde, eindeutig feststellbar. Da die zur Prüfung vorgelegte Vorschrift nur eine Übergangsregelung darstelle, die nach Abschluß der kommunalen Gebietsreform durch eine Neuregelung ersetzt werden solle, bestehe auch keine Gefahr, daß etwa durch Zeitablauf Unsicherheit über den Verlauf der für die Bezirke der Sozialgerichte maßgebenden alten Kreisgrenzen eintreten könne.

2. Das Bundessozialgericht hat mitgeteilt, daß es die streitige Rechtsvorschrift bisher nicht angewandt habe und mit der Vorschrift zusammenhängende Rechtsstreitigkeiten auch nicht zur Entscheidung anstünden. In einer Äußerung des 1. Senats des Bundessozialgerichts wird die Auffassung vertreten, § 4a SGGAG HE sei mit dem Bundesrecht, namentlich mit § 57 Abs. 1 SGG, vereinbar. Wie aus § 7 SGG hervorgehe, stehe die Organisationsgewalt hinsichtlich der Sozialgerichte allein den Ländern zu. Aus keiner Vorschrift des Bundesrechts lasse sich herleiten, daß die Länder die Bezirke der Sozialgerichte entsprechend den Grenzen eines oder mehrerer Landkreise festlegen müßten. Die Länder seien daher auch nicht gehindert, die Gerichtsbezirke nach anderen Gesichtspunkten als dadurch zu bestimmen, daß dem einzelnen Sozialgericht bestimmte Städte und Landkreise in ihren jeweiligen Grenzen zugeordnet würden. § 4a SGGAG HE habe einen anderen Regelungsgehalt als § 57 Abs. 1 SGG. Erstere Bestimmung regele die Gerichtsbezirke, letztere die örtliche Zuständigkeit der Sozialgerichte. Der in § 57 Abs. 1 SGG verankerte Grundsatz der Maßgeblichkeit des Wohnsitzes des Klägers für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit bleibe durch § 4a SGGAG HE unberührt.

IV.

§ 4a des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz ist mit § 57 Abs. 1 SGG vereinbar.

Die gegenteilige Auffassung des vorlegenden Gerichts ist offensichtlich unbegründet. Daher kann nach § 24 BVerfGG entschieden werden (BVerfGE 9, 334 (336); 42, 206 (208)), ohne daß es einer abschließenden Klärung bedarf, ob die Vorlage zulässig ist (vgl. BVerfGE 30, 103 (105); 42, 206 (208)).

1. § 57 Abs. 1 SGG regelt die örtliche Zuständigkeit der Sozialgerichte für die der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Rechtsstreitigkeiten. Danach ist in erster Linie das Sozialgericht örtlich zuständig, „in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen ... Wohnsitz ... hat“. Das Sozialgerichtsgesetz stellt deshalb primär auf den Wohnsitz des Klägers ab, weil es diesem ein ortsnahes Gericht zur Verfügung stellen und so die gerichtliche Durchsetzung sozialrechtlicher Ansprüche erleichtern will (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, § 57 RdNr. 4; ähnlich Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 57 Anm. 1). § 57 Abs. 1 SGG legt somit fest, daß der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts primär der Wohnsitz des Klägers ist, mit anderen Worten: daß der Wohnsitz des Klägers diejenige Beziehung (von mehreren denkbaren) zu dem räumlichen Wirkungskreis des jeweiligen Gerichts darstellt, auf die es ankommt. § 57 SGG sagt nichts darüber aus, wie die Abgrenzung der Gerichtsbezirke im einzelnen auszusehen habe. Die Organisationsgewalt wird durch § 7 SGG vielmehr ausdrücklich den Ländern vorbehalten. Daß die Bestimmung des § 57 Abs. 1 SGG ihrerseits verfassungsrechtlich unbedenklich ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

2. Der durch das SGGAGÄndG HE 3 eingeführte § 4a SGGAG HE bestimmt, daß sich die Bezirke der hessischen Sozialgerichte durch Gebietsveränderungen der in § 4 SGGAG HE genannten Landkreise nicht ändern. In § 4 SGGAG HE werden die einzelnen Gerichtsbezirke dadurch abgegrenzt, daß ihnen jeweils bestimmte Städte und Landkreise zugeteilt werden. Die dadurch geschaffenen (tatsächlichen) räumlichen Zuständigkeitsbereiche will § 4a SGGAG HE (bis zu einer Gesamtneuregelung nach Abschluß der kommunalen Gebietsreform) festschreiben ohne Rücksicht darauf, ob sich die (politischen) Landkreisgrenzen zwischenzeitlich ändern, ob in § 4 SGGAG HE genannte Landkreise aufhören zu existieren oder ob neue, in § 4 SGGAG HE nicht aufgeführte Landkreise entstehen. § 4a SGGAG HE in der Fassung des SGGAGÄndG HE 3 hat somit eine Regelung der Gerichtsbezirke, also eine organisationsrechtliche Bestimmung, zum Inhalt. Diese Bestimmung der Gerichtsbezirke hat jedenfalls unmittelbar nichts mit der in § 57 Abs. 1 SGG geregelten Frage zu tun, welcher Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit der Sozialgerichte maßgeblich ist. Es handelt sich nicht um konkurrierende Regelungsinhalte; vielmehr setzt die (bundesrechtliche) Zuständigkeitsnorm des § 57 Abs. 1 SGG die (landesrechtliche) Einteilung von Gerichtsbezirken voraus.

3. § 4a SGGAG HE führt entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht dazu, daß für einen Wohnsitz wahlweise zwei Gerichte in Anspruch genommen werden könnten. Diese Vorschrift soll nicht bewirken, daß nach entsprechenden Gebietsveränderungen die alte Gerichtszuständigkeit zusätzlich neben einer neuen, infolge der Gebietsreform entstandenen Gerichtszuständigkeit erhalten bleibt. Vielmehr will diese Bestimmung durch Festschreibung der Gerichtsbezirksgrenzen als Übergangslösung ausschließlich die alte Gerichtszuständigkeit erhalten.

Hingegen hat § 4a SGGAG HE u.a. zur Folge, daß - wie es im Ausgangsverfahren der Fall ist - neugebildete politische Gemeinden, die aus früher selbständigen, verschiedenen Landkreisen zugehörigen Einzelgemeinden zusammengesetzt sind, durch die - bestehenbleibenden - Gerichtsbezirksgrenzen durchschnitten werden. Dies wäre nur dann mit § 57 Abs. 1 SGG unvereinbar, wenn der Begriff „Wohnsitz“ i.S. dieser Zuständigkeitsregelung nur einheitlich auf eine politische Gemeinde bezogen werden dürfte, wenn also - mit anderen Worten - die Anknüpfung an den Wohnsitz eine Zuständigkeit verschiedener Gerichte für verschiedene Teile einer politischen Gemeinde zwingend ausschließen würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 67, 191 (193 ff.)) und des Kammergerichts (KG in OLGRspr 15, 154 ff.) ist heute allgemeine Auffassung, daß eine politische Gemeinde in verschiedene Gerichtsbezirke aufgeteilt sein kann und daß der „Wohnsitz“ i.S. der Zuständigkeitsvorschriften dann auf den jeweiligen durch die Gerichtsbezirksgrenzen umschriebenen Gemeindeteil zu beziehen ist (vgl. etwa Palandt, BGB, 38. Aufl., 1979, § 7 Anm. 1; Stein-Jonas, ZPO, 19. Aufl., 1972, § 13 Anm. II 1; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 37. Aufl., 1979, § 13 Anm. 1; Zöller, ZPO, 12. Aufl., 1979, § 13 Anm. II 1a; Peters-Sautter-Wolff a.a.O. § 57 Anm. 3a). So ist auch der Gesetzgeber ohne weiteres von der Möglichkeit ausgegangen, daß eine Gemeinde in mehrere Gerichtsbezirke geteilt sein könne; dies geht etwa aus § 19 ZPO hervor.

Der Hinweis des vorlegenden Gerichts auf die Wohnsitzregelung in § 17 Abs. 2 NglG ist unzutreffend. Wie der Hessische Ministerpräsident zutreffend dargelegt hat, soll diese Vorschrift lediglich das kommunale Wahlrecht wahren. Auch die Ausführungen zum gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht können die Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht stützen. Die Abgrenzung von Gerichtsbezirken ist Sache des Landesgesetzgebers; in die dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht unterstehende Bildung von Ortsbezirken wird hierdurch nicht eingegriffen.

4. Ein Verstoß des § 4a SGGAG HE gegen sonstiges Bundesrecht ist nicht ersichtlich. Auch verfassungsrechtliche Grundsätze werden nicht verletzt. Die Abgrenzung der Bezirke der hessischen Sozialgerichte ist auch im Hinblick auf die Übergangslösung des § 4a SGGAG HE hinreichend klar und bestimmt. Die danach maßgeblichen alten Landkreisgrenzen sind den Bürgern - zumindest für eine gewisse Übergangszeit - bekannt, so daß ihnen der Weg zum zuständigen Gericht nicht in unzumutbarer Weise erschwert wird.

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