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B 12 R 19/18 R

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Juli 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Kläger auch im Revisionsverfahren. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger zu 2. (Kläger) in seinen Tätigkeiten als Verwaltungsratsmitglied und geschäftsführender Direktor der Klägerin zu 1. (Klägerin) in der Zeit vom 18.8.2015 bis zum 23.7.2018 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

Die Klägerin ist eine monistisch organisierte europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea <SE>) mit Sitz in Deutschland. Sie entstand durch identitätswahrende formwechselnde Umwandlung der GFT Technologies AG (Beschluss der Hauptversammlung vom 23.6.2015) und wurde am 18.8.2015 in das Handelsregister eingetragen. Das Grundkapital betrug 26 325 946 Euro.

Der Kläger war zunächst Mitglied des Vorstands der GFT Technologies AG und stand zu dieser in einem Dienstverhältnis; er hält ca. 0,38 Prozent der Aktien. Am 23.6.2015 wurde er als Mitglied des Verwaltungsrats neben sechs weiteren Verwaltungsratsmitgliedern und als geschäftsführender Direktor bestellt. Am 9.11.2015 schlossen die Kläger einen Dienstvertrag mit Wirkung ab dem 1.9.2016, wonach der Kläger die Klägerin als geschäftsführender Direktor gemeinsam mit einem weiteren geschäftsführenden Direktor oder einem Prokuristen vertritt.

Auf den Statusfeststellungsantrag der Klägerin stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass der Kläger die Tätigkeiten als Mitglied des Verwaltungsrates und geschäftsführender Direktor der Klägerin ab dem 18.8.2015 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe und insoweit Versicherungspflicht in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe (Bescheide vom 18.3.2016; Widerspruchsbescheide vom 18.8.2016).

Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger als Verwaltungsratsmitglied und geschäftsführender Direktor der Klägerin nicht der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege (Urteil vom 23.7.2018). Der Kläger übe als geschäftsführender Direktor einer monistisch organisierten SE mit Sitz in Deutschland, der gleichzeitig dem Verwaltungsrat angehöre, zwar eine abhängige Beschäftigung aus. Allerdings seien die Bestimmungen zur Ausnahme von der Versicherungspflicht in § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III entsprechend anwendbar. Es bestehe eine gesetzliche Tatbestandsgleichstellung mit Vorstandsmitgliedern einer deutschen Aktiengesellschaft (AG) aufgrund von Äquivalenzregelungen nach dem Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE - SE-Ausführungsgesetz <SEAG>, BGBl. I 2004, 3675).

Mit ihrer Sprungrevision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III. Eine unmittelbare Anwendung der Vorschriften sei ausgeschlossen, da der Kläger nicht Mitglied des Vorstands einer AG deutschen Rechts sei. Auch eine entsprechende Anwendung komme aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschriften nicht in Betracht. Eine gesetzliche Tatbestandsgleichstellung in Form einer sog. Äquivalenzregelung ergebe sich weder aus der europäischen Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE - SE-VO, 10.11.2001, ABl. EG Nr. L 294, 1) noch aus dem SEAG oder sonstigem innerstaatlichen oder unmittelbar zu beachtendem internationalen Recht. Die SE-VO regele keine Vollharmonisierung der SE, sondern schaffe nur gemeinsame, von den Mitgliedstaaten festzulegende Grundstrukturen. Soweit die Gleichbehandlung der SE mit einer deutschen AG betroffen sei, handele es sich nur um Vorschriften zur Regelung einzelner gesellschaftsrechtlicher Fragestellungen. Das SEAG enthalte in §§ 22 bis 39 spezielle Regelungen für den Verwaltungsrat und erkläre das Aktiengesetz (AktG) nur hinsichtlich einzelner Aspekte für anwendbar. Zudem gelte § 22 Abs. 6 SEAG nur für Verwaltungsratsmitglieder, nicht aber für geschäftsführende Direktoren. Diese unterschiedlichen Leitungsfunktionen dürften nicht einheitlich betrachtet werden.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Juli 2018 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

  • die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene stellt keine Anträge.

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision der Beklagten ist zulässig. Es kann dahinstehen, ob die nachträglich durch Beschluss des SG vom 4.9.2018 zugelassene Sprungrevision ohne die Beteiligung der ehrenamtlichen Richter fehlerhaft ist (in diesem Sinne BSG Großer Senat Beschluss vom 18.11.1980 - GS 3/79 - BSGE 51, 23, 27 f = SozR 1500 § 161 Nr. 27 S. 54 ff; BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 13/06 R - juris RdNr. 9; aA vor dem Hintergrund der Einfügung des § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG zum 1.3.1993, wonach bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung die ehrenamtlichen Richter nicht mitwirken: Nguyen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 161 RdNr. 48, Stand 9.5.2019; kritisch auch Heinz in BeckOGK SGG, § 161 RdNr. 54, Stand 1.9.2019). Unabhängig davon bindet jedenfalls auch die durch den Vorsitzenden des SG allein beschlossene Zulassung der Sprungrevision das BSG (vgl. § 161 Abs. 2 Satz 2 SGG), weil die fehlerhafte Besetzung nicht zur Unwirksamkeit der Zulassungsentscheidung führt (Heinz aaO RdNr. 62; Nguyen aaO RdNr. 50).

Die Sprungrevision ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das SG die Bescheide der Beklagten vom 18.3.2016 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18.8.2016 aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger als Verwaltungsratsmitglied und geschäftsführender Direktor der Klägerin in der Zeit vom 18.8.2015 (Eintragung der SE in das Handelsregister) bis zum 23.7.2018 (mündliche Verhandlung vor dem SG) nicht der Sozialversicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag. Die gegenteilige Feststellung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Dabei kann dahinstehen, ob die Tätigkeiten des Klägers im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurden. Er unterlag jedenfalls gemäß § 1 Satz 3 SGB VI in der Fassung (i. d. F.) des Gesetzes zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze vom 22.6.2011 (BGBl. I 1202) und § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III nicht der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung. Diese Vorschriften gelten zwar nicht unmittelbar (dazu 1.). Allerdings sind Verwaltungsratsmitglieder einer SE den Vorstandsmitgliedern einer deutschen AG gleichgestellt (dazu 2.). Dem steht nicht die zugleich ausgeübte Tätigkeit als geschäftsführender Direktor entgegen (dazu 3.).

1. Der Kläger unterfällt nicht unmittelbar dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III. Gemäß § 1 Satz 3 SGB VI sind Mitglieder des Vorstandes einer AG in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III sind Personen in einer Beschäftigung als Mitglieder des Vorstandes einer AG für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, versicherungsfrei. Trotz der unterschiedlichen Formulierungen und Systematik enthalten beide Bestimmungen die wirkungsgleiche Rechtsfolge, dass Vorstandsmitglieder einer AG nicht der Versicherungspflicht unterfallen. Während § 1 Satz 3 SGB VI den Eintritt der Versicherungspflicht in der GRV von vornherein ausschließt, lässt die in § 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III angeordnete Versicherungsfreiheit den Versicherungstatbestand der Beschäftigung nicht wirksam werden (vgl. hierzu BSG Senatsurteil vom 10.12.2019 - B 12 KR 20/18 R - SozR 4-2500 § 188 Nr. 1 RdNr. 19, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Der Kläger ist zwar kein Vorstandsmitglied im Sinne dieser Vorschriften. Zu diesen gehören grundsätzlich nur solche einer AG deutschen Rechts (BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 12 KR 23/06 R - BSGE 100, 62 = SozR 4-2600 § 1 Nr. 3, RdNr. 22). Selbst wenn die klagende, in Deutschland ansässige SE hiervon erfasst wäre (so Middendorf/Fahrig, BB 2011, 54, 57), ist der Kläger als Mitglied des Verwaltungsrates und geschäftsführender Direktor der Klägerin jedenfalls kein Mitglied "des Vorstandes".

2. Gleichwohl finden § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III auf den Kläger Anwendung. Verwaltungsratsmitglieder einer europäischen SE sind den Vorstandsmitgliedern einer nationalen AG im Wege einer substituierenden Tatbestandserfüllung (dazu a) gleichgestellt, weil die für eine SE maßgebenden rechtlichen Grundlagen (dazu b) sogenannte Äquivalenzregelungen (dazu c) enthalten.

a) Der erkennende Senat lehnt in ständiger Rechtsprechung eine erweiternde Auslegung der genannten Vorschriften grundsätzlich ab. Er hat eine Tatbestandsgleichstellung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung durch "Substitution" der Tatbestandserfüllung allein wegen einer tatsächlichen Vergleichbarkeit von Gesellschaftsformen nicht zugelassen, weil § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III nach ihrem Regelungszweck und im Hinblick auf die dort gewählte Regelungsmethode der Typisierung eine Erfassung anderer Sachverhalte zur Schließung einer Regelungslücke nicht erfordern (BSG Urteil vom 12.1.2011 - B 12 KR 17/09 R - BSGE 107, 185 = SozR 4-2600 § 1 Nr. 6, RdNr. 17 <Board of Directors einer US-Kapitalgesellschaft>; BSG Urteil vom 6.10.2010 - B 12 KR 20/09 R - SozR 4-2600 § 1 Nr. 5 RdNr. 20 ff <Verwaltungsrat einer AG schweizerischen Rechts>; BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 12 KR 23/06 R - BSGE 100, 62 = SozR 4-2600 § 1 Nr. 3, RdNr. 20 ff mwN <Board of Directors einer private limited company irischen Rechts>). Allerdings hat er eine Übertragung der für Vorstandsmitglieder einer AG geltenden Ausnahme von der Versicherungspflicht auf Vorstandsmitglieder oder Mitglieder vergleichbarer Organe anderer juristischer Personen aufgrund einer gesetzlichen Tatbestandsgleichstellung in Form einer sogenannten Äquivalenzregelung für möglich erachtet und hiervon bei Vorstandsmitgliedern von "großen" Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (VVaG) Gebrauch gemacht. Er hat § 1 Satz 4 SGB VI a. F. (Vorläuferregelung zu § 1 Satz 3 SGB VI) über seinen Wortlaut hinaus auf diese Personengruppe angewandt, weil Vorschriften des deutschen AktG über eine Verweisung im deutschen Versicherungsaufsichtsgesetz auch den Vorstand eines VVaG erfassen würden und deshalb dessen Mitglieder den Vorstandsmitgliedern einer AG rechtlich gleichgestellt seien (BSG Urteil vom 27.3.1980 - 12 RAr 1/79 - SozR 2400 § 3 Nr. 4; vgl. auch BSG Urteil vom 6.10.2010 - B 12 KR 20/09 R - SozR 4-2600 § 1 Nr. 5 RdNr. 20). Äquivalenzregelungen, die jedenfalls zu einer sozialversicherungsrechtlichen Gleichstellung des Klägers mit einem Mitglied des Vorstands einer AG führen, enthalten auch die für eine SE einschlägigen Rechtsnormen.

b) (Gesellschafts-)Rechtliche Grundlagen einer SE bilden zunächst die in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) unmittelbar geltende (Art. 288 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, ABl. EU Nr. C 202, 1, 171) SE-VO und das hierzu aufgrund dem nationalen Gesetzgeber zugewiesener Regelungsaufträge sowie Gestaltungsspielräume erlassene SEAG. Daneben regeln die Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Status der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (ABl. EG Nr. L 294, 10.11.2001, 22) und - in deren Umsetzung - das Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz) vom 22.12.2004 (BGBl. I 3675) die Arbeitnehmerbeteiligung in einer SE.

Die SE-VO sieht als Organe der SE neben der Hauptversammlung der Aktionäre entweder ein Aufsichts- und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder (nur) ein Verwaltungsorgan (monistisches System) entsprechend der in der Satzung gewählten Form vor (Art. 38). In einem - wie hier - monistischen System führt das Verwaltungsorgan die Geschäfte der SE (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO). Die nähere Ausgestaltung des monistischen Systems ergibt sich aufgrund der Ermächtigung in Art. 43 Abs. 4 SE-VO für Mitgliedstaaten, deren Recht in Bezug auf eine AG keine Vorschriften über ein monistisches System enthält, aus §§ 20 ff SEAG, die das Verwaltungsorgan als Verwaltungsrat bezeichnen und anstelle der §§ 76 bis 116 AktG gelten. Neben dem Verwaltungsrat sehen §§ 40 ff SEAG geschäftsführende Direktoren vor, die zugleich Mitglieder des Verwaltungsrates sein können, sofern die Mehrheit des Verwaltungsrates weiterhin aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern besteht (§ 40 Abs. 1 Satz 2 SEAG).

c) Die gesetzliche Tatbestandsgleichstellung zwischen Vorstandsmitgliedern einer nationalen AG und Verwaltungsratsmitgliedern einer monistisch organisierten europäischen SE ergibt sich aus Äquivalenzregelungen sowohl des SEAG als auch der SE-VO.

Einschlägige Äquivalenzregelungen enthalten zunächst § 39 und § 22 Abs. 6 SEAG (so auch Middendorf/Fahrig, BB 2011, 54, 57; Vor in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 1 RdNr. 103). Nach § 39 SEAG gilt für die Sorgfaltspflicht und die Verantwortlichkeit der Verwaltungsratsmitglieder § 93 AktG entsprechend. Damit wird auf die für den Vorstand einer AG maßgebliche Vorschrift verwiesen. Gemäß § 22 Abs. 6 SEAG gelten generell Rechtsvorschriften, die außerhalb des SEAG dem Vorstand oder dem Aufsichtsrat einer AG Rechte oder Pflichten zuweisen, sinngemäß für den Verwaltungsrat, soweit nicht im SEAG für den Verwaltungsrat und für geschäftsführende Direktoren besondere Regelungen enthalten sind. Die im dualistischen System dem Vorstand und dem Aufsichtsrat zugewiesenen Berechtigungen sowie Verantwortlichkeiten sind im monistischen System grundsätzlich dem Verwaltungsrat übertragen (vgl. auch die Aufgaben des Verwaltungsrats nach § 22 Abs. 1 SEAG). Hintergrund der Regelungen ist, dass das monistische System der Unternehmensleitung in Deutschland in ein aktienrechtliches Umfeld eingebettet werden musste, das durchweg vom Dualismus geprägt ist (Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 38 SE-VO RdNr. 19 f; Verse in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, § 22 SEAG RdNr. 42). Denn Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) ii) SE-VO ordnet die Gleichstellung der Rechtsformen in dem Sinn an, dass die SE den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten unterliegt, die auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründete AG Anwendung finden würden. Zudem bestimmt Art. 10 SE-VO, dass eine SE vorbehaltlich der Bestimmungen der SE-VO in jedem Mitgliedstaat wie eine AG behandelt wird, die nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründet wurde. Da danach grundsätzlich ergänzend auf alle Vorschriften des AktG zurückzugreifen ist (vgl. Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 9 SE-VO RdNr. 41), selbst wenn die SE monistisch strukturiert ist, waren besondere Regelungen erforderlich, um die speziellen Zuweisungen von Rechten und Pflichten an den Vorstand oder den Aufsichtsrat im allgemeinen deutschen Aktienrecht auf das monistische System übertragen zu können (Teichmann in Krieger/Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Organhaftung in der SE, RdNr. 5.41).

Dass nach § 20 SEAG die nachfolgenden Vorschriften für eine monistische SE anstelle der §§ 76 bis 116 AktG gelten, mithin die speziell den Vorstand einer AG betreffenden Bestimmungen des AktG ausgeschlossen sind, führt entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten zu keinem anderen Ergebnis. Die rechtliche Gleichstellung von Vorstandsmitgliedern einer nationalen AG und Verwaltungsratsmitgliedern einer europäischen SE i. S. von § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III erfordert nicht die Bezugnahme auf sämtliche Vorschriften des AktG. Ein Gesamtverweis auf das AktG scheidet von vornherein aus, weil das deutsche Aktienrecht monistische Verwaltungsstrukturen nicht kennt. Der Ausschluss der §§ 76 bis 116 AktG ist gerade der Tatsache geschuldet, dass es an einem entsprechenden Vorbild für eine monistische Verwaltungsstruktur im deutschen Aktienrecht fehlt und aus diesem Grund der Erlass entsprechender nationaler Vorschriften für die SE notwendig war (vgl. Art. 43 Abs. 4 SE-VO). Erforderlich, aber auch ausreichend ist die weitgehende rechtliche Gleichstellung von Vorstandsmitgliedern der AG und Verwaltungsratsmitgliedern der SE, die sich auch außerhalb des AktG auswirken soll.

Für diese Auslegung im Sinne einer Äquivalenzregelung spricht das Regelungskonzept der SE-VO, weitgehende Kongruenz zwischen SE und nationaler AG herzustellen. Die Gleichbehandlung beider Gesellschaftsformen ist ein Kernanliegen der dem SEAG zugrundeliegenden SE-VO. An verschiedenen Stellen der SE-VO finden sich Verweise auf das AktG (vgl. nur Art. 3 Abs. 1, Art. 5, 15, 51 und 62 f SE-VO), die für einen weitgehenden Gleichlauf sorgen (Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art 10 SE-VO RdNr. 2; Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 10 SE-VO RdNr. 1). Darüber hinaus kommt in der Gesamtschau von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) ii) und Art. 10 SE-VO, auch wenn das Verhältnis der Vorschriften zueinander umstritten ist (vgl. Casper in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2019, Art. 10 SE-VO RdNr. 1; Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 10 SE-VO RdNr. 5; Schäfer in MüKoAktG, 4. Aufl. 2017, Art. 10 SE-VO RdNr. 1; Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 10 SE-VO RdNr. 4), das Gebot der Gleichbehandlung von SE und AG zum Ausdruck.

Art. 9 Abs. 1 SE-VO regelt das auf die SE anwendbare Recht. Sie unterliegt den Bestimmungen der SE-VO (Buchst a), den von der SE-VO ausdrücklich zugelassenen Satzungsregeln (Buchst. b) und in den von der SE-VO (teilweise) nicht geregelten Bereichen dem mitgliedstaatlichen Recht (Buchst. c). Das zur Anwendung berufene mitgliedstaatliche Recht gliedert sich in Rechtsvorschriften, die in Anwendung der speziell die SE betreffenden Gemeinschaftsmaßnahmen erlassen werden (i), auf eine nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründete AG Anwendung finden würden (ii) und die Bestimmungen ihrer Satzung unter den gleichen Voraussetzungen wie im Falle einer nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründeten AG (iii). Diese Rechtsanwendungssystematik macht den Gleichbehandlungsgedanken deutlich (Hommelhoff/Teichmann in Lutter/Hommelhoff/Teichmann, SE-Kommentar, 2. Aufl. 2015, Art. 9 SE-VO RdNr. 6). Die Mitgliedstaaten haben in Bezug auf die SE nicht die Freiheit, zur Schließung einer Regelungslücke oder ergänzend die für beliebige Rechtssubjekte maßgebenden Rechtsnormen heranzuziehen. Rechtlicher Bezugspunkt für eine SE ist vielmehr das für eine AG geltende Recht der Mitgliedstaaten.

Zudem wird eine SE nach Art. 10 SE-VO vorbehaltlich anderer Bestimmungen in jedem Mitgliedstaat wie eine AG behandelt, die nach dem Recht des Sitzstaats der SE gegründet wurde. Dieser übergreifende Programmsatz unterstreicht einerseits klarstellend die bezweckte Gleichbehandlung (Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 10 SE-VO RdNr. 1). Er hat andererseits originäre Bedeutung für diejenigen Rechtsbereiche, die von der Verweisung des Art. 9 Abs. 1 Buchst. c) ii) nicht erfasst werden (Schäfer in MüKoAktG, 4. Aufl. 2017, Art. 10 SE-VO RdNr. 3). Auch außerhalb des Gesellschaftsrechts ist die SE vom Sitzstaat in allen tatsächlichen und rechtlichen Fragen wie eine AG zu behandeln (Casper in Spindler/Stilz, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2019, Art. 10 SE-VO RdNr. 2; Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 10 SE-VO RdNr. 5; Veil in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, Bd. 8/1, 3. Aufl. 2012, Art. 10 SE-VO RdNr. 3; aA Schwarz, SE-VO, 2006, Art. 10 RdNr. 8).

Schließlich untermauert Erwägungsgrund 5 der SE-VO die Gleichstellung von SE und nationaler AG. Danach haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass die auf eine SE aufgrund der SE-VO anwendbaren Vorschriften nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber einer AG und damit zu einer Diskriminierung führen. Rechtfertigungsbedürftig sind daher gesetzliche Vorschriften oder deren Auslegung sowie Verwaltungshandlungen, die schon ihrem Tatbestand nach an die Rechtsform anknüpfen und die SE gegenüber der AG schlechter behandeln (Schürnbrand in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, 2. Aufl. 2016, Art. 10 SE-VO RdNr. 6).

Das Vorbringen der Beklagten, dass das Gleichstellungsgebot unter dem Vorbehalt, der in der SE-VO getroffenen Bestimmungen stehe und damit Differenzierungen zulasse, soweit diese sachlich gerechtfertigt seien, und zudem für die monistische SE mit dem SEAG ein eigenständiges Regelungswerk bestehe, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die SE-VO bezweckt eine Gleichstellung von SE und nationaler AG unabhängig von der gewählten Binnenstruktur. Weder die dualistische noch die monistische SE dürfen ohne sachlichen Grund schlechter behandelt werden als eine AG im jeweiligen Nationalstaat (vgl. LG Frankfurt Urteil vom 3.5.2018 - 3-05 O 101/17 u. a. - NZG 2018, 783, 785 f). Beide Organisationsformen stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander (vgl. Art. 38 Buchst. b SE-VO). Dass für die monistische SE mit den sie betreffenden Vorschriften des SEAG ein eigenständiges Regelwerk geschaffen wurde, ändert nichts an ihrer Gleichstellung mit einer AG. Der Verweis auf nationalstaatliche Regelungen, hier insbesondere das AktG, ist naturgemäß nur insoweit denkbar, als entsprechende Regelungen überhaupt vorhanden sind. Eine monistische Verwaltungsstruktur sieht das deutsche AktG aber gerade nicht vor.

Dass nach der monistischen Verwaltungsstruktur der Verwaltungsrat die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat einer AG auf sich vereinigt, stellt keinen Grund dar, die Gleichstellung mit Vorstandsmitgliedern einer AG in Bezug auf die Versicherungsfreiheit in Zweifel zu ziehen. Die der Herausnahme von Mitgliedern des Vorstands einer AG aus der Versicherungspflicht in der GRV zugrundeliegende Erwägung, dass bei ihnen wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung Schutz und Sicherheit durch die GRV entbehrlich erschienen (BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 12 KR 23/06 R - BSGE 100, 62 = SozR 4-2600 § 1 Nr. 3, RdNr. 19 mwN; BSG Urteil vom 22.11.1973 - 12/3 RK 20/71 - BSGE 36, 258, 260 = SozR Nr. 24 zu § 3 AVG S. 26 f, juris RdNr. 19; ferner BSG Urteil vom 31.5.1989 - 4 RA 22/88 - BSGE 65, 113, 118 = SozR 2200 § 1248 Nr. 48 S. 126, juris RdNr. 26), wird durch die grundsätzlich noch umfassendere Stellung des Verwaltungsrats der monistischen SE nicht in Frage gestellt. Der von der SE-VO verfolgte Zweck, eine Kongruenz zwischen SE und AG herzustellen, wäre zudem nur unvollständig erreicht, würde ein Gleichklang zwar der Gesellschaftsformen, nicht aber der jeweiligen Leitungsorgane angenommen.

3. Der Ausschluss von der Versicherungspflicht nach § 1 Satz 3 SGB VI und § 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III erstreckt sich auch auf die Tätigkeit des Klägers als geschäftsführender Direktor der Klägerin.

Der Senat hat bereits zu § 3 Abs. 1a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) entschieden, dass Vorstandsmitglieder einer AG auch in ihren weiteren Tätigkeiten nicht rentenversicherungspflichtig sind. Besteht für sie bereits in ihrer Vorstandstätigkeit kein Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit durch die Sozialversicherung, gilt dies erst recht, wenn weitere Arbeitsentgelte aufgrund von weiteren Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden, also die wirtschaftliche Lage noch verbessert wird (BSG Urteil vom 22.11.1973 - 12/3 RK 20/71 - BSGE 36, 258, 261 = SozR Nr. 24 zu § 3 AVG, juris RdNr. 20). Seit 2004 sind Vorstandsmitglieder einer AG zwar nicht per se, sondern in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt (§ 1 Satz 4 SGB VI i. d. F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 27.12.2003, BGBl. I 3013; hierzu Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung, BT-Drucks. 15/1893 S. 12). Die Ausnahme von der Versicherungspflicht ist damit nicht mehr personen-, sondern unternehmensbezogen. Sie gilt damit aber nach wie vor für alle weiteren versicherungspflichtigen Tätigkeiten innerhalb des Unternehmens, selbst wenn sie gegenüber der Vorstandstätigkeit überwiegen sollten (Fichte in Hauck/Noftz, § 1 SGB VI, RdNr. 44, Stand 05/20; Guttenberger in Kasseler Kommentar, § 1 SGB VI RdNr. 34, Stand 07/20; Vor in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 1 SGB VI RdNr. 97, Stand 3.9.2020).

§ 27 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 SGB III ist ebenfalls in diesem Sinne auszulegen und damit auf die Tätigkeit des Klägers als geschäftsführender Direktor zu erstrecken (vgl. zur Erstreckung der fehlenden Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung auf weitere ausgeübte Beschäftigungen des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft gemäß § 168 AFG i. V. m. § 3 Abs. 1a AVG bereits BSG Urteil vom 4.9.1979 - 7 RAr 57/78 - BSGE 49, 22, 26 f = SozR 4100 § 168 Nr. 10 S. 16, juris RdNr. 22 sowie die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 168 AFG, BT-Drucks. 12/3211 S. 28). Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall aufgrund der engen Verflechtung der Tätigkeit als Verwaltungsratsmitglied und geschäftsführender Direktor innerhalb der SE.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

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