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B 8 SO 5/19 R

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit ist die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens.

Die Stadt G. bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 1.7.2007 bis zum 30.6.2008 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII). Die Kosten der Unterkunft und Heizung übernahm sie zunächst nur teilweise (Bescheid vom 19.6.2007; Widerspruchsbescheid vom 2.6.2008), während des nachfolgenden vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim geführten Klageverfahrens (S 34 SO 107/08 = S 34 SO 4/15) schließlich vollständig (Änderungsbescheid vom 19.2.2015); woraufhin der Kläger das Verfahren mit Schriftsatz vom 2.3.2015 für erledigt erklärte. Mit Widerspruch vom selben Tag wandte er sich gegen den Änderungsbescheid vom 19.2.2015, weil damit zu Unrecht eine Verzinsung des Nachzahlungsbetrags konkludent abgelehnt worden sei; hilfsweise beantragte er die Verzinsung des Nachzahlungsbetrags. Mit Bescheid vom 18.6.2015 bewilligte die Stadt G. Zinsen aus dem mit Änderungsbescheid vom 19.2.2015 festgestellten Nachzahlungsbetrag. Daraufhin beantragte der Kläger am 22.6.2015, über die Kosten des Vorverfahrens und die Notwendigkeit der Hinzuziehung seines Bevollmächtigten zu entscheiden. Den Widerspruch vom 2.3.2015 wies der Beklagte als unzulässig zurück; Aufwendungen des Vorverfahrens seien nicht zu erstatten (Widerspruchsbescheid vom 25.9.2015). Die hiergegen erhobene Klage hat in beiden Instanzen keinen Erfolg gehabt (Urteil des SG Dortmund vom 16.3.2017; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Nordrhein-Westfalen vom 17.6.2019). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, Aufwendungen des Vorverfahrens seien nicht zu erstatten, weil der Widerspruch unzulässig gewesen sei; der Änderungsbescheid vom 19.2.2015 enthalte keine Ablehnung einer Verzinsung.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 63 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) sowie von § 44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I).

Der Kläger beantragt,

  • die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Juni 2019 und des Sozialgerichts Dortmund vom 16. März 2017 sowie die Kostengrundentscheidung des Widerspruchsbescheids vom 25. September 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens dem Grunde nach zu erstatten sowie den Beklagten zu verpflichten, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 19. Februar 2015 für notwendig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Er hat keinen Anspruch auf Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens sowie auf den Erlass eines Bescheids, der feststellt, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sei notwendig gewesen.

Soweit der Kläger die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Vorverfahrens begehrt, ist zulässiger Gegenstand des Verfahrens allein die ablehnende Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 25.9.2015 (vgl. nur Bundessozialgericht <BSG> vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 = SozR 4-1300 § 63 Nr. 23, RdNr. 10). Sein Begehren verfolgt der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 i. V. m. § 56 SGG), die zulässigerweise auf ein Grundurteil gerichtet ist; eines weiteren Vorverfahrens bedurfte es nicht (vgl. nur BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 38/14 R - BSGE 119, 170 = SozR 4-1300 § 63 Nr. 23, RdNr. 10). Soweit der Kläger den Ausspruch begehrt, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war, ist die Verpflichtungsklage statthaft; eines weiteren Vorverfahrens bedurfte es auch insoweit nicht (vgl. BSG vom 5.5.2010 - B 11 AL 14/09 R - AGS 2011, 27 = juris RdNr. 12; vgl. zu § 80 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz <VwVfG> Bundesverwaltungsgericht <BVerwG> vom 10.06.1981 - 8 C 29.80 - BVerwGE 62, 296 = NVwZ 1982, 242, juris RdNr. 13; BVerwG vom 20.5.1987 - 7 C 83.84 - BVerwGE 77, 268 = NJW 1988, 87, juris RdNr. 7).

Zutreffend richtet sich die Klage gegen den Beklagten, der auf Grundlage der den Senat bindenden tatsächlichen (§ 163 SGG) sowie Feststellungen des LSG zum Landesrecht (§ 162 SGG) als örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich (§ 97 Abs. 1, 2 SGB XII i. V. m. § 1 Abs. 2 Satz 1, § 6 Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des SGB XII <Nds AG SGB XII> in der Normfassung des Gesetzes vom 11.12.2013, Gesetz- und Verordnungsblatt <GVBl> 284) und örtlich (§ 98 Abs. 1 SGB XII i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.12.2012, BGBl I 2783) für die Entscheidung über den Widerspruch zuständig war. Dies umfasst auch die Kostengrundentscheidung (vgl. z. B. BSG vom 19.6.2012 - B 4 AS 142/11 R - NZS 2012, 957 = juris RdNr. 10; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, K § 63 RdNr. 16 und 20, Stand 4/20).

Die angegriffene Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 25.9.2015 ist formell rechtmäßig. Sozial erfahrene Dritte waren vor seinem Erlass nicht gemäß § 116 Abs. 2 SGB XII zu hören, denn er beinhaltet (neben der Kostengrundentscheidung) ohnehin keine Entscheidung über einen Widerspruch gegen die Ablehnung der Sozialhilfe oder die Festsetzung ihrer Art und Höhe, sondern über einen Widerspruch gegen die (behauptete) Ablehnung einer Verzinsung.

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Erstattung der Aufwendungen des Vorverfahrens ist § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, u. a. die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt; der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 19.2.2015 war nicht erfolgreich.

Ein Widerspruch ist erfolgreich i. S. des § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, soweit ihm förmlich abgeholfen oder stattgegeben wurde bzw. der Widerspruchsführer mit seinem sachlichen Begehren durchdringen konnte (vgl. BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 68/12 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 20 RdNr. 20). Dabei muss der Erfolg dem Widerspruch rechtlich zurechenbar sein, d. h. es muss eine ursächliche Verknüpfung zwischen der Einlegung des Rechtsbehelfs und einer begünstigenden Entscheidung der Behörde bestehen (vgl. z. B. BSG vom 25.1.2011 - B 5 R 14/10 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 15 RdNr. 21; BSG vom 13.10.2010 - B 6 KA 29/09 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 13 - juris RdNr. 16; BSG vom 21.7.1992 - 4 RA 20/91 - SozR 3-1300 § 63 Nr. 3 RdNr. 20). Daran fehlt es hier.

Nach Maßgabe der förmlichen Entscheidung im Widerspruchsbescheid vom 25.9.2015 hat der Widerspruch des Klägers in der Hauptsache keinen Erfolg gehabt, denn er wurde vollständig als unzulässig zurückgewiesen. Ob der Beklagte noch zum Erlass dieses Widerspruchsbescheids befugt war oder der Antrag des Klägers vom 22.6.2015 auf eine Kostengrundentscheidung vielmehr als Rücknahme seines Widerspruchs auszulegen war, kann hier dahinstehen. Die Hauptsacheentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 25.9.2015 hat der Kläger nicht angegriffen, sie ist nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens.

Der Widerspruch des Klägers hat auch im Übrigen nicht rechtlich zurechenbar dazu geführt, dass er mit seinem sachlichen Begehren - der Verzinsung der Nachzahlung - im Widerspruchsverfahren durchdringen konnte. Seinem Begehren wurde zwar durch Bescheid vom 18.6.2015 faktisch entsprochen, dies beruhte aber rechtlich zurechenbar auf dem hilfsweise gestellten Verzinsungsantrag. Sein Widerspruch war hingegen von vornherein unzulässig, denn der Bescheid vom 19.2.2015 enthält keinen ablehnenden Verwaltungsakt über eine Verzinsung.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 SGB X). Die Auslegung behördlichen Verwaltungshandelns im Hinblick darauf, ob es eine Regelung im Sinne dieser Vorschrift enthält, richtet sich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen; maßgeblich ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, die die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch <BGB>) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl. nur BSG vom 4.4.2019 - B 8 SO 12/17 R - für BSGE vorgesehen = SozR 4-3500 § 53 Nr. 9, RdNr. 16 mwN). Bei dieser Auslegung ist das BSG an die im Urteil des Berufungsgerichts getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, wenn nicht in Bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Verfahrensrügen vorgebracht werden (§ 163 SGG). Das BSG darf die Würdigung behördlichen Handelns durch ein Tatsachengericht deshalb nur daraufhin prüfen, ob das LSG auf Grundlage seiner Feststellungen die Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) beachtet und nicht gegen anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. zum Ganzen nur BSG vom 5.9.2019 - B 8 SO 20/18 R - <für SozR 4 vorgesehen> = juris RdNr. 14 mwN).

Auf Grundlage der Feststellungen des LSG, die die Beteiligten nicht angegriffen haben, ist es nicht zu beanstanden, dass es zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Änderungsbescheid vom 19.2.2015 keine Regelung hinsichtlich eines Zinsanspruchs enthält. Ob mit der Bewilligung einer Geldleistung, die zu einem Zinsanspruch schweigt, eine konkludente Ablehnung einer Verzinsung verbunden ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Der Wortlaut des Bescheids vom 19.2.2015 enthält eine Entscheidung über höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in der Zeit vom 1.7.2007 bis 30.6.2008, aber keine ausdrückliche Aussage - weder positiv noch negativ - zu einer Verzinsung des Nachzahlungsbetrags. Aus Sicht des Empfängerhorizonts eines objektiven verständigen Beteiligten war darin auch keine stillschweigende Ablehnung des Zinsanspruchs enthalten. Bloßes Schweigen enthält grundsätzlich weder eine zustimmende noch eine ablehnende, sondern keinerlei Willensbetätigung. Etwas anderes gilt nur, wenn besondere Umstände vorliegen, aus denen sich aus Sicht des verständigen Beteiligten ein bestimmtes, unmissverständliches, konkludentes Verhalten ergibt (vgl. BSG vom 25.1.2011 - B 5 R 14/10 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 15 RdNr. 16; BSG vom 17.10.2006 - B 5 RJ 66/04 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 5 RdNr. 12; zum sog. "beredten Schweigen" vgl. BSG vom 5.10.2006 - B 10 LW 6/05 R - SozR 4-5868 § 13 Nr. 3). Solche besonderen Umstände hat das LSG nicht festgestellt. Sie folgen insbesondere nicht daraus, dass der Zinsanspruch vom Hauptanspruch abhängig ist und die Verwaltung über einen etwaigen Zinsanspruch des Leistungsempfängers auch ohne besonderen Antrag von Amts wegen zu entscheiden hat. Haupt- und Zinsentscheidung sind in zwei selbstständigen (materiellen) Verwaltungsakten zu verlautbaren, die zeitgleich im selben Bescheid, aber auch zeitversetzt in verschiedenen Bescheiden erlassen werden können (vgl. BSG vom 23.5.2017 - B 12 KR 6/16 R - SozR 4-5376 § 1 Nr. 1 RdNr. 29; BSG vom 25.1.2011 - B 5 R 14/10 R - SozR 4-1300 § 63 Nr. 15 RdNr. 16).

Etwas Abweichendes folgt nicht aus dem Urteil des BSG vom 11.9.1980 (5 RJ 108/79 - USK 80179 = juris RdNr. 17 f). Diesem ist kein Rechtssatz zu entnehmen, wonach mit einer Regelung über eine Nachzahlung, die zu einem Zinsanspruch schweigt, stets eine konkludente Ablehnung der Verzinsung verbunden ist. Vielmehr ist dies eine Frage der Würdigung der Umstände des Einzelfalls. In jenem Verfahren hatte die dortige Beklagte eine Ablehnung durch "beredtes Schweigen" regeln wollen und war von der dortigen Klägerin auch so verstanden worden (vgl. BSG aaO RdNr. 18 f).

Der Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zum Erlass eines Bescheids, der feststellt, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig gewesen ist, richtet sich nach § 63 Abs. 3 Satz 2 SGB X. Danach bestimmt die Kostenentscheidung auch, ob die Zuziehung eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten notwendig war. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift folgt, dass dies zwingend eine (zumindest teilweise) positive Kostengrundentscheidung voraussetzt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen vom 5.7.2012 - L 11 AS 759/11 - juris RdNr. 33; vgl. zu § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG BVerwG vom 15.11.2007 - 2 C 29.06 - Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 53 RdNr. 10 mwN; Feddern in jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 63 RdNr. 130). Daran fehlt es hier. Der Kläger kann - wie ausgeführt - eine Erstattung der Aufwendungen des Vorverfahrens nicht beanspruchen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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