B 12 KR 24/07 R
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Krankenkasse zu Recht die Sozialversicherungs- bzw Beitragspflicht der Tätigkeit der Klägerin in der Arztpraxis des Ehemanns festgestellt hat.
Für die Klägerin, die in der Arztpraxis ihres Ehemanns, des Beigeladenen zu 3, tätig war, wurden für die Zeit vom September 1986 bis Dezember 1999 Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die beklagte Krankenkasse entrichtet. Nachdem die Klägerin ab Januar 2000 Mitglied der BKK H., nach deren Fusion seit Oktober 2007 Betriebskrankenkasse, Beigeladene zu 4, geworden war, wurden ab diesem Zeitpunkt bis August 2004 Sozialversicherungsbeiträge an diese Krankenkasse gezahlt. Im Mai 2004 beantragte die Klägerin bei dieser Krankenkasse die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ihrer Tätigkeit. Die beigeladene Krankenkasse stellte mit bestandskräftigem Bescheid vom 23.8.2004 fest, dass die Klägerin seit Januar 2000 nicht der Sozialversicherungspflicht unterfalle. Für die Renten- und Arbeitslosenversicherung sei die Klägerin rückwirkend ab 1.1.2000 versicherungsfrei, die Versicherungspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung werde zum 31.8.2004 beendet.
Die Klägerin bat die beklagte Krankenkasse mit Schreiben vom 30.9.2004 um Überprüfung der Sozialversicherungspflicht ihrer Tätigkeit im Zeitraum vom September 1986 bis Dezember 1999. Mit Bescheid vom 11.11.2004 stellte die beklagte Krankenkasse fest, dass die Klägerin in diesem Zeitraum sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Das Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klage mit Urteil vom 31.10.2006 abgewiesen, weil die Klägerin ihre Tätigkeit für den Beigeladenen zu 3. in der Zeit vom September 1986 bis zum Dezember 1999 im Rahmen eines abhängigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt habe. Das LSG hat mit Urteil vom 15.8.2007 das Urteil des SG Berlin geändert und die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig, weil für die zwischen den Beteiligten streitige Feststellung der Versicherungs- bzw Beitragspflicht im Zeitraum von 1986 bis zum Dezember 1999 nicht die damals als Einzugstelle tätige beklagte Krankenkasse, sondern die zum Zeitpunkt der Anfrage der Klägerin die Aufgaben einer Einzugstelle wahrnehmende Beigeladene zu 4 zuständig gewesen sei.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die beklagte Krankenkasse die Verletzung der § 28h Abs. 1 und 2 SGB IV und § 28i SGB IV. Sie sei als für die Durchführung der Krankenversicherung im streitigen Zeitraum zuständige Krankenkasse und damit Einzugstelle gemäß § 28i SGB IV bereits nach dem Wortlaut der Vorschriften auch nach § 28h Abs. 2 SGB IV für die Entscheidung über die während des Zeitraums der Mitgliedschaft der Klägerin bei ihr in Betracht kommenden Versicherungspflicht zuständig. Die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen könne eine andere Auslegung der Vorschriften nicht begründen. Die Rechtsansicht des LSG würde zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. So würde ua bei einem Kassenwechsel bei fortbestehender Beschäftigung die Zuständigkeit für die Beurteilung der Versicherungspflicht für frühere Zeiten auf die neue Krankenkasse übergehen, alle anderen Aufgaben als früher zuständige Einzugstelle, wie zB die Geltendmachung von Beiträgen, jedoch bei der bisherigen Krankenkasse verbleiben.
Die Beklagte beantragt,
- das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15.8.2007 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 1 bis 4 stellen keine Anträge.
Die beigeladene Krankenkasse und die beigeladene Bundesagentur für Arbeit teilen die Rechtsauffassung der beklagten Krankenkasse. Ergänzend weist die beigeladene Bundesagentur für Arbeit darauf hin, dass die Regelungen des Meldeverfahrens ebenfalls gegen eine Zuständigkeit der neuen Einzugsstelle für frühere Zeiträume sprechen würden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG ). Zu Unrecht hat das LSG die Zuständigkeit der beklagten Krankenkasse für den Erlass der angefochtenen Bescheide und die von der Klägerin begehrte Feststellung zur Sozialversicherungspflicht ihrer Tätigkeit in der Zeit vom September 1986 bis Dezember 1999 verneint. In diesem Zeitraum war die beklagte Krankenkasse aufgrund der Mitgliedschaft der Klägerin die zuständige Einzugsstelle und für die Feststellung, ob in diesem Zeitraum Sozialversicherungspflicht bestand, auch nach dem Wechsel der Krankenkasse zuständig. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen jedoch nicht für eine abschließende Entscheidung aus, ob die Klägerin vom September 1986 bis Dezember 1999 in der Arztpraxis ihres Ehemannes sozialversicherungspflichtig beschäftigt war.
1. Zu entscheiden ist über die Anfechtung des Bescheids der Beklagten vom 11.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.3.2005. Mit ihm hat die beklagte Krankenkasse die Versicherungspflicht der Klägerin aufgrund ihrer Tätigkeit in der Arztpraxis ihres Ehemanns ab September 1986 in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, die Beitrags- bzw Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung sowie ab 1.1.1995 die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung bis zum Dezember 1999 festgestellt. Zutreffend hat die Klägerin ihre Anfechtungs- und Feststellungsklage allein gegen die beklagte Krankenkasse, nicht jedoch auch gegen die beigeladene Pflegekasse gerichtet. Der Bescheid ist allein von der beklagten Krankenkasse erlassen worden. Diese handelte erkennbar als Einzugsstelle und stellte die Versicherungspflicht auch in den übrigen Zweigen der Sozialversicherung in eigener Zuständigkeit fest. Allein dem Hinweis im angefochtenen Bescheid, dieser ergehe auch im Namen der beigeladenen Pflegekasse, konnte deshalb nicht entnommen werden, dass letztere im Bescheid ebenfalls eine Entscheidung über die Versicherungspflicht traf.
2. Die angefochtenen Bescheide sind entgegen der Auffassung des LSG nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte für die Feststellung der Sozialversicherungspflicht der Tätigkeit der Klägerin im Zeitraum vom September 1986 bis Dezember 1999 nicht zuständig war. Als in diesem Zeitraum die Krankenversicherung der Klägerin durchführende Krankenkasse war sie die zuständige Einzugstelle iS von §§ 28h, 28i SGB IV und - bis zum 31.12.1988 - § 121 AVG, § 176 Abs. 3, § 182 AFG. Der spätere Wechsel der Krankenkasse ließ diese Zuständigkeit nicht entfallen.
a. Gemäß § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV (eingefügt mit Wirkung vom 1.1.1989 durch das Gesetz zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 20.12.1988 <BGBl I 2330>) entscheidet die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- (ab 1.1.1995) und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (bis 31.12.1997: Beitragspflicht nach dem AFG) und erlässt den Widerspruchsbescheid. An sie ist der Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen, sie überwacht die Einreichung des Beitragsnachweises und macht die Beitragsansprüche geltend (§ 28h Abs. 1 SGB IV) . § 28i SGB IV bestimmt die für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zuständige Einzugsstelle. Dies ist nach Satz 1 der Vorschrift grundsätzlich die Krankenkasse, von der die Krankenversicherung durchgeführt wird. Für die Zeit bis zum 31.12.1988 war die Befugnis der die Krankenversicherung durchführenden Krankenkasse als Einzugsstelle, die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung festzustellen, in § 1399 RVO und § 121 AVG, und die Beitragspflicht zur BA festzustellen, in § 176 Abs. 3 und § 182 AFG geregelt.
Zuständige Einzugstelle, an die der Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die Klägerin zu zahlen war, war im Zeitraum vom September 1986 bis Dezember 1999 danach die Beklagte. Bei ihr war die Klägerin in diesem Zeitraum krankenversichert. Dementsprechend zahlte der Beigeladene zu 3 als Arbeitgeber an sie die Sozialversicherungsbeiträge. Allein die Entgegennahme der Beiträge hatte allerdings keine Entscheidung über die Versicherungs- bzw. Beitragspflicht zum Inhalt. Soweit die Frage streitig wurde, ob tatsächlich Versicherungs- bzw Beitragspflicht bestand, wie zB hier durch den Antrag der Klägerin vom Mai 2004, hatte demnach die Beklagte darüber zu entscheiden.
b. Die Zuständigkeit der Beklagten zur Entscheidung über die Versicherungspflicht für den Zeitraum vom September 1986 bis Dezember 1999 ist durch die Änderung der Krankenkassenmitgliedschaft zum Januar 2000 nicht entfallen und nicht auf die beigeladene Krankenkasse, deren Mitglied die Klägerin in der Folgezeit war, übergegangen. Die Änderung der Mitgliedschaft führt zum Übergang der Zuständigkeit als Einzugstelle auf die nun die Krankenversicherung durchführende Krankenkasse ab dem Zeitpunkt des Wechsels. Soweit erstmals über die Versicherungspflicht und Beitragspflicht für die Vergangenheit zu entscheiden ist, bleibt die zu diesem Zeitpunkt die Versicherung durchführende Krankenkasse zur Entscheidung berufen. Der Senat ist bereits in seiner Entscheidung vom 23.9.2003 (B 12 RA 3/02 R, SozR 4-2400 § 28h Nr. 1) davon ausgegangen, dass auch bei einem Wechsel der Krankenkasse die Zuständigkeit der bisherigen Krankenkasse als Einzugsstelle bestehen bleibt, die Versicherungspflicht und Beitragshöhe im Zeitraum der Mitgliedschaft bei ihr festzustellen. Er hat darauf hingewiesen, dass diese Zuständigkeitsregelung aus Gründen der Rechtssicherheit selbst dann anzuwenden ist, wenn um die Versicherungspflicht und Beitragshöhe nur in einem Zweig der Sozialversicherung gestritten wird, und dass die Beteiligten hierüber nicht disponieren können.
Ein Übergang der Zuständigkeit für die Feststellung von Versicherungspflicht während der Zeit der Mitgliedschaft bei der bisherigen Krankenkasse auf die neue Krankenkasse lässt sich mit dem Wortlaut des § 28h Abs. 2 SGB IV nicht begründen. Die Vorschrift definiert nicht, was unter einer Einzugsstelle zu verstehen ist. Dies ergibt sich vielmehr aus § 28h Abs. 1 Satz 1 iVm § 28i SGB IV. Einzugsstelle ist danach die Krankenkasse, an die der Gesamtsozialversicherungsbeitrag für abhängig Beschäftigte zu zahlen ist (§ 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Zuständig für diesen Beitragseinzug ist grundsätzlich die jeweilige Krankenkasse des Versicherten, von der die Krankenversicherung durchgeführt wird (§ 28i Satz 1 SGB IV). Diese Regelungen geben keinen Hinweis darauf, dass die Zuständigkeit der Einzugstelle für die Entgegennahme des Gesamtsozialversicherungsbeitrags und die weiteren mit der Funktion als Einzugsstelle verbundenen Aufgaben bei einem Kassenwechsel rückwirkend entfallen könnten. Dies gilt auch hinsichtlich der Zuständigkeit für die Feststellung der Versicherungspflicht im Zeitraum der Mitgliedschaft zu dieser Krankenkasse.
Die durch die alleinige Entscheidungsbefugnis der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Sozialversicherung bewirkte Rechtssicherheit fordert ebenfalls keinen Übergang der Zuständigkeit bei einem Krankenkassenwechsel. Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zur Versicherungspflicht besteht nicht hinsichtlich des jeweiligen Zeitraums der Mitgliedschaft zur Krankenkasse, da allein die jeweilige Krankenkasse zur Entscheidung berufen ist. Die Möglichkeit, dass bei einem Krankenkassenwechsel bei im übrigen gleich bleibenden Merkmalen der verrichteten Tätigkeit deren Sozialversicherungspflicht durch die Krankenkassen jeweils für die verschiedenen Zeiträume unterschiedlich beurteilt wird, rechtfertigt ebenfalls keine abweichende Auslegung des § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV in Bezug auf die für die Feststellung der Versicherungspflicht zuständige Einzugsstelle. Unterschiedliche Bewertungen bei gleich bleibenden Umständen sind auch möglich bei der Zuständigkeit lediglich einer Einzugsstelle während des gesamten Zeitraums der Tätigkeit. Dies kann etwa darauf beruhen, dass bisher unbekannte Umstände der ausgeübten Tätigkeit bekannt werden, oder dass sich die Gesetzeslage oder die Rechtsprechung ändert. Auch die nunmehr bestehenden Möglichkeiten der Versicherten, ihre Krankenkasse frei zu wählen und auch bei Fortbestand der Beschäftigung zu wechseln, kann die vom LSG vorgenommene Auslegung nicht begründen. Wird im Hinblick auf wechselnde Zuständigkeiten der Krankenkassen als Einzugsstellen, die insbesondere seit der Einführung der Kassenwahlrechte (§§ 173 ff SGB V) nunmehr bei unveränderter Beschäftigung häufiger vorkommen können, eine einheitliche Entscheidungskompetenz für erforderlich gehalten, wäre dies gesetzlich zu regeln. Dann wären auch Änderungen der Vorschriften über das Melde- und Beitragszahlungsverfahren erforderlich, weil diese Regelungen bisher auf die jeweils die Krankenversicherung durchführende Kasse abstellen.
4. Da Feststellungen des LSG zur Art der von der Klägerin von September 1986 bis Dezember 1999 ausgeübten Tätigkeit in der Arztpraxis fehlen, ist der Rechtstreit an das LSG zurückzuverweisen. Das LSG wird bei der nach Zurückverweisung ihm obliegenden Entscheidung auch zu prüfen haben, inwieweit für die Klagen im vollen Umfang das Rechtsschutzbedürfnis für die von der Klägerin begehrte Feststellung der fehlenden Versicherungspflicht im hier streitigen Zeitraum besteht. Bedenken bestehen zumindest hinsichtlich der Angriffe gegen die Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung deshalb, weil gemäß § 26 Abs. 1 SGB IV Rentenversicherungsbeiträge, die trotz Fehlens der Versicherungspflicht nicht bei der nächsten Prüfung des Arbeitgebers beanstandet wurden und nicht mehr beanstandet werden dürfen, als zu Recht entrichtete Pflichtbeiträge gelten.
Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Berufungsgerichts vorbehalten.