B 3 KR 13/04 R
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Klägerin in der Künstlersozialversicherung (KSV).
Die 1970 in Hiroshima geborene Klägerin ist japanische Staatsangehörige. Sie wurde ab dem Jahre 1974 in der klassischen japanischen Teezeremonie unterrichtet und besitzt ein Diplom als japanische Teemeisterin. Seit 1993 lebt sie in Deutschland und führt Teezeremonien durch. Ihr wichtigster Auftraggeber ist die Stadt H.; dort steht ihr im Stadtpark ein japanisches Teehaus zur Verfügung, in dem sie in den Sommermonaten regelmäßig die Teezeremonie vorführt, aber auch interessierte Laien unterrichtet. Auf Einladung von Kunstgalerien, Museen, Schulen, Hotels und Restaurants hält sie zudem gelegentlich externe Teezeremonien ab. Im Juli 1998 meldete sich die Klägerin bei der beklagten Künstlersozialkasse als Unterhaltungskünstlerin an. Für das Jahr 1998 erwartete sie ein Einkommen aus diesen Tätigkeiten in Höhe von 13.200 DM.
Mit Bescheid vom 27. August 1998 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin nicht der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) unterliege, weil bei der ausgeübten Tätigkeit als Teemeisterin Kenntnisse über die traditionelle japanische Teezeremonie vermittelt würden, sodass vorrangig eine Vermittlung von Wissen stattfinde und keine Kunst geschaffen, ausgeübt oder gelehrt werde. Den hiergegen gerichteten Widerspruch begründete die Klägerin damit, die Teezeremonie zähle in Japan zu den höchsten und gesellschaftlich anerkanntesten Künsten. Neben der reinen Meditation gebe es dort verschiedene Künste wie die Teezeremonie, den Schwertkampf, das Theater, den Gesang, die Malerei und die Kalligrafie, die alle bei der Ausübung einer strengen Zeremonie unterworfen seien und bei denen das Vermitteln von Wissen nur einen Teilaspekt darstellte, nicht vergleichbar etwa mit der Tätigkeit eines Lehrers der japanischen Kultur. Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1999 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass es sich bei der Ausübung der Teezeremonie um japanisches Brauchtum handele, aber nicht um eine auf zweckfreie eigenschöpferische Gestaltung gerichtete Tätigkeit.
Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliege (Urteil vom 3. Mai 2001). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 24. September 2003). Die Klägerin sei Künstlerin und gehöre als Ausübende der japanischen Teezeremonie zum Bereich der darstellenden Kunst. Ihre Tätigkeit lasse sich zwar nicht eindeutig einem bestimmten Werktyp zuordnen; auch würden japanische Teemeisterinnen nicht im Künstlerbericht der Bundesregierung genannt. Aus dem Gesamtbild der Darbietungen der Klägerin ergebe sich jedoch, dass die japanische Teezeremonie der Unterhaltungskunst zuzurechnen sei. Dieser Einschätzung stehe nicht entgegen, dass die Teezeremonie ursprünglich dem Zen-Buddhismus entstamme, denn es finde keine religiöse Handlung im Sinne eines Gottesdienstes statt. Die Klägerin erbringe auch eine eigenschöpferische Leistung, denn trotz der in Japan für die Teezeremonie bestehenden - Jahrhunderte langen - Tradition und daraus folgenden festen Regeln unterliege die Gestaltung und Durchführung der Teezeremonie der freien Interpretation durch die Klägerin und stelle nach allgemeiner Verkehrsauffassung eine Tätigkeit im Sinne von § 2 KSVG dar. Der Einwand der Beklagten, für die Beurteilung einer solchen Verkehrsanschauung sei auf die Verhältnisse in Deutschland abzustellen, sei unzutreffend; eine derartige auf ein Land oder eine Nation bezogene Definition lasse sich dem KSVG nicht entnehmen.
Die Beklagte rügt mit der vom Senat zugelassenen Revision eine Verletzung von § 2 KSVG. Die Tätigkeit einer Teezeremonienmeisterin könne nicht der darstellenden Kunst bzw. Unterhaltungskunst zugeordnet werden. Zu Unrecht habe das LSG bei der Beurteilung der Verkehrsanschauung auf die Verhältnisse in Japan abgestellt; ob eine Tätigkeit nach allgemeiner Verkehrsauffassung als künstlerisch zu qualifizieren sei, könne nur nach inländischer Verkehrsauffassung beurteilt werden. Im Geltungsbereich des KSVG gebe es keine allgemeine Verkehrsauffassung, dass die Durchführung von japanischen Teezeremonien der darstellenden Kunst zuzuordnen sei. Bei der Teezeremonie handele es sich vielmehr um exotische Brauchtumspflege. Auch die Tatsache, dass die Teezeremonie und andere asiatische Tätigkeiten, die der Entspannung und ganzheitlichen Entwicklung dienten, im Künstlerbericht der Bundesregierung nicht erwähnt seien, stelle ein Indiz dafür dar, dass eine japanische Teemeisterin nicht als Künstlerin einzustufen sei. Schließlich spreche ebenso die enumerative Aufzählung in § 24 KSVG, der den Kreis der Kunst vermarktenden Unternehmen bezeichne und gerade keine Einrichtungen enthalte, die exotische Brauchtumspflege oder Kulturhandlungen für ein breiteres Publikum anböten, gegen eine Bewertung der japanischen Teezeremonie als Kunst.
Die Beklagte beantragt,
- das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 24. September 2003 und das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 3. Mai 2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen. Aus den vorbereitenden Schriftsätzen ihres Prozessbevollmächtigten ergibt sich als Rechtsschutzbegehren,
- die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt die Entscheidungen der Vorinstanzen und weist noch einmal darauf hin, dass sie mehrere Werktypen der Kunst in der Teezeremonie vereinige und zu einem Gesamtbild der Unterhaltungskunst zusammenfüge, in dem sie ihre eigene Kreativität darstelle und dadurch etwas individuell Neues schaffe.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Mit den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass die Klägerin nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliegt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind deshalb zu ändern und die Klage ist abzuweisen.
Gemäß § 1 KSVG werden selbstständige Künstler und Publizisten in der Rentenversicherung der Angestellten, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie eine künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler i.S. dieses Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
1. Nicht ganz zweifelsfrei ist schon, ob die Klägerin selbstständig erwerbstätig ist, denn dazu fehlt es an Feststellungen des LSG. Das LSG hat nur ausgeführt, die Frage der Selbstständigkeit sei zwischen den Beteiligten unstreitig; dies ersetzt keine eigenen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung. Zum Tatbestandsmerkmal „erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend“ fehlen ebenfalls substantiierte Feststellungen des LSG; auch insoweit wird seitens des Berufungsgerichts - nur - darauf hingewiesen, dies stehe zwischen den Beteiligten außer Streit. Diese Fragen können im vorliegenden Fall dahinstehen; entgegen der Ansicht der Vorinstanzen handelt es sich bei der Ausübung der japanischen Teezeremonie jedenfalls nicht um eine künstlerische Tätigkeit i.S. des KSVG.
2. a) In § 2 Satz 1 KSVG werden drei Bereiche künstlerischer Tätigkeit jeweils in den Spielarten des Schaffens, Ausübens und Lehrens umschrieben, nämlich die Musik, die bildende Kunst und die darstellende Kunst. Eine weitergehende Festlegung, was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, ist im Hinblick auf die Vielfalt, Komplexität und Dynamik der Erscheinungsformen künstlerischer Betätigungsfelder nicht erfolgt. Der Gesetzgeber spricht im KSVG nur allgemein von „Künstlern“ und „künstlerischen Tätigkeiten“, auf eine materielle Definition des Kunstbegriffs hat er hingegen bewusst verzichtet (BT-Drucks. 8/3172, S. 21). Dieser Begriff ist vielmehr aus dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung und der historischen Entwicklung zu erschließen (vgl. BSG SozR 4-5425 § 24 Nr. 6 RdNr. 13 und BSGE 83, 160, 161 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 9 S. 33 - jeweils m.w.N.; zum Kunstbegriff des Art. 5 Grundgesetz <GG> vgl. BVerfGE 30, 173, 188 ff. und 81, 108, 116; zur Zielrichtung des KSVG vgl. BT-Drucks. 9/26, S. 18 und BT-Drucks. 8/3172, S. 19 ff.). Aus den Materialien zum KSVG ergibt sich, dass der Begriff der Kunst trotz seiner Unschärfe auf jeden Fall solche künstlerischen Tätigkeiten umfassen soll, mit denen sich der „Bericht der Bundesregierung über die wirtschaftliche und soziale Lage der künstlerischen Berufe (Künstlerbericht)“ aus dem Jahre 1975 (BT-Drucks. 7/3071) beschäftigt (BSGE 83, 160, 165 f. = SozR 3-5425 § 2 Nr. 9 S. 37 f.; BSGE 83, 246, 250 = SozR 3-5425 § 1 Nr. 5 S. 23; vgl. auch Finke / Brachmann / Nordhausen, KSVG, 3. Aufl. 2004, § 2 RdNr. 3 und 9; Schriever „Der Begriff der Kunst im Künstlersozialversicherungsrecht“ in: von Wulffen / Krasney <Hrsg>, Festschrift 50 Jahre Bundessozialgericht, 2004, S. 709, 714 f). Der Gesetzgeber hat damit einen an der Typologie von Ausübungsformen orientierten Kunstbegriff vorgegeben, der in aller Regel dann erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk den Gattungsanforderungen eines bestimmten Kunsttyps entspricht. Bei diesen Berufsfeldern ist das soziale Schutzbedürfnis zu unterstellen, ohne dass es auf die Qualität der künstlerischen Tätigkeit ankommt oder eine bestimmte Werk- und Gestaltungshöhe vorausgesetzt wird (BSG a.a.O.).
b) Im inzwischen 30 Jahre zurückliegenden Künstlerbericht der Bundesregierung wird weder die japanische Teezeremonie noch ein anderer fernöstlicher „Kunstweg“ erwähnt (z.B. Ikebana, Kendo, Origami, Tai Chi o.ä. - vgl. dazu Brandmüller / Zacher / Thielpape, Künstlersozialversicherungsgesetz - Band II, Stand: Dezember 2000, Anlage 3A/8 „Tätigkeitskatalog künstlerischer / publizistischer Tätigkeiten“ m.w.N.), die in neuerer Zeit auch in westlichen Kulturkreisen Eingang gefunden haben. Im Bereich der darstellenden Kunst - die Bereiche Musik und bildende Kunst sind im vorliegenden Fall ersichtlich nicht betroffen - finden sich als Einordnungshilfe allenfalls die Katalogberufe „Unterhaltungskünstler/Artist“ und „Schauspieler“; entgegen der Ansicht der Vorinstanzen lässt sich die Ausübung der japanischen Teezeremonie jedoch in keines dieser beiden künstlerischen Berufsfelder einordnen.
c) Die aus dem Zen-Buddhismus entwickelte sog Teezeremonie wurde im Japanischen zunächst schlicht als Chanoyu = heißes Wasser zum Tee bezeichnet und erst viel später zum Tee-Weg = Chado weiter entwickelt (vgl. Brockhaus, Die Enzyklopädie, Band 21 1998, S. 612). Die im Westen übliche Bezeichnung „Tee-Zeremonie“ wird in Fernost als irreführend angesehen, weil es weder um ein religiöses Ritual oder um ein gesellschaftliches Zeremoniell geht noch der bloße Aspekt der Aktion im Vordergrund steht; es gibt weder Darsteller noch Publikum (Ehmke, „Der japanische Tee-Weg: Die Kunst der Ästhetisierung des Alltäglichen“ in: Bräutigam / Morper,... über den ziehenden Wolken der Fuji..., Sonderausstellung auf Schloß Friedenstein Gotha 2000, S. 154 m.w.N.). Tee wurde aus China kommend erstmals im 8. Jahrhundert in Japan eingeführt und in der Folgezeit von buddhistischen Mönchen angebaut; diese tranken den Tee als Erfrischung und Heilmittel und schenkten ihn regelmäßig auch an die Gläubigen aus, sodass sich das Teetrinken in allen Schichten der Bevölkerung verbreitete. Es entstanden Teegesellschaften in öffentlichen und privaten Teepavillons; man trank den Tee nun aber nicht mehr nur zum Zwecke der Erfrischung und Heilung, sondern auch und vor allem um seiner selbst willen als symbolische Form des Lebens schlechthin. Drei Großmeister des Tees entwickelten daraus im 15./16. Jahrhundert die sog. Teezeremonie mit festen Regeln, die auch heute noch gebräuchlich sind und gemeinsam mit anderen ästhetisch-spirituellen „Wegen“ - z.B. Ikebana (Blumen-Weg), Kyudo (Weg des Bogenschießens) oder Kendo (Weg des Schwertes) - einen festen Bestandteil in der japanischen Kulturtradition bilden (Brockhaus, Die Enzyklopädie digital, 2002/2003, unter „Chanoyu und Ikebana: Wege der Selbstbildung“; Ehmke a.a.O. S 154 m.w.N.). Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie auf - zumindest früher - alltäglichen Bewegungen und Verrichtungen beruhen, ihre Handlungsabläufe heute aber strengen Regeln unterliegen. Bei der Ausübung der Teezeremonie etwa bedarf das eher symbolisch zu verstehende Staubwischen der Teedose, das Ausspülen der Teeschale, das Schreiten im Teeraum, das Aufnehmen der Teeschale und selbst das Trinken daraus einer jahrelangen Praxis, bis jede dieser Handlungen als Teil der Teezeremonie so verinnerlicht ist, dass es wiederum völlig natürlich wirkt. Dadurch sollen nicht nur das Teetrinken ästhetisiert werden und die erforderlichen Handlungsabläufe vollendete Harmonie reflektieren, es soll zudem ausgedrückt werden, dass der Alltag zum universalen Übungsort mit unbegrenzten Schulungsmöglichkeiten wird, um die notwendige Synthese zwischen der menschgeschaffenen Alltagswelt und der natürlichen Mit- und Umwelt herzustellen (Ehmke a.a.O. S. 154, 155, 157 m.w.N.). Oder anders ausgedrückt: In der Ästhetik der Teezeremonie wird das Leben an sich zur Kunstform erklärt
Der Einordnung als Kunstausübung steht zwar nicht entgegen, dass die Klägerin eigenen Angaben zufolge mit ihrer Vorführung zu interkulturellem Denken anregen und das geistig Verbindende im Menschen ansprechen will; dies wäre selbst dann rechtlich unerheblich, wenn die ganzheitliche Persönlichkeitsbildung vorrangiges Handlungsmotiv für die Klägerin bzw. die Teilnehmer wäre. Es kommt nicht darauf an, welche Geisteshaltung oder Weltanschauung der Darbietung der Teezeremonie zu Grunde liegt und welche Zwecke - außer dem des Gelderwerbs - der Künstler mit seiner Darbietung verfolgt (BSG SozR 3-5425 § 2 Nr. 2 S. 9 und Nr. 13 S. 59).
Auch die Tatsache, dass die Teezeremonie ursprünglich aus dem Zen-Buddhismus stammt, stünde ihrer Anerkennung als Kunstform vom Grundsatz her nicht entgegen, denn in heutiger Zeit wird darunter selbst in Japan keine rein religiöse Handlung mehr verstanden, sondern eine Bewusstseinsschulung i.S. der Verschmelzung von ästhetisch-künstlerischen Ausdrucksformen mit spiritueller Menschenbildung (so Ehmke a.a.O. S. 154 m.w.N.). Entscheidend ist vielmehr, dass die Ausübung der japanischen Teezeremonie ohne Rücksicht auf ihren weltanschaulichen Hintergrund nicht als Kunstform i.S. des KSVG anzusehen ist.
d) Nach dem Regelungszweck des KSVG unterfallen Tätigkeiten aus dem Bereich der Unterhaltungskunst grundsätzlich der Künstlersozialversicherung (BSGE 83, 160, 162 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 9 S. 33 f.). Es muss sich dabei aber um eine Form der Unterhaltung handeln, bei der eine freie schöpferische Gestaltung der Darbietung zumindest in Ansätzen erkennbar ist, wobei allerdings die Anforderungen an die schöpferische Gestaltung niedrig zu bemessen sind (BSGE 77, 21, 29 = SozR 3-5425 § 24 Nr. 12 S. 79 f. - jeweils m.w.N.). Dies bedeutet aber nicht, dass alle Darbietungen mit Unterhaltungszweck oder Unterhaltungswert ohne weiteres der Unterhaltungskunst i.S. des KSVG zugerechnet werden können. Maßgebend für die Zuordnung einer Darbietung zur Unterhaltungskunst oder zu sonstigen - nicht künstlerischen - Arten der Unterhaltung ist, da die individuelle Kunstauffassung sehr unterschiedlich sein kann, im Zweifel die allgemeine Verkehrsauffassung (vgl. zum Berufsringer: BSGE 83, 160 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 9 S. 32; zum Sport allgemein: BSGE 82, 107 = SozR 3-5425 § 25 Nr. 12 S. 59; zum Variete: BSGE 77, 21 = SozR 5425 § 24 Nr. 12 S. 71; Schriever a.a.O. S. 709, 716). Eine allgemeine Verkehrsanschauung, die etwa Varietevorführungen zur Unterhaltungskunst zählt, lässt sich jedenfalls im Geltungsbereich des KSVG für die japanische Teezeremonie nicht feststellen.
Aber auch im Ursprungsland dürfte eine Einordnung als Unterhaltungskunst eher zu verneinen sein. Die Deutsch-Japanische Gesellschaft Hannover Chadokai e.V. weist in ihrer Homepage, auf der sie die Hintergründe der japanischen Teezeremonie und das Wirken der Klägerin als Teemeisterin in Deutschland ausführlich beschreibt, u.a. darauf hin, dass die Teezeremonie die japanische Kultur und das Bewusstsein der japanischen Bevölkerung maßgeblich geprägt hat. Die Mehrzahl der Japaner ist danach in ihren Umgangsformen weitgehend vom Chanoyu beeinflusst; so ist es eine weit verbreitete Sitte, junge Frauen als Vorbereitung auf ihre Hochzeit die Teezeremonie lernen zu lassen, um ihnen die letzten Feinheiten und Förmlichkeiten mit auf den Weg zu geben (www.djg-hannover.de, Stichworte: Kulturelle Traditionen - Tee). Auch dies zeigt, dass der Tee-Weg ebenso wie die anderen fernöstlich bedeutsamen und hoch angesehenen „Kunst-Wege“ wesentliche Bestandteile der japanischen Kultur- und Traditionspflege sind und das Ziel verfolgen, durch die stilisierte Ausführung von alltäglichen Verrichtungen zur inneren Harmonie und Vervollkommnung zu gelangen. Es geht also nicht darum, andere i.S. von Unterhaltungskunst zu erfreuen, sondern vielmehr um die eigene Bewusstseinsschulung (so auch Ehmke a.a.O. S 154 m.w.N.). Die Tatsache, dass der Tee-Weg (Chado) demnach im Japanischen gelegentlich auch als Tee-Kunst (Geido - vgl. dazu Ehmke a.a.O. S. 154) bezeichnet wird, beruht auf einem abweichenden Sprachgebrauch, der nicht entscheidend sein kann, weil es im vorliegenden Fall um die Versicherungspflicht als Künstler und damit um den Kunstbegriff des KSVG geht. Im Übrigen kennt auch der deutsche Sprachgebrauch Bezeichnungen wie die Kochkunst oder die Braukunst, mit der z.B. besondere handwerkliche Leistungen hervorgehoben werden sollen, ohne dass dies auch eine Einordnung als Kunst nach dem KSVG zur Folge hätte.
e) Wenn die allgemeine Verkehrsanschauung keine Einordnung der Tätigkeit der Klägerin als Kunst erlaubt, gilt dies auch bei Würdigung der konkreten Merkmale ihrer Tätigkeit. Schon die historische Entwicklung der japanischen Teezeremonie mit ihren buddhistisch-shintoistischen Wurzeln zeigt, dass die Klägerin ihre Tätigkeit nicht schöpferisch frei gestaltet. Die von ihr gebotenen Darbietungen sind die Perfektionierung einer alltäglichen Verrichtung mit dem Ziel der inneren Vervollkommnung aller Teilnehmer, nicht Ausdruck einer eigenschöpferischen künstlerischen Gestaltung, sondern eines stilisierten gemeinschaftlichen Handelns mit dem Ziel der Verschmelzung besonderer ästhetischer Ausdrucksformen und spiritueller Bewusstseinsbildung (Ehmke a.a.O. S. 154 m.w.N.). Der Ablauf der Zeremonie ist in ihren wesentlichen Bestandteilen immer gleich: Die in der Regel höchstens fünf Gäste gehen zunächst durch einen Garten und reinigen Mund und Hände in einem Steinbecken. Danach ertönen fünf Gongschläge, mit denen der Hausherr oder die Hausherrin die Gäste in das kleine schlichte Teehaus bittet. Dort wird der starke grüne Tee zubereitet und serviert; kleine Süßigkeiten aus Reismehl mildern seinen bitteren Geschmack. Den Abschluss der Zeremonie, in der das harmonische Miteinander von Gastgeber und Gästen betont wird, bildet ein leichter dünner Tee. Die hier geschilderte - heute übliche - Zeremonie dauert etwa eine Stunde; in der klassischen Langform benötigt man sogar vier Stunden, weil vorab noch ein mehrgängiges Menü mit Getränken gereicht wird (Brockhaus a.a.O. Band 21 S. 612; vgl. auch Ehmke a.a.O. S. 154, 155). Dieser Ablauf ist für eine Teemeisterin immer obligatorisch; sie vermag ihn kaum zu variieren, weil sie einer bestimmten Tee-Schule verpflichtet ist, und hat Handlungsspielraum nur insoweit, als sie die Teeutensilien sowie den Bild- und Blumenschmuck jeweils unterschiedlich zusammenstellen kann.
f) Die Klägerin ist auch keine Schauspielerin i.S. des KSVG. Dieser Beruf wird zwar im Künstlerbericht der Bundesregierung ausdrücklich genannt, doch setzt die Ausübung der Schauspielkunst entweder eine ritualisierte Spielweise mit festem Kanon von Zeichen und Ausdrucksmitteln (fernöstliches Theater) oder einen individualisierten Spielstil mit durch die Persönlichkeit des Schauspielers geformter Rollengestaltung (modernes westliches Theater) voraus (Brockhaus a.a.O. Band 19 1998, S. 256). Entscheidend kommt es auf die Rolleninterpretation des Schauspielers an; auch im fernöstlichen Theater gibt es insoweit ausreichenden Spielraum. Eine derartige Rolleninterpretation liegt der Teezeremonie nicht zu Grunde; die Klägerin spielt keine Teemeisterin, sie ist eine solche und spiegelt in der Teezeremonie allein das Wissen ihrer Teeschule wider. Wegen des hohen Anspruchs der Teezeremonie als gemeinschaftliche Bewusstseinsschulung gibt es weder Darsteller noch Publikum, sondern nur Teilnehmer, die ein gemeinsames Ziel verfolgen und gleichermaßen am Gelingen der Teezusammenkunft beteiligt sind (Ehmke a.a.O. S. 154 m.w.N.).
g) Die Klägerin ist schließlich auch keine Kunst-Lehrende. Dies wäre sie nur dann, wenn die von ihr gelegentlich vermittelten Lehrinhalte Kunst wären. Dies ist jedoch nicht der Fall; mit der Unterrichtung von deutschen Interessenten in der japanischen Teezeremonie gibt die Klägerin Teile des Wissens weiter, die sie in ihrer Tee-Schule erworben hat. § 2 S 1 KSVG bezieht jedoch nur solche Lehrer in das Sicherungssystem ein, die die Ausübung von Musik, darstellender oder bildender Kunst vermitteln (vgl. BSG SozR 3-5425 § 2 Nr. 7 m.w.N.); die Vermittlung kulturellen Wissens wird von dem KSVG nicht erfasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.