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B 13 RJ 5/02 R

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Berücksichtigung der Zeit vom 1. Februar 1962 bis zum 31. Dezember 1964 als Anrechnungszeit wegen schulischer Ausbildung neben einer versicherten Beschäftigung bei Berechnung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der 1939 geborene Kläger war zwischen Oktober 1954 und Dezember 1996 mit Unterbrechungen als Schreinerlehrling, -geselle und zuletzt als Schreinermeister versicherungspflichtig beschäftigt. In der Zeit zwischen Februar 1962 und Dezember 1964 befand er sich neben seiner Beschäftigung in einer 48-Stunden-Woche in der Meisterausbildung an der Fachschule für Holztechnik, Stuttgart, die mit der Ablegung der Meisterprüfung endete (Meisterprüfungs-Zeugnis der Handwerkskammer Stuttgart vom 13. April 1965).

Bei Berechnung der Rente des Klägers (Bescheid über die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 28. Januar 1998; Bescheid über die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 18. Juni 1998) berücksichtigte die Beklagte die Zeit seiner schulischen Ausbildung zum Schreinermeister nicht. Seinen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 1999 zurück, weil der Kläger über den Besuch der Kurse keine Nachweise habe vorlegen können und im Übrigen Vorbereitungskurse für die Meisterprüfung nur dann anrechenbar seien, wenn sich der wöchentliche Zeitaufwand für Unterricht, Vorbereitung etc auf 35 Stunden pro Woche belaufen hätte; da der Kläger durchgehend eine Ganztagstätigkeit ausgeübt habe, erscheine es unwahrscheinlich, dass er über einen so langen Zeitraum Vorbereitungskurse in einem solchen Umfang absolviert habe.

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts Ulm <SG> vom 25. April 2001; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg <LSG> vom 27. November 2001). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 58 Abs 4a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der Fassung des Art 6 Nr 2 des 4. Euro-Einführungsgesetzes (4. Euro-EinfG) seien Zeiten der schulischen Ausbildung neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit Anrechnungszeiten, wenn der Zeitaufwand für die schulische Ausbildung unter Berücksichtigung des Zeitaufwandes für die Beschäftigung oder Tätigkeit überwiege. Da der Kläger in der Zeit zwischen Februar 1962 und Dezember 1964 unstreitig als Schreiner mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden gearbeitet habe, könne der Zeitaufwand für den Besuch der Meisterkurse nur geringer als 48 Stunden gewesen sein; eine Beschäftigung mit 48 Stunden und eine zeitgleiche Ausbildung mit mehr als 48 Stunden wöchentlich seien nicht zu leisten gewesen. § 58 Abs 4a SGB VI sei auf das Begehren des Klägers auch anzuwenden, weil die Vorschrift nach Art 68 Abs 6 des 4. Euro-EinfG mit Wirkung vom 1. Januar 1997 in Kraft getreten sei, beim Kläger aber die Anspruchsvoraussetzungen für die Rentengewährung erst seit dem 4. August 1997 erfüllt seien. Das rückwirkende Inkrafttreten des § 58 Abs 4a SGB VI verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG). Der Gesetzgeber habe in verfassungsrechtlich zulässiger Weise Inhalt und Schranken des Eigentums iS des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG bestimmt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt, weil die monatliche Rente des Klägers ohne Berücksichtigung der Ausbildungszeiten nach einer Vergleichsberechnung der Beklagten nur um 1,27 DM niedriger ausfalle als bei deren Berücksichtigung. Eine unzulässige Rückwirkung durch das Inkrafttreten der Vorschrift zum 1. Januar 1997 liege nicht vor. Denn durch die Gesetzesänderung werde nicht nachträglich in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger einen Verstoß von § 58 Abs 4a SGB VI gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 GG sowie das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG und führt zur Begründung aus: Mit der rückwirkenden Einführung dieser Vorschrift werde seine Rentenanwartschaft beeinträchtigt. An die Rechtmäßigkeit eines Eingriffes in Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung könnten keine geringeren Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen gestellt werden als an die Rechtmäßigkeit eines Eingriffes in Zeiten, die einer unmittelbaren Beitragsleistung unterlägen. Die rückwirkende Einfügung des Absatzes 4a in den § 58 SGB VI sei auch unverhältnismäßig, weil diese Rückwirkung zur Erreichung des beabsichtigten Sparzieles nicht erforderlich gewesen sei. Sein, des Klägers, Vertrauensschutz gebiete zudem, rechtliche Positionen nicht nachträglich zu entwerten. Auch eine sog "unechte Rückwirkung" sei nur zulässig, wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen werde, mit dieser Regelung habe rechnen müssen, wenn das geltende Recht unklar und verworren gewesen sei, wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein habe verlassen dürfen oder wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet seien, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigten. Da keiner der vorgeschriebenen Fälle zutreffe, sei die rückwirkende Einführung des Absatzes 4a in den § 58 SGB VI verfassungswidrig.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. November 2001 sowie das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. April 2001 aufzuheben und die Beklagte in Abänderung der Bescheide vom 28. Januar und 18. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. September 1999 zu verurteilen, ihm höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter zusätzlicher Berücksichtigung einer Ausbildungs-/Anrechnungszeit vom 1. Februar 1962 bis 31. Dezember 1964 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung höherer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Berücksichtigung einer Anrechnungszeit wegen Ausbildung vom 1. Februar 1962 bis 31. Dezember 1964 neben einer Zeit der rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung.

Wie das LSG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt hat, kommt die Anrechnung der streitigen Zeit allein als beitragsgeminderte Zeit nach § 54 Abs 3 SGB VI in Betracht, weil zeitgleich Beiträge für eine versicherte Beschäftigung abgeführt worden sind. Neben einer versicherten Beschäftigung sind Zeiten einer schulischen Ausbildung gemäß § 58 Abs 4a SGB VI aber nur berücksichtigungsfähig, wenn der Zeitaufwand für die schulische Ausbildung unter Berücksichtigung des Zeitaufwands für die Beschäftigung oder Tätigkeit überwiegt. Da der Kläger nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) aber wöchentlich 48 Stunden versicherungspflichtig beschäftigt war, kommt nach dem nicht zu beanstandenden Schluss des LSG zeitgleich eine schulische Ausbildung des Klägers mit mehr als 48 Wochenstunden (= mehr als acht Stunden am Tag bei sechs Tagen in der Woche) nicht in Betracht. Da eine solche auch vom Kläger nicht behauptet wird, ist unerheblich, dass das LSG den entscheidungserheblichen Zeitraum - dh die Monate, in denen die Meisterausbildung stattgefunden hat - nicht näher bestimmt hat.

Zutreffend hat das LSG ausgeführt, dass § 58 Abs 4a SGB VI auf das Begehren des Klägers Anwendung findet. Da die Vorschrift nach Art 68 Abs 6 iVm Art 6 Nr 2 des 4. Euro-EinfG mit Wirkung zum 1. Januar 1997 in Kraft getreten ist, der Kläger aber die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erst ab dem 4. August 1997 erfüllt, war sie bei Eintritt des Versicherungsfalls geltendes Recht.

Das rückwirkende Inkrafttreten des § 58 Abs 4a SGB VI durch das 4. Euro-EinfG vom 21. Dezember 2000 verstößt weder gegen den in Art 14 Abs 1 Satz 1 GG verfassungsmäßig verbürgten Eigentumsschutz (vgl unten zu 1.) noch gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG (vgl unten zu 2.).

1. Art 14 GG ist nicht verletzt, weil das Anknüpfen an einen bestimmten Umfang einer schulischen Ausbildung für deren rentenrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit nicht unzulässigerweise in eine unter den Schutz des Eigentums nach Art 14 GG gestellte Rechtsposition eingreift. Nach stRspr des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) verschafft die Rentenanwartschaft den Versicherten zwar eine Rechtsposition, die vor allem wegen der einkommensbezogenen Beitragsleistungen derjenigen eines Eigentümers gleicht und deshalb auch dem Schutz der Eigentumsgarantie nach Art 14 GG unterliegt (BVerfGE 58, 81, 109 = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 10 und BVerfGE 75, 78, 97 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 461 jeweils mwN). Die konkrete Reichweite der Bestandsgarantie des Eigentums ergibt sich allerdings erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die Aufgabe des Gesetzgebers ist (Art 14 Abs 1 Satz 2 GG). Der Betroffene muss nur solche Einschränkungen seiner eigentumsrechtlich geschützten Position hinnehmen, die durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sind (BVerfGE 31, 275, 290 und BVerfGE 75, 78, 97 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 461 f). Dies setzt voraus, dass die Eingriffe zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich sein müssen, wobei sie den Betroffenen nicht übermäßig belasten dürfen, dh sie müssen zumutbar sein (BVerfGE 75, 78, 98 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 462; BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 14).

Soweit in bestehende Rentenanwartschaften eingegriffen wird, ist zu berücksichtigen, dass in ihnen von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt ist, weil das Rentenversicherungsverhältnis nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht. Rechtfertigende Gründe für Eingriffe liegen bei Regelungen vor, die dazu dienen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems im Interesse aller Versicherten zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen (BVerfGE 58, 81, 110 f = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 10 f - zur Begrenzung der Bewertung von Ausbildungs-Ausfallzeiten). Dabei tritt der verfassungsrechtlich wesentliche personale Bezug des Versicherten zu dieser Berechtigung und mit ihm ein tragender Grund des Eigentumsschutzes umso stärker hervor, je höher der zu Grunde liegende Anteil eigener Leistung ist (BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 14).

Mit Rücksicht hierauf ergibt sich eine gewisse Stufung des Schutzes: Die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung geht umso weiter, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug steht. Aber auch der Eingriff in eine Position, die beitragsunabhängig eine Vergünstigung gibt, muss in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehen (BVerfGE 58, 81, 114 = SozR 2200 § 1255a Nr 7 S 14 mwN). Gemessen an diesen Anforderungen verletzt die Einführung des Absatzes 4a in den § 58 SGB VI rückwirkend zum 1. Januar 1997 den Eigentumsschutz des Klägers nicht.

a) Die durch das 4. Euro-EinfG geänderte Anrechnung schulischer Ausbildungszeiten (neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit) beruht nicht auf eigenen Beitragsleistungen.

Ausbildungszeiten sind als Anrechnungszeiten gemäß § 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI nur anrechenbar, wenn nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen wird (Zeiten einer schulischen Ausbildung), insgesamt jedoch nur bis zu acht Jahren. Damit hat der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung getragen, dass jedes Berufsleben regelmäßig mit einer schulischen bzw berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme beginnt. Der Tatsache, dass infolge dessen in dieser Zeit auch niedrigere Entgelte erzielt werden, hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit in unterschiedlicher Weise Rechnung getragen (vgl hierzu im Einzelnen: BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 14). Allen Ausbildungen zur beruflichen Vorbereitung - aber auch den berufsbegleitenden Ausbildungen, die in § 58 Abs 4a SGB VI angesprochen sind - gemein ist, dass eine rentenrechtliche Berücksichtigung stattfindet, obwohl eine eigene Beitragsleistung während dieser Zeiten nicht erbracht worden ist.

b) Die Einführung der Bestimmung, dass berufsbegleitende schulische Ausbildungszeiten nur (noch) rentensteigernd in der Erwerbsbiografie berücksichtigt werden sollen, wenn sie die versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit überwiegen, ist nicht unverhältnismäßig. Das 4. Euro-EinfG hat die Möglichkeit einer Anrechnung von schulischen Ausbildungszeiten neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit nicht völlig gestrichen, sondern lediglich erhöhte Anforderungen für eine solche parallele Anrechenbarkeit aufgestellt. Damit hat es die Bedeutung einer Versicherungszeit, die auf Grund eigener Beitragsleistungen anrechenbar ist, entsprechend dem Versicherungsprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung in den Vordergrund gerückt. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass bei einer überwiegend erbrachten versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit (beim Kläger: 48 Stunden pro Woche) die maßgebliche Arbeitsleistung eines Versicherten in das Versicherungs- und Beitragsverhältnis eingeflossen ist. Die (überwiegende) abhängige Arbeitsleistung des Versicherten hat sich mithin in seiner Versicherungsbiografie niedergeschlagen. Eine daneben durchgeführte schulische Ausbildung (ohne Beitragsleistung) bedarf keiner besonderen Absicherung mehr, zumal Zeiten ohne Beitragsleistung in der Rentenversicherung ohnehin nur unter bestimmten Voraussetzungen - als Ausnahme vom Versicherungsprinzip - und nur für einen begrenzten Zeitraum angerechnet werden.

c) Durch die Einfügung des Absatzes 4a in den § 58 SGB VI hat der Gesetzgeber die zuvor nicht klar umrissenen Voraussetzungen für die Anrechnung einer schulischen Ausbildungszeit neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit konkretisiert. Die Frage, wann eine im Rentenversicherungsrecht erhebliche schulische Ausbildung anzunehmen sei, war im Gesetz nicht geregelt und in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) umstritten: Bei der Anerkennung von Ausbildungszeiten als Ausfallzeiten (nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b Angestelltenversicherungsgesetz und § 1259 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b Reichsversicherungsordnung) hatten der 4. und 5. Senat des BSG die Auffassung vertreten, dass eine Ausbildung nur vorliege, wenn der Schüler oder Auszubildende mehr als 40 Stunden pro Woche durch sie in Anspruch genommen werde (BSG Urteile vom 9. Juni 1986 - 4/11a RA 68/87 - und vom 3. Februar 1988 - 5/5b RJ 50/87 - beide veröffentlicht in Juris). Auch der früher für die Arbeiterrentenversicherung zuständige 12. Senat und der bis zum 31. Dezember 1987 für die Angestelltenversicherung zuständige 11. Senat hatten diese Rechtsprechung geteilt (vgl BSGE 39, 156 = SozR 2200 § 1267 Nr 8 und BSGE 43, 44 = SozR 2200 § 1262 Nr 9 sowie Urteil vom 25. August 1987 - 11a RA 26/86 - veröffentlicht in Juris). Dabei hatte die Rechtsprechung der genannten Senate die Obergrenze für die wöchentliche Gesamtbelastung auf 60 Stunden festgelegt.

Der 10. Senat des BSG hat im Urteil vom 23. August 1989 (SozR 5870 § 2 Nr 64) diese zumutbare Gesamtbelastung hingegen für zu hoch gehalten und die Belastbarkeitsgrenze im Regelfall auf 48 Stunden pro Woche reduziert. Ausgehend von der Zumutbarkeitsanordnung der Bundesanstalt für Arbeit und einer üblichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden hat er sich daran orientiert, dass eine Halbtagsbeschäftigung regelmäßig 20 Stunden pro Woche ausmache; er hat daher eine berücksichtigungsfähige Ausbildungszeit (im Kindergeldrecht) angenommen, wenn für diese - bei einer Arbeitsbelastung von etwa 18 bis 19 Wochenstunden - jedenfalls eine Zeitdauer von 20 Stunden pro Woche verblieb.

Mit der Regelung der Berücksichtigungsfähigkeit einer Ausbildungszeit neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit hat der Gesetzgeber des 4. Euro-EinfG an die - vor Einführung einer "beitragsgeminderten Zeit" durch § 54 Abs 1 Nr 3, Abs 3 Satz 1 SGB VI - ergangene Rechtsprechung des BSG angeknüpft und diese vereinheitlicht. Dabei wollte er insbesondere der Tatsache Rechnung tragen, dass die Anrechnung einer schulischen Ausbildung neben einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit (beitragsgeminderte Zeit) durchaus auch zu einer spürbaren Minderung der Rentenhöhe führen konnte, wenn nämlich die dadurch als beitragsgemindert anzusehende Beitragszeit relativ hohe Werte erreichte. Durch die Ergänzung der Vorschrift über Anrechnungszeiten ist nunmehr - wie vor der Rechtsänderung iS der Rechtsprechung des BSG - gewährleistet, dass bei Prüfung der überwiegenden Inanspruchnahme von Zeit und Arbeitskraft für die schulische Ausbildung auch die Belastung durch eine parallel ausgeübte versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zu berücksichtigen ist. Damit wird ausgeschlossen, dass Personen, die neben einer versicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung zB eine Abendschule mit einem Zeitaufwand von 25 Stunden wöchentlich besuchen, diese Zeit als Anrechnungszeit anerkannt bekommen. Die zeitgleiche Beitragszeit bleibt damit vollwertig und kann nicht mit niedrigeren beitragsgeminderten Zeiten wegen beruflicher Ausbildung verrechnet werden, was weiterhin deren Aufwertung ermöglicht (vgl Amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum 4. Euro-EinfG, BT-Drucks 14/4375, Teil B, S 53 zu Art 6 Nr 2).

Der Gesetzgeber war auch nicht gehalten, die rentenrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit einer schulischen Ausbildung in Wochenstunden auszudrücken. Im Ergebnis stimmt die Regelung in § 58 Abs 4a SGB VI (ab 1. Januar 1997) mit den Ausführungen des 10. Senats des BSG im Urteil vom 23. August 1989 (SozR 5870 § 2 Nr 64) überein, wonach eine berücksichtigungsfähige Ausbildungszeit nur dann anzunehmen sei, wenn für diese mehr Zeit pro Woche aufgewendet worden ist, als für die versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit.

Im Übrigen wäre der Kläger auch nach der zur Rechtslage vor Einführung des § 58 Abs 4a SGB VI ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung mit seiner Klage nicht erfolgreich gewesen. Bei der in den oben zitierten Entscheidungen des BSG angenommenen höchsten Belastungsgrenze eines Versicherten von 60 Wochenstunden wären neben der festgestellten Wochenarbeitszeit des Klägers in seinem Beruf von 48 Stunden maximal zwölf Stunden für eine - berücksichtigungsfähige - Ausbildung (Meisterschulung) verblieben. Eine schulische Belastung in diesem Rahmen hätte aber nach der Rechtsprechung des BSG nicht zur Annahme einer "erheblichen" schulischen Ausbildung iS des § 58 Abs 1 Nr 4 SGB VI geführt.

2. Die Regelung ist zum 1. Januar 1997 in Kraft getreten, weil von diesem Zeitpunkt an die Bewertung der Pflichtbeiträge zu Beginn des Berufslebens durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz geändert wurde und seither die oben angesprochenen nachteiligen Wirkungen zu Tage traten (vgl Amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum 4. Euro-EinfG, BT-Drucks 14/4375, Teil B, S 53 zu Art 6 Nr 2).

Die Anwendung des § 58 Abs 4a SGB VI auf Sachverhalte, die vor Verkündung des 4. Euro-EinfG am 29. Dezember 2000 angelegt waren, verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG. Eine (echte) Rückwirkung in Form der Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 58 Abs 4a SGB VI liegt nicht vor. Die Regelungen des 4. Euro-EinfG greifen nicht ändernd in die Rechtslage ein, die vor ihrer Verkündung für rentenbeziehende Versicherte bestanden hat. Der Kläger ist allein deshalb von der Änderung betroffen, weil bei ihm der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach dem 1. Januar 1997 eingetreten ist.

Die Rechtsänderung beeinträchtigt zwar (im vorliegenden Einzelfall) nachträglich eine in der Vergangenheit begründete Rechtsposition des Klägers und stellt sich deshalb als eine tatbestandliche Rückanknüpfung iS der Rechtsprechung des BVerfG dar. Die Vorschrift ist jedoch nicht allein deshalb verfassungsrechtlich unzulässig. Die Grenzen einer derartigen "unechten Rückwirkung" ergeben sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Diese sind aber erst dann überschritten, wenn der Eingriff zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfGE 95, 64, 86 und BVerfGE 101, 239, 263 f). Das Vertrauen der Betroffenen ist danach enttäuscht, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte, den er also bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte (BVerfGE 72, 141 = SozR 2200 § 1265 Nr 78). Eine solche Enttäuschung des Vertrauens derjenigen Versicherten, die berufsbegleitende schulische Ausbildungszeiten vor dem 1. Januar 1997 zurückgelegt haben, liegt zur Überzeugung des Senats nicht vor.

Im Rahmen des Art 14 Abs 1 Satz 2 GG hat der Gesetzgeber die Befugnis, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen; er kann insbesondere Maßnahmen zur Beseitigung von Doppelleistungen ergreifen (BVerfGE 70, 101 = SozR 2200 § 1260c Nr 17; BVerfGE 31, 185 = SozR Nr 18 zu Art 14 GG und BVerfG SozR 2200 § 1278 Nr 11). Diese können sich auch auf bereits bestehende Leistungsansprüche auswirken. Aus der Eigentumsgarantie kann eine Verpflichtung zur allgemeinen Besitzstandswahrung sozialer Rechte nicht hergeleitet werden. In ihnen ist von vornherein die Möglichkeit von Änderungen in gewissen Grenzen angelegt. Eine Unabänderlichkeit der bei Rentenbeginn bestehenden Bedingung widerspräche dem Rentenversicherungsverhältnis, das im Unterschied zum Privatversicherungsverhältnis von Anfang an nicht auf dem reinen Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auf dem Gedanken der Solidarität und des sozialen Ausgleichs beruht (BVerfGE 70, 101 = SozR 2200 § 1260c Nr 17; BSG SozR 3-2600 § 93 Nr 3).

Vorliegend hat der Gesetzgeber zwar nicht Doppelleistungen iS der vorgenannten Rechtsprechung des BVerfG abgebaut. Er hat jedoch klar gestellt, dass eine berufsbegleitende schulische Ausbildung nur dann zu einer rentenrechtlichen Begünstigung führen soll, wenn diese schulische Ausbildung den Zeitaufwand für die versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit überwiegt. Auch dieser Regelung liegt der Gedanke zu Grunde, dass eine versicherungsrechtlich relevante Zeit nicht doppelt in eine Versicherungsbiografie einfließen darf: Wird bereits in einem erheblichen Umfang rentenversicherungspflichtig gearbeitet und fließt daher die Zeit (in vollem Umfang) in die Versicherungsbiografie ein, soll dieselbe Zeit nicht noch einmal - ohne Beitragsleistung - als Zeit der schulischen Ausbildung (Anrechnungszeit) in der Versicherungsbiografie berücksichtigt werden. Das Vertrauen eines Versicherten in eine solche - doppelte - Berücksichtigung einer rentenversicherungsrechtlich relevanten Zeit für die spätere Gewährung einer "beitragsgerechten" Rente ist jedenfalls - zumal Ausbildungszeiten mit einer Beitragsentrichtung nicht verbunden sind - nicht schutzwürdig.

Überdies führt die Neuregelung nicht zu einer erheblichen Minderung des Rentenanspruchs des Klägers. Nach den den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG würde sich der monatliche Rentenzahlbetrag bei Berücksichtigung der schulischen Ausbildungszeit als Anrechnungszeit neben seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung - ausgehend von einem monatlichen Rentenanspruch des Klägers in Höhe von 2.367,30 DM - um lediglich 1,27 DM monatlich erhöhen.

Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des § 58 Abs 4a SGB VI ist aber von ausschlaggebender Bedeutung, dass der Gesetzgeber mit dieser in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der Konsolidierung der Rentenversicherung konzipierten Regelung (auch) eine größere Beitragsgerechtigkeit anstrebte (vgl hierzu: BVerfGE 70, 101 = SozR 2200 § 1260c Nr 17). Es ging dem Gesetzgeber ersichtlich darum, eine von ihm als ungerecht empfundene Privilegierung abzubauen. Zudem gibt es keinen Gesichtspunkt, der es als möglich erscheinen ließe, mit der Doppelanrechnung einer Zeit der (vollen) Beschäftigung und der Zeit einer gleichzeitigen schulischen Ausbildung werde ein sozialpolitisch erwünschter oder jedenfalls einsichtiger Effekt verfolgt.

Soweit der Kläger auf den volkswirtschaftlichen Nutzen von Ausbildungen für die Solidargemeinschaft abstellt, weil ein hohes Bildungsniveau und damit steigende Löhne sowie krisenfeste Arbeitsplätze ein hohes Beitragsniveau gewährleisteten, ist dem entgegenzuhalten, dass eben diese Vorzüge dem Kläger auch ein höheres Rentenniveau erbringen. Einer doppelten Anrechnung sowohl der (gestiegenen) Löhne bei krisenfestem Arbeitsplatz und höherem Beitragsniveau als auch der hierzu führenden schulischen Ausbildungszeiten (neben einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit) bedarf es nicht. Vielmehr läge hierin eine doppelte Begünstigung des Versicherten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

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