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B 3 KR 18/00 R

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG).

Die 1962 geborene Klägerin hat den Beruf der Damenschneiderin erlernt sowie erfolgreich Kunstgeschichte und Archäologie studiert. Nach mehrjähriger Tätigkeit in der Textilrestaurierung beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege und bei anderen Stellen arbeitete sie von August 1993 bis Ende März 1996 an einem Braunschweiger Museum. Seit April 1996 übt sie die Tätigkeit einer Textilrestaurateurin selbständig aus. Im August 1996 meldete sie sich erstmalig bei der Beklagten. Nach dem Einkommensteuerbescheid für 1996 erwirtschaftete sie ca. 12.000 DM aus selbständiger und ca. 6.500 DM aus nichtselbständiger Arbeit. In der Beschreibung ihrer Tätigkeit gab sie gegenüber der Beklagten an, im Vordergrund stehe der Erhalt textilen Kunst- und Kulturgutes. Dies erfordere eine Vielzahl von geistigen und manuellen Arbeitsschritten.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 2. September 1996 fest, daß die Klägerin nicht der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliege, weil sie lediglich Kulturgüter, nicht aber Kunstwerke restauriere. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, eine derartige Abgrenzung sei sinnwidrig. Außerdem habe sie zumindest während ihrer abhängigen Beschäftigung "Kunstwerke" restauriert. Dies strebe sie auch für die Zukunft an. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. November 1996).

Im nachfolgenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) eine Auskunft der Handwerkskammer für Oberfranken sowie ein Gutachten des Grafikers, Malers und Bildhauers R.P. (Berufsverband bildender Künstler N. e.V., federführend für den Gutachterausschuß "Bildende Kunst" für die steuerliche Veranlagung freischaffender Künstler im Bereich der Oberfinanzdirektion <OFD> Nürnberg) eingeholt und die Klage mit Urteil vom 27. Januar 1999 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts <LSG> vom 26. Oktober 2000). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, der Beruf des Restaurators sei nicht in der Auflistung des § 2 der Verordnung zur Durchführung des KSVG enthalten. Das allein schließe zwar die Künstlereigenschaft i.S. des § 2 KSVG noch nicht aus; doch spreche auch die allgemeine Verkehrsauffassung und der Regelungszweck des KSVG nicht dafür, die durchaus anspruchsvolle Tätigkeit der Klägerin als "Kunst" zu werten. Es fehle an einer eigenschöpferischen Leistung. Zwar sei die Klägerin nicht in die Handwerksrolle eingetragen, doch werde sie in einschlägigen fachkundigen Kreisen auch nicht als Künstlerin anerkannt. Sie habe weder an Kunstausstellungen teilgenommen noch sei sie Mitglied von Künstlervereinen oder in einem Künstlerlexikon aufgeführt. Auszeichnungen als Künstlerin oder andere Formen der Anerkennung seien ihr nicht zuteil geworden. Bei der Restauration gehe es um die Wiederherstellung von untergegangenen Teilen eines Kunst- oder Kulturgutes; das Ziel sei gerade die identische Wiederherstellung und nicht die erstmalige Realisierung einer eigenen Idee. Dies werde auch aus einer Tätigkeitsbeschreibung des Restaurators in den Blättern zur Berufskunde der Bundesanstalt für Arbeit deutlich.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 1 und 2 KSVG: Zwar sei sie nicht, wie es das Bundessozialgericht (BSG) für die Abgrenzung von Handwerk und Kunst fordere, in einschlägigen Fachkreisen als Künstlerin anerkannt. Dieses Abgrenzungskriterium sei hier aber nicht anwendbar. Es sei nicht zu bestreiten, daß sie teilweise handwerkliche Arbeiten ausführe. Ihre Tätigkeit werde jedoch dadurch wesentlich geprägt, daß sie aus nur noch fragmentarisch vorhandenen Objekten eine teilweise Neuanpassung, Wiederherstellung oder Neuschaffung vornehme. Hierbei handele es sich um künstlerische Tätigkeiten.

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des Landessozialgerichts vom 26. Oktober 2000 und das Urteil des Sozialgerichts vom 27. Januar 1999 zu ändern sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. September 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 1996 aufzuheben und festzustellen, daß die Klägerin seit dem 1. April 1996 der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und sozialen Pflegeversicherung unterliegt.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß es der Klägerin an der Künstlereigenschaft fehlt.

Nach § 2 Satz 1 KSVG i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I 2606) geändert durch Gesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl. I 1014) ist Künstler i.S. des KSVG, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß das KSVG damit eine an der Typologie der Ausübungsformen orientierte Einteilung in Kunstgattungen vornimmt, die zur Differenzierung bei der Abgabenerhebung dient (vgl. die §§ 1 und 2 KSVG i.d.F. des Gesetzes vom 20. Dezember 1988 - BGBl. I 2606 - geändert durch Gesetz vom 26. Mai 1994 - BGBl. I 1014), den Kunstbegriff jedoch nicht materiell definiert. Dieser Begriff ist vielmehr aus dem Regelungszweck des KSVG, der historischen Entwicklung und der allgemeinen Verkehrsauffassung zu erschließen. Der Kunstbegriff des KSVG setzt in jedem Fall eine eigenschöpferische Leistung voraus, für die angesichts des Zwecks der Künstlersozialversicherung - Schutz gerade auch des weniger erfolgreichen Künstlers - allerdings ein relativ geringes Niveau ausreicht (vgl.. zuletzt Urteile vom 20. März 1997, - 3 RK 15/96 -, BSGE 80, 136 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 5 - Musikinstrumentenbauer -; vom 24. Juni 1998, - B 3 KR 13/97 R -, BSGE 82, 164 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 8 - Feintäschner -; B 3 KR 11/97 R = SozR 3-5425 § 25 Nr. 11 - Fotograf - und vom 26. November 1998, - B 3 KR 12/97 R -, BSGE 83, 160 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 9 - Berufsringer -; vgl. zur Zielrichtung des KSVG auch: BT-Drucks. 9/26, S. 18 zu § 2 und 8/3172, S. 19 ff. sowie zum Kunstbegriff des Art. 5 GG: BVerfGE 30, 173, 188 ff. sowie 81, 108, 116).

Der Restaurator historischer Textilien erbringt auch dann, wenn er für seine Tätigkeit neben einer handwerklichen Ausbildung (hier: Ausbildung als Schneiderin) eine wissenschaftliche Vorbildung benötigt, grundsätzlich eine technisch-manuelle und keine künstlerische Leistung i.S. von § 2 Abs. 1 KSVG. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, daß der Beruf des Restaurators nicht im Verzeichnis der Gewerbe aufgeführt ist, die als Handwerk (Anlage A zur HandwO) oder handwerksähnlich (Anlage B zur HandwO) betrieben werden können. Das besagt nur, daß es sich nicht um einen Handwerksberuf handelt, wenn er auch zumeist auf einer handwerklichen Ausbildung, etwa als Tischler, Stukkateur, Goldschmied oder - wie hier - als Schneiderin, aufbaut. Das LSG hat zu Recht darauf abgestellt, daß der Restaurator vordringlich die originalgetreue Wiederherstellung eines teilweise untergegangenen Kunst- oder Kulturgutes anstrebt, nicht aber die erstmalige Realisierung einer eigenen Idee. Der Restaurator versucht gerade nicht, worauf der Senat zuletzt in seiner Entscheidung zum Tiermodellbauer (Urteil vom 30. Januar 2001, SozR 3-5425 § 2 Nr. 13) abgestellt hat, mit seinen Werken in freier Gestaltung eine ideell-ästhetische Wirkung zu erreichen, sondern lediglich ein bereits existierendes Werk und die von ihm ausgehende Wirkung wieder herzustellen.

Daß es sich beim Beruf des Restaurators um eine technische, handwerksähnliche Tätigkeit handelt, hat das LSG zutreffend auch den Blättern zur Berufskunde der Bundesanstalt für Arbeit entnommen. Danach benötigt der Restaurator neben den manuell handwerklichen Fähig- und Fertigkeiten und dem Wissen historischer Herstellungstechniken zwar auch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen sowie kunsthistorisches und künstlerisches Verständnis, ist bei der Arbeit am Restaurierungsobjekt selbst aber nicht künstlerisch tätig. Er muß seine eigene Kreativität gerade hinter diejenige des Schöpfers des zu restaurierenden Werkes zurückstellen. Dieselbe Einschätzung kommt in der Äußerung des Vertreters des Gutachterausschusses "Bildende Kunst" für die steuerliche Veranlagung freischaffender Künstler im Bereich der OFD N. zum Ausdruck.

Die Tätigkeit des Restaurators wird auch in der Rechtsprechung der Finanz- und Verwaltungsgerichte ganz überwiegend nicht als künstlerische angesehen (vgl. Maaßen, Kunst oder Gewerbe? 2. Aufl. 1996, RdNrn 276-281, 586-591 sowie 732-736 m.w.N.). Lediglich das Finanzgericht Düsseldorf (DStZ/E 1967, 492, 493) hat nach dem Gegenstand der Restaurierungsobjekte differenziert: Während die schlichte Reparatur von Gegenständen, auch wenn sie noch so kunstgerecht erfolge, die Anerkennung einer künstlerischen Tätigkeit nicht zulasse, verhalte es sich beim Restaurieren von alten Stuckdecken, Säulen und Ornamenten anders. Eine solche Arbeit verlange neben handwerklichen Kenntnissen auch Einfühlungsvermögen in das Schaffen alter Meister. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat dagegen offengelassen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Restauratorentätigkeit künstlerisch sein kann. Wenn die Arbeit des Restaurators ein unauflösbares Konglomerat aus wissenschaftlichen, handwerklichen und künstlerischen Elementen darstelle und ein Überwiegen der künstlerischen Elemente nicht feststellbar sei, dann brauche von vornherein nicht geprüft zu werden, ob dem Restaurator bei seiner Arbeit jeweils ein ausreichender künstlerischer Gestaltungsspielraum zur Verfügung gestanden habe; seine Tätigkeit sei dann insgesamt als gewerblich einzustufen (BFH BStBl. II 1994, 864).

Der Auffassung, daß es bei der Einordnung als künstlerische Tätigkeit auf die Art des zu restaurierenden Objekts ankomme, folgt der Senat nicht. Im Hinblick auf die Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung ist entscheidend, daß bei der Tätigkeit eines Restaurators eigenschöpferische Elemente allenfalls im Hintergrund stehen. Selbst die Arbeit an schwierigsten Restaurationsobjekten mit qualitativ herausragenden Ergebnissen, die hohes künstlerisches Einfühlungsvermögen voraussetzen und sich bei einschlägig Interessierten höchster Wertschätzung erfreuen, wird geprägt durch die Respektierung der künstlerischen Vorgaben des Schöpfers des Originals. Das gilt selbst noch dann, wenn das Original nur noch rudimentär vorhanden und der Restaurator weitgehend auf Mutmaßungen über das Aussehen des Originals angewiesen ist. Die dabei zu erbringende Leistung ist ebenfalls noch handwerklich-wissenschaftlicher Art: zur Kunst wird sie erst, wenn sich der Bearbeiter erkennbar vom Original löst und dadurch etwas Neues herstellt. Der Senat hat wiederholt deutlich gemacht, daß der Kunstbegriff des KSVG eine eigenschöpferische (originäre) Leistung voraussetzt und hiervon auch im Hinblick auf ein besonders hohes technisch-handwerkliches Leistungsniveau nicht abgewichen werden kann (vgl. SozR 3-5425 § 2 Nr. 5 - Musikinstrumentenbauer). Auch die von der Klägerin geltend gemachten besonderen Fähigkeiten im wissenschaftlichen Bereich können das Fehlen eines die Tätigkeit prägenden eigenschöpferischen Elementes nicht ersetzen (vgl. SozR 3-5425 § 2 Nr. 7 - Kunsthistorikerin). Die Tätigkeit des Restaurators kann deshalb nicht als künstlerische i.S. von § 2 KSVG angesehen werden. Etwas anderes kann allenfalls bei Restauratoren gelten, die neben der eigentlichen Restaurationstätigkeit in nennenswertem Umfang eigenständig Werke herstellen, auch wenn hierbei bekannte Werke als Vorlage dienen. Dann sind sie wegen dieses Tätigkeitsbereiches als Künstler einzustufen. Auch ist es denkbar, daß beschädigte oder zerstörte Kunst- oder Kulturgüter bewußt nicht originalgetreu wiederhergestellt, sondern als Basis genommen werden, um eigenständige neue Werke daraus herzustellen; dies ist insbesondere auf dem Gebiet der Architektur häufig der Fall. Dann wird ebenfalls eine eigenständige schöpferische Leistung erbracht und damit Kunst ausgeübt. Nach den Feststellungen des LSG können solche Fallgestaltungen hier aber nicht angenommen werden; die Klägerin bringt nicht auf der Basis historischer Kunstwerke erklärtermaßen auch neuartige Formen und Anschauungen zum Ausdruck.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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