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B 3 KR 11/00 R

Tatbestand

Der Kläger, der Biologie mit Diplomabschluß studiert hat, beantragte am 14. März 1996 die Feststellung seiner Versicherungspflicht nach dem Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten (Künstlersozialversicherungsgesetz <KSVG>). Dazu gab er an, er verfasse für Zeitschriften vorwiegend zoologisch-ökologische Beiträge, fertige auch grafische Darstellungen an und wirke in Film und Fernsehen, insbesondere bei Zeichentrickfilmen, verfassend, redigierend, wissenschaftlich beratend, übersetzend, grafisch gestaltend und Regie führend mit; das entsprechende Einkommen schätze er für 1996 bei etwa 70 Arbeitstagen auf 18.000 DM. Außerdem stelle er plastische Modelle ausgestorbener Tiere für naturwissenschaftliche Museen in Originalgröße her, wodurch er 1996 bei etwa 200 Arbeitstagen schätzungsweise 40.000 DM verdienen werde. Die Beklagte stellte hinsichtlich des erstgenannten Tätigkeitsfeldes ab dem 14. März 1996 Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten fest. In der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der sozialen Pflegeversicherung bestehe hingegen Versicherungsfreiheit, da der Kläger mit dem Modellbau eine nichtkünstlerische Tätigkeit mehr als geringfügig ausübe; denn bei der Rekonstruktion ausgestorbener Tiere werde keine eigenschöpferische Gestaltung verlangt (Bescheid vom 15. Juli 1996 und Widerspruchsbescheid vom 20. November 1996).

Im Klageverfahren hat der Kläger den künstlerischen Charakter seiner Tätigkeit als Tiermodellbauer geltend gemacht, die weniger an Vorgaben gebunden sei als etwa das naturgetreue Malen eines Objektes. Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 4. Mai 1998). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers auch die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht nach dem KSVG ab dem 14. März 1996 festgestellt (Urteil vom 16. Juni 2000). Das LSG hat ausgeführt, das Modellieren ausgestorbener Tiere entspreche den Gattungsanforderungen der Bildhauerkunst (in Form der Plastik) im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des KSVG <KSVGDV> und sei deshalb eine künstlerische Tätigkeit im Sinne des § 2 KSVG.

Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung von § 5 in Verbindung mit § 2 KSVG. Sie macht geltend, die Typologie der Ausübungsformen in § 2 KSVG und den §§ 1, 2 KSVGDV diene der Differenzierung bei der Abgabenerhebung, nicht aber der materiellen Definition des Kunstbegriffs. Bei diesem seien vielmehr die anerkannten Kunstrichtungen und die Zuordnung zu einem künstlerischen Beruf zu berücksichtigen. Die Rekonstruktion ausgestorbener Tiere könne nicht der Bildhauerkunst zugeordnet werden; insoweit sei eine allgemeine Verkehrsauffassung weder festgestellt noch behauptet worden. Auch das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Eigenschöpferische als etwas Neues, das über das Gegenständliche hinausgehe und unmittelbarer Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers und seines Gestaltungsspielraums sei, liege hier nicht vor. Es bestehe eine derartige Verkehrsauffassung weder bei bildenden Künstlern, noch bei den Besuchern in naturkundlichen Museen, die auch nicht der Wirkbereich von Kunst seien. Das Nachbilden von Tieren sei ebensowenig Kunst wie der Nachbau historisch, archäologisch oder paläontologisch bedeutsamer Gegenstände; zudem müsse sich der Kläger an wissenschaftliche Vorgaben halten. Die für die Abgrenzung zwischen Kunst und Kunsthandwerk maßgebliche „Anerkennung in Fachkreisen“ habe vom LSG nicht festgestellt werden können.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Juni 2000 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 4. Mai 1998 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Kläger nach § 2 Satz 1 KSVG vom 27. Juli 1981 (BGBl I, 705 mit den Änderungen vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2606, und vom 26. Mai 1994, BGBl I 1014) ab 14. März 1996 auch in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versicherungspflichtig ist. Der Kläger übt als Tiermodellbauer entgegen der Auffassung der Beklagten eine künstlerische Tätigkeit und damit keine „nicht unter § 2 fallende selbständige Tätigkeit“ aus (§ 5 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 KSVG). Ein Befreiungstatbestand liegt nicht vor. Bereits im Antragsjahr 1996 überschritt der Kläger mit seinem Einkommen aus künstlerischer und publizistischer Tätigkeit ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) und ein Sechstel seines Gesamteinkommens (§ 3 Abs. 1 KSVG).

Nach § 2 Satz 1 KSVG ist Künstler im Sinne des KSVG, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Der Senat geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß das KSVG damit eine an der Typologie der Ausübungsformen orientierte Einteilung in Kunstgattungen vornimmt, die zur Differenzierung bei der Abgabenerhebung dient (vgl. die §§ 1 und 2 KSVGDV), den Kunstbegriff jedoch nicht materiell definiert. Dieser Begriff ist vielmehr aus dem Regelungszweck des KSVG, der historischen Entwicklung und der allgemeinen Verkehrsauffassung zu erschließen. Immer ist dem Kunstbegriff im Sinne des KSVG eine eigenschöpferische Leistung immanent, für die angesichts des Zwecks der Künstlersozialversicherung - Schutz gerade auch des weniger erfolgreichen Künstlers - allerdings ein relativ geringes Niveau ausreicht (vgl. zuletzt Urteile vom 20. März 1997, - 3 RK 15/96 -, BSGE 80, 136 = SozR 5425 § 2 Nr. 5 - Musikinstrumentenbauer -; vom 24. Juni 1998, - B 3 KR 13/97 R, BSGE 82, 164 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 8 - Feintäschner - und - B 3 KR 11/97 R = SozR 3-5425 § 25 Nr. 11 - Fotograf -; vom 26. November 1998, - B 3 KR 12/97 R, BSGE 83, 160 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 9 - Berufsringer -; vergleiche zur Zielrichtung des KSVG auch: BT-Drucks. 9/26, S. 18 zu § 2 und 8/3172, S. 19 ff sowie zum Kunstbegriff des Art 5 GG, BVerfGE 30, 173, 188 ff sowie 81, 108, 116).

Mit der Rekonstruktion eines ausgestorbenen Tieres - d.h. dem Herstellen eines plastischen Modells dieses Tieres (in Originalgröße oder verkleinert) - erbringt der Kläger nicht eine lediglich handwerkliche oder technisch-manuelle, sondern eine künstlerische Leistung im Sinne von § 2 Abs. 1 KSVG. Dabei muß der Kläger zunächst die verfügbaren (natur-)wissenschaftlichen Unterlagen wie aufgefundene Versteinerungen oder entsprechende Funde von verwandten Tieren heranziehen und wissenschaftliche Abhandlungen über das Tier, seine natürliche Umwelt und seine Lebensweise auswerten. Mit Hilfe dieser Unterlagen muß er sich eine Vorstellung von den wissenschaftlich gesicherten oder wahrscheinlichen Grundstrukturen des Tieres wie ungefähre Gestalt, Größe und Proportionen verschaffen. Danach muß er sich Gedanken machen, wie diejenigen Elemente ausgesehen haben könnten, über welche die Wissenschaft nur wenig oder nichts aussagen kann - weil sie in den Versteinerungen nicht oder kaum zum Vorschein kommen -, wie etwa Beschaffenheit der Haut, Augen, Körperhaltung, Gesamtaussehen und -ausdruck. Schließlich muß er alles in eine dreidimensionale Form umsetzen - nach dem Vortrag des Klägers unter Verwendung von „gießbaren Materialien, Metallen und Kunststoffen“ - und dabei handwerkliches Geschick sowie ein erhebliches Maß an Gestaltungskraft und Phantasie entwickeln. Sein Ziel ist es, dem Modell „Leben einzuhauchen“, d.h. eine anschauliche Gestalt zu finden, bei der auch ein objektiver Betrachter die Überzeugung gewinnt, daß das Tier so ausgesehen haben könnte.

Diese Tätigkeit kann - im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten - nicht als bloß handwerklich eingestuft werden. Die Handwerksordnung (HwO) kennt zwar zum Beispiel auch die Berufe des (Holz-)Modellbauers, des Metallbildners und des Stein- oder Holzbildhauers (vgl. Anlage zu § 1 Abs. 2 HwO, III Nr. 42, II Nr. 33, I Nr. 11 und III Nr. 44). Der Kläger arbeitet jedoch mit „gießbaren Materialien, Metallen und Kunststoffen“ und läßt sich schon von daher nicht in das - in erster Linie historisch geprägte - Berufsbild der genannten Handwerksberufe einordnen. Die Tätigkeit des Klägers geht auch über die technisch-manuelle, im wesentlichen konservierende Arbeit eines „Präparationstechnischen Assistenten“ hinaus. Dieser staatlich anerkannte Ausbildungsberuf (vgl. zum folgenden etwa den Ausbildungsplan des Berufskollegs der Stadt Bochum) ist zwar auch darauf ausgerichtet, anhand von Fossilien zu versuchen, die Fundstücke zu einem Ganzen zusammenzufügen, um sich ein Bild vom Körperbau des Tieres zu machen, woraus sich wiederum - auch durch Vergleich mit lebenden Tieren - Schlüsse auf dessen Lebensweise ziehen lassen. Zu diesem Berufsbild gehört es aber nicht, lebensnahe Modelle anzufertigen, um sie in Museen auszustellen. Für diese Aufgabe werden nach den vom LSG eingeholten Auskünften von naturwissenschaftlichen Museen zur Erzielung besonders effektvoller Darstellungen („Blickfang“ am Eingang u.ä.) vor allem anerkannte Künstler, insbesondere Bildhauer, herangezogen. Soweit auch Präparatoren mit dieser Aufgabe betraut werden, betätigen sie sich außerhalb ihres eigentlichen Berufsbildes; welches Niveau sie in diesem Rahmen erreichen, kann daher dahinstehen.

Der Kläger übt mit seiner Tätigkeit als Tiermodellbauer - auch nach seinem eigenen Anspruch - allerdings auch nicht die Kunst eines Bildhauers (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 1 KSVGDV) aus, wie das LSG gemeint hat; insbesondere ist er nicht schon deshalb, weil er in diese Kunstrichtung als einer der drei klassischen Gattungen der bildenden Kunst neben der Malerei und der Graphik (vgl. Brockhaus, Die Enzyklopädie, 20. Aufl., Bd 3, Leipzig/Mannheim 1996, Stichwort „Bildhauerkunst, Bildhauerei, Bildnerei“) formal eingeordnet werden könnte, ohne weitere Prüfung der Qualität der eigenschöpferischen Leistung als Künstler im Sinne des KSVG anzusehen. Die Bildhauerkunst ist dadurch geprägt, daß ihre Werke durch die Aufstellung und Betrachtung an bestimmten Orten eine ästhetische und ideelle Funktion erfüllen, weitergehende Zwecke aber grundsätzlich nicht verfolgt werden. Die Arbeiten des Klägers dienen dagegen in erster Linie (museums-)pädagogischen Zwecken, nämlich der naturwissenschaftlichen Information einerseits und der Weckung des Interesses andererseits, letzteres als unabdingbarer Voraussetzung für die Aufschließung der Besucher - insbesondere solcher in kindlichem und jugendlichem Alter - für wesentlich umfangreichere Informationen und wesentlich weitergehender pädagogischer Ziele im Verlauf eines Museumsbesuchs.

Wenn der Kläger mithin nicht als klassischer Bildhauer eingestuft werden kann (und will), so schließt das seine Einordnung als „bildender Künstler“ im Sinne des KSVG aber nicht aus. Denn darunter fallen nicht nur solche Personen, die ideelle, zweckfreie Kunst ausüben. Die Verfolgung besonderer erzieherischer oder weltanschaulicher Ziele (vgl. BSG SozR 3-5425 § 2 Nr. 2) schadet ebenso wenig wie die Einbindung ästhetischer Formen in die Funktion von Gebrauchsgegenständen bei sog Design (vgl. zur Einstufung einer zweckgebundenen Designertätigkeit als Kunst: Urteil des Senats vom 30. Januar 2001 - B 3 KR 1/00 R - zur Veröffentlichung vorgesehen), wenn nur ein Mindestmaß an eigenschöpferischer, freier Gestaltung festzustellen ist.

Das Erbringen einer eigenschöpferischen Leistung auf einem derartigen Mindestniveau durch den Kläger kann nicht zweifelhaft sein. Er baut zwar auf der Grundlage sicherer wissenschaftlicher Erkenntnis auf, versucht im übrigen aber, mit seinen Werken in freier Gestaltung eine ideell-ästhetische Wirkung zu erreichen. Seine Arbeiten erfreuen sich wegen ihrer ästhetischen Wirkung auch der besonderen Wertschätzung der auftraggebenden Museen. Da es sich, wie ausgeführt, nicht um eine Leistung handelt, die auch im Rahmen eines Handwerkerberufs erbracht werden könnte, stellt sich die Frage nicht, ob die Gestaltungshöhe der Werke diejenige übersteigt, die üblicherweise im Rahmen eines Handwerks, insbesondere Kunsthandwerks, erbracht wird. Nur bei derartigen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen (Kunst-)Handwerk einerseits und Kunst andererseits hat es der Senat als erforderlich angesehen, unter Umständen auch die Einschätzung einschlägiger Künstlerkreise zu ermitteln (BSGE 80, 136 = SozR 3-5425 § 2 Nr. 5).

Die Einschätzung des Klägers als Künstler wird auch nicht dadurch gehindert, daß seine Arbeiten in naturwissenschaftlichen Museen ausgestellt werden (und dort in erster Linie einem museumspädagogischen Zweck dienen). Daß künstlerische Arbeiten auch von Museen verwertet werden, hat der Gesetzgeber in seiner Liste der Kunstverwerter vorausgesetzt (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 KSVG), ohne dabei naturwissenschaftliche Museen auszuschließen (BSG SozR 3-5425 § 24 Nr. 9).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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