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5 RJ 40/95

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes hat.

Die am 9. Februar 1921 geborene Klägerin war mit dem am 30. September 1924 geborenen und am 15. Januar 1992 verstorbenen WM (nachfolgend: Versicherter) seit dem 23. Dezember 1946 verheiratet. Die Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Tübingen vom 7. April 1971 (4 R 135/69) aus überwiegendem Verschulden des Versicherten unter Feststellung einer Mitschuld der Klägerin geschieden (Kostenquotelung: 3/4 Versicherter, 1/4 Klägerin). Der Versicherte war in zweiter Ehe vom 28. Juli 1972 bis zu seinem Tode mit der Beigeladenen verheiratet. Die Klägerin hat nicht erneut geheiratet. Im Zeitpunkt seines Todes bezog der Versicherte Altersrente. Die Klägerin erhielt eine Altersrente aus eigener Versicherung, eine monatliche Unterhaltsrente des Versicherten von 50,00 DM sowie Mieteinnahmen aus einem ihr hälftig gehörenden Hausgrundstück und einem ihr vom Versicherten an der anderen Hälfte eingeräumten Nießbrauch. Zur Nießbrauchbestellung heißt es im notariellen Vertrag vom 16. März 1972:

„Zur teilweisen Regelung der Unterhaltsansprüche der Frau AM bestellt Herr WM seiner geschiedenen Ehefrau den unentgeltlichen Nießbrauch an seiner Miteigentumshälfte an dem in § 1 beschriebenen Grundstück. Der Nießbrauch endigt mit der Wiederheirat der Frau AM Geht sie keine weitere Ehe ein, endigt der Nießbrauch mit dem Tode der Berechtigten.“

Außerdem war die Klägerin gehalten, die auf der mit dem Nießbrauch belasteten Grundstückshälfte ruhenden Lasten zu tragen. Sodann schenkte der Versicherte die so belastete Eigentumshälfte seinen aus der Ehe mit der Klägerin stammenden vier Kindern, behielt sich jedoch für den Fall des Wegfalls des Nießbrauchs der Klägerin (Tod oder Heirat) selbst einen dann auflebenden lebenslangen Nießbrauch vor, was von den Beschenkten genehmigt wurde.

Am 27. Januar 1992 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß die Unterhaltsrente von monatlich 50,00 DM keinen Rentenanspruch auslöse und im übrigen kein Unterhaltsanspruch bestanden habe (Bescheid vom 12. Mai 1992). Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, daß zu der Unterhaltsrente auch monatliche Mieteinnahmen von damals 850,00 DM brutto bzw. 726,80 DM netto hinzuzurechnen seien, die sie aufgrund des zur Unterhaltsregelung eingeräumten lebenslangen Nießbrauchs bezogen habe.

Der dem SG Karlsruhe gemäß § 85 Abs. 4 SGG damaliger Fassung als Klage zugeleitete Widerspruch ist ohne Erfolg geblieben. Im klageabweisenden Urteil vom 28. Juni 1994 hat das SG ausgeführt, der lebenslange Nießbrauch stelle anders als mit dem Tod eines Versicherten endende Unterhaltsansprüche keinen Unterhalt i.S. des § 243 SGB VI dar, weil er den Charakter eines Zugewinnausgleichs trage. Außerdem komme eine Geschiedenenwitwenrente im Interesse einer Vermeidung einer Doppelversorgung durch zeitgleiche Geschiedenenwitwenrente und Nießbrauchsgewährung auf Lebensdauer nicht in Betracht. Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG Baden-Württemberg die Beklagte verurteilt, der Klägerin große Witwenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes ab 1. Februar 1992 zu gewähren (Urteil vom 8. März 1995). Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt worden: Der Klägerin stehe die begehrte Rente gemäß § 243 Abs. 2, §§ 268 und 91 SGB VI zu, weil der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode an die Klägerin Unterhaltsleistungen in einem Umfang erbracht habe, der wenigstens 25 v.H. des zeitlichen und örtlichen BSHG-Satzes erreicht habe. Neben der monatlichen Unterhaltsrente von 50,00 DM sei entsprechend der Maßgabe des notariellen Vertrages der aus dem Nießbrauch durch Mieten abzüglich der Werbungskosten erlangte Betrag von 726,80 DM als Unterhaltsleistung des Versicherten und weder als eigene Nutzung der Klägerin noch Leistung der Kinder zu berücksichtigen. 25 v.H. des seinerzeitigen BSHG-Regelsatzes machten knapp 129,00 DM aus. Abzüglich des unmittelbaren Barunterhalts durch die Geldrente (§ 72 EheG) genügten bereits 79,00 DM, d.h. knapp 11 v.H. des Mietnettoeinkommens zur Erfüllung des Rentenanspruchs. Selbst wenn angesichts der von der Klägerin seinerzeit übernommenen Darlehntilgungsverpflichtung nicht der volle hälftige Nettogesamtmietzins als ohne Gegenleistung erzielt anzunehmen sei, spreche nichts dagegen, daß der als Unterhalt zu bewertende Mietzins weit über dem Betrag von 79,00 DM liege.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beigeladene die Verletzung materiellen Rechts (§ 243 Abs. 2 SGB VI) und wendet sich unter Wiederholung ihres früheren Vorbringens dagegen, daß das LSG die über den Tod des Versicherten hinaus der Klägerin zufließenden Einkünfte aus dem Nießbrauch als Unterhalt berücksichtigt hat.

Die Beigeladene beantragt sinngemäß,

  • das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. März 1995 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 28. Juni 1994 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin große Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen geschiedenen Ehemannes in Aufteilung der Gesamtrente nach dem Verhältnis der Zeiten, in denen der Versicherte mit der Klägerin und der Beigeladenen verheiratet war, ab 1. Februar 1992 zusteht (§ 243 Abs. 2, §§ 268, 91 SGB VI).

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten ist vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden (§ 243 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI). Die Klägerin hat nicht wieder geheiratet (§ 243 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) und das 45. Lebensjahr vollendet (§ 243 Abs. 2 Nr. 4 SGB VI). Der Versicherte hatte die allgemeine Wartezeit erfüllt und ist nach dem 30. April 1942 gestorben (§ 243 Abs. 2 SGB VI a.E.).

Schließlich ist auch die letzte Voraussetzung erfüllt, daß der Versicherte der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (§ 243 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI), welcher die von der Rechtsprechung des BSG entwickelte Grenze von 25 v.H. des zeitlich und örtlich maßgebenden Sozialhilfe-Regelsatzes (vgl. Urteil des Senats vom 6. September 1993, 5 RJ 20/92 - HVBG-Info 1994, 331) überstiegen hat. Dem angefochtenen Urteil ist uneingeschränkt zu folgen, daß die Einkünfte aus dem Nießbrauch als Unterhalt des Versicherten anzusehen sind. Der Senat schließt sich zur Vermeidung von Wiederholungen der eingehenden Begründung des LSG an. Ergänzend ist darauf zu verweisen, daß das BSG im Urteil vom 9. Februar 1978 (11 RA 42/77 - BSGE 46, 16 = SozR 2200 § 1265 Nr. 31) eine dem Nießbrauch ähnliche Leibrente als „Unterhalt“ angesehen und ausführlich insbesondere zu der Frage Stellung genommen hat, daß die Gewährung über den Tod des Versicherten hinaus kein Hindernis darstellt. Im Urteil vom 14. Oktober 1992 (5 RJ 48/91 - HV-INFO 1993, 1250) hat auch der erkennende Senat unter Hinweis auf das BSG-Urteil vom 9. Februar 1978 eine Leibrente als Unterhalt angesehen, wenn sie zu Unterhaltszwecken begründet wurde. Einen solchen Zweck hat das LSG im vorliegenden Fall in bezug auf den Nießbrauch rechtsfehlerfrei festgestellt. Es besteht kein Anlaß, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Insbesondere kann dem Einwand der Beigeladenen nicht gefolgt werden, der Nießbrauch könne nicht als Unterhalt angesehen werden, weil er der Klägerin über den Tod des Versicherten hinaus zusteht. Die Hinterbliebenenrente, zu der auch die Witwenrente an vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten (§ 243 SGB VI) gehört, stellt eine Versicherungsleistung dar. Dem gesamten Hinterbliebenenrentenrecht ist fremd, die Leistung von den Einkommensverhältnissen der (oder des) Hinterbliebenen abhängig zu machen. Wenn der Gesetzgeber dies bei Renten, insbesondere solchen i.S. von § 243 SGB VI oder des vorher geltenden § 1265 RVO, gewollt hätte, hätte es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft, worauf im BSG-Urteil vom 9. Februar 1978 zutreffend hingewiesen worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

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