3/12 RK 80/92
Tatbestand
Die Klägerin ist ausgebildete Tänzerin für klassischen und modernen Tanz und hat sich außerdem für den Bereich Kinderballett und moderne Bewegungs- und Tanzformen für Kinder weitergebildet. Seit dem 1. Oktober 1988 ist sie an der Musikschule B. als Musiklehrerin zur Erteilung von Unterricht in dem Fach „Kreativer Tanz für Kinder“, und zwar als sog freie Mitarbeiterin, mit einer wöchentlichen Unterrichtstätigkeit von neun Stunden tätig. Sie unterrichtet dort vier- bis achtjährige Kinder im Rahmen der musikalischen Früherziehung, bei der durch Musik, Sprache und Bewegung den Kindern sprachliche, musikalische und bewegungsmäßige Grunderlebnisse vermittelt werden. Als Unterrichtsmittel verwendet die Klägerin Orff'sche Instrumente und Musikkassetten. Ihren am 19. Oktober 1988 gestellten Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) lehnte die beklagte Künstlersozialkasse mit der Begründung ab, die Unterrichtstätigkeit der Klägerin sei nicht auf eine künstlerische Berufstätigkeit ihrer Schüler ausgerichtet (Bescheid vom 10. Februar 1989; Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1989). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Mai 1991). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) festgestellt, daß die Klägerin seit dem 1. November 1988 der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliegt (Urteil vom 12. August 1992). Es hat für die Versicherungspflicht genügen lassen, daß die Klägerin ihren Schülern musikalische Grundkenntnisse vermittele.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt eine Verletzung des § 2 KSVG. Der Unterricht der Klägerin im Rahmen der musikalischen Früherziehung sei weder als Lehre von Musik noch als Lehre von Tanz anzusehen. Es stehe die Erziehung und Allgemeinbildung im Vordergrund.
Die Beklagte beantragt,
- das Urteil des LSG vom 12. August 1992 zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG vom 16. Mai 1991 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend die Versicherungspflicht der Klägerin nach dem KSVG bejaht, und zwar, wie sich aus dem Urteilszusammenhang ergibt, sowohl in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV) der Angestellten als auch in der gesetzlichen Krankenversicherung (KV).
Nach § 1 KSVG (i.d.F. durch das Gesetz zur Änderung des KSVG vom 20. Dezember 1988 - BGBl. I 2606) werden selbständige Künstler in der RV der Angestellten und in der gesetzlichen KV versichert, wenn sie die künstlerische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben. Als Künstler i.S. des Gesetzes bezeichnet § 2 KSVG in der genannten Fassung denjenigen, der Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt. Nach der bis zum 31. Dezember 1988 geltenden Ursprungsfassung des KSVG vom 27. Juli 1981 (BGBl. I 705) war nach § 2 Künstler, wer nicht nur vorübergehend selbständig erwerbstätig Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt; § 2 enthielt damit hinsichtlich der Nachhaltigkeit und Erwerbsmäßigkeit der Tätigkeit Merkmale, die nunmehr in § 1 KSVG enthalten sind. Die unterschiedliche Fassung des Gesetzes ist für die hier ab November 1988 streitige Versicherungspflicht der Klägerin ohne Bedeutung. Das mit der Neufassung des Gesetzes - das in hier nicht betroffenem Zusammenhang inzwischen durch das Pflegeversicherungsgesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl. I 1014) mit Wirkung ab 1. Januar 1995 geändert worden ist - in § 1 KSVG formulierte Merkmal der „erwerbsmäßigen“ Ausübung der Tätigkeit soll nur besser als die frühere Fassung des § 2 KSVG zum Ausdruck bringen, daß die künstlerische Tätigkeit zum Zwecke des Broterwerbs und nicht nur aus Liebhaberei ausgeübt werden muß (vgl. BSG SozR 3-5325 § 2 Nr. 1; Finke / Brachmann / Nordhausen, KSVG, 2. Aufl., § 1 RdNr. 15). Daß die Tätigkeit der Klägerin von neun Stunden wöchentlich für sie eine nicht unwesentliche finanzielle Lebensgrundlage darstellt, ist unter den Beteiligten ebensowenig streitig wie ihre selbständige Tätigkeit. Das LSG hat zu letzterer keine näheren Feststellungen getroffen, sondern dies im wesentlichen aus der im Dienstvertrag verwendeten Beschreibung als freier Mitarbeiterin gefolgert. Diese Beschreibung wird im Wirtschafts- und Arbeitsleben üblicherweise für Dienstverhältnisse verwandt, die kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellen. Weil Anhaltspunkte dafür, daß es sich im vorliegenden Fall entgegen der vertraglichen Bezeichnung gleichwohl um ein Beschäftigungsverhältnis (vgl. insoweit auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den sog freien Mitarbeitern im Rundfunk, AP Nr. 73 zu § 611 BGB Abhängigkeit; AP Nr. 15 zu § 611 BGB Rundfunk) gehandelt haben kann, nicht bestehen, und auch von seiten der Beteiligten insoweit Rügen nicht erhoben worden sind, ist auch für das Revisionsverfahren von einer selbständigen Tätigkeit der Klägerin auszugehen.
Die Beklagte bestreitet jedoch, daß die Tätigkeit der Klägerin eine künstlerische ist, weil sie weder Musik noch darstellende Kunst lehre. Dem ist nicht zu folgen. Das LSG hat die Tätigkeit der Klägerin als Lehren von Musik eingeordnet, obwohl nach der vertraglichen Umschreibung Gegenstand des Unterrichts „Kreativer Tanz für Kinder“ ist. Das LSG hat insoweit als entscheidend angesehen, daß dieses Fach im Rahmen der musikalischen Früherziehung an einer Musikschule gelehrt werde und damit Teil einer musikalischen Grundausbildung sei. Man mag darüber streiten, ob bei der Einordnung eher auf den organisatorischen Rahmen und das pädagogische Gesamtkonzept oder auf das konkrete Unterrichtsfach abzustellen ist. Dies ist hier ohne Belang, weil die Klägerin, wenn letzteres ausschlaggebend wäre, darstellende Kunst lehrt. Sie erfüllt die gesetzliche Voraussetzung des Lehrens von Kunst entweder in der einen oder der anderen Alternative. Sofern man mit dem LSG den organisatorischen Rahmen für maßgebend hält, scheitert entgegen der Ansicht der Revision die Einordnung als Lehren von Musik nicht daran, daß die Klägerin keine ausgebildete Musikerin, sondern Tänzerin ist. Falls dem die Auffassung zugrunde liegt, das Lehren von Musik i.S. des KSVG setze zwingend voraus, daß der Lehrer selbst eine abgeschlossene, staatlich anerkannte oder jedenfalls in den einschlägigen Berufskreisen übliche Berufsausbildung aufweisen müsse, ist dem nicht zu folgen. Das Gesetz bietet für eine solche Einschränkung der der Versicherungspflicht unterliegenden Tätigkeiten keine Grundlage. Wenn auch bei Künstlern, die ihren Beruf auf Dauer erfolgreich ausüben, in der Regel eine mehr oder weniger geordnete Ausbildung zugrunde liegen wird, ist dies doch keineswegs unabdingbar. Das KSVG, das von einer grundsätzlichen Schutzbedürftigkeit aller selbständigen Künstler ausgeht, kann nicht so ausgelegt werden, daß gerade diejenigen Künstler, die mangels einer fundierten Ausbildung am ehesten des Schutzes der Solidargemeinschaft bedürfen, ausgenommen werden. Davon abgesehen kann die Klägerin eine abgeschlossene Ausbildung in einem dem Musikpädagogen artverwandten Beruf der Tanzpädagogin vorweisen.
Der Einordnung der Tätigkeit der Klägerin als Lehren von Musik kann auch nicht entgegengehalten werden, daß sie keinen Instrumentalunterricht im engeren Sinne erteile, sondern sich darauf beschränke, nur die elementaren Voraussetzungen für einen späteren Instrumentalunterricht zu schaffen. Musik lehrt sogar derjenige, der nur theoretischen Unterricht erteilt, soweit die theoretischen Kenntnisse Voraussetzung für das Ausüben oder zumindest das Verständnis praktischen Musizierens sind. Erst recht kann aber das Lehren von Musik nicht bezweifelt werden, wenn neben theoretischem Grundwissen auch praktisches Erfahrungswissen vermittelt wird, etwa durch Rhythmus- und Klangübungen mit Instrumenten, wie es bei der Klägerin der Fall ist.
Das LSG hat zu Recht davon abgesehen, nähere Feststellungen zur Qualität des von der Klägerin geleisteten Unterrichts zu treffen. Es hat sich insoweit damit begnügt, daß von der Musikschule die Fähigkeiten und Leistungen der Klägerin als für den Ausbildungszweck ausreichend angesehen werden. Daraus hat das LSG gefolgert, daß die nach dem KSVG zu stellenden qualitativen Anforderungen an das Lehren von Kunst erfüllt sind. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.
Der Senat hat bislang offengelassen, ob nach dem KSVG von einem eher weiten, formalen Kunstbegriff auszugehen ist, der bereits erfüllt ist, wenn das zu beurteilende Werk ohne Rücksicht auf sein geistiges Niveau den Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps der Kunst (z.B. Gedicht, Gemälde, Tanz usw.) entspricht (vgl. BVerfGE 67, 219, 226 f), oder ob außerdem materielle Kriterien erfüllt sein müssen, wie etwa die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur unmittelbaren Anschauung gebracht werden (zum Kunstbegriff im Verfassungsrecht vgl. BVerfGE 67, 213; 30, 173, 179; im Jugendschutz vgl. BVerwGE 28, 223; im strafrechtlichen Jugendschutz vgl. BGHSt 37, 55; im Einkommensteuerrecht vgl. BFHE 136, 474 = NJW 1983, 1224; zum urheberrechtlichen Begriff der „geistigen Schöpfung“ vgl. Hubmann, Urheber und Verlagsrecht, 4. Aufl., S. 35). Die Frage braucht auch hier nicht abschließend entschieden zu werden. Soweit materielle Kriterien in Form einer freien schöpferischen Gestaltung erfüllt sein müssen, reicht dazu bereits ein relativ niedriges Niveau aus. Es ist nicht Aufgabe der Künstlersozialkasse und der Gerichte, das jeweilige künstlerische Niveau der erbrachten Leistung zu beurteilen; und es entspricht auch nicht der Absicht des Gesetzgebers, nur solchen Künstlern den Schutz der Künstlersozialversicherung zugute kommen zu lassen, deren Leistungsvermögen ein bestimmtes gestalterisches Niveau erreicht. Von einer Abgrenzung nach der Qualität der künstlerischen Leistung ist bewußt abgesehen worden (vgl. Regierungsentwurf zum KSVG, BT-Drucks. 9/26 S 18 zu § 2). Aus der gesetzlichen Regelung der abgabepflichtigen Unternehmen läßt sich für den vorliegenden Fall der Schluß ziehen, daß das zu verlangende Mindestmaß an künstlerischem Niveau gegeben ist. Wenn in § 24 KSVG 1981 Musikschulen ausdrücklich als abgabepflichtige Unternehmen erwähnt worden sind, und solche Musikschulen auch nach der Änderung durch das KSVG 1989 als abgabepflichtige Ausbildungseinrichtungen i.S. des § 24 Abs. 1 Nr. 9 KSVG einzuordnen sind (vgl. dazu BSGE 69, 259, 262 = SozR 3-5425 § 24 Nr. 1), bedeutet dies, daß die an solchen Musikschulen unterrichtenden selbständigen Lehrer als nach dem KSVG versicherungspflichtige Künstler einzustufen sind. Denn dem KSVG liegt das gesetzgeberische Prinzip zugrunde, Künstler und ihre typischen Verwerter zu gleichen Anteilen zur Finanzierung der Versicherung heranzuziehen. Werden Musikschulen als solche typischen Verwerter angesehen, kann die Eigenschaft der dort unterrichtenden Personen als Künstler i.S. des § 2 KSVG nicht in Frage gestellt werden. Auch bei angestellten Musikern ist für die RV der Angestellten der Wert der künstlerischen Leistung nach der ausdrücklichen Regelung in § 133 Abs. 2 Nr. 5 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - ohne Bedeutung.
Daß die Unterrichtung von Laien der Bejahung der Versicherungspflicht nicht entgegensteht, hat der Senat bereits entschieden (BSG SozR 3-5325 § 2 Nr. 1 und Urteil vom 20. Juli 1994 - 3/12 RK 18/92 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Beklagte stellt dies grundsätzlich nicht mehr in Frage. Die Revision bezweifelt die Tätigkeit der Klägerin als Lehren von Kunst nur noch mit dem Argument, daß bei ihr nicht die Vermittlung künstlerischer Kenntnisse und Fähigkeiten im Vordergrund stehe, sondern angesichts der Altersstufe der zu unterrichtenden Kinder vorwiegend Grundlagenwissen i.S. einer Allgemeinbildung vermittelt werde. Auf diese Differenzierung kommt es bei der Frage der Versicherungspflicht eines Kunstlehrers nicht an; es reicht aus, wenn künstlerischer Fachunterricht erteilt wird, neben dem der pädagogische oder didaktische Anteil in den verschiedenen Teilnehmer- und Altersgruppen unterschiedlichen Raum einnehmen kann. Für ihre gegenteilige Auffassung bezieht sich die Revision zu Unrecht auf das Urteil des Senats vom 20. Juli 1994 - 3/12 RK 38/93 - (zur Veröffentlichung vorgesehen). In jener Entscheidung ging es um die Abgabepflicht einer pädagogischen Hochschule wegen der Ausbildung von Musik- und Kunstlehrern. In diesem Zusammenhang hat der Senat die Frage aufgeworfen, ob es noch im Rahmen einer abgabenrechtlich zulässigen Tatbestandsauslegung liegen könnte, auch allgemeinbildende Schulen wegen ihres Musik- und Kunstunterrichts als „Ausbildungseinrichtungen für künstlerische Tätigkeiten“ i.S. von § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 KSVG einzuordnen. Entschieden wurde aber nur, daß die Ausbildung für den Musik- und Kunstunterricht an Realschulen eine Ausbildung für eine künstlerische Tätigkeit i.S. des KSVG ist. Daraus läßt sich nicht folgern, der Senat habe Zweifel, ob an allgemeinbildenden Schulen beim Unterrichten von Musik oder Kunst das erforderliche Mindestmaß an fachlicher Substanz erreicht werde, und daß diese Zweifel bei der Erteilung von Unterricht im Rahmen der musikalischen Früherziehung noch größer sein müßten. Die Zweifel betrafen allein die Grenzen der Gesetzesauslegung bei der Bestimmung der abgabepflichtigen Unternehmen, die im Einzelfall dazu führen könnten, daß - abweichend vom Grundprinzip - versicherte Künstler und abgabepflichtige Verwerter nicht korrespondieren. Im vorliegenden Fall tritt eine solche Diskrepanz nicht auf; die Abgabepflicht der Musikschule als Unterrichtsträger kann nicht zweifelhaft sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.