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12 RK 30/94

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Beitragsnachentrichtung zur Rentenversicherung.

Die 1921 in Rumänien geborene Klägerin ist Verfolgte. Sie wanderte im Januar 1984 nach Israel aus und lebt dort seither als israelische Staatsangehörige. Im August 1990 beantragte sie die Nachentrichtung von Beiträgen nach § 22 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG). Wenig später gab sie an, das Verwaltungsgericht (VG) Köln habe mit rechtskräftigem Urteil vom 14. November 1989 den zuständigen Regierungspräsidenten zur Ausstellung eines Vertriebenenausweises verurteilt. Mit Bescheid vom 10. Oktober 1990 sprach der Regierungspräsident die Anerkennung als Vertriebene aus und erteilte einen Vertriebenenausweis. Die Beklagte übersandte der Klägerin mit Schreiben vom 4. September 1991 einen Versicherungsverlauf, in dem sie Zeiten nach § 15 des Fremdrentengesetzes (FRG) anerkannte. Mit Bescheid vom 10. Oktober 1991 lehnte sie die Nachentrichtung von Beiträgen nach § 22 WGSVG ab. Bei der Klägerin seien nicht erstmals Fremdrentenzeiten nach § 20 Abs. 2 WGSVG zu berücksichtigen; der Versicherungsverlauf sei Gegenstand des Bescheides. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1992).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 29. Oktober 1992 abgewiesen. Bei der Klägerin seien Fremdrentenzeiten schon früher zu berücksichtigen gewesen, weil sie zu den Vertriebenen i.S. des § 1 Buchst. a FRG gehöre. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 31. Januar 1994 zurückgewiesen. Es hat offengelassen, ob bei der Klägerin i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 WGSVG erstmals Fremdrentenzeiten nach § 20 Abs. 2 WGSVG zu berücksichtigen seien. Jedenfalls habe sie durch die Berücksichtigung von Fremdrentenzeiten die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung nicht erstmalig erlangt. Als israelische Staatsangehörige in Israel sei sie auch schon früher berechtigt gewesen, Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zu entrichten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine Verletzung des § 22 WGSVG rügt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

  • das Urteil des LSG vom 31. Januar 1994 und das Urteil des SG vom 29. Oktober 1992 aufzuheben sowie die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 10. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1992 zu verpflichten, die Nachentrichtung von Beiträgen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WGSVG ab Februar 1971, hilfsweise ab Januar 1987 zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Die begehrte Nachentrichtung scheide aus, weil Fremdrentenzeiten nicht nach § 20 Abs. 2 WGSVG anerkannt worden seien, sondern weil die Klägerin als anerkannte Vertriebene zum Personenkreis des § 1 Buchst. a FRG gehöre.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Ihre Klage ist in den Vorinstanzen zu Recht ohne Erfolg geblieben. Der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig, soweit darin die allein noch begehrte Nachentrichtung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WGSVG abgelehnt worden ist. Die Klägerin ist zur Nachentrichtung nach dieser Vorschrift nicht berechtigt.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 WGSVG können Verfolgte, für die erstmals nach § 20 Abs. 2 WGSVG in der vom 1. Januar 1990 an geltenden Fassung Beitragszeiten oder Beschäftigungszeiten nach dem FRG zu berücksichtigen sind und die die Vertreibungsgebiete vor dem 1. Januar 1990 verlassen haben, auf Antrag freiwillige Beiträge für Zeiten nachentrichten, für die sie durch die Berücksichtigung der Beitragszeiten und Beschäftigungszeiten nach dem FRG die Berechtigung zur freiwilligen Versicherung erstmalig erlangt haben. Die Vorschrift ist durch Art. 21 Nr. 5 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I 2261) eingefügt worden und nach Art. 85 Abs. 5 RRG 1992 am 1. Januar 1990 in Kraft getreten. Ihre Entstehungsgeschichte und ihren Zusammenhang mit anderen Vorschriften, insbesondere mit § 20 WGSVG, hat der Senat in seinem Urteil vom 5. Mai 1994 - 12 RK 53/93 (zur Veröffentlichung bestimmt) dargelegt.

Die Klägerin gehört nicht zu den Verfolgten, für die i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 WGSVG erstmals nach § 20 Abs. 2 WGSVG in der vom 1. Januar 1990 an geltenden Fassung FRG-Zeiten zu berücksichtigen sind. Ein Bescheid der Beklagten, in dem FRG-Zeiten nach § 20 Abs. 2 WGSVG anerkannt worden sind, liegt nicht vor. Im Versicherungsverlauf vom 4. September 1991 sind zwar FRG-Zeiten berücksichtigt, jedoch nach dem FRG unmittelbar und nicht unter Heranziehung des § 20 WGSVG. Zum Personenkreis des § 20 WGSVG gehört die Klägerin auch nicht. Abs. 1 und damit auch Abs. 2 dieser Vorschrift beziehen sich nur auf Verfolgte, die deswegen nicht als Vertriebene anerkannt sind oder anerkannt werden können, weil sie sich nicht ausdrücklich zum deutschen Volkstum bekannt haben, wobei § 19 Abs. 2 Buchst. a Halbs. 2 WGSVG entsprechend gilt. Die Klägerin konnte jedoch als Vertriebene anerkannt werden und ist aufgrund des rechtskräftigen Urteils des VG vom 14. November 1989 mit Bescheid des Regierungspräsidenten vom 10. Oktober 1990 auch als Vertriebene anerkannt worden. Auf sie ist daher nach § 1 Buchst. a FRG das FRG unmittelbar und nicht auf dem Weg über § 20 WGSVG anzuwenden.

§ 22 Abs. 1 Satz 1 WGSVG ist nicht zugunsten der Klägerin entsprechend anzuwenden. Die Vorschrift sieht die Nachentrichtung von Beiträgen nur für vertriebene Verfolgte i.S. des § 20 WGSVG vor, d.h. für diejenigen von ihnen, die nicht als Vertriebene anerkannt worden sind oder anerkannt werden können. Bei ihnen hatten nach Ansicht des Gesetzgebers Rechtsprechung und Verwaltungspraxis in der Vergangenheit rechtlich zu hohe Anforderungen an einen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis und dem Verlassen des Vertreibungsgebietes aufgestellt und dadurch die Anerkennung von FRG-Zeiten sowie den Zugang zur freiwilligen Versicherung in der deutschen Rentenversicherung ausgeschlossen oder erschwert. Diese Benachteiligung hat der Gesetzgeber nunmehr in einer auf dem Herstellungsgedanken beruhenden Regelung ausgeglichen, indem er in § 20 Abs. 2 WGSVG eine Vermutung für den genannten Zusammenhang aufgestellt, dadurch die Berücksichtigung von FRG-Zeiten erleichtert und ein Recht zur Beitragsnachentrichtung geschaffen hat. Im einzelnen ist dieses in dem bereits erwähnten Urteil vom 5. Mai 1994 ausgeführt. Dieser Sinn und Zweck der Nachentrichtungsregelung in § 22 Abs. 1 Satz 1 WGSVG trifft auf Verfolgte, die nach dem Verlassen des Vertreibungsgebietes rechtlich als Vertriebene anerkannt werden konnten, nicht zu, weil sie die Anerkennung als Vertriebene einleiten, beim Rentenversicherungsträger die Berücksichtigung von FRG-Zeiten beantragen und sich zur Entrichtung freiwilliger Beiträge bereiterklären konnten. Auch wenn sich derartige Verfahren insbesondere wegen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Sachverhalts über eine längere Zeit erstreckten, waren diese als Vertriebene anerkennungsfähigen und möglicherweise später anerkannten Verfolgten wie die Klägerin mit den durch § 22 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 2 WGSVG begünstigten Verfolgten nicht vergleichbar, weil nur diesen in der Vergangenheit besondere rechtliche und nach Ansicht des Gesetzgebers unberechtigte Schwierigkeiten beim Zugang zur deutschen Rentenversicherung in den Weg gelegt worden waren. Dieser Unterschied zwischen beiden Gruppen von Verfolgten schließt auch einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes) aus.

Im übrigen wird der Umfang des Nachentrichtungsrechts, das die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 WGSVG Berechtigten haben und das auch die Klägerin für sich beansprucht, von der Revision bei weitem überschätzt. Diese Nachentrichtung kommt nach der ausdrücklichen Regelung in § 22 Abs. 2 Satz 1 WGSVG selbst für die Nachentrichtungsberechtigten nur für die Zeit vom Verlassen der Vertreibungsgebiete (bei der Klägerin Januar 1984) an in Betracht, also nicht schon, wie in erster Linie beantragt, von Februar 1971 an. Für die Zeit von Januar 1984 bis Dezember 1986 schied die Nachentrichtung für Berechtigte, die als israelische Staatsangehörige in Israel lebten, nach dem genannten Urteil vom 5. Mai 1994 ebenfalls aus. Gleiches gilt für die Zeit von Januar 1987 bis Dezember 1989, soweit ein Vorbeitrag aus früherer Zeit vorlag (vgl. das weitere Urteil vom 5. Mai 1994 - 12 RK 16/94, zur Veröffentlichung bestimmt). Lediglich soweit dem Grunde nach Berechtigte, die als israelische Staatsangehörige in Israel lebten, einen solchen Vorbeitrag nicht aufzuweisen hatten, durften sie für die Zeit von Januar 1987 bis Dezember 1989 Beiträge nachentrichten. Zu dem nach § 22 Abs. 1 Satz  1 WGSVG nachentrichtungsberechtigten Personenkreis gehörte die Klägerin, wie ausgeführt, jedoch schon dem Grunde nach nicht.

Die Revision der Klägerin erwies sich demnach als unbegründet und war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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