12 RK 65/87
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Beitragspflicht einer zwischen der Beigeladenen zu 1) und der Klägerin vereinbarten „Abfindung“.
Die 1960 geborene Beigeladene zu 1) war von November 1980 bis ins zweite Halbjahr 1983 bei der Klägerin gegen ein Monatsgehalt von zuletzt 1.856,70 DM angestellt. Nach § 10 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 1. November 1980 konnte ihr mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden. Zum 10. August 1983 kündigte ihr die Klägerin fristlos; für die Zeit nach dem 31. Juli 1983 zahlte sie kein Gehalt mehr. Im Kündigungsschutzprozeß der Beigeladenen zu 1) schlossen diese und die jetzige Klägerin vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) am 26. Juli 1984 einen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher Kündigung zum 31. Dezember 1983 geendet und die Klägerin der Beigeladenen zu 1) „für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Besitzstandes gemäß §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) 9.500 DM brutto = netto“ zu zahlen hatte; damit sollten „alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis erledigt“ sein.
Mit Bescheiden vom 7. Januar und 25. Februar 1985 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 17. April 1985 verlangte die beklagte Ersatzkasse von der Klägerin aus dem Abfindungsbetrag Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1983 in Höhe von 3.769,70 DM, wobei sie das Fünffache eines monatlichen Arbeitsentgelts von 2.173 DM zugrunde legte.
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, auch die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben, nachdem die Beklagte am 3. September 1987 das von ihr der Beitragsberechnung zugrunde gelegte Arbeitsentgelt auf 5 x 1.856,70 DM ermäßigt hatte. In den Entscheidungsgründen seines Urteils führt das Landessozialgericht (LSG) sinngemäß aus, der Abfindungsbetrag von 9.500 DM habe - jedenfalls in Höhe von 5 x 1.856,70 DM - der Zahlung von rückständigem Gehalt für die Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1983 gedient. Die im gerichtlichen Vergleich enthaltene Bezugnahme auf §§ 9 und 10 KSchG erlaube nicht den Schluß, daß ausschließlich eine Abfindung im Sinne dieser Vorschriften bezweckt gewesen sei; nach seinem Wortlaut und nach den Umständen des Falles sei der Vergleich vielmehr dahin auszulegen, daß es den Parteien - zumindest auch - um die Zahlung von rückständigem Gehalt für die Zeit bis zum 31. Dezember 1983 gegangen sei. Dafür spräche auch die Höhe der vereinbarten Abfindung. Ein etwa beabsichtigter „Verzicht“ der Beigeladenen zu 1) auf die Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen sei „nach § 46 Abs. 2 SGB I“ unwirksam. Mangels vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei für eine Anwendung des § 117 Abs. 2 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) kein Raum.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 165, 168, 385, 517 und 520 der Reichsversicherungsordnung (RVO) a.F., ferner der §§ 2, 8 und 118 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG), § 168 AFG sowie der §§ 14 und 17 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften - (SGB IV) i.V.m. der Arbeitsentgeltverordnung (ArEV). Soweit das LSG die der Beigeladenen zu 1) gezahlte Abfindung als rückständiges Arbeitsentgelt betrachtet habe, habe es sich über den erklärten Willen der Parteien des vor dem LAG geschlossenen Vergleichs hinweggesetzt. Diese Betrachtungsweise stehe auch im Widerspruch zu der Annahme des LSG, daß zugleich eine Abfindung in der Größenordnung von 2.500 bis 3.000 DM geleistet worden sei. Eine genaue Aufteilung des Abfindungsbetrages in rückständiges Arbeitsentgelt und echte Abfindung habe das LSG nicht vorgenommen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sei bei Hinweis auf §§ 9, 10 KSchG ohne weitere inhaltliche Differenzierung von einer echten Abfindung auszugehen und nicht von einem Arbeitsentgelt oder Ersatz dafür. Der Beigeladenen zu 1) habe es freigestanden, auf einen evtl. noch bestehenden Lohnanspruch zu verzichten. Ein solcher Verzicht sei nicht nach § 46 Abs. 2 SGB I unwirksam. Die Beigeladene zu 1) sei seit August 1983 freiwillig krankenversichert gewesen und habe daher an einer Pflichtversicherung bei der Beklagten kein Interesse gehabt. Der Gesetzgeber habe schließlich in der nach § 17 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IV ergangenen ArEV festgelegt, daß lohnsteuerfreie einmalige Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen seien. Die der Klägerin gewährte Abfindung falle unter diese Vorschrift, weil sie unter 24.000 DM betragen habe und deshalb nach § 3 Ziff „8“ Einkommensteuergesetz steuerfrei gewesen sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
- das Urteil des LSG vom 3. September 1987 und das Urteil des SG vom 16. Dezember 1986 sowie den Beitragsbescheid der Beklagten vom 7. Januar 1985 in der Gestalt des Bescheides vom 25. Februar 1985 und des Widerspruchsbescheides vom 17. April 1985 sowie des Teilabhilfebescheides vom 3. September 1987 aufzuheben.
Die Beklagte und die Beigeladenen zu 2) und 3) beantragen
- Zurückweisung der Revision der Klägerin.
Sie halten das landessozialgerichtliche Urteil für zutreffend. Die Beklagte trägt dazu noch vor, der Vergleich vom 26. Juli 1984 sei nach Treu und Glauben auszulegen. Dabei falle der Umstand nicht ins Gewicht, daß die Klägerin seit August 1983 freiwillig krankenversichert gewesen sei. Die Beigeladene zu 1) habe nicht zu Lasten Dritter auf Lohnansprüche verzichten dürfen. Die Frage, welcher Anteil der vereinbarten Zahlung als „echte Abfindung“ anzusehen sei, habe das LSG offenlassen dürfen, einen Widerspruch enthalte das Urteil insoweit nicht.
Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Wie das LSG zu Recht entschieden hat, war die der Beigeladenen zu 1) aufgrund des Vergleichs vom 26. Juli 1984 gewährte „Abfindung“ in der zuletzt von der Beklagten der Beitragsbemessung zugrunde gelegten Höhe rückständiges Arbeitsentgelt, das dem Beitragsabzug in der Kranken-, Angestellten- und Arbeitslosenversicherung unterlag.
Beitragspflichtig ist in der Kranken-, Angestellten- und Arbeitslosenversicherung das von einem versicherungspflichtig Beschäftigten bezogene Arbeitsentgelt. Dabei gelten als Arbeitsentgelt gemäß § 14 Abs. 1 SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden oder ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Zum Arbeitsentgelt in diesem Sinne zählen allerdings, wie der Senat in einem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom heutigen Tag (12 RK 20/88) entschieden hat, nur solche Einnahmen, die sich zeitlich der versicherungspflichtigen Beschäftigung zuordnen lassen. Dies trifft nach dem genannten Urteil auf Abfindungen, die wegen Beendigung der versicherungspflichtigen Beschäftigung für einen Zeitraum nach deren Ende gezahlt werden, grundsätzlich nicht zu, mögen sie auch „im Zusammenhang“ mit der Beschäftigung erzielt worden sein. Anders steht es dagegen mit Zahlungen von rückständigem Arbeitsentgelt anläßlich einer einvernehmlichen Beendigung von Arbeitsverhältnissen oder ihrer gerichtlichen Auflösung im Kündigungsschutzprozeß, selbst wenn sie von den Beteiligten als „Abfindungen“ bezeichnet worden sind. Dies hat der Senat bereits in einer früheren Entscheidung (SozR 2200 § 180 Nr. 39 S 159) ausgesprochen.
Ein solcher Fall liegt hier vor. Wie das LSG zu Recht angenommen hat, stellte die vor dem LAG mit Vergleich vom 26. Juli 1984 vereinbarte Zahlung von 9.500 DM an die Beigeladene zu 1) - jedenfalls mit dem hier fraglichen Anteil - rückständiges Arbeitsentgelt dar. Zwar könnte die im Vergleich gewählte Formulierung, wonach die vereinbarte Zahlung „für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Besitzstandes“ erfolgte, dafür sprechen, daß die Zahlung eine Entschädigung für die Zeit nach dem Ende der Beschäftigung sein sollte. Mit den übrigen Vergleichsbestimmungen und den Umständen des Falles ließe sich eine derartige Auslegung aber nicht vereinbaren. Denn in demselben Vergleich wurde festgestellt, daß das zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1983 aufgrund ordentlicher Kündigung geendet habe. Ebensolange hatte sich die Beigeladene zu 1) - wie das LSG unangegriffen festgestellt hat - zur Arbeitsleistung bereitgehalten; ihr stand daher auch ein Gehaltsanspruch zu, da sich die Klägerin hinsichtlich der Arbeitsleistung in Annahmeverzug befunden hatte. Das Arbeitsentgelt, das der Beigeladenen zu 1) für den von den Vergleichsbeteiligten angenommenen Beschäftigungszeitraum noch zustand, betrug nach Feststellung des LSG zumindest das Fünffache des zuletzt gewährten Monatsgehalts. Dafür, daß die Beigeladene zu 1) auf diese Gehaltsansprüche verzichten wollte, wie die Revision meint, bietet weder der Wortlaut noch der Sinn des Vergleichs vom 26. Juli 1984 einen Anhaltspunkt.
Während des fraglichen Zeitraums (August bis Dezember 1983) bestand auch ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis i.S. des § 7 SGB IV. Dieses erlischt nämlich nicht mit dem Ende der tatsächlichen Beschäftigung des Versicherten, sondern besteht, soweit ein Kündigungsschutzprozeß Erfolg hat, bis zu dem vom Gericht oder im Vergleich festgesetzten späteren Ende des Arbeitsverhältnisses fort (vgl. die Entscheidung des Senats BSGE 52, 152, 155 f). Das der Beigeladenen zu 1) nach dem Vergleich vom 26. Juli 1984 noch geschuldete Arbeitsentgelt läßt sich demnach einem in das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis fallenden Zeitraum zuordnen, war mithin beitragspflichtig. Sollten die Parteien des Vergleichs die Belastung der Zahlung mit Sozialversicherungsbeiträgen haben vermeiden wollen, wofür möglicherweise der Zusatz „brutto = netto“ spricht, so wäre ein derartiger Wille nach § 32 SGB I unbeachtlich.
Die Einwände der Revision gegen diese Beurteilung greifen nicht durch. Eine ständige Rechtsprechung des BAG, daß „bei Hinweis auf §§ 9, 10 KSchG ohne weitere inhaltliche Differenzierung von einer echten Abfindung auszugehen“ sei, ist dem Senat nicht bekannt. Auch wenn die Beigeladene zu 1) seit August 1983 freiwillig krankenversichert war, konnte sie an der Feststellung einer nachträglichen Pflichtversicherung interessiert sein. Denn bei einer - der freiwilligen Krankenversicherung vorgehenden - Pflichtversicherung konnte sie einen Anspruch auf Erstattung ihrer freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge haben (§ 26 Abs. 2 SGB IV). Für die Angestelltenversicherung und Arbeitslosenversicherung war die freiwillige Krankenversicherung ohnehin bedeutungslos.
Der Senat sieht auch keinen „Widerspruch“ in den Feststellungen des LSG, soweit dieses in der vereinbarten Nettozahlung von 9.500,00 DM außer rückständigem Arbeitsentgelt in Höhe von fünf Bruttogehältern in Höhe von je 1.856,70 DM auch noch eine echte Abfindung in Höhe von 2.500,00 bis 3.000,00 DM gesehen hat. Denn diese Aussagen sind - anders als die Revision meint - nicht miteinander unvereinbar. Ein Bruttogehalt von 1.856,70 DM entsprach einem wesentlich niedrigeren Nettogehalt, so daß fünf Nettogehälter die vereinbarte Zahlung von 9.500,00 DM nicht erreichten. Das LSG brauchte dabei keine genaue Aufteilung des Betrages von 9.500,00 DM vorzunehmen, solange dieser Betrag jedenfalls ausreichte, um daraus außer fünf Nettogehältern noch eine angemessene echte Abfindung zu zahlen. Es war nicht Aufgabe des LSG, die von der Beklagten zu Recht beitragsfrei gelassene und damit den Gegenstand des Rechtsstreits nicht berührende Abfindungssumme genau zu bestimmen oder gar der Höhe nach zu überprüfen. Ebensowenig brauchte das LSG die Höhe der fünf Nettogehälter selbst festzustellen, da für die streitige Beitragsbemessung nicht diese, sondern die festgestellten Bruttogehälter maßgeblich waren.
Nicht begründet ist schließlich der Einwand des Klägers, die „Abfindung“ hätte nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV i.V.m. der ArEV beitragsfrei bleiben müssen. § 1 ArEV bestimmt, daß einmalige Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind, soweit sie lohnsteuerfrei sind und sich aus den folgenden Bestimmungen der ArEV nichts Abweichendes ergibt. Der an die Beigeladene zu 1) gezahlte Betrag fiel aber, soweit er von der Beklagten als rückständiges Arbeitsentgelt dem Beitragsabzug unterworfen wurde, nicht unter § 1 ArEV. Denn in diesem Umfange wurde er nicht „zusätzlich“ zum Gehalt der Klägerin gezahlt, sondern stellte selbst Gehalt dar, das freilich erst nachträglich gezahlt wurde.
Nach allem konnte die Revision keinen Erfolg haben.
Im Kostenpunkt beruht das Urteil auf § 193 SGG.