9a/9 RV 1/89
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch insoweit auf die wiederaufgelebte Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) anzurechnen ist, als hieraus Beiträge an die Krankenversicherung der Rentner (KVdR) abgeführt werden.
Seit dem 1965 eingetretenen Tod des zweiten Ehemannes hat die Mutter des Klägers wiederaufgelebte Witwenversorgung nach dem im Zweiten Weltkrieg gefallenen ersten Ehemann bezogen. Auf ihre Witwenversorgung ist gemäß § 44 Abs. 5 BVG die Sozialversicherungsrente nach dem zweiten Ehemann angerechnet worden. Seit Juli 1983 wurde auch das angerechnet, was für die KVdR über den Beitragszuschuß hinaus vom Versicherten selbst an Beiträgen aufzubringen ist. Wegen dieser - stetig steigenden - Belastung ist ein Verfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) in Gang gekommen, in dessen Verlauf die Berechtigte verstorben ist. Ihr Sohn hat das Verfahren fortgesetzt. Nach seiner Auffassung ist nur die „Nettorente“ anzurechnen, also die Summe, die der Witwe tatsächlich ausgezahlt wird. Soweit Beträge unmittelbar an die KVdR abgeführt würden, stehe der Witwe kein Rentenanspruch zu. Bei anderer Auslegung trete eine Benachteiligung durch die zweite Ehe ein, weil alle Versorgungsberechtigten im Krankheitsfall ohne eigene Kostenbeteiligung gesichert seien.
Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Konstanz vom 7. Oktober 1987 und des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 7. November 1988). Nach Auffassung des LSG gilt im Versorgungsrecht allgemein das Bruttoprinzip. Auch aus verfassungsrechtlichen Gründen sei keine andere Entscheidung geboten, weil die wiederaufgelebte Witwenrente eine subsidiäre Leistung sei und die aufgezeigten Belastungen geringfügig und nicht ehegefährdend seien.
Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt und beantragt,
- die angefochtenen Urteile aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, ab 1. Juli 1984 die der verstorbenen Mutter noch zustehende Hinterbliebenenwitwenversorgung nach § 44 Abs. 5 BVG ohne Anrechnung des Krankenversicherungsbeitrages aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Urteile, die seine Rechtsauffassung bestätigen, für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Der Beklagte hat zu Recht eine Änderung seiner Bescheide abgelehnt. Die wiederaufgelebte Witwenversorgung war zutreffend berechnet. Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die sich aus der zweiten Ehe herleiten, sind in voller Höhe auf die Witwenrente nach § 44 Abs. 2 und 5 BVG anzurechnen, auch soweit aus ihnen Beiträge zur Rentnerkrankenversicherung zu zahlen sind.
Der Anspruch auf Witwenversorgung lebt nach § 44 Abs. 2 BVG wieder auf, wenn eine Witwe wieder geheiratet hat und die neue Ehe - wie hier durch Tod - aufgelöst wird. Auf den wiederaufgelebten Versorgungsanspruch sind nach § 44 Abs. 5 BVG Versorgungs-, Renten- oder Unterhaltsansprüche, die sich aus der neuen Ehe herleiten, anzurechnen, soweit sie zu verwirklichen sind und nicht schon zur Kürzung anderer wiederaufgelebter öffentlich-rechtlicher Leistungen geführt haben und auch nicht auf den Kostenträger der Kriegsopferversorgung übergeleitet sind. Damit wird zum einen die Hinterbliebenensicherung vorrangig der zweiten Ehe zugewiesen; aus fürsorgerischen Erwägungen, zugleich um die Neigung zu einer zweiten Eheschließung mit einer subsidiären Leistung zu fördern (vgl. hierzu BSGE 38, 183, 184 f.; SozR 3100 § 44 Nr. 10), wird aber sichergestellt, daß die Witwe nach Auflösung der zweiten Ehe jedenfalls eine Versorgung erhält wie nach der ersten Ehe. Aber nur wenn und soweit der Anspruch aus der neuen Ehe hinter den Ansprüchen aus der früheren Ehe zurückbleibt, wird eine Leistung gewährt; die wiederaufgelebte Rente schließt unter Berücksichtigung aller Unterhaltsansprüche aus der zweiten Ehe eine eventuelle Versorgungslücke, die durch die Wiederheirat oder vielmehr durch die Beendigung der zweiten Ehe entstanden sein kann (st. Rspr. BSG SozR 3100 § 44 Nrn. 3, 10, 12, 16 = BSGE 64, 194). Entsprechend diesen Grundsätzen hat der Beklagte im vorliegenden Fall zu Recht die aus der zweiten Ehe herrührende Witwenrente auch insoweit auf den Versorgungsanspruch angerechnet, als die Witwe aus der zweiten Ehe eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung erworben hat und hierdurch beitragsbelastet ist.
Diese Rechtsfolge ist nicht aus einem „Brutto-„ oder „Nettoprinzip“ abzuleiten, für das sich im BVG keine zwingenden Argumente finden lassen. Sie ergibt sich vielmehr aus der Entwicklung der Rentnerkrankenversicherung und daraus, daß die Krankenbehandlung nach den §§ 10, 12 BVG nicht zu den wiederauflebenden Leistungen nach § 44 BVG gehört, sondern diese lediglich bei Bedarf ergänzt; alle Ausschlußgründe des § 10 Abs. 7 Buchst. a - f BVG müssen nach Wiederaufleben des Versorgungsanspruchs jeweils aktuell geprüft werden und können auf Dauer oder zeitweise den Anspruch auf Krankenbehandlung ausschließen; für die KVdR gelten insoweit keine Besonderheiten.
Seit der Neuregelung des Beitragsrechts der KVdR zum 1. Januar 1983 durch das Rentenanpassungsgesetz (RAG) 1982 vom 1. Dezember 1982 (BGBl. I S. 1205) hatten die Träger der Rentenversicherung bei Zahlung der Renten die darauf entfallenden Beiträge zur KVdR einzubehalten, und zwar von den Zuschüssen des Trägers der Rentenversicherung und, soweit sie seit 1. Juli 1983 die Zuschüsse überstiegen, von den Renten selbst. Entsprechend dieser Regelung ist auch im vorliegenden Fall verfahren worden. Diese Beiträge zur KVdR haben trotz des Besitzstandschutzes in § 4 Abs. 2 RAG zu Härten geführt (vgl. BSG SozR 2200 § 180 Nr. 48). Besitzstandsklauseln zugunsten derjenigen Personen, die neben einer gesetzlichen Rente beamten- oder versorgungsrechtlich oder über einen Anspruch auf Familienhilfe gesichert sind und daher ohnedies im Falle der Krankheit Schutz genießen, fehlen. Die Beteiligung dieser Rentner je nach ihrer Leistungsfähigkeit an den Kosten ihrer Krankenversicherung ist - auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - für rechtens erachtet worden (SozR 2200 § 385 Nrn. 16 und 21; SozR 2200 § 180 Nrn. 21, 23 und 46 = BVerfGE 79, 223; SozR 2200 § 165 Nr. 69 = BSGE 54, 293 und Nr. 93 = BSGE 63, 51; vgl. auch BVerfGE 51, 257; 69, 272). Eine Unterscheidung zwischen Versicherten und deren Hinterbliebenen, insbesondere zugunsten der wiederaufgelebten Witwenrenten nach einer zweiten Ehe drängt sich insoweit nicht auf.
Auch das Versorgungsrecht erlaubt keine die Witwen bevorzugende Auslegung. Es hat die Krankenbehandlung stets nur als fürsorgerische Leistung entsprechend dem Maß der Schutzbedürftigkeit des betroffenen Personenkreises gewährt (BSG SozR 3100 § 10 Nrn. 6, 13, 18). Das Gesetz ordnet die strikte Subsidiarität dieser ergänzenden Leistung an. Jeder Versorgungsberechtigte, der kraft Rentenbezuges krankenversichert ist, muß sich hinsichtlich der Behandlung der Nichtschädigungsfolgen auf seine Krankenversicherung verweisen lassen und die entsprechende Minderung seiner Gesamtbezüge durch die Beitragslast hinnehmen, obwohl er ohne KVdR allein über das BVG Krankenbehandlung erhielte, deren Umfang im wesentlichen der Versicherungsleistung entspräche (BSG SozR 2200 § 385 Nr. 11). Das beruht auf dem grundsätzlichen Vorrang jeder Pflichtversicherung vor der Krankenbehandlung nach BVG. Der Subsidiaritätsgrundsatz gilt auch für sozial schwache Gruppen, wie bereits anläßlich der Einführung der studentischen Pflichtversicherung entschieden worden ist (BSG SozR 2200 § 175 Nrn. 2 und 5 mit Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht a.a.O. Nr. 6).
Vom Grundsatz der Subsidiarität der Krankenbehandlung gerade für den Fall einer wiederaufgelebten Witwenversorgung Abstand zu nehmen, besteht kein überzeugender Grund. Die Witwengrundrente zählte sogar - anders als die Grundrente des Beschädigten selbst - zu den beitragspflichtigen Einnahmen bei einer freiwilligen Krankenversicherung (BSG SozR 2200 § 180 Nr. 8). Ferner fehlt es entgegen der Auffassung des Klägers an einem abstrakten Rechtssatz dahingehend, daß die wiederaufgelebte Witwenversorgung rechnerisch nicht von dem Betrag abweichen dürfte, der ohne die zweite Ehe zu zahlen wäre (vgl. BSG SozR 3100 § 44 Nr. 10). Bedenken lassen sich auch nicht aus Verfassungsgrundsätzen herleiten. Weder der allgemeine Gleichheitssatz noch die staatliche Verpflichtung zur Förderung von Ehe und Familie ist verletzt. Hierzu hat das LSG zutreffend Stellung bezogen.
Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wiederholt entschieden hat, ist die Kriegsopferversorgung als Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung der staatlichen Gemeinschaft eine Aufgabe eigener Art (vgl. BVerfGE 17, 38, 36), die dem Gesetzgeber im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) eine besonders große Gestaltungsfreiheit beläßt, weil es sich um die Beseitigung von Kriegsfolgelasten handelt (vgl. BVerfG SozR 2200 § 175 Nr. 6 m.w.N.). Die Ansprüche nach § 10 BVG sind in Erfüllung staatlicher Fürsorgepflicht eingeräumt worden, wobei der Anspruch auf Krankenbehandlung für unterhaltsberechtigte Angehörige, also auch für Witwen, gemäß § 10 Abs. 7 BVG von vornherein als subsidiärer Anspruch für den Fall fehlender anderweiter gesetzlicher Ansprüche ausgestaltet worden ist. Es liegt deshalb im Rahmen gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit, einen vorrangigen gesetzlichen Anspruch durch Einbeziehung in die KVdR zu schaffen, und zwar für den gesamten durch das BVG begünstigten Personenkreis; hierbei durfte er Witwen, auch soweit ihre Versorgung wiederauflebt, ebenso einbeziehen wie die Versorgungsberechtigten selbst. Die Regelung erweist sich auch nicht als ehefeindlich. Grundsätzlich hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Förderung von Ehe und Familie eine weite Gestaltungsfreiheit (BVerfGE 11, 105, 126; 39, 316). Die Regelungen über eine Witwenversorgung realisieren das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und konkretisieren zugleich das Sozialstaatsgebot (vgl. BVerfGE 62, 323, 332). Ob diese nachgehende Fürsorge im Anschluß an eine durch Tod aufgelöste zweite Ehe aber durch die Einbeziehung in die KVdR oder durch die fürsorgerische Krankenbehandlung nach BVG ergänzt wird, entscheidet der Gesetzgeber und ist nicht verfassungsrechtlich vorgegeben. Danach ist der systemgerechte Vorrang der KVdR vor der subsidiären Krankenbehandlung nach dem BVG nicht zu beanstanden.
Die Revision war mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückzuweisen.