Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

11a RA 6/85

Tatbestand

Streitig ist, ob der Klägerin aus der Versicherung ihres am 10. Februar 1981 verstorbenen geschiedenen Ehemannes (Versicherter) eine Hinterbliebenenrente (Geschiedenenrente) zu gewähren ist.

Die Ehe war am 9. November 1946 geschlossen worden; aus ihr sind zwei in den Jahren 1947 und 1951 geborene Kinder hervorgegangen; sie wurde mit Wirkung vom 16. März 1962 aus dem Verschulden des Versicherten geschieden. Der Versicherte hat im Mai 1968 die Beigeladene geheiratet, die als Beamtin tätig ist. Sie bezieht aus seiner Versicherung eine Witwenrente.

Unterhalt an die Klägerin hat der Versicherte bis zum Jahre 1973 geleistet. Sein Verdienst als Verwaltungsangestellter betrug im Jahre 1980 insgesamt 31.561,00 DM und im Jahre 1981 bis zu seinem Tode 3.382,00 DM brutto. Die Klägerin hat für die Zeit vom 30. Januar 1980 bis zum 30. März 1980 Krankengeld in Höhe von insgesamt 2.605,20 DM, für die Zeit vom 31. März 1980 bis zum 6. April 1980 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von wöchentlich 300,60 DM, für die Zeit vom 7. April 1980 bis zum 14. Oktober 1980 Arbeitslosenhilfe (Alhi) und für die Zeit vom 15. Oktober 1980 bis zum 13. Februar 1981 aufgrund eines befristeten Arbeitsverhältnisses brutto insgesamt 10.694,20 DM erhalten.

Die Beklagte lehnte die im Februar 1981 beantragte Geschiedenenrente ab, da der Versicherte zuletzt keinen Unterhalt gezahlt habe und aus dem Verhalten der Klägerin ein stillschweigender Unterhaltsverzicht folge (Bescheid vom 16. Februar 1981; Widerspruchsbescheid vom 25. September 1981).

Das Sozialgericht (SG) Kiel verurteilte die Beklagte, Geschiedenenrente zu gewähren (Urteil vom 16. Juni 1982). Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das SG Hamburg verwiesen (Urteil vom 1. Dezember 1982). Dieses hat die Beklagte wiederum verurteilt, Geschiedenenrente ab 1. März 1981 zu gewähren (Urteil vom 15. August 1983). Das LSG hat auf die Berufung der Beigeladenen das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 1. August 1984). Es meint, der Versicherte sei zur Zeit seines Todes der Klägerin nicht unterhaltspflichtig gewesen. Maßgebend sei der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode; damit sei stets der beim Versicherten und nicht der bei der geschiedenen Frau gemeint; deren Rentenanspruch solle nämlich nur entstehen, wenn der Versicherte vor seinem Tode leistungsfähig gewesen sei. Damit könne der Ansicht des SG Kiel und des SG Hamburg nicht gefolgt werden, daß das befristete Arbeitsverhältnis der Klägerin unbeachtet zu bleiben habe und auf die Zeit des Bezuges der Alhi vom 7. April 1980 bis zum 14. Oktober 1980 abzuheben sei. Zur Zeit des Todes des Versicherten habe die Klägerin jedenfalls ein höheres Einkommen als der Versicherte erzielt.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 42 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Die Begrenzung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes auf die Verhältnisse des Versicherten widerspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dem Sinn des § 42 AVG und der Einheitlichkeit des Unterhaltsanspruchs. Als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand habe die Zeit vom 7. April bis 14. Oktober 1980 zu gelten.

Die Klägerin beantragt,

  • das Urteil des LSG Hamburg vom 1. August 1984 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente nach § 42 AVG ab 1. März 1981 zu gewähren.

Die Beigeladene hat beantragt,

  • die Revision abzuweisen.

Die Klägerin habe seit 1962 keine Unterhaltsansprüche geltend gemacht und damit auf Unterhaltsansprüche verzichtet bzw. diese verwirkt.

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als die Sache an das LSG zurückzuverweisen ist.

Nach § 42 Satz 1 AVG wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe vor dem 1. Juli 1977 geschieden worden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes - EheG - (1. Alternative) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor dem Tode Unterhalt geleistet hat. Da hier nur die 1. Alternative in Betracht kommt, ist sonach entscheidend, ob die Klägerin gegen den Versicherten zur Zeit seines Todes nach den §§ 58, 59 EheG einen Unterhaltsanspruch - in der für § 42 AVG geforderten Höhe (vgl. zuletzt SozR 2200 § 1265 Nr. 65) - besaß. Das kann der Senat aufgrund der vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht beurteilen.

Das LSG hat zutreffend angenommen, daß nach ständiger Rechtsprechung für die Prüfung des „zur Zeit des Todes“ bestehenden Unterhaltsanspruchs nicht der Todeszeitpunkt, sondern der letzte wirtschaftliche Dauerzustand maßgebend ist; es hat diesen Dauerzustand jedoch im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung nur aus den Verhältnissen des Versicherten ermittelt. Die Formel vom letzten wirtschaftlichen Dauerzustand wurde zu § 1266 Reichsversicherungsordnung - RVO - (= § 43 AVG; Witwerrente) entwickelt (SozR Nr. 1 zu § 1266 RVO) und dann auf § 1265 RVO (= § 42 AVG) übernommen (SozR Nr. 8 zu § 1265 RVO; im weiteren Nrn. 22, 32, 46, 54 sowie SozR 2200 § 1265 Nr. 64). Ausgangspunkt ist die Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrenten; dabei ist jedoch entscheidend, daß das Gesetz nicht darauf abhebt, wie sich die Verhältnisse beim Versicherten, falls er nicht gestorben wäre, vermutlich weiterentwickelt hätten und bei der geschiedenen Frau weiterentwickelt haben. Der Gesetzgeber knüpft vielmehr an einen vor dem Tode tatsächlich bestehenden Zustand an, dessen Fortdauer er ohne den Tod des Versicherten kraft genereller Vermutung unterstellt. Damit nicht vorübergehende Besonderheiten den Ausschlag geben, muß dieser Zustand ein Dauerzustand gewesen sein; nur von dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand läßt sich generell eine Fortdauer ohne den Tod des Versicherten unterstellen.

Im Rahmen des § 1266 RVO (= § 43 AVG) hat die Rechtsprechung den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand mit der letzten wesentlichen Änderung der Einkommensverhältnisse eines Familienmitglieds mit Dauerwirkung beginnen lassen (SozR Nr. 1 zu § 1266 RVO). Gleiche Aussagen finden sich zu § 1265 RVO (= § 42 AVG), wobei jedoch in SozR 2200 § 1265 Nr. 64 (Bl. 216) verdeutlichend an die „Einbeziehung der geschiedenen Ehefrau“ gedacht worden ist. Damit wurde entgegen dem LSG in beiden Vorschriften nicht nur auf die Verhältnisse des bzw. der verstorbenen Versicherten abgestellt; der letzte wirtschaftliche Dauerzustand wurde nicht einseitig als ein Dauerzustand des bzw. der Versicherten verstanden. Da nach § 1266 RVO (§ 43 AVG) die Versicherte zur Zeit des Todes den Unterhalt ihrer Familie bestritten haben muß, müssen hier die Verhältnisse aller Familienmitglieder den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand bestimmen können. In § 1265 RVO (§ 42 AVG) kommt es demgegenüber auf den zur Zeit des Todes bestehenden Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau gegen den Versicherten an. Auch dieser Anspruch richtet sich jedoch nicht allein nach den Verhältnissen des Versicherten, insbesondere nicht allein nach seiner Leistungsfähigkeit; die Verhältnisse der geschiedenen Frau sind, was die §§ 58, 59 EheG erweisen, für den Unterhaltsanspruch ebenfalls von Bedeutung. Deshalb dürfen bei Feststellung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes im Rahmen des § 42 AVG Änderungen in den Verhältnissen der geschiedenen Frau nicht außer acht gelassen werden.

Das LSG hätte sonach prüfen müssen, ob der Aufnahme einer befristeten Beschäftigung durch die Klägerin im Oktober 1980 eine Dauerwirkung zukam. In der Rechtsprechung des BSG (SozR Nr. 46 zu § 1265 RVO) wird das verneint, wenn die zeitliche Befristung schon vor dem Tode feststand und kein Fall vorliegt, in dem sich kurzfristige Beschäftigungen mit beschäftigungslosen Zeiten abwechseln. Ein Sachverhalt mit derartigem Wechseln scheint hier nicht vorzuliegen, das ist aber vom LSG bisher noch nicht erkennbar geprüft worden. Wäre ein Wechselfall nicht gegeben, müßte die Zeit der Arbeitslosigkeit vor dem 15. Oktober 1980 als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand angesehen werden.

Zu einer abschließenden Entscheidung kann auch nicht das Vorbringen der Beigeladenen führen, die Klägerin habe auf ihren Unterhaltsanspruch verzichtet bzw. diesen verwirkt. Zwar ist ein Verzicht auf nachehelichen Unterhalt nach § 72 Satz 1 EheG 1946 (gleichlautend seit 1. Juli 1977: § 1585c Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) zulässig und steht dem Anspruch auf Rente nach § 42 AVG entgegen (SozR Nrn. 33, 35, 54 zu § 1265 RVO); die Annahme eines solchen Erlaßvertrages setzt aber auch bei jahrelanger Unterlassung einer Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs den Willen zu erlassen voraus (Urteil des Senats vom 9. Februar 1984 - 11 RA 84/82 -). Ein solcher Wille ist vom LSG im angefochtenen Urteil nicht festgestellt worden.

Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.

Zusatzinformationen