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5a RKn 15/84

Tatbestand

Die Klägerin bezieht von der Beklagten gemäß Bescheid vom 17. Februar 1981 aufgrund des Deutsch-Polnischen Sozialversicherungsabkommens vom 9. Oktober 1975 (SVA) Witwenrente nach ihrem 1894 geborenen, 1962 in Gleiwitz verstorbenen Ehemann. In diesem Bescheid ordnete sie die Beschäftigungszeit des Versicherten vom 1. August 1945 bis zum 31. Juli 1948 der Leistungsgruppe 3, vom 1. August 1948 bis zum 31. Juli 1951 der Leistungsgruppe 2 und vom 1. August 1951 bis zum 23. Oktober 1959 der Leistungsgruppe 1 der Anlage 1 A 1 zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) zu. Dagegen richtete sich der erfolglos gebliebene Widerspruch der Klägerin, der darauf gestützt wurde, daß im Heiratsschein aus dem Jahre 1931 als Beruf des Versicherten „Dachdecker“ vermerkt sei (Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1981).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 29. Oktober 1981 verurteilt, die Tätigkeit des Versicherten während der Zeit vom 1. August 1945 bis zum 31. Juli 1951 in die Leistungsgruppe 1 einzustufen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) in Abänderung des Urteils des SG die Beklagte am 24. März 1983 verurteilt, die Beschäftigungszeiten bis zum 31. Oktober 1945 in die Leistungsgruppe 3, sodann bis zum 31. Juli 1948 in die Leistungsgruppe 2 und ab 1. August 1948 in die Leistungsgruppe 1 einzustufen, weil es eine Dachdeckerlehre des Versicherten für nicht glaubhaft gemacht erachtet, aufgrund von Zeugenaussagen im Beruf des Dachdeckers aber sehr bald erworbene besondere Fähigkeiten bejaht hat.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 22 FRG i.V.m. dem Begriff der langjährigen Beschäftigung in Anlage 1 A 1 Leistungsgruppe 1 der Anlage zu § 22 FRG. Sie meint, unter Hinweis auf die Leistungsgruppe 1 der Anlage 1 zu Art. 2 § 55 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG), unter einer langjährigen Beschäftigung sei eine mehr als sechsjährige Tätigkeit zu verstehen. Jedenfalls genüge hierfür nicht eine nur der abgeschlossenen Lehre entsprechende Tätigkeitsdauer.

Die Beklagte beantragt,

  • die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 24. März 1983 und des SG Koblenz vom 29. Oktober 1981 aufzuheben, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist, die in der Zeit vom 1. August 1948 bis zum 31. Juli 1951 ausgeübte Tätigkeit des Versicherten in die Leistungsgruppe 1 der Anlage 1 A 1 zu § 22 FRG einzustufen.

Die Klägerin greift mit der unselbständigen Anschlußrevision die Beweiswürdigung des LSG an und bezweifelt eine hinreichende Klärung des Sachverhalts.

Sie beantragt,

  • die Revision der Beklagten zurückzuweisen und - sinngemäß - in Abänderung des Urteils des LSG Rheinland-Pfalz vom 24. März 1983 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Koblenz vom 29. Oktober 1981 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Anschlußrevision der Klägerin als unzulässig zu verwerfen, soweit eine andere Bewertung der Zeit vom 1. August 1945 bis zum 31. Juli 1948 begehrt wird;

hilfsweise,

  • die Anschlußrevision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zulässig, die unselbständige Anschlußrevision der Klägerin ist unzulässig und daher zu verwerfen.

Soweit die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) rügt, muß die Revisionsbegründung gemäß § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Daran fehlt es hier. In der Revisionsbegründung ist insoweit nur ausgeführt, es werde bezweifelt, ob das LSG den Sachverhalt in ausreichendem Maße erforscht habe. Ausführungen dazu, aufgrund welcher sachlich-rechtlichen Auffassung sich das LSG zu welchen weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen und zu welchem Ergebnis diese Ermittlungen nach Auffassung der Klägerin geführt hätten, enthält die Revisionsbegründung nicht. Dies stellt keine genügend substantiierte Rüge des Mangels hinreichender Sachaufklärung dar (BSGE 1, 91).

Die Ausführungen der Revision der Klägerin richten sich gegen die Feststellung des LSG, der Versicherte habe erst nach 1945 Dachdeckerarbeiten ausgeführt. Insoweit wird zur Revisionsbegründung dargelegt, weshalb das LSG nach Auffassung der Klägerin zum gegenteiligen Ergebnis hätte kommen müssen. Die Klägerin rügt somit in Wahrheit eine Verletzung des § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, ohne diese Norm ausdrücklich zu bezeichnen. Die aus § 128 SGG hergeleitete Rüge eines wesentlichen Mangels des Verfahrens setzt voraus, daß das Berufungsgericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten hat (BSGE 2, 236, 237). Nur insoweit kann überhaupt ein Verfahrensverstoß in Betracht kommen. Wird aber als Verfahrensmangel geltend gemacht, das LSG habe die Grenzen freier richterlicher Beweiswürdigung überschritten, etwa weil seine Erwägungen unlogisch seien und gegen die Denkgesetze verstießen, dann muß in der Revisionsbegründung die Gedankenkette des LSG insoweit wiedergegeben und ausgeführt werden, an welcher Stelle und wodurch sich die Gedankenführung des Gerichts zu den allgemeinen Denkgesetzen in Widerspruch setzt (BSG in SozR, SGG § 164 Nr. 47). Auch hieran läßt es die Revisionsbegründung der Klägerin fehlen. Sie enthält zwar zu den einzelnen Beweismitteln eigene Wertungen, nicht aber Ausführungen darüber, inwiefern die Gedankenführung des LSG in Widerspruch zu den allgemeinen Denkgesetzen steht. Mangels einer den Anforderungen des § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG entsprechenden Verfahrensrüge muß die Revision der Klägerin daher gemäß § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

Bei der Entscheidung über die Revision der Beklagten ist demnach von der durch die Klägerin erfolglos angegriffenen Feststellung des LSG auszugehen, daß der Versicherte erstmals ab 1. August 1945 mit Dachdeckerarbeiten befaßt worden ist und dafür keine weiteren Vorkenntnisse besessen hat. Weiter ist nach den für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG davon auszugehen, daß der Versicherte sich schon sehr bald Fähigkeiten angeeignet hat, die ihn über die Tätigkeitsmerkmale der Leistungsgruppe 3 hinausgehoben haben und daß er bald immer größere Verantwortung auch für ihm unterstellte Arbeiter bzw. Lehrlinge getragen und verhältnismäßig schnell eine Stellung erlangt hat, die der eines Facharbeiters gleichzusetzen ist. Diese Funktionen sind als konkreter Inhalt des Berufs, den der Versicherte tatsächlich ausgeübt hat, vor der vom Versicherten geführten oder ihm vom Arbeitgeber gegebenen Berufsbezeichnung maßgebend für die Einstufung in die Leistungsgruppen (so BSG in SozR FRG § 22 Nr. 8 am Ende).

Aus den in der Anlage 1 zum FRG für die Rentenversicherung der Arbeiter außerhalb der Land- und Forstwirtschaft beschriebenen drei Leistungsgruppen wird erkennbar, daß die Leistungsgruppe 3 die Gruppe der Hilfsarbeiter umfaßt, während die Leistungsgruppe 2 sich auf Arbeiter mit einer mindestens drei Monate dauernden Anlernzeit bezieht und die Leistungsgruppe 1 die in der beruflichen Hierarchie über den angelernten Arbeitern stehenden Facharbeiter einschließlich der Meister und Vorarbeiter umfaßt. Mit dieser Einteilung ist - ähnlich dem vom BSG entwickelten 3-Stufen-Schema (vgl. SozR 2200 § 1246 Nr. 16) - der gesamte Bereich der Arbeiterberufe abgedeckt. Dies muß als wesentlicher Ansatz für die Auslegung der in den einzelnen Leistungsgruppen verwendeten Begriffe beachtet werden.

Der Beklagten ist zuzugeben, daß vom Sprachgefühl her zwar eine Neigung besteht, den unbestimmten Rechtsbegriff der langjährigen Beschäftigung dahin zu verstehen, daß damit ein längerer Zeitraum als drei Jahre bezeichnet sein soll. Dies allein berechtigt aber nicht zu dem Schluß, der Gesetzgeber habe diesen unbestimmten Rechtsbegriff in der Leistungsgruppe 1 der Anlage 1 zum FRG für die Rentenversicherung der Arbeiter mit der Vorstellung einer in jedem Fall zu fordernden Mindestzahl von Beschäftigungsjahren verbunden, die in einem bestimmten Verhältnis zur Dauer einer handwerklichen Lehr steht. Denn einen dahingehenden Willen hätte der Gesetzgeber leicht durch eine zeitliche Umschreibung zum Ausdruck bringen können, wie er es in der von der Beklagten zitierten Leistungsgruppe 2 der Anlage 1 A zu Art. 2 § 55 ArVNG getan hat. Das ist jedoch nicht geschehen. Es ist nämlich die entsprechende Anwendung der Leistungsgruppen der Anlage 1 A zu Art. 2 § 55 ArVNG in § 22 Abs. 1 Satz 5 FRG durch Art. 1 § 4 des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl. I S. 476) lediglich für die Bewertung von Sachbezügen, angeordnet worden. Für die Einordnung der ausgeübten Beschäftigungs- und Beitragszeiten verblieb es bei den Leistungsgruppen der Anlage 1 zu § 22 FRG.

Auch die Einteilung der Leistungsgruppen in der Anlage 1 A zu Art. 2 § 55 des ArVNG spricht - für sich allein betrachtet - gegen den von der Beklagten gezogenen Schluß, unter einer langjährigen Beschäftigung eine mehr als sechsjährige zu verstehen. In der Leistungsgruppe 2 der Anlage 1 A zu Art. 2 § 55 ArVNG ist zwar eine mehr als sechsjährige Berufserfahrung einer abgeschlossenen Lehre in bezug auf die Fähigkeit gleichgestellt, alle anfallenden Arbeiten zu beherrschen und ohne Anleitung zu verrichten. Die Leistungsgruppeneinteilung dieser Anlage weicht aber von der oben erwähnten in der Anlage 1 zu § 22 FRG wesentlich ab. In der Anlage zu Art. 2 § 55 ArVNG gibt es nämlich neben der Leistungsgruppe der ungelernten Arbeiter, zu der auch die Arbeiter mit weniger als sechsjähriger Berufserfahrung gerechnet werden, die Gruppe der Arbeiter mit abgeschlossener Lehre oder mehr als sechsjähriger Berufserfahrung und schließlich die oberste Gruppe der Arbeiter, die aufgrund ihrer Fachausbildung ihre Arbeiten unter eigener Verantwortung selbständig ausführen. Die oben erwähnte Gruppe der angelernten Arbeiter ist mithin in der Anlage zu Art. 2 § 55 ArVNG aufgespalten und zum Teil den ungelernten Arbeitern, im übrigen aber den Arbeitern mit abgeschlossener Lehre zugeordnet worden. Dies spricht dagegen, den in der Leistungsgruppe 1 der Anlage 1 zu § 22 FRG verwendeten Begriff der „langjährigen Beschäftigung mit entsprechenden Arbeiten“ dahin zu verstehen, daß es auf eine „mehr als sechsjährige Berufserfahrung“ ankommt.

Gesetzgeberisch hätte es nahe gelegen, durch das sowohl Art. 2 § 55 ArVNG als auch § 22 FRG berührende RVÄndG in bezug auf die unterschiedlich definierten Leistungsgruppen der Anlagen zu diesen Bestimmungen gleiche Wortlaute einzuführen, wenn eine Angleichung gewollt gewesen wäre. Da es in der Anlage zu § 22 FRG bei einer Leistungsgruppeneinteilung geblieben ist, die der der Anlage 1 zur Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) entspricht und von derjenigen in der Anlage 1 A zu Art. 2 § 55 ArVNG abweicht, kann eine zahlenmäßige Festlegung der langjährigen Beschäftigung i.S. des von der Beklagten bezeichneten Beispiels hier nicht als vom Gesetzgeber gewollt erachtet werden.

Auch der Vergleich des in der Anlage 1 B zum FRG in der Leistungsgruppe 4 der Rentenversicherung der Angestellten verwendeten Begriffs der mehrjährigen Berufstätigkeit führt im Vergleich zu der hier zu beurteilenden langjährigen Beschäftigung nicht zu der erforderlichen klärenden Abgrenzung; denn schon eine Berufstätigkeit von zwei Jahren ist eine mehrjährige Berufstätigkeit. Der Senat hält deshalb die Auslegung des Begriffs der langjährigen Berufstätigkeit für sachgerecht, die dem System der von der Rechtsprechung entwickelten Gruppeneinteilung der Berufe in der Rentenversicherung der Arbeiter entspricht. Dabei muß, wie bereits betont, die vom Versicherten tatsächlich ausgeübte Funktion entscheidend sein. Deshalb wäre es eine Ungleichbehandlung gleich zu behandelnder Tatbestände, wenn „Arbeiter, die aufgrund ihrer Fachkenntnisse und Fähigkeiten mit Arbeiten beschäftigt werden, die als besonders schwierig oder verantwortungsvoll oder vielgestaltig anzusehen sind“, nach abgeschlossener Lehre sofort der Leistungsgruppe 1 zuzuordnen wären, ohne eine solche aber erst nach einem Zeitraum der Beschäftigung mit entsprechenden Arbeiten, der stets wesentlich länger als eine dreijährige Lehrzeit zu bemessen wäre. Entscheidend müssen daher grundsätzlich die Dauer und der Inhalt der Beschäftigung, mit den in der Leistungsgruppe 1 genannten Arbeiten sein. Dabei können auch Erfahrungen aus anderen, früher ausgeübten Tätigkeiten im Arbeitsleben in Verbindung mit dem Lebensalter von Bedeutung sein, wenn sie für die in der Leistungsgruppe 1 bezeichneten Arbeiten und die in deren Rahmen tatsächlich ausgeübten Funktionen wesentlich sind. Ergibt sich dabei, daß solche Arbeiten schon sehr bald mit Anleitung anderer Beschäftigter und entsprechender Verantwortung verrichtet worden sind, so ist nach dem Sinn der Leistungsgruppeneinteilung vom Erwerb der entsprechenden Befähigung nach einer Zeit auszugehen, die der einer abgeschlossenen Lehre entspricht.

Aufgrund der für den Senat bindenden Feststellungen des LSG, daß der Versicherte sich nach dem 1. August 1945 schon sehr bald die erforderlichen Fachkenntnisse angeeignet und Verantwortung auch für ihm unterstellte Arbeiter bzw. Lehrlinge getragen und verhältnismäßig schnell eine Stellung erlangt hat, die der eines Facharbeiters gleichzusetzen ist, sind rechtliche Bedenken nicht zu erheben, wenn das LSG in dem hier gegebenen besonderen Fall den Begriff der „langjährigen Beschäftigung mit entsprechenden Arbeiten“ dahin ausgelegt hat, daß er bereits - aber auch frühestens - nach Ablauf der üblicherweise für eine Lehre vorgesehenen Zeit erreicht ist.

Die Revision der Beklagten muß deshalb zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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