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5b RJ 10/84

Tatbestand

Der 1914 geborene Kläger war von 1933 bis 1977 mit wenigen Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 21. Oktober 1955 bis 9. Januar 1956, vom 20. März 1956 bis 13. Mai 1956 und vom 24. August 1957 bis 21. Februar 1958 war seine versicherungspflichtige Beschäftigung durch eine infolge Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit unterbrochen. Die Versicherungskarte Nr 11 mit dem Entgelteintrag für das Jahr 1955 wurde im Jahre 1956 und die Versicherungskarte mit den Entgelteinträgen für die Jahre 1956 bis 1958 wurde im Jahre 1959 aufgerechnet. Die Krankheitszeiten waren nicht eingetragen.

Im Oktober 1976 stellte der Kläger bei der Beklagten Antrag auf Rentenauskunft und fügte die Mitglieds- und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der S.-Betriebskrankenkasse vom 2. Dezember 1975 über die Arbeitsunfähigkeit während der genannten Zeiten bei. In der dem Kläger erteilten Rentenauskunft hieß es, daß die vom Kläger nachgewiesenen Krankheitszeiten nicht als Ausfallzeiten berücksichtigt würden, weil die entsprechenden Monate bereits als Beitragszeit angerechnet würden.

Auf den Antrag des Klägers vom August 1977 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersruhegeld (Bescheid vom 14. September 1977). Der Rentenbescheid geht für die Jahre 1955, 1956 und 1957 von zwölf Pflichtbeitragsmonaten aus und für 1958 von zehn Pflichtbeitragsmonaten. Dabei sind zwei Monate Arbeitslosigkeit (März und April 1958) berücksichtigt. Die Monate Januar und Februar 1958, während denen der Kläger arbeitsunfähig krank war, sind ihm als Pflichtbeitragsmonate angerechnet, weil ihm in dieser Zeit insgesamt 382,00 DM vom Arbeitgeber für 1957 gewährte Dividende zugeflossen waren.

Mit Schreiben vom 22. Oktober 1980 bat der Kläger die Beklagte um Überprüfung seines Rentenbescheids. Die genannten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit seien ihm als Ausfallzeiten anzurechnen. Die Beklagte lehnte die Neufeststellung mit der Begründung ab, daß nach § 1423 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) Eintragungen in die Versicherungskarte zehn Jahre nach Aufrechnung als richtig anzusehen seien (Bescheid vom 20. November 1980; Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 1981). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Mai 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 29. April 1983 das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Altersruhegeld des Klägers unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Krankheitszeiten von 1955, 1956, 1957 und 1958 als Ausfallzeiten neu zu berechnen sowie den 1958 aus 382,00 DM entrichteten Beitrag nach § 1260a Abs 3 RVO der Rentenberechnung zugrunde zu legen.

Es hat im wesentlichen ausgeführt: Bei Erlaß des Rentenbescheides sei das materielle Recht unrichtig angewandt worden. Deshalb sei der Bescheid gemäß § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 1O) zu ändern. Nach § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO und unter Anwendung von § 1260a Abs 3 RVO habe die Beklagte das Altersruhegeld des Klägers unter Berücksichtigung der nachgewiesenen Krankheitszeiten rückwirkend ab Rentenbeginn neu festzustellen. § 1423 Abs 2 RVO stehe dem nicht entgegen. Diese Vorschrift sei eine Schutzvorschrift lediglich zugunsten des Versicherten und nicht auch zugunsten des Versicherungsträgers.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1423 RVO.

Sie beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Mai 1982 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zurückzuweisen. Das LSG hat die Beklagte im Ergebnis zu Recht verurteilt, die vom Kläger nachgewiesenen Krankheitszeiten vom 21. Oktober 1955 bis 9. Januar 1956, vom 20. März 1956 bis 13. Mai 1956 und vom 24. August 1957 bis 21. Februar 1958 als Ausfallzeiten zu berücksichtigen, die Rente neu zu berechnen sowie den 1958 aus DM 382,-- entrichteten Beitrag nach § 1260a Abs 3 RVO der Rentenberechnung zugrunde zu legen.

Das LSG geht in tatsächlicher Hinsicht davon aus, daß der Kläger während der genannten Zeiten krank war und daß seine versicherungspflichtige Beschäftigung durch diese Krankheit unterbrochen wurde. An diese Feststellungen ist das Revisionsgericht gebunden (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Da auch die Voraussetzungen des § 1259 Abs 3 RVO vorliegen, sind die Voraussetzungen einer anrechenbaren Ausfallzeit erfüllt.

Die Beklagte beruft sich zwar zu Recht darauf, daß entsprechend § 1423 Abs 2 RVO mit Ablauf von 10 Jahren nach Aufrechnung der Versicherungskarte die Richtigkeit der Eintragungen der Beschäftigungszeiten, der Arbeitsentgelte und der Beiträge nicht mehr angefochten werden können. Wie der Senat bereits im Urteil vom 24. August 1978 (5 RKn 17/76) und ihm folgend der 4. Senat im Urteil vom 29. Juni 1984 (4 RJ 83/83) ausgeführt haben, dient die Beanstandungsfrist des § 1423 Abs 2 RVO primär dem Rechtsfrieden und gilt deshalb sowohl zugunsten wie auch zuungunsten des Versicherten. Nach Ablauf von 10 Jahren nach Aufrechnung der Versicherungskarte kann sich somit auf die Richtigkeit der Eintragung der Beiträge und die Rechtmäßigkeit ihrer Entrichtung auch der Versicherungsträger berufen. Da hier beide Versicherungskarten, um die es geht, vor 1960 aufgerechnet wurden, war bereits im Jahre 1976, als der Kläger eine Rentenauskunft begehrte, die Zehnjahresfrist abgelaufen. Nach den Feststellungen des LSG sind in den beiden fraglichen Karten für die Jahre 1955, 1956 und 1957 je 12 Pflichtbeitragsmonate und für 1958 10 Pflichtbeitragsmonate eingetragen. Von der Richtigkeit dieser Eintragungen ist deshalb auszugehen. Die Beitragsmonate sind als rechtsgültig zurückgelegt anzusehen.

Die unwiderlegliche Vermutung des § 1423 Abs 2 RVO bewirkt jedoch, wie der Wortlaut des § 1423 Abs 2 RVO eindeutig zeigt, nur eine Feststellung von Beitragszeiten. Auf einen sonstigen Inhalt, zB auf eingetragene Ersatz- und Ausfallzeiten bezieht sich die Unanfechtbarkeit nicht (vgl Eicher/Haase/Rauschenbach, Die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, 6. Aufl 1978, § 1423 Anm 3). Erst recht enthält § 1423 Abs 2 keine Unterstellung der Vollständigkeit der Eintragungen dahin, daß Ausfallzeiten als nicht zurückgelegt gelten, wenn sie nicht in der Versicherungskarte enthalten sind. Nach § 1412 Abs 3 RVO trägt die Ausgabestelle zwar die nachgewiesenen Ausfallzeiten in die umgetauschte Versicherungskarte und in die Aufrechnungsbescheinigung ein. Doch bewirkt das Fehlen dieser Eintragung nicht, daß nach 10 Jahren tatsächlich vorhandene Ausfallzeiten nicht mehr geltend gemacht werden können.

Beitragszeiten und Ausfallzeiten können nebeneinander vorliegen. Zwar besteht zwischen beiden eine Regel-Rangfolge die besagt, daß die stärkere Zeit, also die Beitragszeit, die schwächere, also die Ausfallzeit, verdrängt. Das bedeutet aber nicht, daß das Vorliegen einer Beitragszeit schon begrifflich das Bestehen einer Ausfallzeit für denselben Zeitraum ausschließt. Die Rangfolge vermag sich ggf erst bei den weiteren Rechtsfolgen, etwa bei der Rentenberechnung auszuwirken (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 82). Das hat im vorliegenden Fall zur Folge, daß zwar die Richtigkeit der in den Versicherungskarten eingetragenen Beitragszeiten jedem Zweifel entzogen sind, daß aber daneben gleichwohl die tatsächlich zurückgelegten Ausfallzeiten auf ihre Anrechenbarkeit im Versicherungsfall zu prüfen sind.

Gemäß § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO bleiben die während anzurechnender Ausfallzeiten entrichteten Beiträge unberücksichtigt (vgl hierzu eingehend das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 3. Oktober 1984 - 5b RJ 96/83 -). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Anrechnung der während einer anzurechnenden Ausfallzeit entrichteten Pflichtbeiträge zu keiner höheren Rente führt (vgl BVerfG SozR 2200 § 1255 Nr 17). Das LSG ist in tatsächlicher Hinsicht hier davon ausgegangen, daß die anzurechnenden Ausfallzeiten für den Kläger günstiger sind. Daran ist das Revisionsgericht gebunden (§ 163 SGG). Zugunsten des Klägers sind daher bei der Rentenberechnung die nachgewiesenen weiteren Ausfallzeiten zu berücksichtigen. Soweit Ausfallzeiten die Beitragszeiten nach § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO verdrängen, werden die Beiträge nach § 1260a RVO behandelt. Gemäß § 44 SGB 10 muß die Beklagte nach alledem - wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat - die Rente des Klägers neu feststellen.

Die Entscheidung des 4. Senats vom 29. Juni 1984 aaO steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Der 4. Senat hat sich in dem genannten Urteil wohl zu der Frage geäußert, ob die Unanfechtbarkeit der Eintragung in die Versicherungskarte auch gegenüber den Versicherten wirkt, jedoch keine Ausführungen zu der Frage gemacht, welche Folgerungen dies bei der Rentenberechnung für die Ausfallzeiten hat, die gemäß § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO - trotz der Unanfechtbarkeit der Beitragsentrichtung - zu berücksichtigen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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