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11 RA 6/84

Tatbestand

Streitig ist noch die Aufhebung eines Bescheides über die Bewilligung einer Waisenrente.

Nach dem Tode des Versicherten Franz Sch. am 12. Mai 1973 bewilligte die Beklagte für seine Witwe, die Klägerin, Witwenrente und für die aus der Ehe hervorgegangenen drei Kinder, darunter die am 10. Februar 1962 geborene Roswitha Sch., Waisenrenten. Die Waisenrenten für Roswitha und den jüngeren Bruder Wolfgang wurden mit Bescheid vom 15. April 1980 wegen Änderungen in den Leistungen aus der Unfallversicherung neu berechnet.

Im September 1979 hatte die Klägerin der Beklagten mitgeteilt, daß Roswitha am 1. Oktober 1979 eine Ausbildung zur Krankenschwester aufnehme. Die Beklagte übersandte der Klägerin darauf im Dezember 1979 und im März 1981 Vordrucke mit einem Abschnitt "Bestätigung des Rentenempfängers (Von der Waise auszufüllen und zu unterschreiben)". Dort war ua nach den Worten: "Die Waisenrente ist zu zahlen" anzukreuzen: "an mich" oder "wie bisher - an Bevollmächtigten -". Hierzu kreuzte die Tochter Roswitha im Dezember 1979 das erste und im März 1981 das zweite Feld an. In der folgenden Rubrik fügte sie im ersten Fall ihren Namen und im zweiten Fall den der Klägerin an. In dem weiteren Abschnitt "Bescheinigung der Ausbildungsstätte" waren zur Höhe der Ausbildungsvergütung Angaben gemacht. Laut der Bescheinigung von März 1981 war ab 1. Oktober 1981 eine Anhebung auf 1033,89 DM vorgesehen.

Im Hinblick auf diese Vergütungshöhe erließ die Beklagte den (angefochtenen) Bescheid vom 6. Juli 1982, adressiert an die Klägerin, über den "Wegfall der Waisenrente" für die Tochter Roswitha. Sie hob darin den Bescheid vom 15. April 1980 nach § 48 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) mit Wirkung vom 1. Oktober 1981 auf, weil die Anspruchsvoraussetzungen durch eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen weggefallen seien ("Ab 1. 10. 1981 überschreiten die Bruttobezüge Ihrer Tochter den Grenzwert von 1000,- DM"). Nach weiteren Bemerkungen zur Waisenrente für Wolfgang wurde bestimmt, daß der für die Zeit von Oktober 1981 bis Juli 1982 gezahlte Betrag von 2442,- DM nach § 50 SGB X zu erstatten sei, und die Klägerin zur Überweisung aufgefordert ("Wir bitten Sie, den Erstattungsbetrag ... zu überweisen"). Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch; sie sei sich der Situation nicht bewußt gewesen, habe das Geld gutgläubig für Essen und Trinken verbraucht und sei zur Rückzahlung nicht in der Lage. Die Widerspruchsstelle wies am 6. Januar 1983 mit dem an die Klägerin adressierten Widerspruchsbescheid den Widerspruch ("Ihren Widerspruch") zurück. Darin hieß es ua: "Sie haben die Waisenrente für Ihre am 10. 2. 1962 geborene Tochter Roswitha vom 1. 10. 1981 bis 31. 7. 1982 ... zu Unrecht in Empfang genommen". "Die Waise hat ab 1. 10. 1981 Bruttobezüge ... erzielt, die den Grenzwert von 1000,- DM überstiegen". "Der Erstattungsanspruch der Verwaltung gegen Sie stützt sich auf ...X § 50 SGB". "In Ihrem Falle handelt es sich um die Aufhebung eines Verwaltungsaktes...".

Die nunmehr von der Klägerin erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Nach Ansicht des Landessozialgerichts (LSG) ist der angefochtene Bescheid deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte den Waisenrentenbescheid nicht gegenüber Ruth Sch. habe aufheben und den überzahlten Betrag nicht von dieser habe zurückfordern dürfen. Eine Aufhebung hätte gegenüber Roswitha Sch. ausgesprochen werden müssen. Die Klägerin sei zZt des angefochtenen Bescheides nicht mehr gesetzliche Vertreterin ihrer Tochter Roswitha gewesen; deren Vollmacht habe sich auf die Empfangnahme der Waisenrente bezogen und allenfalls dazu berechtigt, den Aufhebungsbescheid entgegenzunehmen.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte nicht mehr die Aufhebung der Erstattungsverfügung; sie erstrebt nur noch die Abweisung der Klage hinsichtlich der Aufhebung des Waisenrentenbescheides. Sie habe sich wegen der von Roswitha Sch. erteilten Vollmacht bei Verfahrensverhandlungen an die Klägerin wenden müssen. Aus dem angefochtenen Bescheid gehe deutlich hervor, daß er sich auf die Waisenrente der Roswitha Sch. als der materiell Berechtigten beziehe. Der Adressat des Verwaltungsaktes sei im Falle einer Bevollmächtigung nicht auch postalischer Adressat. Da die Klägerin vom Aufhebungsbescheid selbst nicht betroffen sei, könne sie auch nicht in ihren Rechten verletzt sein. Soweit das LSG aus den Umständen gefolgert habe, Adressat der Aufhebungsverfügung sei die Klägerin, habe es § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt.

Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als mit ihr die Aufhebung der Aufhebungsverfügung begehrt wird.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Auszugehen ist davon, daß Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit Frau Ruth Sch. und nicht die Tochter Roswitha ist. Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen, daß sie den Rechtsstreit in Vollmacht ihrer Tochter führen wolle; nach ihrem gesamten Verhalten hat sie die Klage im eigenen Namen erhoben und bis in das Revisionsverfahren für sich betrieben.

Bei ihrer Klage handelt es sich um eine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) gegen den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 1982. Dieser Bescheid enthält zwei Verfügungssätze; im ersten wird der Bescheid über die Bewilligung der Waisenrente für Roswitha aufgehoben, im zweiten die Erstattung erbrachter Leistungen gefordert. Die Vorinstanzen haben beide Verfügungssätze aufgehoben. Hiervon ist die Aufhebung der Erstattungsverfügung rechtskräftig geworden und nurmehr der erste Verfügungssatz, die Aufhebung des Bewilligungsbescheides, im Streit; zu Recht jedoch haben die Vorinstanzen den Bescheid vom 6. Juli 1982 auch in diesem Verfügungssatz nicht bestehen lassen.

Die Entscheidung über die Klage hängt in diesem Teil ebenfalls davon ab, an wen der angefochtene Verwaltungsakt gerichtet war. Nach § 12 Abs 1 Nr 2 SGB X sind Beteiligte des Verwaltungsverfahrens "diejenigen, an die die Verwaltungsbehörde den Verwaltungsakt richten will oder gerichtet hat". Damit im Einklang heißt es in § 37 Abs 1 Satz 1 SGB X, daß ein Verwaltungsakt demjenigen bekanntzugeben ist, "für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird" (gleiche Formulierung in § 33 Abs 3 Satz 3 SGB X). Nach der materiellen Rechtslage durfte die Beklagte den Bescheid nur an die Tochter Roswitha "richten", bzw nur für sie den Bescheid "bestimmen"; die Waisenrente stand ihr, nicht der Klägerin als Mutter zu; nur die Tochter konnte daher von der Aufhebung der Bewilligung der Waisenrente "betroffen" sein.

Das entspricht auch der Auffassung der Beklagten; sie macht geltend, daß sie jedenfalls im ersten Verfügungssatz den Bescheid vom 6. Juli 1982 an die Tochter gerichtet und ihn der Klägerin nur als Bevollmächtigter der damals schon volljährigen Tochter zugeleitet (bekanntgegeben) habe. Hierzu kann der Senat offen lassen, ob die Tochter Roswitha im März 1981 beim Ausfüllen des einen Vordrucksabschnitts der Klägerin gegenüber der Beklagten eine Vollmacht erteilt hat, die hinsichtlich der Waisenrente zu allen Verfahrenshandlungen oder nur zur Entgegennahme von Zahlungen ermächtigte (vgl § 13 Abs 1 SGB X). Wird eine Vollmacht im ersteren Sinne unterstellt, so mußte die Beklagte zwar nicht, wie sie § 13 Abs 3 Satz 1 SGB X entnehmen will, den Bescheid der Klägerin bekanntgeben; nach der Sondervorschrift des § 37 Abs 1 Satz 2 SGB X über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten bei Bestellung eines Bevollmächtigten konnte sie das jedoch tun, dh die Bekanntgabe gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen. Dann durfte allerdings kein Zweifel verbleiben, daß der Verwaltungsakt an die Tochter gerichtet und der Klägerin in ihrer Eigenschaft als deren Bevollmächtigte bekanntgegeben wurde. Für vergleichbare Fälle im Steuerrecht hat der Bundesfinanzhof (BFH) bereits entschieden, daß zwar der "Adressat" des Verwaltungsaktes nicht unbedingt im Anschriftenfeld des Bescheides bezeichnet werden muß; werde dort nur der Bevollmächtigte genannt, genüge es, daß der Adressat jedenfalls aus dem sonstigen Inhalt des Bescheides "mit einer jeden Zweifel ausschließenden Sicherheit entnommen werden kann" (BFHE 112, 452, 454 mit weiteren Hinweisen). Dem schließt sich der erkennende Senat für die Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach § 37 Abs 1 Satz 2 SGB X an Bevollmächtigte an.

Im vorliegenden Falle lassen sich nicht Zweifel daran ausschließen, daß nach dem Inhalt des Bescheides vom 6. Juli 1982 der Adressat die Tochter Roswitha sein sollte. An keiner Stelle des Bescheides wird die Klägerin als Bevollmächtigte der Tochter angesprochen; auch in dem Widerspruchsbescheid, der hier Klarheit hätte schaffen können, geschieht das nicht. Die Ausführungen der Beklagten in beiden Bescheiden deuten im Gegenteil darauf hin, daß die Klägerin als der Adressat des Bescheides vom 6. Juli 1982 gelten sollte. Für den zweiten Verfügungssatz ist es besonders deutlich geworden; hier hat die Beklagte inzwischen auch eingesehen, daß sie die Rückforderung eindeutig gegen die Klägerin gerichtet hat. Im Bescheid vom 6. Juli 1982 und im Widerspruchsbescheid finden sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß abweichend hiervon der erste Verfügungssatz der Klägerin als Bevollmächtigter der Tochter bekanntgegeben werden sollte und daß die Klägerin als Bescheidempfängerin aus ihrer Sicht dies auch erkennen mußte. Die Beklagte führt insoweit nur an, daß sich dieser Verfügungssatz, was aber für den zweiten Verfügungssatz ebenso gilt, ersichtlich auf die Waisenrente für die Tochter bezogen habe. Ein solches Argument mag bei einer Bekanntgabe an berufsmäßig tätige Bevollmächtigte im Regelfall durchgreifen (vgl dazu BFHE aa0). Bei nicht rechtskundigen Personen, wie der Klägerin, kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß sie wissen, wer bei der Waisenrente wie überhaupt bei Leistungen "für Kinder" (vgl zB den Kinderzuschuß) der Anspruchsberechtigte ist. Die Klägerin konnte daher auch den ersten Verfügungssatz genauso wie den zweiten Verfügungssatz als gegen sie selbst gerichtet ansehen; daß Adressat des ersten Verfügungssatzes die Tochter sein sollte, war zumindest keinesfalls zweifelsfrei.

Unter diesen Umständen muß der erste Verfügungssatz des Bescheides vom 6. Juli 1982 als gegen die Klägerin gerichtet behandelt werden. Infolgedessen ist die Klägerin hierdurch beschwert (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG); der angefochtene Bescheid ist auch im ersten Verfügungssatz ihr gegenüber rechtswidrig, weil der frühere Bescheid über die Waisenrente ihr gegenüber nicht aufgehoben werden durfte. Allein wegen der Richtung dieses Verwaltungsaktes gegen sie kann die Klägerin seine Aufhebung verlangen, obgleich sie nach der bereits rechtskräftigen Freistellung von der Rückforderung damit nur noch die Beseitigung einer formalen Belastung erreicht. Darauf, welches Interesse andererseits die Beklagte an dem Fortbestand eines nicht gegen die Tochter Roswitha gerichteten Aufhebungsbescheides haben sollte, braucht der Senat nicht einzugehen.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung gefragt, ob sie nicht befürchten müsse, bei einer wie hier von den Vorinstanzen und dem Senat getroffenen Entscheidung der Tochter bis an deren Lebensende eine Waisenrente zahlen zu müssen. Der Senat teilt diese Befürchtung nicht; nach seiner Meinung dürfte es rechtlich möglich sein, das zu verhindern; dabei könnte schon daran angeknüpft werden, daß die Tochter die Einstellung der Waisenrentenzahlung mit Ende Juli 1982 offenbar hingenommen hat, so daß ein nunmehriges Verlangen auf Weiterzahlung ab August 1982 als Verstoß gegen Treu und Glauben gewertet werden könnte. Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

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