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4 RJ 83/83

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung weiterer Ausfallzeiten.

Durch Bescheid vom 22. Juli 1981 erstellte die Beklagte einen Versicherungsverlauf für den Kläger. Diesen legte sie auch dem durch Bescheid vom 26. August 1981 ab 1. August 1981 gewährten flexiblen Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) zugrunde. Hierbei ergab sich bis zum 31. Dezember 1956 eine pauschale Ausfallzeit von 11 Monaten, da die nachgewiesene Ausfallzeit (8 Monate) für den Kläger ungünstiger war. Ab 1. Januar 1957 wurden aufgrund der Versicherungsunterlagen insgesamt 14 Monate Ausfallzeit angerechnet.

Mit seinem Widerspruch gegen den Rentenbescheid machte der Kläger geltend, die Eintragungen in den Versicherungsunterlagen seien teilweise unrichtig, da einzelne Zeiträume als Beitragszeit bezeichnet seien, obwohl infolge Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit eine Ausfallzeit vorgelegen habe. Eine Anrechnung dieser Zeiten als Ausfallzeiten führe zu einer höheren Rente. Diesen Widerspruch hat die Beklagte dem Sozialgericht (SG) als Klage zugeleitet. Sie blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg (Urteil des SG Braunschweig vom 8. Februar 1983, Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 21. Juli 1983). Zur Begründung führt das LSG u.a. aus, die Rentenberechnung beruhe auf den Eintragungen in den Versicherungsunterlagen des Klägers, die nach § 1423 Abs. 2 Satz 1 RVO unanfechtbar geworden seien. Die Unanfechtbarkeit gelte im Hinblick auf die Wahrung des allgemeinen Rechtsfriedens nicht nur für den Versicherungsträger, sondern auch für den Versicherten. Soweit der Kläger die Anrechnung der Monate Dezember 1955 und 1956 als Ausfallzeit begehre, sei die Forderung unbegründet, weil hierdurch die ohnehin schon angerechnete pauschale Ausfallzeit nicht überschritten werde.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision. Er trägt vor, § 1423 Abs. 2 RVO setze keine den Versicherten bindende Ausschlußfrist. Vielmehr handele es sich nur um eine Schutzvorschrift zugunsten des Versicherten. Es entspreche sowohl der Auffassung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger als auch der Praxis mehrerer Rentenversicherungsträger, nach dem Grundgedanken des § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) die Versicherungsunterlagen auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit i.S. des § 1423 Abs. 2 RVO zugunsten der Versicherten zu berichtigen. Im vorliegenden Falle hätte der Kläger durch eine Berichtigung der Versicherungsunterlagen eine höhere pauschale Ausfallzeit und eine höhere persönliche Rentenbemessungsgrundlage zu erwarten.

Der Kläger beantragt:

1.Das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Braunschweig vom 8. Februar 1983 werden aufgehoben.
2.Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 26. August 1981 verurteilt, bei der Berechnung des Altersruhegeldes des Klägers die Monate Februar und März 1950, Januar bis März 1951, Januar bis April 1956, Dezember 1956, Februar 1957, Februar und Dezember 1965 sowie Januar 1966 nicht als Pflichtversicherungszeiten anzurechnen; statt dessen ist der Rentenberechnung eine pauschale Ausfallzeit von 20 Monaten, eine zusätzliche Ausfallzeit für die Monate Februar 1957, Februar 1965, Dezember 1965 und Januar 1966 sowie eine höhere persönliche Rentenbemessungsgrundlage zugrundezulegen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Mit Recht hat das LSG darauf abgestellt, daß die unwiderlegbare Vermutung des § 1423 Abs. 2 RVO in die Richtigkeit der Eintragung in die Versicherungskarte nicht nur zugunsten, sondern auch zu Lasten des Klägers wirkt. Die Rentenberechnung im angefochtenen Bescheid beruht auf dem unanfechtbar gewordenen Inhalt der Versicherungsunterlagen. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Änderung seines Versicherungsverlaufes.

Eintragungen in die Versicherungsunterlagen begründen nach § 1423 Abs. 1 RVO zunächst die Vermutung ihrer Richtigkeit. Diese Vermutung bezieht sich auf Tatsachen (vgl. Zweng / Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung § 1423 Anm. II, 1), die dem Gegenbeweis zugänglich sind. Nach Ablauf der Anfechtungsfrist des § 1423 Abs. 2 RVO indessen ändert sich der Rechtscharakter der Eintragung in die Versicherungsunterlagen als Beurkundung bestimmter Vorgänge. Schon das Reichsversicherungsamt (RVA GE Nr. 1601 vom 17. Januar 1912 - AN 1912 S 681 -) hat zu der vergleichbaren Regelung des § 1445 RVO a.F. entschieden, daß nach Ablauf der Anfechtungsfrist „unbestreitbares materielles Versicherungsrecht“ entsteht. Dies bedeutet, daß nicht nur durch eine tatsächliche Vermutung eine Beweislage, sondern durch die Begründung eines Versicherungsverhältnisses eine materielle Rechtslage geschaffen wird, ohne daß es noch darauf ankommt, ob und inwieweit diese materielle Rechtslage den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Auch das Bundessozialgericht (Urteile vom 21. Mai 1974 - 1 RA 13/73 = BSGE 37, 219 = SozR 2200 § 1423 Nr. 2 und vom 3. Oktober 1979 - 1 RA 15/78 = BSGE 49, 51, 53) hält den gesetzlichen Schutz der Eintragung in die Versicherungsunterlagen für absolut und nicht allein im Interesse des Versicherten, sondern auch des allgemeinen Rechtsfriedens liegend, eingetragene Entgelte bzw. Beiträge begründen ein wirksames Versicherungsverhältnis (vgl. BSG-Urteil vom 24. August 1978 - 5 RKn 17/76). Dieser Gesichtspunkt gewinnt auch an Bedeutung, wenn man sich vergegenwärtigt, daß eine fortbestehende Anfechtbarkeit von Eintragungen nach Ablauf der gesetzlichen Frist, sei es zugunsten oder zu Lasten des Versicherten, den Rentenversicherungsträger zwingen würde, das Versicherungsverhältnis durch umfangreiche sachliche Ermittlungen zu rekonstruieren, ein Unterfangen, das vielfach an Beweisschwierigkeiten scheitern müßte (vgl. Koch / Hartmann, AVG, § 145 Anm. C III).

Die gegenteilige Ansicht (vgl. Verbandskommentar zur Rentenversicherung, § 1423 Rdn. 8) will aus dem Grundsatz des § 44 SGB X das Recht eines Versicherten ableiten, auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist noch eine Änderung der Eintragungen zu seinen Gunsten herbeizuführen. Dem steht jedoch entgegen, daß die Rechtsposition des Versicherten nicht durch den Verwaltungsakt eines Versicherungsträgers, sondern durch Ablauf einer Frist, also kraft Gesetzes ohne Verwaltungshandeln entstanden ist. Soweit ein Versicherungsträger die für den Versicherten auf diese Weise entstandene Rechtsposition einem Verwaltungsakt (Rentenbescheid) zugrundelegt, wendet er das Recht richtig an, er geht von einem kraft gesetzlicher unwiderlegbarer Vermutung richtigen Sachverhalt aus.
Nach allem ist dem LSG darin beizupflichten, daß der Kläger die Unanfechtbarkeit der Eintragungen in die Versicherungsunterlagen nach § 1423 Abs. 2 RVO gegen sich gelten lassen muß. Dies entspricht auch dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers, denn dieser gebraucht in § 1421 RVO den Begriff „beanstanden“, wenn es um einen Eingriff in das Versicherungsverhältnis durch den Versicherungsträger geht, während er in § 1423 Abs. 2 RVO nicht von „Beanstandung“, sondern davon spricht, daß bestimmte Inhalte der Versicherungsunterlagen „nicht mehr angefochten werden“ können. Dieser Wortlaut ist nach dem Sprachgebrauch des Gesetzes nicht auf den Versicherungsträger zugeschnitten, sondern geht insofern darüber hinaus, als er das Versicherungsverhältnis insgesamt erfaßt. Hieraus folgt, daß auch der Versicherte die Unanfechtbarkeit nach § 1423 Abs. 2 RVO gegen sich gelten lassen muß.

Schließlich kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, daß die Zehnjahresfrist zur Geltendmachung von Berichtigungsansprüchen ohne sein Verschulden verstrichen ist. Er legt keine Tatsachen dar, die ihn daran gehindert haben, den Inhalt der Versicherungskarten unverzüglich zu überprüfen und berichtigen zu lassen. Die Unkenntnis der Zehnjahresfrist genügt hierzu nicht; denn es kann vom Versicherten erwartet werden, daß er seinen Versicherungsverlauf jedenfalls in den hier streitigen Punkten im Hinblick auf die hierzu notwendige Sachaufklärung alsbald und nicht erst bei Eintritt des Versicherungsfalles klärt.

Die vom LSG gegebene Begründung für die Nichtanrechnung der Monate Dezember 1955 und 1956 als Ausfallzeit ist ebenfalls nicht zu beanstanden, so daß sich die Revision des Klägers insgesamt als unbegründet erweist und demzufolge zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

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