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11 RA 62/82

Tatbestand

Der Kläger begehrt für die Zeit von Mai 1972 bis Oktober 1977 die Zuordnung der Leistungsgruppe 2 der Anlage 1 B zu § 22 Fremdrentengesetz (FRG).

Der 1937 geborene Kläger war als Installateur, Obermonteur und zuletzt Installateurmeister in verschiedenen Betrieben in der DDR beschäftigt. Von Mai 1960 bis Dezember 1963 war er in der Bundesrepublik Deutschland im Ölfeuerungs- und Heizungsanlagenbau überwiegend abhängig, von Juli 1961 bis April 1962 selbständig tätig. Von April 1964 bis Mai 1972 führte er wiederum in der DDR einen eigenen Betrieb, der sich mit dem Bau von Industrieölfeuerungsanlagen und Gasfeuerungsanlagen befaßte und zunächst 10, später etwa 20 Arbeitnehmer beschäftigte.

Am 12. Mai 1972 wurde der Betrieb verstaatlicht und der Kläger zunächst zum Betriebsleiter, später zum Direktor bestellt. Ihm standen auch nach der Gründung des VEB zwei Ingenieure, ein Hauptbuchhalter, zwei Kaufleute, ein Meister sowie Facharbeiter der verschiedenen Berufe zur Verfügung. Zum 31. August 1975 wurde der Kläger von der Stadtverordnetenversammlung als Direktor abberufen und war anschließend bis zum 31. Oktober 1977 als Bauleiter mit etwa 15 unterstellten Mitarbeitern tätig. Vom 1. Dezember 1977 bis zum 31. Dezember 1978 war der Kläger wiederum in der Bundesrepublik Deutschland als technischer Angestellter versicherungspflichtig beschäftigt.

Die Beklagte erkannte im Kontenklärungsverfahren mit Bescheid vom 15. August 1979 u.a. die streitige Zeit vom 15. Mai 1972 bis zum 31. Oktober 1977 als Beitragszeit mit der Leistungsgruppe 3 der Anlage 1 B zu § 22 FRG an.

Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 31. März 1980, Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 19. August 1981, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 17. Dezember 1981). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, daß Angestellte der Leistungsgruppe 2 regelmäßig erst nach Vollendung des 45. Lebensjahres über besondere Erfahrungen verfügen. Eine Ausnahme hiervon könne im Falle eines Hochschulstudiums und auch dann angenommen werden, wenn der Versicherte zuvor Positionen innegehabt habe, die ihn aus den allgemeinen Positionen seiner Berufskollegen deutlich herausgehoben hätten. Das sei beim Kläger vor dem 15. Mai 1972 nicht der Fall gewesen; unerörtert könne bleiben, ob die Tätigkeiten ab dem 15. Mai 1972 bzw. dem 1. September 1975 für das vorzeitige Sammeln besonderer Erfahrungen geeignet gewesen seien mit der Folge, daß mit Ablauf des Jahres 1977 deren Vorliegen anzunehmen gewesen wäre.

Mit der vom Senat wegen Abweichung von den vom Kläger angeführten Urteilen des 1. Senats vom 4. Oktober 1979 (BSGE 49, 58) und vom 24. Juni 1980 (SozR 5050 § 22 Nr. 11) zugelassenen Revision rügt der Kläger, das LSG habe verkannt, daß schon aus der Übertragung der hier einzustufenden deutlich hervorgehobenen beruflichen Positionen auf das Vorliegen besonderer Erfahrungen bei Einstellung rückzuschließen sei.

Der erkennende Senat hat beim 1. Senat angefragt, ob den beiden Urteilen die Rechtsauffassung zugrundeliege, aus der Qualität einer Tätigkeit könne geschlossen werden, daß während dieser Tätigkeit (also auch schon zu ihrem Beginn) die für die Einordnung in die Leistungsgruppen 1 und 2 der Anlage 1 B zu § 22 FRG erforderlichen „besonderen Erfahrungen“ vorgelegen haben, und, wenn der 1. Senat das bejaht, ob er an dieser Rechtsauffassung festhält. Der 1. Senat hat geantwortet, den Urteilen liege die Rechtsauffassung zugrunde, aus der Qualität einer Tätigkeit könne geschlossen werden, daß die für die Einordnung in die Leistungsgruppen B 1 und B 2 der Anlage 1 zu § 22 FRG erforderlichen „besonderen Erfahrungen“ bereits vor der Erreichung eines bestimmten Lebensalters vorgelegen haben können. Den Urteilen sei nicht zu entnehmen, daß das Vorliegen besonderer Erfahrungen als solches nicht nachgewiesen zu sein brauche, sondern allein aufgrund der Qualität der Tätigkeit unterstellt oder vermutet werden dürfe.

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Dezember 1981 und das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. August 1981 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 15. August 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 1980 zu verurteilen, für die Zeit vom 15. Mai 1972 bis zum 31. Oktober 1977 die Brutto-Arbeitsentgelte der Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zu § 22 FRG zu berücksichtigen und dem Versicherungsverlauf zugrundezulegen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe

Die Revision war zurückzuweisen.

Der Kläger begehrt im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Herstellung von Versicherungsunterlagen nach § 11 Abs.. 2 der Versicherungsunterlagenverordnung (vgl. SozR 5050 § 22 Nr. 12), wobei für die Zeit vom 15. Mai 1972 bis zum 31. Oktober 1977 die Leistungsgruppe B 2 der Anlage 1 zu § 22 FRG berücksichtigt werden soll. Diese Klage haben beide Vorinstanzen zu Recht als unbegründet angesehen; sie haben die Tätigkeit des Klägers in der streitigen Zeit zu Recht nicht der Leistungsgruppe B 2 zugeordnet.

Die fünf Leistungsgruppen, in die sich die Anlage 1 B zu § 22 FRG gliedert, setzen sich aus den Definitionen und - außer bei der Leistungsgruppe 1 - aus beispielhaft („u.a.“) aufgeführten Berufsbezeichnungen (Berufskatalogen) zusammen. Dabei ist die Einstufung nach der Berufsbezeichnung nur maßgebend, wenn sich „nicht nach den Merkmalen der ausgeübten Beschäftigung eine Einstufung in eine andere Leistungsgruppe ergibt“. Die Einstufung nach den Beschäftigungsmerkmalen der Definition hat also Vorrang vor der Einstufung nach der Berufsbezeichnung (BSG SozR 5050 § 22 Nr. 11 auf Bl. 32). Bei Auslegung einer jeden Definition ist das Gesamtgefüge zu beachten; die Definitionen stehen in einer Stufenfolge, wobei jeweils die höhere Stufe weitergehende Voraussetzungen fordert. Die Leistungsgruppe B 2 umfaßt nach Satz 1 der maßgebenden Definition „Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortungsvoller Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben“. Das vom LSG nach Ansicht der Revision zu Unrecht verneinte Tatbestandsmerkmal der „besonderen Erfahrungen“ ist im Zusammenhang mit entsprechenden Merkmalen der Leistungsgruppen 3 und 4 zu sehen; die besonderen Erfahrungen in der Leistungsgruppe 2 bedeuten daher zwangsläufig mehr als die „mehrjährige Berufserfahrung“ der Leistungsgruppe 3 und erst recht mehr als die „mehrjährige Berufstätigkeit“ der Leistungsgruppe 4 (SozR Nr. 4 zu § 22 FRG). Für den Umfang der jeweils geforderten Erfahrungen ist auch der jeweilige Berufsgruppenkatalog aufschlußreich. Bei den zur Leistungsgruppe 2 beispielsweise aufgeführten Berufen wird regelmäßig ein Alter von über 45 Jahren gefordert. Das beruht auf eingehenden Untersuchungen vor dem Erlaß des FRG, die ergeben haben, daß die für Angestellte der Leistungsgruppe 2 geforderte Qualifikation normalerweise erst in einem solchen Lebensalter erreicht worden ist (SozR Nr. 4 zu § 22 FRG). Umgekehrt ist jedoch nicht allein aus dem Lebensalter auf das Fehlen oder das Vorliegen besonderer Erfahrungen zu schließen. Die regelmäßige Anführung des Lebensalters von 45 Jahren in den Berufsbezeichnungen der Leistungsgruppe 2 schließt nicht aus, daß auch Angestellte unter 45 Jahren schon die für diese Leistungsgruppe geforderten besonderen Erfahrungen haben können; das bestätigt der Berufskatalog, der für einige dort genannte Berufe von einer Altersgrenze absieht, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, daß bei diesen Berufen im Hinblick auf die Ausbildung die „besonderen Erfahrungen“ schon früher erworben werden.

Diese Erwägungen verbieten es, die Lebensaltersgrenze ohne Rücksicht auf den Einzelfall rein schematisch anzuwenden. Dementsprechend hat die Rechtsprechung schon wiederholt hervorgehoben, daß z.B. bei qualifizierten Ausbildungen, insbesondere bei einer Hochschulausbildung, und bei herausragenden Berufstätigkeiten die „besonderen Erfahrungen“ auch schon in einem jüngeren Lebensalter erworben sein können (BSGE 24, 113, 115 = SozR Nr. 2 zu § 22 FRG; SozR Nr. 4 zu § 22 FRG; BSGE 39, 95, 96 = SozR 5050 § 22 Nr. 1). Der erkennende Senat hatte im letzteren Falle „deutlich herausgehobene Berufspositionen“, der 1. Senat „außergewöhnliche Berufserfolge“ im Auge; insoweit stimmen die Auffassungen beider Senate also überein. Der erkennende Senat pflichtet dem 1. Senat darüber hinaus darin bei, daß Erfahrungen allgemein bei „höherwertigen“ Tätigkeiten schneller erworben werden können.

Zu beachten ist jedoch, daß in allen diesen Fällen die „besonderen Erfahrungen“ der Leistungsgruppe 2 in einem Alter unter 45 Jahren nur dann vorhanden sein können, wenn und sobald die schneller angeeigneten Erfahrungen das Ausmaß der Erfahrungen erreicht haben, das andere Angestellte bei üblichem Berufsweg regelmäßig erst im Alter von 45 Jahren besitzen. Deshalb hat der erkennende Senat z.B. bei der Hochschulausbildung (BSGE 39, 95) darauf hingewiesen, daß die besonderen Erfahrungen der Leistungsgruppe 2 nicht schon mit dem Abs.chluß der Hochschulausbildung, sondern erst nach einer anschließenden (qualifizierten) Tätigkeit und dann in der Regel nicht vor Vollendung des 30. Lebensjahres erworben sein können; der 1. Senat ist dem beigetreten (SozR 5050 § 22 Nr. 11). Für nichtakademisch gebildete Angestellte in deutlich herausgehobener beruflicher Position (mit außergewöhnlichem Berufserfolg) muß aber Ähnliches gelten, was nicht besondere Fallgestaltungen ausschließt, in denen bei ganz außergewöhnlichem Berufsweg sogar schon vor Vollendung des 30. Lebensjahres eine Einstufung in die Leistungsgruppe 1 in Frage kommen könnte (BSGE 49, 58 = SozR 5050 § 22 Nr. 10 und SozR a.a.O. Nr. 11 auf Bl. 33). Indessen wird es recht selten sein, daß von Angestellten mit besonders herausragenden Positionen der Erfahrungsstand eines 45jährigen, der eine mittlere Position der Leistungsgruppe 2 aufgrund normaler beruflicher Entwicklung erreicht hat, schon vor Vollendung des 30. Lebensjahres erworben sein wird.

Das LSG hat angenommen, daß der Kläger, auch wenn er den Angestellten zugeordnet werde, die aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer herausragenden Position schon in einem jüngeren Lebensalter besondere Erfahrungen aufweisen könnten, bis zum Ende der streitigen Zeit im Oktober 1977 bei einem dann erst erreichten Lebensalter von etwa 40 Jahren noch nicht über die geforderten besonderen Erfahrungen verfügt habe. Der Kläger rügt zu Unrecht unter Hinweis auf die von ihm genannten Urteile des 1. Senats (BSGE 49, 58 = SozR 5050 § 22 Nr. 10 und SozR a.a.O. Nr. 11), in derartigen Fällen müsse aus der Qualität der Tätigkeit geschlossen werden, daß die „besonderen Erfahrungen“ schon bei Übertragung dieser Tätigkeit, mithin also auch schon zu deren Beginn vorgelegen hätten. Der 1. Senat hat auf Anfrage die Urteile dahin erläutert, daß das Vorliegen besonderer Erfahrungen nicht allein aufgrund der Qualität der Tätigkeit unterstellt oder vermutet werden dürfe. Das entspricht der Meinung des erkennenden Senats. Besonders qualifizierte Ausbildungen, deutlich herausgehobene Berufspositionen oder allgemein höherwertige berufliche Tätigkeiten können „besondere Erfahrungen“ nicht ersetzen, sondern nur ihren Erwerb fördern; auch wenn herausgehobene Berufspositionen an sich nur Personen mit „besonderen Erfahrungen“ übertragen werden dürften, darf nicht umgekehrt aus dem Innehaben solcher Positionen ohne weiteres auf schon bereits vorliegende „besondere Erfahrungen“ im Einzelfall geschlossen werden. Das gilt auch dann, wenn auffallende Begabungen und Befähigungen sowie Fleiß und Können zu einem rascheren Berufsaufstieg geführt haben. Ein noch ohne „besondere Erfahrungen“ mit einer deutlich herausgehobenen Berufsposition betrauter Angestellter kann allerdings dann ggf. während dieser Tätigkeit gerade wegen ihres höheren Wertes die „besonderen Erfahrungen“ erwerben.

Das LSG hat daher zu Recht zunächst geprüft, ob der Kläger aufgrund seines vorherigen beruflichen Werdeganges schon zu Beginn der streitigen Tätigkeit den geforderten Erfahrungsstand erreicht hatte. Hierzu hat das LSG festgestellt, der Kläger habe nach versicherungspflichtiger Beschäftigung als Obermonteur, Installateur und Techniker im April 1964 die selbständige Leitung eines Handwerksbetriebes übernommen, der sich mit dem Bau von Industrieölfeuerungsanlage und Gasfeuerungsanlagen befaßte und zehn Arbeitskräfte, ab Januar 1968 20 Arbeitskräfte umfaßte. Obgleich es sich um einen Spezialbetrieb gehandelt habe, dessen Leitung weitgehende Spezialkenntnisse erfordere, könne die Leitung eines handwerklich strukturierten Betriebes mit zehn bis 20 Arbeitskräften gegenüber anderen angestellten Handwerksmeistern mit Weisungsbefugnis für unterstellte Facharbeiter nicht als „besonders herausragende berufliche Position“ angesehen werden. Dem hält der Kläger zu Unrecht Materialbeschaffung, Finanzplanung und den Auftragseingang getragen habe. Das LSG hat berücksichtigt, daß der Kläger als Selbständiger tätig war; das umfaßt die vom Kläger aufgezeigten - regelmäßig mit einer selbständigen Tätigkeit verbundenen - Umstände. Der Ansicht des LSG, daß diese Umstände bei einem handwerklich strukturierten Betrieb mit bis zu 20 Arbeitnehmern auch im Falle einer Spezialtätigkeit im Regelfall nicht die Wertung als eine - bezogen auf die Leistungsgruppe 2 - besonders herausragende Position rechtfertigen, läßt sich nicht beanstanden. Die Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls liegt überwiegend auf tatsächlichem Gebiet und läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

Dem LSG ist schließlich darin zuzustimmen, daß der Kläger den geforderten Erfahrungsstand nicht dann innerhalb der strittigen Zeit für einen Rest dieser Zeit erreicht hatte. Das LSG hat offengelassen, ob die vom Kläger ab Mai 1972 und ab September 1975 ausgeübten Tätigkeiten zum vorzeitigen Sammeln besonderer Erfahrungen geeignet waren. Das ist dahin zu verstehen, daß diese Tätigkeiten jedenfalls nicht soweit herausragten, daß der Kläger schon in einem Alter von bis zu 40 Jahren den notwendigen Erfahrungsstand hätte erreichen können. Soweit darin tatsächliche Feststellungen liegen, sind diese nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen. Rechtsfehler sind auch hier nicht ersichtlich, zumal der Kläger in der zweiten Hälfte der streitigen Zeit ab September 1975 als Bauleiter eine andersartige Tätigkeit ausgeübt hat, was bei der Bewertung des Erfahrungsstandes nicht unberücksichtigt bleiben kann.

Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung, die das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde einschließt, beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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