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5b RJ 16/82

Gründe I.

Streitig ist die Berücksichtigung einer nach § 1260c der Reichsversicherungsordnung (RVO) als Ersatzzeit unberücksichtigt gebliebenen Wehrdienstzeit bei Ermittlung der pauschalen Ausfallzeit nach Art. 2 § 14 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG).

Der am 27. Mai 1923 geborene Kläger entrichtete von 1937 bis 1940 als Schlosserlehrling Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, leistete vom 1. Dezember 1940 bis zum 10. Juni 1945 Wehrdienst, arbeitete anschließend bis September 1957 in der DDR in seinem Beruf und wurde dann von der Bundesbahn ins Arbeiter- und später ins Beamtenverhältnis übernommen. Er bezieht eine unter Berücksichtigung der Zeit vom 1. Dezember 1940 bis zum 10. Juni 1945 bemessene Beamtenpension.

Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 16. Juni 1981 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Dabei rechnete sie die Wehrdienstzeit als Ersatzzeit nicht an, berücksichtigte sie aber bei der Bemessung der pauschalen Ausfallzeit gemäß Art. 2 § 14 ArVNG als von der Gesamtzeit abzuziehende Versicherungszeit.

Der auf Nichtanrechnung der Wehrdienstzeit als Versicherungszeit gerichteten Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 4. November 1981 stattgegeben, weil die bisher als Ersatzzeit zu wertende Wehrdienstzeit durch § 1260c RVO ihre Eigenschaft als Versicherungszeit im Sinne von § 1250 Abs. 1 RVO und Art. 2 § 14 ArVNG eingebüßt habe.

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung des Art. 2 § 14 ArVNG und des § 1260c RVO. Der aus § 1260c RVO erkennbare Wille des Gesetzgebers, die Doppelanrechnung von Zeiten sowohl in der Beamtenversorgung als auch in der Rentenversicherung zu verhindern, werde unterlaufen, wenn die einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen zugrunde gelegte Ersatzzeit bei Ermittlung der pauschalen Ausfallzeit nach Art. 2 § 14 ArVNG nicht als Versicherungszeit vom Gesamtzeitraum abgesetzt werde.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des SG Lübeck vom 4. November 1981 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 16. Juni 1981 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Er meint, die Beklagte verkenne das Wesen der pauschalen Ausfallzeit und die Grenzen des § 1260c RVO.

Gründe II.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist begründet. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 16. Juni 1981 abzuweisen. Zu Recht hat die Beklagte die dem Kläger bereits bei seiner Beamtenversorgung angerechnete Wehrdienstzeit vom 1. Dezember 1940 bis 10. Juni 1945 als Ersatzzeit unberücksichtigt gelassen, sie aber bei Berechnung seiner Pauschalausfallzeit nach Art. 2 § 14 ArVNG als Versicherungszeit von der Gesamtzeit abgezogen.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß die Wehrdienstzeit des Klägers wegen ihrer Berücksichtigung bei seiner Beamtenversorgung nach § 1260c RVO als Ersatzzeit unberücksichtigt zu bleiben hat. Streitig ist allein, ob die in dieser Vorschrift genannten Ersatzzeiten nach dem Willen des Gesetzgebers ihre Eigenschaft als anrechnungsfähige Versicherungszeiten im Sinne von § 1250 Abs. 1 verloren haben. Dies kann jedoch, wie inzwischen auch der 11. Senat des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 17. März 1983 - 11 RA 19/82 - entschieden hat, weder der rentenversicherungsrechtlichen Systematik noch der Zweckbestimmung des § 1260c RVO entnommen werden.

Art. 2 § 14 ArVNG diente schon in seiner ursprünglichen Fassung dem Ausgleich der durch Kriegsereignisse nicht mehr nachweisbaren unverschuldeten Ausfälle an Versicherungszeiten, indem er eine im Einzelfall nicht nachgewiesene pauschale Ausfallzeit auf die Rente zur Anrechnung brachte. Daran hat auch die Neufassung der Bestimmung durch Art. 2 § 1 Nr. 4 des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl. I S. 476) nichts geändert. Denn auch diese Regelung gilt nach ihrem Satz 1 nur, „wenn der Berechtigte nicht längere Ausfallzeiten nachweist“. Es wird innerhalb des als „Gesamtzeit“ bezeichneten Versicherungslebens ein näher umschriebener Teil der Nichtversicherungszeit ohne Nachweis eines Ausfallzeit-Tatbestandes (vgl. § 1259 RVO) als pauschale Ausfallzeit angerechnet. Diese Regelung kann sich nach ihrem Sinn und Zweck nur auf Zeiten innerhalb des Versicherungslebens beziehen, die nicht Versicherungszeiten sind oder ohnehin schon wie Versicherungszeiten behandelt werden (vgl. § 1250 Abs. 1 RVO). Denn ein Versicherter, der in seinem Versicherungsleben keine Ausfälle an Versicherungszeiten hat, bedarf keines Ausgleiches solcher Ausfälle und damit keiner Ausfallzeiten. Es entspricht deshalb dem Konzept der pauschalen Ausfallzeitregelung, Ersatzzeiten dabei als Versicherungszeiten zu behandeln. Davon könnte nur abgegangen werden, wenn etwa der Gesetzgeber die vom Begriff der Ersatzzeit ausgehende dem Versicherten günstige Wirkung generell aufheben würde, indem er sie beispielsweise nur noch für die Erfüllung der Wartezeit und nicht mehr für die Höhe der Rente rechtserheblich sein ließe. Eine solche Einschränkung der Wirkung der Ersatzzeit ist mit § 1260c RVO jedoch nicht eingeführt worden.

Der mit dem 20. Rentenanpassungsgesetz (20. RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl. I, 1040) eingeführte § 1260c RVO schränkt zwar die der Ersatzzeit eigene Wirkung unter bestimmten Voraussetzungen ein, hebt sie aber nicht generell auf. Nur soweit sie einer Versorgung aus einem vor dem 1. Januar 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zugrunde gelegt werden, bleiben die Ersatzzeiten - ebenso auch Ausfallzeiten und Zurechnungszeiten - bei der Berechnung der Versicherten- und Hinterbliebenenrente unberücksichtigt. Sie werden jedoch im übrigen nicht berührt, wie sich schon aus der Beibehaltung ihrer Bezeichnung ergibt. Ihre die Versicherten begünstigende Wirkung, die in der Wiedergutmachung eines aus bestimmten Opferlagen (vgl. § 1251 Abs. 1 RVO) herrührenden Verlustes an Versicherungszeiten besteht, wird von § 1260c RVO nicht beseitigt, sondern nur systemübergreifend auf das Maß einer einfachen - statt einer möglicherweise doppelten - Wiedergutmachung zurückgeführt. Da bei der Anrechnung der Ersatzzeittatbestände der Beamtenversorgung Vorrang eingeräumt worden ist, muß sie, wenn das zutrifft, bei der Rentenversicherung notwendigerweise entfallen. Es handelt sich mithin in der Regelung des § 1260c RVO nicht um eine Änderung des Begriffs und der Wirkung der Ersatzzeit in der Rentenversicherung, sondern nur um die Systemangleichung an das Beamtenversorgungsrecht. Diese rechtfertigt nicht den vom SG und vom Kläger gezogenen Schluß, § 1260c RVO nehme den davon betroffenen Ersatzzeiten deren Eigenschaft als Versicherungszeit.

Dieses Ergebnis wird von der Entstehungsgeschichte des § 1260c RVO bestätigt. Die Vorschrift wurde dem Regierungsentwurf zum 20. RAG erst vom Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung beigefügt (vgl. BT-Drucks. 8/337, S. 86 und 90). Nach der dort gegebenen Begründung sollte die Doppelanrechnung von Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten in den Fällen, in denen sie zu Überversorgungen führen könne (vor allem bei Beamten, bei denen das Beamtenverhältnis vor 1966 begründet worden sei), beseitigt werden und eine Anrechnung der Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten bei der Berechnung der Rente in der Rentenversicherung nicht mehr erfolgen, wenn diese Zeiten bereits bei der Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen berücksichtigt seien.

Hätte der Gesetzgeber in den Fällen des § 1260c RVO die dort genannten Zeiten nicht nur bei der Rentenberechnung ausschließen, sondern ihnen darüber hinaus auch ihre übrigen versicherungsrechtlichen Wirkungen ganz oder teilweise nehmen wollen, hätte es einer ausdrücklichen Einschränkung dieser verschiedenen Wirkungen bedurft. Das ist jedoch nicht geschehen. Ohne ausdrückliche Einschränkung muß es daher auch im Rahmen des Art. 2 § 14 ArVNG bei der Zugehörigkeit der Ersatzzeiten zu den Versicherungszeiten verbleiben, zumal es sich bei der in Art. 2 § 14 ArVNG getroffenen Regelung in der seit dem 1. Januar 1966 geltenden Fassung - wie bereits im BSG-Urteil vom 17. März 1983 a.a.O. näher dargelegt - nicht mehr um eine reine Berechnungsvorschrift handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

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