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4 RJ 75/81

Tatbestand

Die im Jahr 1897 geborene Klägerin heiratete im Jahr 1935 den Kraftfahrer F. E.. Sie bezieht seit 1962 von der Beklagten Altersruhegeld. Auf Antrag des Ehemannes, der seit 1967 von der Beklagten Altersruhegeld bezieht, wurde die Ehe durch Urteil des Familiengerichts (FamG) C. vom 28. Oktober 1977 rechtskräftig geschieden. Mit Beschluß vom 19. Mai 1979 übertrug das FamG Rentenanwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 365,57 DM monatlich, bezogen auf das Ende der Ehezeit am 31. Juli 1977, vom Versicherungskonto des Ehemannes auf das der Klägerin. Der Beschluß wurde der Beklagten am 29. Mai 1979 zugestellt; er wurde am 30. Juni 1979 rechtskräftig. Am 27. September 1979 fragte die Beklagte bei dem FamG an, ob der Beschluß rechtskräftig geworden sei. Das Gericht antwortete am 4. Oktober 1979, die Entscheidung sei am 30. Juni 1979 rechtskräftig und wirksam geworden; das Schreiben ging am 11. Oktober 1979 bei der Beklagten ein. Mit Bescheid vom 5. Dezember 1979 berechnete die Beklagte das Altersruhegeld der Klägerin "wegen Übertragung von Rentenanwartschaften ab 1. Dezember 1979 neu", und zwar höher. Für die Zeit bis zum 30. November 1979 zahlte sie dem Ehemann das Altersruhegeld im bisherigen Betrag.

Auf die Klage hin hat das Sozialgericht (SG) Berlin mit Urteil vom 6. November 1980 den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1979 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Juli 1979 die nach Durchführung des Versorgungsausgleichs erhöhte Rente zu gewähren; es hat die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 24. Juni 1981 die Berufung der Beklagten "mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß ihr Bescheid vom 5. Dezember 1979 - berichtigt durch Bescheid vom 11. Februar 1980 - statt aufgehoben lediglich geändert wird und die Beklagte verurteilt bleibt, der Klägerin seit dem 1. Juli 1979 das nach Durchführung des Versorgungsausgleichs erhöhte Altersruhegeld zu gewähren"; es hat die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, § 1587p Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sei nicht dahin auszulegen, daß die Schutzfrist erst mit der Zustellung der rechtskräftigen Entscheidung zu laufen beginne; dafür bestehe auch kein Bedürfnis, weil der Versicherungsträger hinreichend Zeit gehabt habe, sich vor doppelter Inanspruchnahme zu schützen.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1587p BGB und trägt vor: Als fristauslösendes Ereignis bei Anwendung des § 1587p BGB könne nur die Rechtskraftmitteilung des FamG, nicht aber schon die Zustellung des Urteils oder Beschlusses des FamG, mit dem die Versorgungsanwartschaften übertragen werden, angesehen werden. Zwar sei ein Rechtskraftzeugnis nach § 706 Zivilprozeßordnung (ZPO) grundsätzlich nur auf Antrag des Prozeßbeteiligten zu erteilen, das Bundesjustizministerium habe aber die FamGe angewiesen, den Versicherungsträgern von Amts wegen mitzuteilen, wann die Entscheidung über den Versorgungsausgleich rechtskräftig und wirksam geworden ist. Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise: die Beklagte zu verurteilen, die durch den Versorgungsausgleich erhöhte Rente ab 1. September 1979 zu gewähren, und im übrigen die Revision zurückzuweisen.

Auf den Schriftsatz der Rechtsanwälte Dr. B. und T. vom 16. Dezember 1981 wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet, soweit sie sich gegen die Zahlung des höheren Altersruhegeldes an die Klägerin für den Monat Juli 1979 wendet, im übrigen unbegründet.

Das FamG hat mit Beschluß vom 19. Mai 1979 Rentenanwartschaften vom Versicherungskonto des Mannes auf das der Frau (Klägerin) übertragen (§ 1587b Abs 1 Satz 1 BGB). Der Beschluß ist am 30. Juni 1979 rechtskräftig (vgl § 53g Abs 1 FGG) und wirksam geworden (zu dem zusätzlich zur Rechtskraft erforderlichen Eintritt der Wirksamkeit vgl § 629d ZPO). An diesem Tag haben sich unmittelbar das Versicherungskonto der Klägerin um die übertragenen Rentenanwartschaften erhöht und das ihres früheren Ehemannes entsprechend vermindert, dadurch waren die Anspruchsvoraussetzungen für eine höhere Rente der Klägerin erfüllt. Daraus folgt jedoch noch nicht, daß die Beklagte die höhere Rente auch von diesem Zeitpunkt an der Klägerin zahlen mußte, denn ihr steht eine Schutzfrist zur Verfügung.

Bei der Übertragung von Rentenanwartschaften zwischen Versicherten, die beide bereits Rentenbezieher sind, bedarf der durch die Entscheidung des FamG bewirkte (unmittelbare) Übergang der Anwartschaften einer versicherungsmäßigen Durchführung. Der Träger der Rentenversicherung muß die Werteinheiten ermitteln (§ 1304a Abs 1 Sätze 1 und 2 Reichsversicherungsordnung -RVO-), den Höchstbetrag berechnen (§ 1304a Abs 1 Sätze 3 bis 5 RVO), die jeweils neuen Rentenhöhen errechnen und das Ergebnis in einem Bescheid feststellen. Dazu bedarf er einer angemessenen Bearbeitungszeit (vgl BT-Drucks 7/4361 S 50). Diesem Erfordernis trägt der vom Ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) mit Wirkung vom 1. Juli 1977 eingefügte § 1587p BGB Rechnung. Danach ist der Rentenversicherungsträger erst nach Ablauf einer Schutzfrist verpflichtet, an den berechtigten Ehegatten die höhere Rente zu zahlen; bis dahin muß dieser eine Leistung an den verpflichteten Ehegatten gegen sich gelten lassen. Die Schutzfrist beginnt nach dem Wortlaut der Vorschrift mit dem Zeitpunkt, zu dem dem Rentenversicherungsträger die (rechtskräftige) Entscheidung zugestellt worden ist, und endet mit Ablauf des darauffolgenden Monats.

Wie insbesondere der 11. Senat in seiner Entscheidung vom 9. September 1982 - 11 RA 69/81 - unter Heranziehung der Gesetzesentwicklung dargelegt hat, ist die Vorschrift des § 1587p BGB ihrer Wortfassung nach nicht anwendbar, weil sie von einer Verfahrensgestaltung ausgeht, die nicht dem geltenden Recht entspricht, nämlich daß der Rentenversicherungsträger nicht Beteiligter des familiengerichtlichen Streites ist. Bei dieser Konstellation würde er von der Übertragung der Rentenanwartschaften erst erfahren, wenn das Familiengericht ihm die rechtskräftige Entscheidung zustellt. Er müßte zudem nach Zugang der Entscheidung unverzüglich handeln, damit die Rentenänderungen in der vorgesehenen Frist abgewickelt werden könnten.

Entgegen der ursprünglichen Absicht hat das 1. EheRG die Rentenversicherungsträger in das Verfahren einbezogen (§ 53b Abs 2 FGG), wodurch diese auch formell die Stellung eines Beteiligten erhalten haben. Da den Beteiligten die Entscheidungen des FamG zuzustellen sind (§ 621a Abs 1 iVm § 317 ZPO), erlangen sie von der Entscheidung des FamG alsbald nach deren Erlaß Kenntnis, jedenfalls aber schon bevor die Entscheidung rechtskräftig wird. Zwar kann die Schutzfrist des § 1587p BGB im Regelfall erst beginnen, wenn der Rentenversicherungsträger von dem Eintritt der Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung Kenntnis hat - sofern zu diesem Zeitpunkt auch die Ehe rechtskräftig geschieden worden ist (§ 629b iVm § 629 Abs 3 ZPO) -, weil erst dann für ihn endgültig feststeht, daß und wieviel Rentenanwartschaften zu übertragen sind. Von dieser Überlegung geht auch die Fassung des § 1587p BGB aus. Da aber, im Gegensatz zur Wortfassung, die dem Rentenversicherungsträger bereits zugestellte Entscheidung nach Eintritt der Rechtskraft nicht nochmals zugestellt wird, läßt sich der Termin des Beginns der Schutzfrist nicht unmittelbar aus der Vorschrift entnehmen, er muß vielmehr aus Sinn und Zweck der Vorschrift erschlossen werden. Insoweit ist es als wesentlich anzusehen, daß die Rentenänderungen - Erhöhung der Rente des Berechtigten, Herabsetzung der Rente des Verpflichteten - so bald wie möglich durchgeführt werden, weil erst damit der wirtschaftliche Zustand hergestellt wird, der für die geschiedenen Eheleute aufgrund der Entscheidung des FamG gelten soll. Aus dieser Zielsetzung ist abzuleiten, daß die Schutzfrist jedenfalls dann beginnen muß, wenn der Rentenversicherungsträger Kenntnis davon erhält, daß die Entscheidung des FamG rechtskräftig geworden ist. Dabei kann es nicht entscheidend sein, auf welche Art er die Kenntnis erlangt, etwa durch eine (auch formlose) Mitteilung des FamG oder in anderer Weise. Sobald er die Kenntnis hat, ist er von Amts wegen verpflichtet, die Rente der geschiedenen Eheleute dem (neuen) Konteninhalt nach zu berechnen und sie zu zahlen. Diese Auffassung des erkennenden Senats über den regelmäßigen Beginn der Schutzfrist stimmt überein mit den Entscheidungen des 1. Senats vom 7. September 1982 - 1 RA 61/81 - und des 11. Senats vom 9. September 1982 - 11 RA 69/81 -.

Der dargelegte Beginn der Schutzfrist betrifft den Regelfall, daß der Rentenversicherungsträger von dem Eintritt der Rechtskraft alsbald erfährt. Derartige Sachverhalte lagen auch den beiden erwähnten Entscheidungen zugrunde. Ergänzende Überlegungen sind indes dann anzustellen, wenn zwischen dem Eintritt der Rechtskraft und dem Termin der Kenntniserlangung ein größerer zeitlicher Abstand liegt. Eine solche Situation kann - wie der vorliegende Rechtsstreit zeigt - eintreten, weil keine gesetzliche Verpflichtung des FamG besteht, dem Rentenversicherungsträger den Eintritt der Rechtskraft der familiengerichtlichen Folgeentscheidung innerhalb irgendeiner bestimmten Frist mitzuteilen. Da bloße Verwaltungsvorschriften die unverzügliche Mitteilung nicht sicherstellen können, wäre es mit dem dargelegten Sinn des § 1587p BGB nicht zu vereinbaren, in einem solchen Fall die Herstellung des urteilsgemäßen Versorgungszustandes von einem zeitlich nicht näher bestimmbaren Ereignis abhängig zu machen. Nach der Auffassung des Senats muß vielmehr bei der Auslegung des § 1587p BGB die verfahrensrechtliche Stellung des Rentenversicherungsträgers als Beteiligter der Folgesache stärkere Berücksichtigung finden. Ihm wird, wie bereits erwähnt, die Entscheidung über die Übertragung der Rentenanwartschaften zugestellt. Wenngleich er damit auch den genauen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft nicht kennt, ist es ihm jedoch leicht möglich, sich Kenntnis davon zu verschaffen; denn die Dauer der Rechtsmittelfrist ergibt sich aus dem Gesetz, und Unterbrechungen der Frist durch Rechtsmittel erfährt er unmittelbar, weil ihm die entsprechenden Schriftsätze zugestellt werden. Unter diesen Umständen ist es daher dem Rentenversicherungsträger zuzumuten, sich - zB durch Rückfrage - darüber zu informieren, wann die Entscheidung des FamG über die Übertragung der Rentenanwartschaften rechtskräftig wird. Diese Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers folgt nicht nur aus seiner Stellung als Beteiligter des familiengerichtlichen Verfahrens, sondern beruht insbesondere auf seiner allgemeinen Fürsorgepflicht, wie sie sich aus § 17 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - ergibt: Er hat darauf hinzuwirken, daß jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise umfassend und schnell erhält. Genügt der Versicherungsträger dieser Verpflichtung, so ist es nicht ausgeschlossen, daß die Schutzfrist des § 1587p BGB mit dem Termin beginnt, zu dem die Übertragung der Rentenanwartschaften Rechtskraft erlangt, genügt er der Verpflichtung nicht, so kann er sich dem Rentenberechtigten gegenüber - im vorliegenden Fall der Klägerin - nicht auf seine Unkenntnis berufen. Sein Kennenmüssen des Eintritts der Rechtskraft der Folgesachenentscheidung steht der Kenntnis dieses Ereignisses gleich.

Diese Rechtsauffassung trägt der bereits dargelegten Zielsetzung des § 1587 p BGB Rechnung. Da nach geltendem Recht die Entscheidung des FamG dem Rentenversicherungsträger bereits vor Eintritt der Rechtskraft zugestellt wird, bleibt ihm sogar ein längerer Handlungszeitraum als aus dem bloßen Wortlaut des Gesetzes folgt. Er kann bereits in der Zeit bis zum Eintritt der Rechtskraft für die bevorstehenden Maßnahmen Vorbereitungen treffen und sie dann zu diesem Zeitpunkt realisieren. Es besteht weder vom Sinn der Regelung her noch aus verwaltungsmäßigen Gründen Veranlassung, die Rentenänderungen erst zu einem (ungewissen) späteren Zeitpunkt eintreten zu lassen. Wollte man der Auffassung der Beklagten folgen, so hinge die Verwirklichung des Versorgungsausgleichs von einem ungewissen Ereignis ab, weil - wie bereits erwähnt - das FamG nicht kraft Gesetzes verpflichtet ist, dem Rentenversicherungsträger eine Mitteilung über den Eintritt der Rechtskraft seiner Entscheidung zukommen zu lassen. Dem Erfordernis von Rechtssicherheit und Klarheit würde mit der von der Revision vertretenen Auffassung nicht Rechnung getragen.

Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht von den bereits erwähnten Urteilen des Bundessozialgerichts in den dort tragenden Gründen ab. Wenn auch in der Entscheidung vom 7. September 1982 - 1 RA 61/81 - gesagt wird, daß der Lauf der Schutzfrist mit der Bekanntgabe vom Eintritt der Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung beginnen müsse, so soll dabei, wie aus den Erwägungen über den dem Rentenversicherungsträger eingeräumten Schuldnerschutz hervorgeht, offenbar nicht auf irgendeinen formalen Akt der Geschäftsstelle des Gerichts abgehoben werden, sondern auf die dadurch bewirkte Kenntnis des Rentenversicherungsträgers von dem Termin der Rechtskraft. Diese Kenntnis hält auch der erkennende Senat für entscheidend; er stellt nur das Kennenmüssen der Kenntnis gleich, über diese Frage hat aber der 1. Senat nicht entschieden. Die Entscheidung vom 9. September 1982 - 11 RA 69/81 - besagt ebenfalls, daß der Rentenversicherungsträger "von der Kenntnis von der Rechtskraft (Wirksamkeit) an" tätig zu werden hat, um den rentenversicherungsrechtlichen Folgen der Entscheidung nachzukommen. Die Frage, ob der Zeitpunkt der Kenntnis stets identisch mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe vom Eintritt der Rechtskraft sein müsse, hat der 11. Senat ausdrücklich offengelassen; er hat demgemäß auch die weitere Frage, ob das Kennenmüssen der Kenntnis gleichzusetzen sein könnte, nicht zu untersuchen brauchen.

Da die familiengerichtliche Entscheidung der Beklagten am 29. Mai 1979 zugestellt worden ist, konnte diese rechtzeitig in Erfahrung bringen, daß die Entscheidung am 30. Juni 1979 in Rechtskraft erwachsen war. Von diesem Zeitpunkt an läuft somit die der Beklagten zustehende Schutzfrist, sie endet mithin am 31. Juli 1979, so daß die Klägerin (nur) bis zu diesem Tag Leistungen der Beklagten an ihren geschiedenen Ehemann gegen sich gelten lassen muß. Die Urteile des SG Berlin und des LSG Berlin waren demgemäß insoweit zu ändern, als der Klägerin die höhere Rente bereits seit dem 1. Juli 1979 zugesprochen worden ist, die Beklagte hatte insoweit mit ihrer Revision Erfolg. Ohne Erfolg mußte hingegen die Revision bleiben, soweit sie sich gegen den Anspruch auf die höhere Rente für die Zeit vom 1. August 1979 wandte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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