4 RJ 33/81
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die ungekürzte Anrechnung von der von der Klägerin in der UdSSR von 1945 bis 1961 zurückgelegten Beitrags- bzw. Beschäftigungszeiten.
Die im Jahre 1921 in der UdSSR geborene Klägerin war dort von 1937 bis 1941 beschäftigt. Während des Krieges wurde sie nach Deutschland umgesiedelt und erwarb die deutsche Staatsangehörigkeit. Nach Kriegsende wurde sie wieder in die UdSSR verbracht. Dort arbeitete sie von 1945 bis 1976 mit wiederholten Unterbrechungen, bedingt durch Haftzeiten (Internierungszeiten). Seit dem 7. Juli 1977 lebt die Klägerin in der Bundesrepublik.
Durch Bescheide vom 25. September 1978 und 1. August 1978 gewährte die Beklagte der Klägerin Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. September 1977. Hierbei rechnete die Beklagte die im sowjetischen Arbeitsbuch bescheinigten Beschäftigungsverhältnisse als glaubhaft gemachte Beitragszeiten i.S. des § 15 Fremdrentengesetz (FRG) auf 5/6 gekürzt und das restliche Sechstel als Ersatzzeit an. Demgegenüber begehrte die Klägerin die ungekürzte Anrechnung der Beitragszeit. Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin blieben erfolglos. In seinem Urteil vom 4. März 1981 führt das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen u.a. aus, eine ununterbrochene Beitragsleistung sei nicht nachgewiesen, weil nicht auszuschließen sei, daß die im Arbeitsbuch bescheinigten Beschäftigungsverhältnisse vorübergehend durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit hätten unterbrochen gewesen sein können. Nach einem eingeholten Rechtsgutachten des Instituts für Ostrecht in München würden für Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit in der UdSSR weder Lohn gezahlt noch Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt. Demzufolge seien die tatsächlichen Beitragszeiten durch das Arbeitsbuch nicht nachgewiesen. Eine volle Anrechnung der streitigen Zeiten komme auch deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin nicht mindestens 10 Jahre ununterbrochen bei ein und demselben Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei. Eine Anrechnung der streitigen Zeiten als Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG scheitere daran, daß die darin enthaltenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit auch nach Bundesrecht nicht der Versicherungspflicht unterlegen hätten.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision trägt die Klägerin vor, das Arbeitsbuch müsse als Beweismittel zur vollen Anrechnung der streitigen Zeiten ausreichen. Anderenfalls sei es einem vergleichbaren Versicherten praktisch unmöglich, eine ununterbrochene Beitragsleistung in vollem Umfang nachzuweisen. Hierin liege im Vergleich zu anderen Versichertengruppen von vornherein eine ungerechtfertigte Benachteiligung.
Die Klägerin beantragt,
- die Urteile der Vorinstanzen sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Zeiten vom 5. Oktober 1945 bis 3. August 1961 in vollem Umfang anzurechnen.
Die Beklagte beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, eine Anrechnung der streitigen Zeiten nach § 16 FRG komme schon deshalb nicht in Betracht, weil eine solche Anerkennung voraussetzen würde, daß bei einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis eine mögliche Beitragszahlung unterblieben oder eine Beitragszahlung nicht feststellbar sei. Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ungekürzte Anrechnung der streitigen Zeit als Beitragszeit (§ 15 FRG) oder als Beschäftigungszeit (§ 16 FRG). Sie hat diese Zeiten nicht nachgewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht (§ 19 Abs. 2 FRG).
Es ist nicht zu beanstanden, daß das LSG im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung davon ausgegangen ist, daß die im Arbeitsbuch der Klägerin aufgeführten Arbeitsverhältnisse durch vorübergehende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten unterbrochen sein könnten. Während solcher Zeiten waren - wie sich aus dem vom LSG eingeholten Gutachten des Instituts für Ostrecht e.V. ergibt - keine Beiträge zum sowjetischen Sozialversicherungssystem zu entrichten, ein Anspruch auf Lohnfortzahlung bestand ebenfalls nicht. Für den Nachweis einer Versicherungszeit nach § 15 FRG kommt es aber gerade auf die Beitragsleistung zu einem ausländischen System der Rentenversicherung an; es genügt nicht, daß dieses ausländische System die beitragslosen Zeiten zur Begründung eines Rentenanspruches wie auch zur Rentenberechnung heranzieht (vgl. BSG Urteil vom 18. Februar 1981 - 1 RA 7/80 - = SozR 5050 § 15 Nr. 21). Auch die deutsche Rentenversicherung kennt die Einbeziehung beitragsloser Zeiten in den Rentenanspruch (z.B. Ersatzzeiten nach § 1251 Reichsversicherungsordnung - RVO -, Ausfallzeiten nach § 1259 RVO), ohne diesen Zeiten den Charakter von Beitragszeiten beizulegen.
Das von der Klägerin vorgelegte Arbeitsbuch enthält nur Beginn und Ende der einzelnen Arbeitsverhältnisse, sagt aber über (krankheitsbedingte) Unterbrechungen der einzelnen Arbeitsverhältnisse bzw. der Lohnfortzahlung nichts aus. Der Nachweis des Beginnes und des Endes eines Arbeitsverhältnisses schließt jedoch den Nachweis der fehlenden Unterbrechung nicht ein (vgl. BSG Urteil vom 20. August 1974 - 4 RJ 241/73 - = SozR 5050 § 19 Nr. 1 Seite 4). Der Nachweis der fehlenden Unterbrechung entfällt auch dann nicht, wenn Unterbrechungen in einem Arbeitsbuch üblicherweise nicht aufgeführt werden und einem Versicherten im übrigen keine amtlichen Unterlagen zur Verfügung stehen. In diesem Sinne läßt sich aus Arbeitsbüchern der Sowjetunion ein Nachweis nicht entnehmen. Will ein Versicherter den Nachweis führen, daß die im Arbeitsbuch bescheinigten Arbeitsverhältnisse ununterbrochen bestanden haben, so muß er sich weiterer Erkenntnisquellen bedienen. Hierbei soll nicht verkannt werden, daß dieses Verfahren in Einzelfällen zu einem Beweisnotstand für einen Versicherten führen kann. Diese Situation hat indessen der Gesetzgeber vorausgesehen und deshalb eine Erleichterung der Beweisführung in Form der Glaubhaftmachung ausreichen lassen. Dieses Verfahren kann sich auch für einen Versicherten vorteilhaft auswirken, wenn (zwar vorhandene, aber nicht bescheinigte) Zeiten der Arbeitsunfähigkeit länger sind als ein Sechstel der Dauer eines bescheinigten Arbeitsverhältnisses; in diesen Fällen wird die bescheinigte Arbeitszeit zu fünf Sechstel angerechnet. Im vorliegenden Fall hat das LSG im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung unangefochten festgestellt, daß die Klägerin den Nachweis der ununterbrochenen Beitragsleistung nicht geführt hat.
Die Klägerin kann auch nicht verlangen, daß die infolge der Kürzung als Ersatzzeit berücksichtigten Zeiten als nachgewiesene Beschäftigungszeiten i.S. des § 16 FRG voll angerechnet werden. Eine Anrechnung von nachgewiesenen Beschäftigungszeiten ist grundsätzlich in den Fällen möglich, in denen eine Beitragszeit wegen Beitragslücken nur glaubhaft gemacht ist, während das ununterbrochene Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses nachgewiesen ist (BSG Urteil vom 31. Juli 1980 - 11 RA 58/79 - = SozR 5050 § 15 Nr. 16). Hierbei kann die Anrechnung einer Beschäftigungszeit nicht nur der Ausfüllung einer durch die Kürzung der Beitragszeit entstandenen Lücke dienen; vielmehr ist die gesamte Zeit - auch soweit sie als Beitragszeit anerkannt ist - auf die Frage ihrer Anrechenbarkeit hin zu überprüfen. Insoweit bilden § 15 FRG (Beitragszeiten) und § 16 FRG (Beschäftigungszeiten) zwei selbständige Anspruchsgrundlagen für die Anrechnung einer Arbeitszeit, die nicht im Verhältnis der Subsidiarität oder Gesetzeskonkurrenz zueinander stehen. Vielmehr ist beim Zusammentreffen einer Beitrags- mit einer Beschäftigungszeit lediglich die doppelte Anrechnung ausgeschlossen; die Beitragszeit nimmt dann als versicherungsrechtlich stärkere Zeit den Vorrang ein.
Im vorliegenden Fall ist aber auch eine Beschäftigungszeit nur glaubhaft gemacht; die für die gekürzte Anrechnung der Beitragszeit sprechenden Gründe - Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit - sprechen in gleicher Weise gegen den Nachweis einer ununterbrochenen Beschäftigungszeit. Nach § 16 FRG ist eine Beschäftigungszeit nur anzurechnen, wenn die Beschäftigung nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik begründet hätte. Eine Versicherungspflicht nach Bundesrecht besteht jedoch nicht für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, in denen keine Lohnfortzahlung stattfindet, sondern Krankengeld gewährt wird. Der Nachweis eines ununterbrochenen Beschäftigungsverhältnisses setzt somit auch den Nachweis voraus, daß krankheitsbedingte Unterbrechungen ohne Lohnfortzahlung nicht vorlagen. Gerade diesen Nachweis hat die Klägerin nach den bindenden Feststellungen des LSG nicht geführt. Sie hat eine Beschäftigungszeit nach § 16 FRG auch nur glaubhaft gemacht, so daß eine volle Anrechnung dieser Zeit ebenfalls nicht in Betracht kommt. Mit Recht hat daher die Beklagte den nach den Vorschriften des FRG nicht anrechenbaren Teil der Beitrags- bzw. Beschäftigungszeit (ein Sechstel) als Ersatzzeit angerechnet.
Nach alldem erweist sich die Revision der Klägerin als unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.