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4 RJ 17/81

Gründe I.

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO).

Der am 2. Januar 1920 geborene Kläger hat eine deutsche Versicherungszeit von mehr als 180 Kalendermonaten zurückgelegt. In der Zeit vom 1. Januar 1979 bis 19. Februar 1980 war er während insgesamt 288 Tagen bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitsloser gemeldet. Während dieser Zeit hielt sich der Kläger etwa drei Monate in Italien auf und bezog dort als gemeldeter Arbeitsloser Arbeitslosengeld (Alg) aus der deutschen Arbeitslosenversicherung gemäß Art. 69 der EG-VO 1408/71. Seinen Rentenantrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 25. März 1980 ab mit der Begründung, der Kläger habe nicht die vom Gesetz geforderte Zeit der Arbeitslosigkeit zurückgelegt; die in Italien verbrachte Zeit der Arbeitslosigkeit eigne sich nicht zur Begründung des Rentenanspruchs.

Durch Urteil vom 26. September 1980 hat das Sozialgericht (SG) Reutlingen die Beklagte zur Gewährung von Altersruhegeld ab 1. März 1980 verurteilt: Der Kläger habe die vom Gesetz geforderte Zeit der Arbeitslosigkeit (insgesamt 364 Tage) zurückgelegt, weil auch die in Italien verbrachte Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen sei. Nach Art. 69 der E-VO 1408/71 behalte ein Arbeitsloser, der sich der Arbeitsverwaltung eines anderen Mitgliedstaates zur Verfügung stelle, den Anspruch auf Leistungen des Ausgangsstaates. Während dieser Zeit seien auch Beiträge zur Rentenversicherung durch die Arbeitsverwaltung zu entrichten. Weiterhin sei diese Zeit für die zeitliche Begrenzung des Alg nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) anzurechnen. Demnach sei die befristete Arbeitssuche im Ausland einer inländischen Arbeitslosigkeit gleichzustellen.

Mit ihrer vom SG zugelassenen Sprungrevision trägt die Beklagte vor, Arbeitslosigkeit i.S. des § 1248 Abs. 2 RVO bestehe nur solange, als der Versicherte im Inland der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. Diese Voraussetzung habe der Kläger während seiner dreimonatigen Arbeitslosigkeit in Italien nicht erfüllt. Auch nach Europäischem Gemeinschaftsrecht sei diese Zeit nicht einer deutschen Arbeitslosigkeit gleichzustellen.

Die Beklagte beantragt,

  • das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. September 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Gründe II.

Die Revision ist begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf vorgezogenes Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 2 RVO. Er war nicht innerhalb der letzten 1 ½ Jahre vor Stellung des Rentenantrages mindestens 52 Wochen (364 Tage) arbeitslos im Sinne des Gesetzes. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des SG war der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland nur an 288 Tagen als Arbeitsloser beim Arbeitsamt gemeldet. Entgegen der Auffassung des SG kann die Zeit, in der der Kläger bei einem italienischen Arbeitsamt gemeldet war, nicht zur Begründung des Rentenanspruches herangezogen werden.

Als Zeiten der Arbeitslosigkeit zur Begründung des Rentenanspruches können nur Zeiten angerechnet werden, in denen ein Versicherter dem inländischen Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, d.h. bei einem deutschen Arbeitsamt als Arbeitsloser gemeldet ist (so zu der früheren Regelung des § 397 AVG a.F. bereits Grundsätzliche Entscheidung des Reichsversicherungsamtes Nr. 5107 vom 12.03.1937 An 37 S IV/242). Es genügte früher nicht einmal, daß der Versicherte vor der Entstehung des Rentenanspruches dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stand; er mußte vielmehr auch für die Dauer des Rentenbezuges (bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres) weiterhin dem deutschen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wenn auch die Verfügbarkeit eines Versicherten während des Rentenbezuges nicht ausnahmslos fortzudauern braucht (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1966 - 1 RA 175/62 - = BSGE 24, 290, 292 f. -; gegen diese Rechtsprechung wenden sich mit beachtlichen Gründen Zweng / Scheerer, Handbuch der Rentenversicherung 2. Aufl., Stand 01.08.1981, § 1248 RVO Anm. III 2 C), so ändert das nichts daran, daß an dem Erfordernis der Verfügbarkeit eines Versicherten auf dem deutschen Arbeitsmarkt bis zur Entstehung des Rentenanspruches festzuhalten ist (Urteil vom 10. September 1971 - 5 RKn 71/69 = BSGE 33, 137). Es besteht keine Veranlassung, diese Rechtsprechung aufzugeben. Sie geht von der Erwägung aus, daß die deutsche Arbeitsverwaltung in der Lage ist, die Verfügbarkeit eines Versicherten sowohl in subjektiver (Arbeitsbereitschaft) wie auch in objektiver Hinsicht (Einsatzfähigkeit unter üblichen Arbeitsbedingungen) zu erkennen, den Versicherten auf freie Arbeitsplätze des Arbeitsmarktes der Bundesrepublik Deutschland zu vermitteln und wirksam zu kontrollieren, ob der Arbeitsuchende eine ihm vermittelte Stelle angenommen oder aus welchen Gründen er sie gegebenenfalls nicht angenommen hat. Daraus folgt, daß nur die auf dem deutschen Arbeitsmarkt zurückgelegte Arbeitslosigkeit von Bedeutung für den Rentenanspruch nach § 1248 Abs. 2 RVO sein kann.

Dagegen kann die Zeit der Arbeitslosigkeit des Klägers in Italien nicht berücksichtigt werden. Das gilt auch, wenn seinerzeit die Voraussetzungen des Art. 69 der EG-VO 1408/71 erfülIt waren. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 9. Juli 1975 (Az.: 20/75 = SozR 6050 Art. 45 Nr. 1) steht das Europäische Gemeinschaftsrecht einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift nicht entgegen, die für die Entstehung des Anspruchs auf vorgezogenes Altersruhegeld verlangt, daß der Arbeitnehmer der Arbeitsverwaltung des betroffenen Mitgliedstaates zur Verfügung gestanden hat. Der EuGH unterscheidet für den Rentenanspruch zwischen den Anspruchsvoraussetzungen, die in die Versicherungszeit eingehen und die Berechnung der Leistung betreffen, sowie den selbständigen weiteren Voraussetzungen. Nur die zuerst genannten Voraussetzungen werden durch das Gemeinschaftsrecht unmittelbar beeinflußt. Das Gemeinschaftsrecht verlangt hingegen nicht die Berücksichtigung des Umstandes, daß der Versicherte in einem anderen Mitgliedstaat als Arbeitsloser gemeldet ist. Die Nichtberücksichtigung ausländischer Zeiten der Arbeitslosigkeit hält sich somit im Rahmen des Gemeinschaftsrechts.

Der Kläger verkennt die Bedeutung des Art. 69 der EG-VO Nr. 1408/71. Diese Vorschrift dient nur dazu, einem Versicherten, dem Leistungsansprüche aus der Arbeitslosenversicherung eines Mitgliedstaates zustehen, diese Leistungen für den Fall zu erhalten, daß er sich in einen anderen Mitgliedstaat begibt. Die Fortgewährung der Leistungen hängt jedoch von der Erfüllung ganz eng begrenzter weiterer Voraussetzungen ab (Art. 69 Abs. 1 Buchst. a) und b) und sie ist zudem beschränkt auf einen Zeitraum bis zu höchstens drei Monaten (Art. 69 Abs. 1 Ziffer c). Die Vorschrift bezweckt, einem arbeitslosen Wanderarbeitnehmer die Möglichkeit zu geben, auch in einem anderen Mitgliedstaat nach einer Arbeitsstelle zu suchen, ohne sogleich die bisherige Leistung der Arbeitslosenversicherung einzubüßen. Ihr Ziel ist also die vorübergehende Existenzsicherung eines Wanderarbeitnehmers während einer beschränkten Zeit der Arbeitssuche. Die in § 1248 Abs. 2 geforderte Arbeitslosigkeit hingegen ist die Voraussetzung für eine ganz spezielle künftige Leistung der Rentenversicherung, die, als zur Gruppe der Altersruhegelder gehörend, der wirtschaftlichen Absicherung im Alter zu dienen, bestimmt ist, weil eine Eingliederung in den Arbeitsprozeß aus innerstaatlicher (deutscher) Sicht trotz der Vermittlungstätigkeit eines deutschen Arbeitsamtes nicht möglich war. Beide Normen sind also weder ihren Voraussetzungen noch ihrer Zielrichtung miteinander vergleichbar oder austauschbar.

Nach alledem war auf die Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

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