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11 RA 30/80

Gründe I.

Der im Jahre 1930 geborene Kläger kam im September 1968 als tschechoslowakischer Staatsangehöriger in die Bundesrepublik Deutschland. Er erwarb im September 1979 die deutsche Staatsangehörigkeit; er ist nicht als Vertriebener anerkannt.

Seinen Antrag, die in der Tschechoslowakei zurückgelegten Ausbildungs- und Beschäftigungszeiten anzuerkennen, lehnte die Beklagte hinsichtlich der Beschäftigungszeiten ab, da der Kläger nicht zum Personenkreis des § 1 Fremdrentengesetz (FRG) gehöre (Bescheid vom 4. März 1976, Widerspruchsbescheid vom 18. August 1976).

Die hiergegen erhobene Klage auf Anerkennung der Zeit vom 1. September 1953 bis Dezember 1968 als Beitragszeit hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - München vom 15. Februar 1978). Die Berufung des Klägers, dort mit dem Antrag auf Anerkennung der Zeiten von September 1946 bis August 1953 und von Oktober 1962 bis Dezember 1968 als Ausbildungszeit und der Zeit von September 1953 bis September 1962 als Beitragszeit, wurde als verspätet verworfen (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 11. September 1979). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, das erstinstanzliche Urteil sei als Einschreiben am 11. Juli 1978 bei der Post eingeliefert und postordnungsgemäß dem Vermieter des Klägers am 12. Juli 1978 ausgehändigt worden, es gelte deshalb dem damals anläßlich einer Auslandsreise ortsabwesenden Kläger als am 14. Juli 1978 zugestellt. Die erst am 16. August 1978 eingegangene Berufungsschrift vom 11. August 1978 sei verspätet. Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen schon deswegen nicht vor, weil der Kläger nach Rückkehr von seiner Auslandsreise am 21. Juli 1978 noch mehr als drei Wochen Zeit gehabt habe, das Rechtsmittel einzulegen.

Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil zugelassen, da der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensmangel geltend gemacht habe, auf dem das Berufungsurteil beruhen könne (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Mit der daraufhin eingelegten Revision rügt der Kläger, das Berufungsgericht habe zu Unrecht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und deshalb unter Verletzung des § 157 SGG nicht in der Sache entschieden. Die Ansicht des Ersturteils, der Kläger gehöre nicht zum Personenkreis des § 1 FRG, verletze § 1 Buchstaben a, b und d FRG sowie § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet (HAuslG) sowie Art. 24 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 sowie die Art. 20 und 3 Grundgesetz (GG).

Der Kläger beantragt,

  • die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Gründe II.

Die Revision ist zulässig. Sie genügt den Anforderungen, die § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG an die Begründung dieses Rechtsmittels stellt. Soweit der Kläger einen Verfahrensmangel (Verletzung des § 157 beziehungsweise des § 158 SGG) rügt, hat er sich zwar mit dem Vorbringen begnügt, das Revisionsgericht habe in dem Zulassungsbeschluß auf seine Beschwerde als Verfahrensmangel festgestellt, daß das LSG zu Unrecht keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt habe. Der Senat hat dies jedoch als ausreichend angesehen, da wegen gerade dieser Begründung des Zulassungsbeschlusses weitere Ausführungen (zu den den Mangel ergebenden Tatsachen) entbehrlich waren. Dem steht die - sich unter anderem auf BVerwGE 16, 1505 153f stützende - Entscheidung des 8. Senats vom 24.08.1976 (SozR 1500 § 164 Nr. 3) nicht entgegen, weil dort ohne Nennung einer verletzten Verfahrensvorschrift lediglich zur weiteren Begründung (der Verletzung materieller Vorschriften) auf die Darlegungen in der Beschwerdeschrift Bezug genommen war. Für den vorliegenden Fall ist vielmehr der Rechtsprechung zu folgen, die für die Revisionsbegründung nach vorangegangener Nichtzulassungsbeschwerde keine reinen Wiederholungen von bereits Vorgetragenem fordert (vgl.. SozR 1500 § 164 Nr. 4). Aus diesem Grunde hat schon das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 23. Februar 1979 (HFR 1980 S. 111 Nr. 127 = Buchholz 401.70 Kirchensteuer Nr. 17, in Ergänzung zu BVerwGE 16, 150, 153) die Bezugnahme auf die Beschwerdebegründung für ausreichend erachtet, wenn das Revisionsgericht auf diese Begründung hin in seinem die Revision zulassenden Beschluß das Vorliegen des Verfahrensmangels bejaht hat. Für den Fall, daß der Revisionskläger - wie hier - auf den mit dem Vorliegen des gerügten Verfahrensmangels begründeten Zulassungsbeschluß Bezug nimmt, kann nichts anderes gelten. Im übrigen hat der Kläger der Begründungsvorschrift des § 164 Abs. 2 Satz 3 SGG noch dadurch Rechnung getragen, daß er außerdem die Verletzung materiellen Rechts ordnungsgemäß gerügt hat.

Die Revision ist im Ergebnis jedoch im wesentlichen unbegründet, auch wenn der Kläger zutreffend beanstandet, daß das LSG seine Berufung nicht als unzulässig verwerfen durfte, ihm vielmehr nach § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewähren mußte.

Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß das Urteil des SG dem Kläger am 14. Juli 1978 mit der Aushändigung an den Hausmeister des Vermieters zugestellt wurde (zur Zustellung durch eingeschriebenen Brief an einen Hausmeister, wenn der Empfänger verreist ist, vgl.. BSG in BEK 1969, 221) und daß der Auslandsurlaub des Klägers allein die Fristversäumung nicht entschuldigte. Gleichwohl trifft den Kläger kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist.

Das LSG hat bei seiner Entscheidung über die Wiedereinsetzung nicht berücksichtigt, daß schon in der Berufungsschrift des Klägers vom 11. August 1978 vermerkt ist „Berufungsfrist: bis 21.08.1978“ und daß der Kläger nach Hinweis auf die Verspätung der Berufung im Schreiben vom 28. September 1978 entgegnet hat, ihm sei das Urteil des Sozialgerichts am 21. Juli 1978 zugestellt worden, jetzt schreibe man ihm plötzlich von einer festen Frist bis 14.08.1978, von der im ursprünglichen Urteil nichts erwähnt sei. Daraus ergibt sich nach der Überzeugung des Senats, daß sich der Kläger über das maßgebende Zustellungsdatum und somit aber Beginn und Ende der Rechtsmittelfrist geirrt hat und daß die Fristversäumung auf diesen Irrtum zurückzuführen ist. Dieser Irrtum war für den Kläger nach seinem Einsichtsvermögen nicht vermeidbar. Der Kläger, der später die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, war zwar damals schon der deutschen Sprache mächtig und hat in der Tschechoslowakei ein technisches Studium abgeschlossen. Daraus folgt indes nicht, daß ihm die Bestimmung des Zustellungsdatums bei der Aushändigung eines Einschreibebriefes an den Vermieter bekannt sein mußte, zumal er in der Rechtsmittelbelehrung hierüber nicht belehrt zu werden brauchte (BVerfGE 31, 390; BSG NJW 1970, 583 und BFHE 114, 5) und in seinem Falle nicht belehrt worden ist. Der Senat hat dem Kläger daher gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Berufung gegen das Urteil des SG ist in der Sache indessen unbegründet. Dazu bedurfte es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen, so daß der Senat hierüber abschließend entscheiden konnte. Das SG hat die Klage, die entgegen dem im Berufungsverfahren formulierten Antrag lediglich Herstellung von Versicherungsunterlagen für Beitragszeiten in der Tschechoslowakei vom 1. September 1953 bis Dezember 1968 nach § 11 Abs. 2 Versicherungsunterlagenverordnung (VuVO) in Verbindung mit dem FRG begehrte, zu Recht abgewiesen. Denn der Kläger gehört - schon nach seinem eigenen Vorbringen - nicht zum Personenkreis des § 1 FRG.

Der § 1 Buchst. a FRG ist schon deswegen nicht erfüllt, weil der Kläger nicht als Vertriebener anerkannt ist. Die Revision rügt zu Unrecht, der Anspruch könne nicht allein an der Nichtanerkennung scheitern. Der § 1 Buchst. a FRG verlangt nach seinem eindeutigen Wortlaut, aber auch nach Sinn und Zweck, daß neben der Vertriebeneneigenschaft deren Anerkennung vorliegen muß. Davon ist das Bundessozialgericht bisher auch immer ausgegangen (vgl.. Beschluß des Großen Senats in BSGE 49, 175, 181 sowie das Urteil des erkennenden Senats in SozR Nr. 6 zu § 1 FRG).

Der Kläger erfüllt ebensowenig - ab Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit - die Voraussetzungen des § 1 Buchst. b FRG. Insoweit ist schon zweifelhaft, ob der Kläger den tschechoslowakischen Versicherungsträger für die dort zurückgelegten Beitragszeiten nicht mehr in Anspruch nehmen kann, und wenn ja, welche Gründe dies ausschließen. Feststellungen hierüber fehlen. Ihrer Nachholung bedarf es jedoch nicht. Die Vorschrift setzt nämlich voraus, daß der Versicherte die Rechtsstellung, die er infolge der Kriegsauswirkungen nicht realisieren kann, gegenüber dem ausländischen Versicherungsträger vor Kriegsende erworben hat, wie das der 5. Senat und der erkennende Senat wiederholt ausgeführt haben (vgl.. SozR Nr. 4 und Nr. 6 zu § 1 FRG; Urteil vom 16. Dezember 1980 - 11 RA 90/79 -). Hieran fehlt es, weil der Kläger nach seinem Vorbringen in der Tschechoslowakei erst für die Zeit ab 1. September 1953 Beiträge entrichtet hat. Daß die Vorschrift nicht erweiternd ausgelegt werden kann und insoweit auch Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt ist, hat das BSG ebenfalls bereits entschieden (SozR Nr. 2 zu § 1 FRG).

Schließlich trifft § 1 Buchst. d FRG nicht zu. Der Kläger ist nicht heimatloser Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 1 HAuslG. Der Ansicht der Revision, da der Gesetzgeber die in § 1 Abs. 2 HAuslG zur Vermeidung unbilliger Härten vorgesehene Rechtsverordnung bisher nicht erlassen habe, sei es nun Aufgabe der Gerichte, eine angemessene Härteregelung vorzusehen, vermag der Senat nicht zuzustimmen. Der erkennende Senat hat bereits im Falle eines ehemals ungarischen Staatsangehörigen, der wegen des Ungarnaufstandes von 1956 seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet genommen hatte, ausgeführt, eine entsprechende Anwendung des § 1 HAuslG auf Personen, die nach dem 30. Juni 1950 in das Bundesgebiet gelangt seien, sei im Rahmen des § 1 Buchst. d FRG nicht zulässig; das Gesetz enthalte insoweit keine Lücke; die Situation der ungarischen Flüchtlinge sei dem Gesetzgeber vielmehr bei der Beratung des FRG bekannt gewesen. Die Differenzierung verstoße auch nicht gegen Art. 3 GG (SozR Nr. 6 zu § 1 FRG; vgl.. ferner Nr. 5). Die Situation der Flüchtlinge, die die Tschechoslowakei anläßlich der Ereignisse 1968 verlassen haben, war dem Gesetzgeber des FRG zwar nicht bekannt; es spricht aber nichts für die Annahme, daß in bezug auf sie das Gesetz nun lückenhaft geworden sei und daß der Gesetzgeber die Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei insoweit anders behandelt haben will als die Flüchtlinge aus Ungarn. Ein Verstoß gegen Art. 20 GG kommt insoweit nicht in Betracht. Art. 20 GG gibt den Gerichten keine Handhabe, eine vom Gesetz einer Rechtsverordnung vorbehaltene Regelung im Auslegungswege selber zu treffen, wie dies die Revision anregt.

Die vom SG verhängten Mutwillenskosten hat der Senat dagegen aufgehoben. Mutwillig handelt, wer gegen bessere Einsicht handelt (BSG SozR Nr. 4 zu § 192 SGG). Dies hat das SG nicht festgestellt, sondern lediglich angenommen, der Kläger handele wider „besseres Einsichtsvermögen“. Das genügt zur Auferlegung von Mutwillenskosten nicht. Insoweit lag auch kein dem Urteil des BSG vom 26. Oktober 1967 (SGb 68, 72) vergleichbarer Fall eines ungewöhnlich hohen Maßes an Uneinsichtigkeit (dort überdies bei einem Bevollmächtigten) vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

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