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4 RJ 123/79

Orientierungssatz

Umstellung von Renten aus Versicherungsfällen vor dem 1.1.1957 ("Altrenten"):

1. Das Recht zur Neufeststellung nach § 1253 Abs 3 RVO steht grundsätzlich auch den Empfängern von Renten zu, die nach Art 2 § 31 ArVNG umzustellen waren und nach Art 2 § 38 Abs 2 S 1 ArVNG als Renten wegen Erwerbsunfähigkeit gelten (Anschluß an BSG 1978-03-15 1 RA 41/77 = BSGE 46, 73).

2. Die Fiktion des Art 2 § 38 Abs 2 S 1 ArVNG bezieht sich nur auf die Rentenart, sie bedeutet nicht gleichzeitig eine Fiktion des Vorliegens von Erwerbsunfähigkeit iS des § 1247 Abs 2 RVO. Das Vorliegen dieser Voraussetzung muß vielmehr gesondert geprüft und festgestellt werden. Zwar wird häufig die Erwerbsunfähigkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen; indessen wird durch das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses die Erwerbsunfähigkeit nicht zwingend ausgeschlossen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Neufeststellung einer Versichertenrente nach § 1253 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO).

Der im Jahre 1926 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit 1. April 1960 eine umgestellte Invalidenrente alten Rechts aufgrund eines im Oktober 1952 eingetretenen Versicherungsfalles. Diese Rente gilt gemäß Art 2 § 38 Abs 2 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) als Erwerbsunfähigkeitsrente.

Während des Rentenbezuges war der Kläger Jahre hindurch beschäftigt und entrichtete Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter. Am 22. Dezember 1975 beantragte er die Neufeststellung seiner Rente gemäß § 1253 Abs 3 RVO und zugleich die Zulassung der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge gemäß Art 2 § 51a ArVNG zur Erfüllung der Wartezeit von 240 Kalendermonaten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab mit der Begründung, eine Neufeststellung komme nur für Renten in Betracht, die auf Versicherungsfällen nach dem 31. Dezember 1956 beruhten. Klage und Berufung blieben erfolglos. In seinem Urteil vom 6. Februar 1978 führt das Landessozialgericht (LSG) ua aus, die Regelung des § 1253 Abs 3 RVO zur Neuberechnung von Erwerbsunfähigkeitsrenten sei auf die umgestellten Invalidenrenten alten Rechts nicht anzuwenden.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. März 1978 (1 RA 41/77 = BSGE 46, 73 = SozR 2200 § 1253 Nr 6) gelte § 1253 Abs 3 RVO auch für die Neuberechnung von umgestellten Invalidenrenten alten Rechts. Er sei nach der Rentenbewilligung trotz Ausübung einer Erwerbstätigkeit erwerbsunfähig gewesen. Sofern noch Beiträge zur Erfüllung der Wartezeit von 240 Monaten fehlen sollten, sei er bereit, freiwillige Beiträge nach Art 2 § 51a ArNVG nachzuentrichten.

Der Kläger beantragt,

  • die Urteile des Schleswig-Holsteinischen
  • Landessozialgerichts vom 6. Februar 1978 sowie
  • des Sozialgerichts Itzehoe vom 19. August 1977
  • und den Bescheid der Beklagten vom 14. April 1976
  • aufzuheben,
  • dem Kläger Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit
  • ab 22. Dezember 1975 zu gewähren,
  • dem Kläger die Anzahl der zur Erfüllung der Wartezeit
  • in der Klasse 100 nachzuentrichtenden Beiträge
  • aufzugeben.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend und trägt vor, der Kläger sei auch während des Rentenbezuges bis Ende Dezember 1975 voll beschäftigt gewesen. Während dieser Zeit habe keine Erwerbsunfähigkeit vorgelegen. Diese könne frühestens bei Aufgabe der Beschäftigung wegen totaler Erblindung eingetreten sein. Die während der Beschäftigung entrichteten Pflichtbeiträge seien nicht auf die für die Neufeststellung nach § 1253 Abs 3 RVO erforderliche Wartezeit von 240 Kalendermonaten anzurechnen. Diese Wartezeit könne auch nicht durch eine Nachentrichtung von Beiträgen erfüllt werden, weil infolge der Belegung des Zeitraumes ab 1. Januar 1956 mit Pflichtbeiträgen für eine Nachentrichtung von 240 Kalendermonaten kein Raum sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen war. Die vom LSG getroffenen Feststellungen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus. Das LSG hat die Neufeststellung der Rente des Klägers abgelehnt, weil es der Auffassung war, daß die Regelung des § 1253 Abs 3 RVO auf umgestellte Altrenten nicht anzuwenden sei. Ausgehend von dieser Rechtsauffassung hat es nicht festgestellt, ob der Kläger die versicherungsmäßige Voraussetzung des § 1253 Abs 3 RVO - Entrichtung von Beiträgen für 240 Kalendermonate nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit - erfüllt hat. Der erkennende Senat kann diese Feststellung nicht nachholen, sie muß dem LSG im Verfahren nach der Zurückverweisung der Sache vorbehalten bleiben. Dabei wird das LSG jedoch von der Rechtsauffassung auszugehen haben (§ 170 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), daß das Recht zur Neufeststellung nach § 1253 Abs 3 RVO grundsätzlich auch den Empfängern von Renten zusteht, die nach Art 2 § 31 ArVNG umzustellen waren und nach Art 2 § 38 Abs 2 Satz 1 ArVNG als Renten wegen Erwerbsunfähigkeit gelten. Das hat bereits der 1. Senat des BSG mit Urteil vom 15. März 1978 - 1 RA 41/77 - aaO entschieden. Der erkennende Senat schließt sich diesem Urteil nach eigener Prüfung an.

Dem Anspruch des Klägers auf Neuberechnung seiner Rente steht somit nicht entgegen, daß diese Rente auf einem vor dem 1. Januar 1957 eingetretenen Versicherungsfall beruht und nach den vor diesem Zeitpunkt geltenden Recht berechnet worden ist. Diese Altrenten sind nach ihrer Umstellung im wesentlichen wie Neurenten zu behandeln ohne Rücksicht darauf, ob sich dies zu Gunsten oder zu Ungunsten des Rentenempfängers auswirkt. Dies bedeutet, daß der Rentenbeginn für die Anwendbarkeit des § 1253 Abs 3 RVO nicht von Bedeutung sein kann.

Aus der Gleichstellung von Alt- und Neurenten ergibt sich indessen noch kein Rückschluß auf die Erwerbsunfähigkeit, die für die Neuberechnung nach § 1253 Abs 3 RVO erforderlich ist. Nach Art 2 § 38 Abs 2 Satz 1 ArVNG gilt zwar eine Invalidenrente alten Rechts als Erwerbsunfähigkeitsrente, diese Fiktion bezieht sich allerdings nur auf die Rentenart, sie bedeutet nicht gleichzeitig eine Fiktion des Vorliegens von Erwerbsunfähigkeit iSd § 1247 Abs 2 RVO. Das Vorliegen dieser Voraussetzung muß vielmehr gesondert geprüft und festgestellt werden. Zwar wird häufig die Erwerbsunfähigkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen; indessen wird durch das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses die Erwerbsunfähigkeit nicht zwingend ausgeschlossen.

Das LSG wird somit festzustellen haben, während welchen Zeitraumes der Kläger seit Oktober 1952 (Eintritt des Versicherungsfalles für die Invalidenrente) erwerbsunfähig iSd § 1247 Abs 2 RVO war. Sodann wird es zu ermitteln haben, ob der Kläger für die Zeit nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bereits Beiträge entrichtet hat und wieviel Kalendermonate gegebenenfalls damit belegt sind. In diesem Zusammenhang brauchte die Tatsache, daß der Kläger auch Beiträge während seines Rentenbezuges entrichtet hat, deren Anrechnung nach § 1253 Abs 3 RVO nicht auszuschließen. Nach Ermittlung der vorhandenen Beiträge wäre schließlich noch festzustellen, ob und gegebenenfalls wieviel freiwillige Beiträge der Kläger zur Erfüllung der Wartezeit noch zu entrichten hat. Diese Frage ist in dem anhängigen Verfahren zu beantworten, weil eine Verpflichtung der Beklagten zur Neuberechnung der Rente nur dann festgestellt werden kann, wenn nicht nur Erwerbsunfähigkeit besteht, sondern auch Beiträge für 240 Kalendermonate entrichtet worden sind. Insoweit besteht eine Vorleistungspflicht des Klägers, deren Umfang der Konkretisierung bedarf.

Nach alledem war auf die Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 SGG).

Über die Kosten wird das LSG zu entscheiden haben.

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