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11 RA 90/79

Gründe I.

Der 1911 geborene Kläger, der bis zur Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit durch Urkunde vom 25.01.1977 tschechoslowakischer Staatsangehöriger war, begehrt die Gewährung eines Altersruhegeldes; die erforderliche Wartezeit ist nur bei Berücksichtigung tschechoslowakischer Beitragszeiten, deren Anrechnung die Beklagte ablehnt, erfüllt.

Der Kläger war seit 1934 Richteranwärter und später Richter in P. Im September 1945 schied er aus dem Richteramt aus, nach seinen Angaben deshalb, weil er dort wegen seiner Beziehungen den Deutschen während der Protektoratszeit nicht mehr erwünscht war. Für seine im öffentlichen Dienst verbrachte Zeit wurde eine Ausfolgung nach § 24 der Regierungsverordnung vom 19. Dezember 1940 durchgeführt.

Im August 1969 unternahm der Kläger eine Reise in die Bundesrepublik; er kehrte nicht zurück, weil er mit Repressalien seines Protestes gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes rechnete.

Einen im Januar 1976 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung eines Altersruhegeldes lehnte die Beklagte im Mai 1976 ab; sein Widerspruch wurde im September 1976 zurückgewiesen, nachdem ihm die Beklagte mit Schreiben vom 11. Juni 1976 auf seine Anfrage mitgeteilt hat, seine tschechoslowakischen Beitragszeiten könnten anerkannt werden, sobald er deutscher Staatsangehöriger sei.

Im März 1977 beantragte der Kläger erneut die Gewährung des Altersruhegeldes mit der Begründung, er sei nunmehr deutscher Staatsbürger geworden. Die Beklagte lehnte auch diesen Antrag ab, wobei sie sich darauf berief, daß die Voraussetzungen des § 1 Buchst. b Fremdrentengesetz (FRG) nicht gegeben seien; da die Ausfolgung eine fiktive Nachversicherung darstelle, habe der Kläger keine Anwartschaft erworben, die durch den Krieg verlorengegangen sei.

Der dagegen erhobenen Klage gab das Sozialgericht (SG) statt, das Landessozialgericht (LSG) wies sie ab. Nach Ansicht des LSG fehlt es deswegen an den Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden § 1 Buchst. b FRG, weil die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme des früher zuständigen tschechoslowakischen Versicherungsträgers auf Umständen beruhe, die nicht mehr zu den Kriegsauswirkungen gerechnet werden könnten. Aus dem Abkommen vom 14. März 1940 (RGBl. I II 107) hätten sich, da seine Ausführungsbestimmungen Nachversicherungsfälle nach dem 31.12.1939 nicht erfaßten, für den Kläger Ansprüche nicht ergeben können, wenn es nicht infolge von Kriegsauswirkungen suspendiert worden wäre. Aus der unrichtigen Auskunft vom 11.6.1976 ergebe sich kein Anspruch auf ein dieser Auskunft entsprechendes Verhalten der Beklagten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision beantragt der Kläger,

  • das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg vom 15.09.1978 zurückzuweisen.

Er hält die Ansicht des LSG, es fehle an einer kriegsbedingten Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des früher zuständigen Versicherungsträgers, für unhaltbar; sie werde auch nicht von der Beklagten geteilt, die in ihrer Praxis im entgegengesetzten Sinne verfahre. Die ablehnende Haltung der Beklagten gründe sich vielmehr auf die wiederum vom LSG nicht aufgegriffene Auffassung, der Kläger habe z.Z. des Kriegsendes noch keine Ansprüche gegen den tschechoslowakischen Versicherungsträger gehabt. Auch diese Ansicht sei aber unrichtig; schon vor dem 08.05.1945 habe eine latente Anwartschaft auf eine rückwirkende Mitgliedschaft bei der allgemeinen Pensionsanstalt bestanden. Schließlich enthalte das Schreiben der Beklagten vom 11.6.1976 eine rechtsverbindliche Zusage.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Gründe II.

Die Revision ist begründet.

Der Kläger hat, wovon auch das LSG ausgegangen ist, Anspruch auf Altersruhegeld, wenn ihm die in der Tschechoslowakei zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 FRG anzurechnen sind. Das ist entgegen der Ansicht des LSG der Fall; die Voraussetzungen des § 1 Buchst. b FRG sind erfüllt. Als deutscher Staatsangehöriger ist der Kläger Deutscher i.S. von Art. 116 Abs. 1 Grundgesetz (GG); darauf, wann er eingebürgert worden ist, kommt es nicht an. Der Kläger hat unabhängig von den Kriegsauswirkungen seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes genommen. Er kann aber auch entgegen den vom LSG und der Beklagten vertretenen Auffassungen den früher für ihn zuständigen Versicherungsträger infolge von Kriegsauswirkungen nicht in Anspruch nehmen.

Die Beklagte meint, es fehle bereits an einem „früher zuständigen Versicherungsträger“. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Es ist zwar richtig, daß nach Sinn und Zweck des Gesetzes (vgl. Anlage II zu BT-Drucks. 4201 III S. 35) der ausländische Träger nicht erst zu einer Zeit, in der der Krieg seine rentenrechtlich nachteiligen Wirkungen bereits entfaltet hatte, für den Versicherten „zuständig“ geworden sein darf (BSGE 34, 182 f.). Das bedeutet, daß, soweit die Anrechnung von Beitragszeiten i.S. von § 15 FRG in Betracht kommt, diese vor dem Eintritt der Kriegsauswirkungen zurückgelegt sein müssen (SozR Nr. 6 zu FRG). Dazu genügt es nicht, daß solche Zeiten nachträglich in ein auf Beitragsleistung beruhendes Sicherungssystem einbezogen worden sind; auf der anderen Seite ist es aber auch nicht erforderlich, daß bereits während der in Betracht kommenden Zeit eine konkrete Beitragspflicht bestand, es reicht vielmehr aus, daß der Versicherte mit dem Ende dieser Zeiten ex tunc in ein auf Beitragsleistung beruhendes Sicherungssystem einbezogen war (SozR 5050 § 15 Nr. 11). Das gilt schon im Hinblick auf § 9 Abs. 5a Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) insbesondere für Sachverhalte, die der Nachversicherung nach innerstaatlichem Recht vergleichbar sind. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Für den Kläger wurde bei seinem Ausscheiden aus dem Richterdienst im September 1945 eine Ausfolgung nach § 24 der Regierungsverordnung vom 19.12.1940 durchgeführt; nach Abs. 5 dieser Vorschrift galten die ausgefolgten Beträge als rechtzeitig bezahlte Versicherungsbeiträge. Damit wurde der Kläger aufgrund einer bereits z.Z. der ausgeübten Beschäftigung (vgl. SozR 5050 § 15 Nr. 8) und schon vor Eintritt der nachteiligen Kriegsauswirkungen geltenden Vorschrift ex tunc in das Sicherungssystem des Herkunftslandes einbezogen; eine solche Einbeziehung macht nicht nur die Zeiten, für die Beiträge als rechtzeitig entrichtet gelten, zu Beitragszeiten i.S. von § 15 FRG, sondern begründet auch im Sinne von § 1 Buchst. b FRG eine „Zuständigkeit“ des seinerzeitigen Versicherungsträgers bereits z.Z. der Zurücklegung dieser Zeiten.

Auch die Ansicht des LSG, die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme des tschechoslowakischen Versicherungsträgers sei nicht eine Folge von Kriegsauswirkungen, hält einer Nachprüfung nicht stand. Das Abkommen vom 14.03.1940 (RGBl. II 107) hatte auf die Rechtsstellung des Klägers als eines sog. Protektoratsangehörigen keinen Einfluß; von Bedeutung konnte für ihn lediglich der deutsch-tschechoslowakische Sozialversicherungsvertrag vom 21.03.1931 (Bek. vom 08.12.1933 - RGBl. I 1016) sein. Nach Art. 16, 17 dieses Vertrages hätte der Kläger auch nach seiner Wohnsitznahme im heutigen Bundesgebiet einen Anspruch auf eine tschechoslowakische Teilrente gehabt; die „Suspendierung“ dieses Vertrages, die unzweifelhaft eine Kriegsauswirkung darstellt, schließt eine Geltendmachung dieses Anspruchs aus. Wenn das LSG meint, die Unmöglichkeit der Inanspruchnahme des früher zuständigen Versicherungsträgers sei auf nachkriegsbedingte politische Gründe zurückzuführen, die schon wegen ihrer zeitlichen Ferne zum Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr zu den Kriegsauswirkungen gerechnet werden könnten, so bezieht es sich offenbar auf die Ereignisse des August 1968, die dem Kläger Anlaß gegeben haben, seinen dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet zu nehmen; es meint anscheinend, angesichts dieser Ereignisse könne die Suspendierung des Vertrages vom 21.03.1931 nicht als wesentlich mitwirkende Ursache des Anspruchsverlustes angesehen werden. Eine solche Betrachtungsweise steht im Widerspruch zu dem in § 1 Buchst. b FRG zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers. Wenn die in dieser Vorschrift genannten Personen den früher für sie zuständigen Versicherungsträger nicht mehr in Anspruch nehmen konnten, so war das zumindest in der Regel nicht allein durch den Kriegsauswirkungen zuzurechnende Maßnahmen der Herkunftsländer im Bereich des Sozialrechts, sondern auch dadurch bedingt, daß sich diese Personen im Bundesgebiet und damit nicht in den Herkunftsländern gewöhnlich aufhielten; § 1 Buchst. b FRG setzt voraus, daß diese Aufenthaltsnahme nicht im Zusammenhang mit Kriegsauswirkungen steht. Daß mit fortschreitendem Zeitablauf die den Kriegsauswirkungen zuzurechnenden Maßnahmen in den Hintergrund treten, hat der Gesetzgeber gesehen; er hat diesem Gedanken dadurch Rechnung getragen, daß er in der ursprünglichen Gesetzesfassung für die Aufenthaltsnahme den 31.12.1952 als Endtermin festsetzte. Durch Art. 1 § 4 Nr. 1 des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes wurde dieser Stichtag gestrichen, und zwar mit der Begründung, daß er in Einzelfällen bei später zurückkehrenden Personen zu Härten geführt habe (BT-Drucks. IV/3233 II Art. I § 4 zu § 1); das zwingt zu der Annahme, daß es fortan weder auf den Zeitpunkt noch auf den Anlaß der Aufenthaltsnahme ankommen soll. Das bedeutet, daß diese Umstände auch als Ursachen der Unmöglichkeit, den früher zuständigen Versicherungsträger in Anspruch zu nehmen, außer Betracht zu bleiben haben.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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