5 RKn 33/78
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zusteht.
Der Kläger war seit 1937 nacheinander als Ofenarbeiter, Vorarbeiter, Kokereivorarbeiter und Kokereivorarbeiter 1 knappschaftlich versichert. Seit dem 1. Oktober 1975 war er Kauenwärter; er bezieht jetzt das Anpassungsgeld.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers vom 16. Juli 1973 mit Bescheid vom 18. Oktober 1973 ab, weil der Kläger weder berufsunfähig noch vermindert bergmännisch berufsfähig sei.
Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seines Urteils vom 5. Oktober 1978 im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nicht vermindert bergmännisch berufsfähig, denn er könne als Lampenwärter noch eine Tätigkeit verrichten, die im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig sei und auch von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten i.S. des § 45 Abs. 2 RKG verrichtet würde. Als Kokereivorarbeiter 1 für die Kohlenmischanlage habe der Kläger ein relativ eng begrenztes Tätigkeitsfeld gehabt. Der Entscheidungsspielraum sei nicht sehr groß gewesen. Das Mischungsverhältnis sei vorgegeben gewesen; im Falle von Störungen sei die Anlage lediglich stillgesetzt worden. Die Störungsbeseitigung sei nach Weisung des Steigers durchgeführt worden. Die dem Kläger unterstellten Arbeiter hätten ihre Arbeit nach verhältnismäßig kurzer Anlernzeit verrichten können. Die Einstufung des Kokereivorarbeiters 1 in die Lohngruppe 09 beruhe weniger auf den erforderlichen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten als vielmehr auf den erforderlichen Menschenführungsqualitäten. Demgegenüber verlange die Arbeit eines Lampenwärters die Kenntnis und Funktion des Geleuchts und der Grubengasmeßgeräte, denn ihm obliege die Wartung und Reparatur dieser Geräte. Außerdem erfordere die Tätigkeit Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt. Da die Lohndifferenz nur 10,67 v.H. betrage, sei die Tätigkeit auch im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig, so daß der Kläger darauf verwiesen werden könne.
Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, bei der Tätigkeit eines Lampenwärters handele es sich im Verhältnis zur Tätigkeit eines Kokereivorarbeiters 1 nicht um eine Tätigkeit von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten. Aus der Beweisaufnahme gehe hervor, daß der Kokereivorarbeiter 1 Kenntnisse und Fähigkeiten benötige, die seine Einstufung in die Lohngruppe 09 und damit die Gleichstellung mit einem Facharbeiter rechtfertigten. Er könne daher nicht auf die Tätigkeit eines Lampenwärters verwiesen werden, der lediglich eine Anlern- bzw. Einweisungszeit von weniger als drei Monaten benötige. Für die tarifliche Einstufung des Lampenwärters in die Lohngruppe 06 seien nicht die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern die Anforderungen an Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt und Zuverlässigkeit maßgebend gewesen. Die Reparatur des Geleuchts bestehe lediglich darin, im Bedarfsfall genormte Teile auszuwechseln. Reparaturen im eigentlichen Sinne würden nicht ausgeführt. Das gelte in besonderem Maße auch bei den Grubengasmeßgeräten. Im übrigen könne der Kläger die Tätigkeit eines Lampenwärters gesundheitlich nicht verrichten. Das Berufungsgericht habe nicht beachtet, daß der Lampenwärter nach der Beweisnahme in den beigezogenen Akten gelegentlich und kurzzeitig auch mittelschwere Arbeiten verrichten müsse. Nach dem eingeholten medizinischen Gutachten könne der Kläger aber nur noch körperlich leichte Arbeiten verrichten. Der Kläger sei daher vermindert bergmännisch berufsfähig.
Der Kläger beantragt,
- das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Rentenantrag vom 16. Juli 1973 Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren;
hilfsweise,
- den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
- die Revision des Klägers zurückzuweisen;
hilfsweise,
- den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung zur richtig und ist der Ansicht, die Revision des Klägers sei unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die festgestellten Tatsachen - soweit sie verfahrensfehlerfrei zustandegekommen sind - reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.
Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß die Fähigkeit des Klägers zur Verrichtung der Tätigkeit eines Lampenwärters die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit i.S. des § 45 Abs. 2 RKG ausschließen würde. Die Tätigkeit eines Lampenwärters nach der Lohngruppe 06 des Lohntarifvertrages für den rheinisch-westfälischen Steinkohlebergbau ist im Verhältnis zur Tätigkeit eines Kokereivorarbeiters 1 nach der Lohngruppe 09 im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertig, denn die Lohndifferenz betrug während der gesamten streitigen Zeit weniger als 12,5 v.H. (vgl. hierzu BSG SozR 2600 § 45 Nr. 16).
Bei Berücksichtigung der nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG wird die Tätigkeit eines Lampenwärters auch im Verhältnis zur Tätigkeit eines Kokereivorarbeiters 1 von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten verrichtet. Bei dieser Beurteilung ist das Revisionsgericht zwar nicht an die Beurteilung des Berufungsgerichts gebunden, denn es handelt sich nicht um Tatsachenfeststellungen, sondern um deren rechtliche Bewertung, bei der das Berufungsgericht keinen Beurteilungsspielraum hat, so daß sie vom Revisionsgericht in vollem Umfang nachzuprüfen ist. Dem Berufungsurteil ist insoweit jedoch zuzustimmen. Das Tätigkeitsfeld eines Kokereivorarbeiters 1 für die Kohlenmischanlage, wie sie der Kläger verrichtet hat, ist nach den Tatsachenfeststellungen des LSG relativ eng begrenzt. Der Entscheidungsspielraum ist nicht sehr groß. Die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten setzen keine Ausbildung voraus und entsprechen nicht denen eines Sacharbeiters. Die Einstufung in die Lohngruppe 09 beruht vielmehr auf den erforderlichen Menschenführungsqualitäten. Soweit sich der Kläger gegen diese Feststellungen wendet, hat er keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben, sondern lediglich das Beweisergebnis anders gewertet als das Berufungsgericht. Es kommt nicht darauf an, ob die erforderlichen Menschenführungsqualitäten den Mangel an Kenntnissen und Fähigkeiten ausgleichen und die Tätigkeit des Kokereivorarbeiters 1 qualitativ auf die Stufe des Facharbeiters anheben. Ebensowenig ist es von Bedeutung, ob die Tätigkeit des Kokereivorarbeiters 1 im Sinne des Mehrstufenschemas, wie es das Bundessozialgericht (BSG) für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit nach § 1246 der Reichsversicherungsordnung (RVO), § 46 RKG entwickelt hat, der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen ist. Für die Beurteilung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit kommt es nicht auf die qualitative Wertigkeit einer Berufstätigkeit im Sinne dieses Mehrstufenschemas, sondern auf die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten an, die nach den Feststellungen des LSG geringer sind als die eines Facharbeiters. Zwar wird man auch die erforderlichen Menschenführungsqualitäten, soweit sie durch berufliche Erfahrungen erworben werden und nicht reine persönliche Wesensmerkmale sind, den beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten gleichstellen können (vgl. hierzu BSG SozR 2600 § 8 Nr. 7). Selbst wenn man daher von beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgeht, die denen eines Facharbeiters entsprechen, kann der Kläger indes auf die Tätigkeit eines Lampenwärters verwiesen werden, wenn er zu ihrer Verrichtung in der Lage ist.
Nach den Feststellungen des LSG, die insoweit mit den Erläuterungen zur Lohnordnung übereinstimmen, besteht diese Tätigkeit in dem Warten und Instandsetzen des Geleuchts und der Grubengasmeßgeräte. Sie setzt die Kenntnis und Funktion dieser Geräte voraus. Wenn die danach erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten auch nicht in einer vorgeschriebenen oder üblichen Berufsausbildung oder Anlernung erworben werden - das ist bei der Tätigkeit des Kokereivorarbeiters 1 ebenfalls nicht der Fall -, so handelt es sich doch nicht um eine reine Hilfsarbeitertätigkeit, die keinerlei beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert. Das gilt auch dann, wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, daß die notwendigen Reparaturen relativ einfacher Art sind. Die darüber hinaus zu stellenden Anforderungen an Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt können zwar nicht allein die Verweisungsmöglichkeit begründen, weil es sich nicht um berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten handelt. Setzt die Verweisungstätigkeit aber - wie im vorliegenden Fall - ein gewisses Maß an beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten voraus, so sind die Anforderungen an Zuverlässigkeit, Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt doch geeignet, den qualitativen Wert der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erhöhen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 27. Juni 1974 - 5 RKn 4/73 - insoweit nicht abgedruckt in SozR 2600 § 45 Nr. 5; ebenso BSG SozR 2600 § 45 Nr. 21). Wenn auch die Lohngruppe 06 einzelne Tätigkeiten enthält, die nicht wegen der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, sondern aus anderen Gründen so bewertet werden (z.B. Klauber, Schrottplatzarbeiter), so spricht doch die tarifliche Einstufung des Lampenwärters, der weder eine besonders schwere noch mit Schmutz oder Lärm verbundene Arbeit verrichtet, dafür, daß er wegen der die Qualität seiner Tätigkeit bestimmenden Merkmale wie die übrigen Tätigkeiten der Lohngruppe 06 bewertet wird, die - wie zum Beispiel die Tätigkeit eines angelernten Handwerkers - nicht unerhebliche Kenntnisse und Fähigkeiten voraussetzen. Zu berücksichtigen ist auch, daß der Lampenwärter drei Lohngruppen höher eingestuft ist, als der Lampenstubenarbeiter, was für die entsprechend höhere Qualität seiner Kenntnisse und Fähigkeiten spricht.
Gleichwohl ist die Revision des Klägers begründet. Der Kläger rügt zutreffend, das Berufungsgericht habe bei der Feststellung, er sei zur Verrichtung der Tätigkeit eines Lampenwärters fähig, die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten. Das LSG hat diese Feststellung auf das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. F gestützt. Dieser Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 3. Juli 1975 den Kläger nur zur Ausübung leichter und einfacher körperlicher Arbeiten für fähig gehalten. Zwar hat er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 3. November 1975 dem Vertrauensarzt der Beklagten darin zugestimmt, daß der Kläger die Tätigkeit eines Lampenwärters verrichten könne, wobei diese Zustimmung sich im wesentlichen auf die qualitativen Anforderungen dieser Tätigkeit bezog. Diese beiden Aussagen des Sachverständigen sind nur dann miteinander zu vereinbaren, wenn es sich bei der Tätigkeit eines Lampenwärters um leichte und einfache körperliche Arbeiten handelt. Ob das der Fall ist, geht aus dem Berufungsurteil nicht hervor. Die Beweisergebnisse der "Hauertermine 1972 und 1974", die das LSG zum Gegenstand der Verhandlung gemacht hat, soweit sie Grundlage für die Erörterungen über die Leistungsanforderungen bei den Verweisungsberufen bildeten, sprechen für die Behauptung des Klägers, daß der Lampenwärter gelegentlich und kurzzeitig auch mittelschwere Arbeiten verrichten muß. Das geht insbesondere aus den berufskundlichen Sachverständigengutachten des Dr. Sch und des Dipl-Ing. D vom 16. Dezember 1974 in dem Rechtsstreit L 2 Kn 71/72 und den darin enthaltenen und bestätigenden Hinweis auf Bl 42/43 des in der Anlage beigefügten Katalogs des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau hervor. Darin heißt es zur körperlichen Beanspruchung (Arbeitsschwere) des Lampenwärters: "Im allgemeinen gering, gelegentlich und kurzzeitig (Einlagern von Fässern - destilliertes Wasser, Kalilauge) mittel". Aus dem medizinischen Gutachten, auf das sich das Berufungsgericht stützt, geht nicht hervor, ob der Kläger in der Lage ist, jedenfalls gelegentlich und kurzzeitig mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger könne die Tätigkeit eines Lampenwärters noch verrichten, ist daher in sich widersprüchlich und verstößt gegen die Denkgesetze. Sie ist von dem medizinischen Gutachten jedenfalls nicht gedeckt. Andererseits steht aber auch nicht fest, daß der Kläger außerstande ist, gelegentlich und kurzzeitig mittelschwere Arbeiten und damit die Tätigkeit eines Lampenwärters zu verrichten.
Der Senat hat auf die danach begründete Revision des Klägers das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit zur Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen - insbesondere zur Frage, ob der Kläger gesundheitlich fähig ist, die Tätigkeit eines Lampenwärters zu verrichten - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.