Navigation und Service

Logo der Deutschen Rentenversicherung (Link zur Startseite rvRecht)

rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung

1 RJ 92/78

Aus den Gründen:

Der Kläger, Sohn eines Auslandsdeutschen und gelernter Motorenmechaniker, war ab 1935 bei verschiedenen Firmen im nahen Osten tätig. Am 3.9.1939 wurde er in Bagdad verhaftet und in der Folge von den englischen Militärbehörden in Indien in Lagern festgehalten. Zwei Fluchtversuche scheiterten. Erst 1946 wurde er zu Schiff nach Deutschland zurückgeführt und im Januar 1947 nach Berlin entlassen. Nach Versuchen, dort wirtschaftlich Fuß zu fassen, arbeitete er ab 1949 vier Jahre in Indien. Ende 1954 wanderte er schließlich nach Kanada aus, wo er später eingebürgert wurde.

Die beklagte LVA bewilligte dem Kläger Rente wegen EU. Dabei lehnte sie es ab, die Internierungszeit anzurechnen.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 3.9.1939 bis 31.1.1947 als Ersatzzeit rentensteigernd anzurechnen.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Nach § 1251 Abs. 1 Nr. 2 RVO werden - unter der Voraussetzung, daß eine Versicherung vorher bestanden hat (Abs. 2 S. 1 aaO) - für die Erfüllung der Wartezeit als Ersatzzeit angerechnet u.a. Zeiten der Internierung, wenn der Versicherte Heimkehrer i.S. des § 1 HkG ist. Das ist bei dem Kläger entgegen der Auffassung der Beklagten der Fall.

Nach § 1 Abs. 3 HkG gelten als Heimkehrer Deutsche, die wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Staatsangehörigkeit oder in ursächlichem Zusammenhang mit Kriegsereignissen im Ausland interniert waren und innerhalb von zwei Monaten nach der Entlassung aus ausländischem Gewahrsam im Bundesgebiet oder im Land Berlin ständigen Aufenthalt genommen haben oder nehmen. Daß der Kläger in diesem Sinne im Ausland interniert war, bestreitet die Beklagte nicht. Der Kläger hat nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG ferner binnen zwei Monaten nach der Entlassung aus der Internierung im Januar 1947 seinen Aufenthalt im Land Berlin genommen. Auch das ist nicht streitig. Was nun die Frage betrifft, ob der Kläger 1947 in Berlin „ständigen“ Aufenthalt genommen hat, so hängt dies nach der Nr. 19 der Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des HkG (VV) zunächst davon ab, ob die das HkG anwendende Behörde oder Stelle aus den Umständen des Aufenthalts des Versicherten im Geltungsbereich des Gesetzes erkennen kann, ob er „nicht nur von vorübergehender Dauer“ ist. Das LSG hat diese Frage im angefochtenen Urt in bezug auf den Kläger bejaht. Diese Feststellung hat die Beklagte nicht mit beachtlichen Verfahrensrügen angegriffen, so daß der Senat an sie gebunden ist (§§ 163, 164 Abs. 2 S. 3 SGG).

Nach allem hat der Kläger durch zeitgerechte Begründung eines ständigen Aufenthalts im Land Berlin die Voraussetzungen nach § 1251 Abs. 1 Nr. 2 RVO i.V.m. § 1 Abs. 3 HkG erfüllt.

Seine Heimkehrereigenschaft hat der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht dadurch verloren, daß er im Jahre 1954 nach Kanada auswanderte.

Es mag zwar sein, daß die Eigenschaft eines Heimkehrers nach dem HkG „erlischt“, wenn der Heimkehrer den Geltungsbereich des Gesetzes nicht nur vorübergehend verläßt (vgl. Nr. 20 VV). Dann aber spricht vieles dafür, daß - wie schon der Wortsinn eines „Erlöschens“ nahelegt - der Fortfall der Heimkehrereigenschaft nur für die Zukunft wirkt. Aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen werden die dem Heimkehrer während seines Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes gewährten besonderen Leistungen und Vergünstigungen kaum als zu unrecht gewährt angesehen oder gar zurückgefordert werden können. Dies gilt auch für Heimkehrer, denen der Tr der RV eine Bescheinigung über die Anerkennung einer Ersatzzeit nach § 24 Abs. 1 HkG i.V.m. Nr. 145 VV erteilt hat. Im einzelnen kann dies jedoch dahinstehen. Nach Sinn und Zweck des § 1251 Abs 1 Nr. 2 RVO genügt es für die Anerkennung der Ersatzzeit, daß der Versicherte binnen zwei Monaten nach der Entlassung aus der Internierung in der Bundesrepublik oder im Land Berlin ständigen Aufenthalt genommen hatte; unerheblich ist, daß er später seinen Aufenthalt ins Ausland verlegt hat:

Nach dem Katalog des § 1251 Abs. 1 und nach Abs. 2 S. 1 RVO genügt für die Anerkennung einer Ersatzzeit im Regelfalle, daß der Antragsteller von einem Ersatzzeittatbestand betroffen ist und er bereits vorher rentenversichert war. Dies reicht dem Gesetzgeber, um zu vermuten, daß der Versicherte, wäre der Ersatzzeittatbestand nicht eingetreten, weiterhin Beiträge zur RV geleistet haben würde. Bei der hier streitigen Ersatzzeit nach Nr. 2 aaO gilt eine Ausnahme: Dem Versicherten, der im Ausland interniert gewesen ist, wird die Internierung nur dann als Ersatzzeit gutgebracht, wenn er - wie oben näher dargelegt - in die Bundesrepublik oder in das Land Berlin „heimgekehrt“ ist. Der Grund für dieses zusätzliche Erfordernis liegt auf der Hand: Die unter das HkG fallenden Versicherten kommen, wie schon der Benennung dieses Gesetzes zu entnehmen ist, durchweg aus fremdem Gewahrsam. Durch einen - gegebenenfalls lange Jahre andauernden - Aufenthalt im Ausland können sich ihre Beziehungen zur Bundesrepublik und zu Westberlin entscheidend gelockert haben; bei Auslandsinternierten, die z.B. aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten stammen, brauchen Bindungen zur Bundesrepublik und zu Berlin bislang überhaupt nicht bestanden zu haben. Daher erscheint dem Gesetzgeber das Verhältnis solcher Versicherter auch zur Solidargemeinschaft der Rentenversicherten in der Bundesrepublik und im Land Berlin als soweit beeinträchtigt, daß es erst die Heimkehr, d.h. die Begründung eines ständigen Aufenthalts in diesen Gebieten im engen zeitlichen Anschluß an die Entlassung aus dem fremden Gewahrsam rechtfertigt, den zwangsweisen Auslandsaufenthalt rentenrechtlich als Ersatzzeit zu entschädigen. Dieser Vorgang der Festigung und Wiederherstellung des durch den Auslandsaufenthalt gelockerten oder zeitweise gar abgerissenen Bandes zwischen Versicherten und Versichertengemeinschaft durch zeitgerechte Begründung eines ständigen Aufenthalts in der Bundesrepublik oder im Land Berlin ist, einmal vollzogen, nicht reversibel. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die „Heimkehr“ unaufhebbar auch dann, wenn der Versicherte später seinen ständigen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland oder außerhalb des Landes Berlin nimmt. Gegenteiliges folgt nicht aus dem gesetzlichen Erfordernis, daß der ehemals Internierte seinen „ständigen“ Aufenthalt in den genannten Gebieten zu nehmen hat. Wie oben dargelegt, ist nach Nr. 19 VV ständig ein Aufenthalt schon dann, wenn er nicht nur von vorübergehender Dauer ist. Die Verwaltungsvorschriften, auf die sich die Beklagte im übrigen selbst beruft, verlangen also nicht, daß der Heimkehrer in der Bundesrepublik oder in Westberlin seinen Aufenthalt „für unbegrenzte Zeit“ oder gar „für immer“ zu nehmen hätte. Eine solche Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Versicherten hat das Gesetz, abgesehen von möglichen verfassungsrechtlichen Bedenken, nicht gewollt. Vielmehr ist der Versicherte, der aus fremdem Gewahrsam heimgekehrt ist, im Hinblick auf eine Veränderung des Aufenthaltsorts rentenrechtlich nicht anders zu behandeln wie jeder andere Versicherte auch. Was speziell die rentenrechtlichen Folgen betrifft, die sich daran knüpfen, daß ein Versicherter seinen Aufenthalt ins Ausland verlegt, so kann nicht ersichtlich werden, inwieweit ein Heimkehrer schlechter gestellt sein sollte als ein Versicherter, der schon immer in diesen Gebieten ständig gewohnt hat (vgl. §§ 1315 ff. RVO). Mit vollzogener Heimkehr hat sich der ehemals Internierte wieder in die Gemeinschaft der deutschen Rentenversicherten eingegliedert; Heimkehr und mit ihr verbundene Eingliederung können nicht dadurch rückgängig und ungeschehen gemacht werden, daß der Versicherte später, gegebenenfalls nach langen Jahren, seinen Aufenthalt im Ausland nimmt.

Nach alledem erfüllt der Kläger dadurch, daß er im Jahre 1947 i.S. des § 1 Abs. 3 HkG zeitgerecht nach Deutschland zurückgekehrt war, die Voraussetzungen des § 1251 Abs. 1 Nr. 2 RVO. Seine spätere Auswanderung nach Kanada hat ihm das Recht auf Anerkennung der Auslandsinternierung als Ersatzzeit nicht genommen.

Zusatzinformationen