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11 RA 62/78

Aus den Gründen

Die Beigeladene ist die Witwe, die Klägerin die frühere aus dem alleinigen Verschulden des Ehemannes geschiedene Ehefrau des am 16.10.1972 verstorbenen Versicherten M. Dieser hat der Klägerin nach der Scheidung keinen Unterhalt geleistet.

Die beklagte BfA gewährte der Beigeladenen mit Bescheid vom 20.9.1973 Witwenrente in Höhe von 207,00 DM monatlich; sie lehnte den Antrag der Klägerin auf Geschiedenenwitwenrente mit Bescheid vom 29.4.1975 ab, weil die Klägerin im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Todes des Versicherten bei einem Monatseinkommen von durchschnittlich 450,00 DM nicht unterhaltsbedürftig gewesen sei. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.

Die Revision der Klägerin ist i.S. der Zurückverweisung begründet. Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 42 Satz 1 AVG (= § 1265 RVO) i.d.F. des Gesetzes vom 23.2.1957 in Betracht, da an die Beigeladene Witwenrente zu gewähren ist. Insoweit bedarf nur die erste Alternative (Unterhaltsanspruch nach den Vorschriften des EheG) einer näheren Prüfung. Denn eine Unterhaltspflicht „aus sonstigen Gründen“ (zweite Alternative) oder eine tatsächliche Unterhaltsleistung (dritte Alternative) ist weder behauptet noch den Feststellungen des Berufungsurteils zu entnehmen.

Nach § 58 EheG muß der schuldig geschiedene Ehemann den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen.

Hierzu führt das LSG - zunächst zutreffend - aus, für den Umfang des angemessenen Lebensunterhalts sei auf die Verhältnisse abzustellen, in denen die Ehegatten während und vor allem gegen Ende der Ehe gelebt hätten. Das LSG fährt aber sodann fort, die Klägerin habe während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes monatlich durchschnittlich 764,00 DM verdient und zumutbar verdienen können; ihr Lohneinkommen und die Nutzwerte aus Eigenheim und Ausgleichszahlung hätten weit über dem Regelsatz der Sozialhilfe gelegen.

Damit hat das LSG nicht den angemessenen Unterhalt, sondern den Regelsatz der Sozialhilfe als Vergleichswert herangezogen. Der Regelsatz, genauer 25 v.H. des Mindestbedarfs nach Sozialhilfegrundsätzen, ist jedoch nicht für die Unterhaltsbedürftigkeit bedeutsam, sondern nur für die sich erst später stellende Frage, ob ein etwaiger Unterhaltsanspruch nur geringfügig ist und deshalb die Rechtsfolge des § 42 AVG nicht auszulösen vermag. Zur Höhe des in vorliegendem Zusammenhang allein maßgebenden angemessenen Unterhalts hat das LSG keine Feststellungen getroffen.

Das angefochtene Urteil kann auch nicht dahin verstanden werden, daß das LSG sich lediglich im Ausdruck vergriffen und nicht den Regelsatz der Sozialhilfe, sondern den angemessenen Unterhalt als überschritten angesehen habe. Überdies würde unter den gegebenen Umständen eine derartig zusammenfassende Feststellung auch nicht ausreichen. Sie kann nur zugelassen werden, wenn der angemessene Unterhalt zweifelsfrei und unangegriffen überschritten ist (vgl. BSGE 46, 14, 15 = SozR 2200 § 1265 Nr. 30). Das ist hier nicht der Fall, da das Klagevorbringen für die Zeit der Scheidung einen monatlichen Gewinn von etwa 3.300,00 DM ergibt. Das LSG wird daher zum angemessenen Lebensunterhalt die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Hierzu hat das BSG in ständiger Rechtsprechung ausgeführt: Bestimmend seien die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung. Der sich daraus für den Zeitpunkt der Scheidung ergebende eheliche Lebensstandard sei unter Berücksichtigung der seither eingetretenen Veränderungen der allgemeinen Lohn- und Preisverhältnisse auf die Zeit des Todes des Versicherten zu projizieren. Der angemessene Unterhalt der Ehefrau betrage 1/3 bis 3/7 dieses Betrages, je nach den Verhältnissen des Einzelfalles (BSG SozR Nr. 64 zu § 1265 RVO m.w.N.; BSGE 40, 225, 226 = SozR 2200 § 1265 Nr. 8; BSGE 46, 14, 75 = SozR 2200 § 1265 Nr. 30).

Bei der Feststellung des Lebensstandards gegen Ende der Ehe wird sich das LSG nicht mit der Feststellung des steuerpflichtigen Einkommen! aus den 3 Firmen begnügen dürfen, sondern auch die Höhe der tatsächlichen Entnahmen unter Berücksichtigung der für die Lebensführung tatsächlich aufgewandten Mittel in Ansatz bringen müssen.

Dem so festgestellten angemessenen Unterhalt ist neben dem Erwerbseinkommen, zu dessen Zumutbarkeit das LSG ggf. weitere Feststellungen wird treffen müssen, der Nutzwert des Eigenheims gegenüberzustellen, nicht aber der Nutzwert des Zugewinnausgleichs, da die Klägerin diesen erst nach dem Tod des Versicherten und damit nach dem Ende des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes erhalten hat.

Für die Frage, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin unterhaltspflichtig war, hat das LSG zutreffend auf die Zeit von Oktober 1971 bis Oktober 1972 als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten abgestellt. Die Klägerin war zwar von September 1972 bis November 1973 wegen ihres Gesundheitszustandes ohne Arbeit. Das LSG hat hierzu jedoch festgestellt, daß es sich im September 1972 nur um eine vorübergehende Erkrankung gehandelt habe, und daß die Klägerin dann durch den Tod des Versicherten im Oktober 1972 zunächst außerstande gewesen sei, gleich wieder eine Arbeit aufzunehmen. Unter diesen Umständen hat das LSG zu Recht davon abgesehen, die Zeit vom 1.9.1972 bis zum 16.10.1972 als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand zugrunde zu legen.

Das LSG hat die Revision zugelassen, „weil im Hinblick auf die mehr und mehr erkennbaren Tendenzen, die Rechtsstellung der geschiedenen Ehefrau zu verbessern (Ehereformgesetz - Versorgungsausgleich), die Möglichkeit bestehe, daß das BSG seine bisherige Rechtsprechung ändere und nicht mehr auf den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand, sondern auf den Zeitpunkt des Todes abstelle“. Zu einer solchen Änderung der Rechtsprechung besteht jedoch kein Anlaß, insbesondere weil die bisherige Rechtsprechung bei der Begrenzung des „angemessenen Lebensunterhalts“ und der „Zumutbarkeit eigener Erwerbstätigkeit“ (vgl. BSG SozR Nr. 52 zu § 1265 RVO und Urt. vom 14.12.1978 - 1 RA 5/78 - SozR 2200 § 1265 Nr. 37) genügend Raum für Billigkeitserwägungen gibt.

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