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11 RA 22/78

Aus den Gründen

Die Klägerin ist amerikanische Staatsangehörige. Sie begehrt Hinterbliebenenrente nach ihrem geschiedenen Ehemann, der die deutsche Staatsangehörigkeit bis zu seinem Tod im April 1966 besaß und bei der Beklagten versichert war.

Die zwischen der Klägerin und dem Versicherten 1959 im Staate New York geschlossene Ehe wurde durch Urt. des Superior Court in Stamford (Staat Connecticut - C -) 1962 geschieden. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß der beklagte Ehemann sich gegenüber der Klägerin „unerträglicher Grausamkeit“ schuldig gemacht habe. Zugleich verurteilte es ihn, der Klägerin einen Unterhalt von 80 Dollar wöchentlich zu zahlen. Der Versicherte lebte nach seiner Scheidung in München; er hat nicht wieder geheiratet.

Der Senator für Justiz in Berlin stellte gemäß Art. 7 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Familienrechts-Änderungsgesetzes (FamRÄndG) vom 11.8.1961 fest, daß die Voraussetzungen für die Anerkennung des Scheidungsurteils vorliegen.

Den im Dezember 1971 gestellten Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenrente lehnte die beklagte BfA ab. Auf die hiergegen erhobene Klage hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urt. des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Revision der Klägerin ist insofern begründet, als das angefochtene Urt. aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist, weil der vom LSG festgestellte Sachverhalt zu einer abschließenden Entsch. nicht ausreicht.

Als Rechtsgrundlage für den erhobenen Anspruch kommt zunächst § 42 Satz 1 AVG in Betracht. Nach dieser Vorschrift steht einer geschiedenen Frau Hinterbliebenenrente zu, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG (1. Alternative) oder aus sonstigen Gründen (2. Alternative) zu leisten hatte oder wenn er ihr im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat (3. Alternative).

Das LSG hat die 3. Alternative hier zutreffend verneint. Zweifel bestehen jedoch hinsichtlich seiner Ausführungen zur 1. und zur 2. Alternative.

Der Senat ist dabei allerdings mit dem LSG der Meinung, daß die auf die „Vorschriften des Ehegesetzes“ abstellende 1. Alternative nur Unterhaltspflichten nach dem deutschen EheG erfaßt. Die vom LSG getroffenen Feststellungen legen es deshalb nahe - zumal zwischen den Alternativen des § 42 Satz 1 AVG keine Rangordnung besteht (BSGE 20, 1, 4 f) -, hier zuerst die 2. Alternative zu prüfen.

Das LSG hat sie verneint, weil der von der Klägerin erzielte ausländische Unterhaltstitel im Inland nicht vollstreckbar gewesen sei. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Das LSG beruft sich zu Unrecht auf die Entsch. des GrS des BSG vom 27.6.1963 (BSGE 20, 1). Dort ist nur entschieden worden, daß ein vollstreckbarer Unterhaltstitel ein sonstiger Grund i.S. des § 1265 RVO (= § 42 AVG) sein kann; zu ausländischen Vollstreckungstiteln wird nichts gesagt. Immerhin hat aber gerade diese Entsch. klargestellt, daß die 2. Alternative des „sonstigen Grundes“ keine Begrenzung auf bestimmte Rechtspositionen enthält; der Gesetzgeber habe mit ihr neben den tatsächlichen Unterhaltsleistungen und den auf dem EheG beruhenden Verpflichtungen die anderen eine Unterhaltspflicht beinhaltenden Rechtspositionen erfassen wollen. Dazu gehören auch Rechtspositionen, die ihre Grundlage im ausländischen Recht haben, sofern sie den Versicherten zum Unterhalt an seine geschiedene Frau verpflichten. Sie von der 2. Alternative auszunehmen, besteht auch nach Sinn und Zweck des § 42 AVG kein Anlaß. Satz 1 dieser Vorschrift ist ein Ausdruck der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente; diese soll Ersatz für den weggefallenen Unterhaltsanspruch (oder den weggefallenen tatsächlichen Unterhalt) bieten. Wegfallen mit dem Tode kann auch ein Unterhaltsanspruch fremden Rechts; es ist nicht einzusehen, warum in diesem Falle die geschiedene Frau von dem Unterhaltsersatz ausgeschlossen sein sollte. Die Rechtspositionen nach ausländischem Recht können hierbei die gleichen wie nach deutschem Recht sein; sie können auf dem materiellen ausländischen Recht oder - analog zu BSGE 20, 1 - auf ausländischem Vollstreckungsrecht beruhen; insoweit genügt es daher, daß ein Unterhaltstitel zur Zeit des Todes des Versicherten im Ausland vollstreckbar war, es sei denn, daß der Versicherte dort - wiederum analog Zu BSGE 20, 1 - zur Zeit des Todes die Wirkungen des Titels hätte beseitigen können.

Dabei ist es unerheblich, ob nach den Regeln des deutschen internationalen Privatrechts (IPR) das ausländische Recht auf den zu beurteilenden unterhaltsrechtlichen Sachverhalt hätte angewendet werden dürfen. Im vorliegenden Zusammenhang geht es nicht darum, daß ein deutsches Gericht über einen zwischen ehemaligen Eheleuten geltend gemachten Unterhaltsanspruch entscheidet; vielmehr kommt es lediglich darauf an, welche Unterhaltspositionen zur Zeit des Todes des Versicherten bestanden haben und mit dem Tode weggefallen sind. Auch im Hinblick auf das deutsche IPR besteht deshalb kein Grund, die mit dem Tode des Versicherten weggefallenen ausländischen Rechtspositionen der geschiedenen Frau nicht zu berücksichtigen. Eine Ausnahme könnte lediglich in Betracht kommen, wenn die Rechtsposition gegen den deutschen „ordre public“ verstößt oder wenn die Berufung auf sie einem Rechtsmißbrauch gleichkäme, etwa wenn eine ausländische Rechtsordnung ganz allgemein Unterhaltsansprüche nach geschiedenen Ehen ohne irgendeine verständliche Anknüpfung an einen in dem fremden Staat gegebenen Sachverhalt (wie z.B. Staatsangehörigkeit, Ort der Eheschließung oder der Ehescheidung, gegenwärtiger oder früherer Wohnsitz oder Aufenthalt) gewähren würde. Ein solcher Fall liegt hier offensichtlich nicht vor.

Das LSG hätte deshalb feststellen müssen, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes nach dem Recht des Staates C. der Klägerin als seiner früheren Ehefrau Unterhalt zu leisten hatte. Eine solche Feststellung hat das LSG nicht getroffen. Es hat zwar einen Unterhaltstitel zur Zeit der Scheidung festgestellt und die Auffassung vertreten, nach dem Recht des Staates C. stehe der geschiedenen Frau offenbar in jedem Falle, d.h. unabhängig von den Scheidungsgründen, ein Unterhaltsanspruch gegen den Mann bis zu ihrer Wiederheirat zu; andererseits führt das LSG aus, eine Unterhaltsklage sei nach diesem Recht „möglicherweise“ begründet gewesen. Damit bleibt offen, wie die Rechtsposition der Klägerin nach dem Recht des Staates C. zur Zeit des Todes des Versicherten, d.h. während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dessen Tode, gewesen ist.

Eine die Zurückverweisung an das LSG vermeidende Entsch. wäre dem Senat unter diesen Umständen nur möglich, wenn die verbleibende Prüfung der 1. Alternative des § 42 Satz 1 AVG zur Bejahung der Erfüllung dieser Alternative führen müßte. Das ist jedoch nicht der Fall.

Hinsichtlich der 1. Alternative ist mit dem angefochtenen Urt. davon auszugehen, daß sich der Unterhaltsanspruch aus der früheren Ehe nach dem unwandelbaren Scheidungsstatut richtet (Staudinger / Gamillscheg, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., Art. 17 EGBGB Nr. 549 ff.; Soergel / Kegel, Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, 10. Aufl., Art. 17 EGBGB Anm. 95, 98; Brühl, Unterhaltsrecht, 3. Aufl., RdNr. 1056). Zu Unrecht hat das LSG jedoch als Scheidungsstatut das Recht des Staates C. mit der Begründung zugrunde gelegt, daß die Ehe nach diesem Recht geschieden worden sei. Das als Scheidungsstatut anzuwendende Recht ergibt sich aus Art. 17 Abs. 1 und 3 EGBGB. Insoweit ist es unerheblich, welches Recht das Scheidungsgericht bei der Ehescheidung angewandt hat (Soergel / Kegel, a.a.O.). Nach dem im vorliegenden Fall anzuwendenden Art. 17 Abs. 1 EGBGB ist Scheidungsstatut das Heimatrecht des Ehemannes; das würde hier zur Anwendung des deutschen Rechtes auf die nachehelichen unterhaltsrechtlichen Beziehungen führen. Folgt man dem, so fehlen jedoch wiederum ausreichende tatsächliche Feststellungen, um über das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs nach deutschem Eherecht zur Zeit des Todes des Versicherten zu befinden. Schon deshalb kann der erkennende Senat hier nicht die 1. Alternative für gegeben erachten.

Somit muß der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden. Dieses wird bei seiner neuen Entsch. sich zweckmäßigerweise zuerst nochmals mit der 2. Alternative des § 42 Satz 1 AVG befassen und dabei die Auslegung dieser Alternative durch den erkennenden Senat zu beachten haben. Sollte das LSG bei erneuter Prüfung die 2. Alternative wiederum verneinen müssen, so erschiene es sachgerecht, wenn das LSG im Anschluß daran die Anwendbarkeit des § 42 Satz 2 AVG im Hinblick auf die 2. Alternative in Satz 1 prüfen würde. Das LSG hat offenbar verkannt, daß § 42 Satz 2 nicht nur Unterhaltsverpflichtungen aufgrund der 1. Alternative des § 42 Satz 1 (Unterhaltsverpflichtungen nach dem deutschen EheG), sondern auch solche aufgrund der 2. Alternative (Unterhaltsverpflichtungen aus sonstigem Grund) aus § 42 Satz 1 betrifft (vgl. SozR 2200 § 1265 Nr. 11).

Wenn allerdings auch dann das LSG dem Begehren der Klägerin nicht stattzugeben vermag, wird es, da seine Ausführungen im angefochtenen Urt. zum maßgebenden Scheidungsstatut jedenfalls in der Begr. nicht zutrafen, sich erneut mit der 1. Alternative von § 42 Satz 1 AVG befassen müssen. Insoweit kann das LSG allerdings vor schwierigen Fragen stehen. In Schrifttum und Rechtspr. werden nämlich Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Art. 17 Abs. 1 EGBGB geltend gemacht (vgl. etwa Berkemann, FamRZ 1977, 295; OLG Düsseldorf, FamRZ 1976, 277, jeweils m.w.N.) und für den Fall der Verfassungswidrigkeit verschiedene Lösungswege angeboten (vgl. die Aufstellung bei Berkemann, a.a.O., 300). Der Senat braucht beim jetzigen Sach- und Streitstand hier noch nicht abschließend dazu Stellung zu nehmen. Er neigt dazu, Art. 17 Abs. 1 EGBGB als verfassungswidrig anzusehen und im Hinblick auf Abs. 3 dieser Vorschrift das Heimatrecht des jeweiligen Klägers im Scheidungsverfahren für maßgebend zu erachten (so auch wohl die überwiegende Meinung, vgl. Staudinger/Gamillscheg, a.a.O., Art. 17 EGBGB Nr. 26; Habscheid, FamRZ 1975, 76, 78; von Mezger,. Festschrift für Bosch, 657, 667; OLG Düsseldorf a.a.O., 278). Das würde, da die Klägerin die Scheidungsklage erhoben hat, zur Anwendung des amerikanischen Rechts führen, so daß die erste Alternative von § 42 Satz 1 AVG damit nicht anwendbar wäre.

Der Senat braucht sich jedoch jetzt noch nicht in diesem Sinne festzulegen. Art. 17 Abs. 1 EGBGB, so wie er zur Zeit des Todes des Versicherten im Jahre 1966 galt, war zwar vorkonstitutionelles Recht, so daß eine Vorlagepflicht an das BVerfG nach Art. 100 Grundgesetz entfällt. Andererseits hat aber der BGH Art. 17 Abs. 1 EGBGB als verfassungsgemäß angesehen (BGH, NJW 1954, 837; BGHZ 42, 7; BGH NJW 1971, 2124); dem könnte sich der Senat ohne Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes nicht entgegenstellen, wenn es - was noch offen ist - für die Entsch. des vorliegenden Rechtsstreits auf die Frage der Verfassungswidrigkeit der genannten Norm ankäme.

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