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1 RA 5/78

Aus den Gründen

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes, des Maschinenbauingenieurs N. (Versicherter), der am 1.6.1973 im 64. Lebensjahr verstorben ist. Die Ehe wurde aus Verschulden des Versicherten geschieden. Seit September 1970 war der Versicherte mit der Beigeladenen verheiratet. Diese erhält von der beklagten BfA eine ungekürzte Witwenrente.

Der Versicherte war bis zum 28.3.1965 selbständig und von da ab arbeitslos gemeldet gewesen. Er erhielt eine Rente wegen BU auf Zeit vom 9.12.1965 bis 30.6.1967. Seit Mai 1971 war der Versicherte als Abteilungsleiter in einem Fahrzeugwerk beschäftigt und erzielte ab Juni 1972 ein Nettoeinkommen unterschiedlicher Höhe, zuletzt im Juni 1973 rd. 1734,00 DM. Von Oktober 1972 bis Anfang Dezember 1972 war der Versicherte wegen „Stenocardien bei einem Zustand nach Herzinfarkt vom Dezember 1965“ arbeitsunfähig. Am 5.1.1973 wurde er wegen gehäuft aufgetretener Angina-pectoris-Anfälle erneut arbeitsunfähig. Sein Leistungsvermögen wurde ärztlich als erheblich vermindert angesehen. Die Beklagte gewährte daraufhin für ihn ab 1.11.1972 Rente wegen EU in Höhe von 532,00 DM monatlich.

Die Klägerin verdiente ab 1966 ca. 855,00 DM und ab 1967 rd. 923,00 DM brutto monatlich als Verwaltungsangestellte. Seit dem 1.1.1972 erhält sie ein Altersruhegeld von der Beklagten, das zunächst 157,60 DM betrug und sich ab 1.1.1973 auf 172,60 DM erhöhte. Daneben wurde ihr eine Rente von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ab 1.1.1972 von monatlich 192,90 DM und ab 1.1.1973 bis 30.6.1973 von monatlich 203,30 DM gewährt.

Die Beklagte lehnte den Hinterbliebenenantrag der Klägerin ab. Das SG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist zurückgewiesen worden.

Die Revision der Klägerin führt zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

Da § 42 Satz 2 AVG als Anspruchsgrundlage schon deshalb ausscheidet, weil der Beigeladenen eine Witwenrente zu gewähren ist, kann die Klägerin ihr Begehren nur auf § 42 Satz 1 AVG stützen. Hiernach wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, dessen Ehe vor dem 1.7.1977 geschieden worden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn er ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt geleistet. Er war auch, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, aus sonstigen Gründen nicht verpflichtet, der Klägerin Unterhalt zu leisten.

In Betracht kommt somit lediglich ein Anspruch nach § 58 Abs. 1 EheG in der bis zum 30.6.1977 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung (vgl. Art. 3 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts - 1. EheRG). Hiernach hat der allein für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren, soweit das Einkommen aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen.

Voraussetzung ist also, daß der Versicherte im Zeitpunkt seines Todes leistungsfähig und die Klägerin unterhaltsbedürftig war. Hierbei sind nach der ständigen Rechtspr. des BSG (vgl. z.B. BSGE 35, 243, 244 mit zahlreichen Nachweisen) die Verhältnisse zugrunde zu legen, die in dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten bestanden. Diesen hat das LSG für die Zeit ab November 1972 abgesteckt. Es ist weiter davon ausgegangen, die Einkünfte, die der Versicherte während dieses Zeitraums aus seiner Tätigkeit erzielt habe, könnten nicht zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden, da er auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet habe. Unzumutbare Arbeiten, die der Versicherte tatsächlich ausübe, könnten seine Leistungsfähigkeit nicht erhöhen.

Hinsichtlich der Beurteilung der Leistungsfähigkeit folgt der Senat der Rechtsansicht des LSG insoweit, als Einkünfte, die ein Versicherter auf Kosten seiner Gesundheit erzielt, grundsätzlich bei seiner Leistungsfähigkeit gemäß § 58 Abs. 1 EheG außer Ansatz bleiben müssen. Der Senat hat bereits ausgesprochen (SozR Nr. 42 zu § 1265 RVO), daß bei der Beurteilung der Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau Einkünfte unberücksichtigt bleiben müssen, die diese aus einer ihr nicht zuzumutenden Erwerbstätigkeit erzielt hat, was dann der Fall ist, wenn der geschiedene Ehemann seine frühere Frau billigerweise nicht auf diese Einkünfte verweisen kann. Der 12. Senat des BSG ist dieser Auffassung beigetreten (SozR Nr. 52 zu § 1265 RVO) und hat dargelegt, daß der an die Ehescheidung geknüpfte Unterhaltsanspruch von jeher von dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (Billigkeit) bestimmt war. Insbesondere folge aus den §§ 59 Abs. 1, 60, 61 Abs. 2, 70 Abs. 2 EheG, daß bei der Regelung der Unterhaltsansprüche der Gesichtspunkt der Billigkeit vorherrsche. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, daß in § 58 Abs. 1 EheG dieser Grundsatz nicht ausdrücklich aufgeführt ist und § 66 EheG 1938 nur hinsichtlich der Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau eine Erwerbstätigkeit berücksichtigte, „die von ihr den Umständen nach erwartet werden kann“. Denn auch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten bestimmt sich nach dem, was ihm zuzumuten ist (SozR Nr. 38 zu § 1265 RVO mit zahlreichen Nachweisen). D.h., Ansprüche und Einwendungen können von einem geschiedenen Ehegatten gegenüber dem anderen nicht geltend gemacht werden, wenn sie unzumutbar sind. Ebenso wie es unbillig erscheint, dem unterhaltsbedürftigen Ehegatten Einkünfte auf seinen Unterhaltsanspruch anzurechnen, die er aus einer über das zumutbare Maß hinausgehenden Erwerbstätigkeit erzielt, widerspricht es dem Sinn und Zweck des Gesetzes, bei der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, die er auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat.

In tatsächlicher Hinsicht ist hierbei allerdings zu berücksichtigen, daß durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zunächst einmal die Vermutung begründet wird, daß der Betroffene hierzu auch gesundheitlich in der Lage ist. In diesem Zusammenhang ist weiter darauf hinzuweisen, daß es sich, wie der Senat bereits hinsichtlich der Unterhaltsbedürftigkeit der geschiedenen Ehefrau ausgeführt hat, nur um besondere Fälle handeln kann, in denen tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen nicht zu berücksichtigen ist. Selbst dann, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine Tätigkeit ausübt, ohne hierzu verpflichtet zu sein, berechtigt dies allein noch nicht dazu, ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls von einer Anrechnung der Einkünfte bei der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit abzusehen.

Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um zu dem Schluß zu kommen, ob der Versicherte im vorliegenden Fall in dem letzten maßgeblichen Dauerzustand tatsächlich auf Kosten seiner Gesundheit gearbeitet hat. Nach den Feststellungen im Tatbestand des angefochtenen Urt. war der Versicherte von Ende Oktober 1972 bis Anfang Dezember 1972 arbeitsunfähig. Ein Arbeitsversuch im Dezember 1972 mißglückte ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen, weil er wiederum am 5.1.1973 wegen wiederholt aufgetretener Angina-pectoris-Anfälle arbeitsunfähig wurde. Es ist daher nicht auszuschließen, daß der Versicherte - abgesehen von der Zeit um die Jahreswende 1972/1973 - während der übrigen Zeit aus gesundheitlichen Gründen seiner Beschäftigung nicht nachgegangen ist. Damit steht aber nicht fest, daß er seine Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit erzielt hat, die er auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat. Vielmehr deutet dies darauf hin, daß es sich bei den Zahlungen seines Arbeitgebers in diesem Zeitraum um die Befriedigung eines Gehaltsfortzahlungsanspruchs gehandelt hat. Solche Ansprüche gehören aber ebenso wie das zu den Erträgnissen aus einer Erwerbstätigkeit, also zum Einkommen des Verpflichteten (SozR Nr. 57 zu § 1265 RVO). Sie könnten nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn der Versicherte bereits vor seiner Krankmeldung seine Beschäftigung auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hätte, sei es von Beginn der Tätigkeit an oder wegen einer Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes, die deutlich vor der Krankmeldung lag. Entsprechende Feststellungen hierzu hat das LSG nicht getroffen. Es wird sie noch nachzuholen haben.

Darüber hinaus steht im Hinblick auf die unterschiedliche Höhe der monatlichen Einkünfte des Versicherten in dem vom LSG als wirtschaftlichen Dauerzustand angenommenen Zeitraum auch nicht fest, ob es sich tatsächlich um Entgelt für eine in diesem Zeitraum geleistete Arbeit gehandelt hat. Es könnten z.B. auch Umsatzprovisionen oder Gratifikationen gewesen sein, die erst zu dieser Zeit fällig geworden sind und daher nicht auf Kosten der Gesundheit erzielt zu sein brauchen.

Sollte das LSG zu dem Ergebnis kommen, daß der Versicherte seine Tätigkeit tatsächlich auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hat, so hat es noch weitere Feststellungen zu der Frage zu treffen, auf welchen Zeitraum sich der letzte wirtschaftliche Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten erstreckt. Der Begriff des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes ist von der Rechtspr. (vgl. z.B. BSGE 35, 243, 244) entwickelt worden, um zu verhindern, daß Zufälligkeiten - seien es besonders günstige oder ungünstige Verhältnisse - im Zeitpunkt des Todes des Versicherten für eine in der Regel langfristige Leistung bestimmend sind. Ist dabei dem Tode als dessen Vorstufe eine Krankheit vorausgegangen, so kann aus Billigkeitsgründen nach der Rechtspr. des BSG als letzter wirtschaftlicher Dauerzustand die Zeit vor Beginn der zum Tode führenden Krankheit zugrunde gelegt werden. Eine bestimmte Zeitgrenze, bis zu der eine solche Krankheit unberücksichtigt bleiben kann, ist hierbei nicht festgelegt worden. Vielmehr ist auf den Einzelfall abzustellen und insbesondere zu berücksichtigen, ob die Krankheit die spätere Todesursache war und ob sie den Tod in absehbarer Zeit hätte herbeiführen müssen (SozR Nr. 67 zu § 1265 RVO; BSGE 35, 243, 246). Dabei hat das BSG zu erkennen gegeben, daß nur eine verhältnismäßig kurze Krankheitszeit unberücksichtigt bleiben darf (Urt. des erkennenden Senats - SozR 2200 § 1266 Nr. 7; Urt. des 4. Senats des BSG - SozR 2200 § 1265 Nr. 35). Das LSG hat die zuletzt genannten Grundsätze bei seiner Entsch. nicht berücksichtigt und wird dies nachzuholen haben. Sollten seine Feststellungen ergeben, daß die Erkrankung des Versicherten, die zur EU geführt hat, bei der Abgrenzung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes nicht unberücksichtigt bleiben darf, dann kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die dem Versicherten gewährte Rente wegen EU bei der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit nicht zu seinen Einkünften gerechnet werden. Diese Rente war ihm erst nach seinem Tode bewilligt worden und stand ihm also zu Lebzeiten noch nicht zur Verfügung. Nach § 62 EheG war der Unterhalt durch Zahlung einer Geldrente zu gewähren, die monatlich im voraus zu entrichten war. Da der Versicherte insoweit über entsprechende Geldmittel noch nicht verfügen konnte, war er auch nicht in der Lage, hieraus Leistungen zu erbringen (vgl. SozR Nr. 36 zu § 1265 RVO).

Hiernach ist nicht auszuschließen, daß der Versicherte selbst in dem für die Klägerin ungünstigsten Fall - letzter wirtschaftlicher Dauerzustand ab 1.11.1972 - Einkünfte gehabt hat, die bei der Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen wären. Er hat ab 1.11.1972 bis zu seinem Tode ein durchschnittliches Monatseinkommen aus seinem Arbeitsverhältnis von rd. 1370,00 DM gehabt. Hinzu käme noch das ihm gezahlte Krankengeld, dessen Höhe noch zu ermitteln wäre. Es ist daher durchaus möglich, daß er auch unter Berücksichtigung des Unterhaltsbedarfs seiner 2. Ehefrau (§ 59 Abs. 1 Satz 2 EheG) und auch unter Anrechnung des Renteneinkommens der Klägerin auf das Gesamteinkommen (BSGE 32, 197) in der Lage war, für den angemessenen Unterhalt der Klägerin einen Betrag zu leisten, der auch als Unterhalt i.S. des Rentenversicherungsrechts gilt. Wegen der Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente und ihrer Höhe, die nicht vom konkreten Unterhalt abhängt, sondern von der Gestaltung des Versicherungslebens des Versicherten, sowie wegen der Teilung der einzigen Hinterbliebenenrente zwischen der Witwe und der früheren Ehefrau sieht das BSG als Unterhalt nur einen Betrag an, der etwa 25 v.H. des notwendigen Mindestbedarfs eines Unterhaltsberechtigten ausmacht. Dieser Mindestbedarf bestimmt sich nach den zeitlichen und örtlichen Regelsätzen der Sozialhilfe zuzüglich von Leistungen für die Unterkunft (BSGE 40, 79).

Der Umfang des angemessenen Lebensunterhalts wird durch die Lebensverhältnisse der früheren Ehegatten zZt. der Scheidung bestimmt, und zwar durch Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse und der gesellschaftlichen Stellung beider Ehegatten vor allem am Ende der Ehe (SozR 2200 § 1265 Nr. 8; SozR Nr. 64 zu §1265 RVO m.w.N.). Zumindest schuldet der Mann den zur Lebenserhaltung notwendigen Unterhalt. Als angemessener Unterhalt der geschiedenen Ehefrau ist hierbei in der Regel ein Betrag in Höhe von 1/3 bis 3/7 des Gesamtnettoeinkommens der geschiedenen Ehegatten zZt. der Scheidung auch dann anzusetzen, wenn der unterhaltspflichtige Ehemann im Zeitpunkt der Ehescheidung nicht erwerbstätig ist (SozR Nr. 64 zu § 1265 RVO). Wenn hierbei auch spätere Änderungen, soweit sie bei der Scheidung nicht mit berechenbarer Sicherheit vorhergesehen werden können, nicht zu berücksichtigen sind, so muß im Hinblick darauf, daß nach dem Willen des Gesetzgebers der Lebensstandard des Unterhaltsberechtigten zZt. des Todes des Versicherten dem zZt. der Scheidung entsprechen soll, eine allgemein eingetretene Erhöhung der Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden (SozR Nr. 16 zu § 1265 RVO). Das LSG hat zwar festgestellt, daß der Versicherte im Zeitpunkt der Scheidung Rente wegen BU erhalten und die Klägerin monatlich ca. 923,00 DM brutto verdient hat. Feststellungen darüber, wie hoch das Gesamtnettoeinkommen zZt. der Scheidung war und wie es auf den Zeitpunkt des Todes zu projezieren ist, hat es jedoch nicht getroffen. Dies war von seinem Rechtsstandpunkt aus auch nicht erforderlich. Es wird dies, wenn es zu dem Ergebnis kommt, daß der Versicherte leistungsfähig war, ebenso wie die fehlenden Feststellungen zum Mindestbedarf eines Unterhaltsberechtigten nachzuholen haben.

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