1 RJ 32/78
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 23. März 1978 und des Sozialgerichts Berlin vom 14. September 1977 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte nicht befugt ist, Geheimnisse der Klägerin zu offenbaren.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch der Klägerin gegen die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA), Geheimnisse nicht zu offenbaren (§ 35 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB 1).
Die 1919 geborene, in Brasilien lebende Klägerin bezieht von der Beklagten seit 1974 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Sie beantragte im November 1975, ihr einen Zuschuß zu ihrem Krankenversicherungsbeitrag zu zahlen. Die Beklagte fragte daraufhin unter dem 1. September 1976 bei dem Nationalen Institut für Soziale Fürsorge in Sao Paulo an, ob die Klägerin von dort Rente beziehe. In dem Schreiben teilte die Beklagte dem brasilianischen Träger mit, daß die Klägerin von ihr - Beklagten - Rente wegen Berufsunfähigkeit erhalte, daß sie 1934 in Berlin eine Schneiderlehre gemacht und 1936 Deutschland aus Verfolgungsgründen verlassen habe.
Daraufhin hat die Klägerin gegen die Beklagte Klage zum Sozialgericht (SG) erhoben und - in zweiter Instanz - zuletzt beantragt festzustellen, daß es der Beklagten verboten sei, Dritten (insbesondere Institutionen in Brasilien) Auskünfte über sie vor allem in bezug auf die deutsche Sozialversicherung zu erteilen. Das SG hat die Klage wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abgewiesen; das Landessozialgericht (LSG) hat im angefochtenen Urteil die Berufung hiergegen zurückgewiesen. In der Begründung heißt es, zwar liege ein Rechtsschutzbedürfnis vor. In der Sache aber habe die Beklagte nicht gegen die Geheimhaltungspflicht aus § 35 SGB 1 verstoßen. Zur Identifizierung der Klägerin habe die Beklagte den brasilianischen Träger wie geschehen unterrichten dürfen. Die Angaben hätten für eine Rente aus der brasilianischen Rentenversicherung und für eine damit verbundene gesetzliche Krankenversicherung Bedeutung haben können.
Mit der zugelassenen Revision bringt die Klägerin vor, die Mitteilungen, die die Beklagte über sie an den brasilianischen Träger gerichtet habe, gehörten zu den geschützten Geheimnissen nach § 35 Abs. 1 SGB 1. Die Beklagte halte sich weiterhin für berechtigt, entsprechende Auskünfte zu erteilen.
Die Klägerin beantragt,
- unter Aufhebung des angefochtenen Urteils nach den im Berufungsverfahren gestellten Anträgen zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
- die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Klägerin fehle bereits das Feststellungsinteresse. Es sei nicht ersichtlich, daß dem brasilianischen Träger weitere Angaben zu machen seien. Schließlich seien bereits nach der Natur der Sache im Rahmen der Amtsermittlung auch gegenüber ausländischen Stellen Angaben zu machen, die erforderlich seien, damit sie - die Beklagte - die gesetzlichen Voraussetzungen für die beantragte Leistung prüfen könne.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist zulässig und begründet.
Soweit das LSG die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als zulässig angesehen hat, ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.
Nach § 35 SGB 1 hat jeder einen Anspruch darauf, daß seine Geheimnisse, insbesondere die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse, von den Leistungsträgern nicht unbefugt offenbart werden. Eine Offenbarung ist dann nicht unbefugt, wenn der Betroffene zustimmt oder eine gesetzliche Mitteilungspflicht besteht (Abs. 1). Die Amtshilfe unter den Leistungsträgern wird hierdurch nicht berührt, soweit die ersuchende Stelle zur Erfüllung ihrer Aufgaben die geheimzuhaltenden Tatsachen kennen muß (§ 35 Abs. 2 SGB 1).
§ 35 Abs. 1 SGB 1 gibt dem Betroffenen ein subjektives öffentliches Recht gegen den Leistungsträger darauf, daß dieser seine Geheimnisse nicht unbefugt offenbart (Bley in Gesamtkommentar, Sozialgesetzbuch, 1975, I § 35 SGB Anm. 3a; Thieme in Wannagat, Sozialgesetzbuch, 1977, § 35 AT, Anm. 7; Schellhorn in Burdenski/v.Maydell/Schellhorn, SGB-AT, 1976, 35, Anm. 12). Diesen Anspruch kann der Berechtigte gegebenenfalls auf dem Klagewege durchsetzen. Bei erstmalig drohender unbefugter Offenbarung kommt hierfür als Klageart die auch in der Sozialgerichtsbarkeit zulässige vorbeugende Unterlassungsklage in Betracht (dazu Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., 27. Nachtrag, § 54, Anm. 5c; Meyer-Ladewig, SGG, § 54, Anm. 12). Droht eine unbefugte Offenbarung zum wiederholten Male, kann der Berechtigte seinen Anspruch auf Geheimhaltung mit der Unterlassungsklage gerichtlich durchsetzen (zur Zulässigkeit der Unterlassungsklage BSGE 25, 116, 117). Wendet sich der Betroffene hingegen primär gegen eine bereits erfolgte Mitteilung von Tatsachen aus seinem persönlichen Lebensbereich, und ist eine Wiederholungsgefahr zum Beispiel deshalb nicht absehbar, weil der Leistungsträger mit der erfolgten Mitteilung seinen Zweck erreicht hat, kann der Betroffene bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen im Wege der Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Unbefugtheit der Offenbarung von einzelnen Geheimnissen feststellen lassen. Bei den aufgrund des § 35 SGB 1 bestehenden Beziehungen zwischen dem Leistungsträger und dem Anspruchsberechtigten handelt es sich jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein Versicherungsverhältnis besteht, um eine der Feststellungsklage zugängliche einzelne Rechtsbeziehung aus diesem Versicherungsverhältnis (vgl. BSGE 4, 184, 185; 7, 3, 5; 17, 124, 128). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung. Das Versicherungsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten besteht fort. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (S. 5 des angefochtenen Urteils) muß die Klägerin mit der Einholung weiterer Auskünfte durch die Beklagte rechnen. Zwar hat die Beklagte demgegenüber vorgebracht, es sei nicht ersichtlich, daß in diesem Zusammenhang gegenüber dem brasilianischen Leistungsträger weitere Angaben über die Klägerin zu machen seien. Dabei handelt es sich jedoch um neues tatsächliches Vorbringen, welches im Revisionsverfahren unbeachtlich ist. Angesichts der Bindung der Beklagten an Gesetz und Recht kann davon ausgegangen werden, daß sie das ergehende Feststellungsurteil bei ihrem in Zusammenhang mit dem Versicherungsverhältnis der Klägerin stehenden zukünftigen Vorgehen beachten wird (vgl. BSGE 10, 21, 24; 12, 44, 46).
Soweit das LSG das Begehren der Klägerin als in der Sache unbegründet angesehen hat, kann dem angefochtenen Urteil nicht gefolgt werden. Vielmehr ist dem Feststellungsantrag zu entsprechen.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Wahrung ihrer Geheimnisse gegen die Beklagte zu. Dem steht nicht entgegen, daß sie ihren Wohnsitz im Ausland hat. Allerdings gelten - vorbehaltlich abweichenden Rechts der besonderen Teile des SGB und der Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts (§ 30 Abs. 2 SGB 1) - die Vorschriften des SGB (nur) für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben (§ 30 Abs. 1 SGB 1).
Gleichwohl kann die Klägerin Inhaberin des Anspruchs aus § 35 Abs. 1 SGB 1 sein. § 30 Abs. 1 SGB 1 legt den personalen Geltungsbereich des SGB fest. Dabei geht die Vorschrift unter Anknüpfung an den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt von dem Territorialitätsprinzip aus (vgl. Rüfner in Wannagat, aaO, § 30 AT, Anm. 1 und 4; Hauck/Haines, SGB 1, K § 30, Rdz. 1 und 6). Das Territorialitätsprinzip seinerseits beruht auf der völkerrechtlichen Grundnorm, daß staatliche Hoheitsgewalt nur im eigenen Hoheitsbereich ausgeübt werden darf und ihre Schranken in den räumlichen Grenzen dieses Hoheitsbereiches findet (BSGE 31, 100 und 288, 290; 32, 174, 175; 33, 280, 285; 36, 209, 215; jeweils m.w.N.). Staatliche Hoheitsgewalt in diesem Sinne ist primär die mit der Auferlegung von Pflichten oder der Ausübung von Zwang verbundene hoheitliche Tätigkeit. Dementsprechend hat das BSG wiederholt ausgesprochen, daß als Ausdruck des Territorialitätsprinzips ein Versicherungszwang begrifflich nur innerhalb des Bereichs der eigenen Staatsgewalt ausgeübt werden kann (vgl. BSGE 30, 244, 246 mit Hinweisen auf die vorhergehende Rechtsprechung; BSGE 32, 174, 175; 36, 209, 215). Ebenso aber hat es wiederholt ausgesprochen, daß das Territorialitätsprinzip der Zahlung von Leistungen eines inländischen Versicherungsträgers in das Ausland nicht entgegensteht, weil hiermit ein für die Ausübung staatlicher Gewalt charakteristischer Zwang irgendwelcher Art nicht ausgeübt und die innerstaatliche Rechtsordnung nicht über die Grenzen des eigenen Hoheitsbereiches erstreckt wird (BSGE 27, 129, 132; 31, 288, 290). Im Beschluß des Großen Senats des BSG vom 21. Dezember 1971 (BSGE 33, 280, 282 f = SozR RVO § 1302 Nr. 13) ist zusätzlich darauf hingewiesen worden, daß für die Leistungsseite der Sitz des Versicherungsträgers, der die aus den erbrachten Beiträgen sich ergebenden Leistungen festzustellen und zu erbringen hat, der Anknüpfungspunkt im Sinne des internationalen Sozialversicherungsrechts sein muß. An dieser Rechtsprechung ist auch nach dem Inkrafttreten des § 30 SGB 1 festzuhalten. Ihr ist weder durch die Vorschrift Rechnung getragen worden (so Bley aaO, I § 30 SGB, Anm. 2a), noch ist sie seit dem Inkrafttreten des § 30 SGB 1 überholt (so Peters, Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, Stand 1977, § 30, Anm. 15, S. 289). Jedenfalls kann - auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Zielsetzung des SGB (vgl. § 1 Abs. 1 SGB 1) - nicht davon ausgegangen werden, daß - noch hinter den bis zum 31. Dezember 1975 maßgebenden Rechtszustand zurückgehend - aufgrund des § 30 SGB 1 auch auf der Leistungsseite grundsätzlich das Territorialitätsprinzip gelten soll und auch insoweit Durchbrechungen des Prinzips nur unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 SGB 1 zulässig sein sollen. Vielmehr ist auch nach dem Inkrafttreten des SGB auf der Leistungsseite an den Sitz des Versicherungsträgers anzuknüpfen und daher eine Versagung von Ansprüchen im Ausland lebender Personen unter Hinweis auf § 30 SGB 1 und das ihm zugrundeliegende Territorialitätsprinzip nicht zu begründen (vgl. Rüfner, aaO, § 30 AT, Anm. 10).
Das gilt auch für den Anspruch auf Geheimhaltung nach § 35 Abs. 1 SGB 1. Allerdings steht § 35 SGB 1 in engem sachlichen Zusammenhang mit den §§ 60 ff. SGB 1 über die Mitwirkungspflichten; der umfassende sozialrechtliche Geheimhaltungsanspruch stellt gleichermaßen das Gegenstück zu diesen Mitwirkungspflichten dar (Henke, VSSR 1976, 41, 53; Neumann Duesberg, BKK 1977, 62; Meydamm, BKK 1978, 49, 52). Das ändert indes nichts daran, daß sich allein aus § 35 Abs. 1 SGB 1 ein subjektiv-öffentliches Recht des Einzelnen u.a. gegen die im Geltungsbereich des SGB bestehenden Leistungsträger (§ 12 SGB 1) auf Unterlassung einer unbefugten Offenbarung von Geheimnissen ergibt. Die Erfüllung dieses Anspruchs ist auch gegenüber einem im Ausland wohnenden Berechtigten nicht mit der Ausübung eines staatliche Gewalt kennzeichnenden Zwangs verbunden und kann, da der Anspruch gerade auf eine Unterlassung gerichtet ist, notwendigerweise auch nicht zu einer Ausdehnung der innerstaatlichen Rechtsordnung über die Grenzen des Geltungsbereiches des SGB hinaus führen. Bei Berücksichtigung dieser Umstände besteht keine Veranlassung, einem im Ausland wohnenden Berechtigten den Schutz des § 35 SGB 1 zu versagen (vgl. auch Bley ZSR 1977, 269, 273). Dies muß umso mehr gelten, als ein Ausschluß der im Ausland wohnhaften Berechtigten aus dem Anwendungsbereich des § 35 SGB 1 die Frage ihrer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung (Art 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) aufwerfen und möglicherweise auch den Intentionen des einfachen Gesetzgebers (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB 1: "jeder hat Anspruch ...") zuwiderlaufen würde. Der Klägerin steht somit trotz ihres Wohnsitzes im Ausland ein Anspruch aus § 35 SGB 1 zu.
Durch die Mitteilung in ihrem Schreiben vom 1. September 1976, daß die Klägerin eine Rente wegen Berufsunfähigkeit beziehe, daß sie sich ab 1934 in Berlin in einer Schneiderlehre befunden und daß sie im Jahre 1936 Deutschland aus Verfolgungsgründen verlassen habe, hat die Beklagte zum persönlichen Lebensbereich der Klägerin gehörende Geheimnisse offenbart. Die mitgeteilten Tatsachen sind Geheimnisse. Dabei kann dahinstehen, ob der Geheimnisbegriff bereits dann erfüllt ist, wenn eine Tatsache nur einem begrenzten Personenkreis bekannt ist (so Bley, Gesamt-Kommentar aaO, I § 35, Anm. 4b; Schellhorn aaO, § 35, Anm. 12), oder ob hinzukommen muß, daß die geschützte Person an der Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse hat (vgl. Hauck/Haines, aaO, K § 35, Rdz, 8; ähnlich Peters, aaO, § 35, Anm. 4). Jedenfalls im vorliegenden Fall ist ein solches Interesse der Klägerin vorhanden. Im übrigen gehören zu den geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen nicht nur solche, die bereits ihrer Natur nach ausgesprochen vertraulichen Charakter haben. Vielmehr zählen dazu sämtliche "Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse" (vgl. § 203 Abs. 2 Satz 2 des Strafgesetzbuches - StGB -) wie insbesondere die gegenwärtigen gesundheitlichen, wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse sowie Tatsachen aus dem bisherigen Leben des Schutzberechtigten (Thieme aaO, Anm. 4; Schellhorn aaO, Anm. 14). Damit sind die Tatsachen, daß die Klägerin 1934 eine Schneiderlehre begonnen und 1936 Deutschland aus Verfolgungsgründen verlassen hat, Geheimnisse im Sinne des § 35 Abs. 1 SGB 1. Dasselbe gilt für die Tatsache des Bezuges einer Rente wegen Berufsunfähigkeit. Er beeinflußt die wirtschaftlichen Verhältnisse und läßt zugleich einen Rückschluß auf die gesundheitlichen Verhältnisse des Rentenbeziehers (Minderung seiner Erwerbsfähigkeit; vgl. § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) zu.
Die Beklagte hat diese Geheimnisse unbefugt offenbart. Die Klägerin hat der Mitteilung der genannten Tatsachen an das Nationalinstitut für Soziale Fürsorge in Sao Paulo weder zugestimmt, noch hat der Beklagten insoweit eine gesetzliche Mitteilungspflicht obgelegen (§ 35 Abs. 1 Satz 2 SGB 1). Nicht zu folgen ist der Ansicht der Beklagten, bereits aus der Natur der Sache ergebe sich die Kompetenz des Sozialversicherungsträgers, im Rahmen seiner Amtsermittlungen auch gegenüber ausländischen Stellen im vertragslosen Ausland diejenigen Angaben zu machen, die erforderlich sind, um die Tatsachen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für Leistungen aus der deutschen Sozialversicherung einwandfrei ermitteln zu können. Dabei kann auf sich beruhen, ob die Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB 1 über die Befugnis zur Offenbarung von Geheimnissen erschöpfend ist (so Bley, aaO, I § 35 SGB, Anm. 7a, S. 332) oder ob und gegebenenfalls welche weiteren Gründe zur Offenbarung berechtigen können, insbesondere ob insoweit eine bloße Güterabwägung mit anderen Interessen ausreicht (so Schellhorn aaO, § 35, Anm. 37) oder eine über § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB 1 hinausgehende Offenbarungsbefugnis lediglich bei Vorliegen eines zwingenden öffentlichen Interesses besteht (Neumann-Duesberg, aaO, S. 66; zur Problematik vgl. auch Heußner, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 1978, 57, 66 f). Selbst wenn § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB 1 keine erschöpfende Regelung und darüber hinausgehend eine Offenbarung von Geheimnissen allein aufgrund der Vorrangigkeit anderer Interessen zulässig wäre, kann allein aus der "Natur der Sache" ein solches vorrangiges Interesse nicht hergeleitet werden. Vielmehr müßte auch bei dieser Auslegung des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB 1 wenigstens ein konkretes höherwertiges Interesse an der Offenbarung gerade derjenigen Geheimnisse bestehen, die der Leistungsträger an andere Stellen mitzuteilen beabsichtigt oder mitgeteilt hat. Davon aber kann im allgemeinen - ob unter besonderen Voraussetzungen wie etwa im Falle besonderer Eilbedürftigkeit etwas anderes gilt, kann dahinstehen - von vornherein nur dann die Rede sein, wenn der Leistungsträger zuvor die Zustimmung des Berechtigten zur Offenbarung erbeten und dieser sie verweigert hat. Eine etwaige Befugnis zur Offenbarung aufgrund einer Güterabwägung mit anderen Interessen ist also subsidiär gegenüber der Offenbarungsbefugnis mit Zustimmung des Berechtigten und setzt daher im Regelfall voraus, daß der Leistungsträger sich zunächst um diese Zustimmung bemüht hat. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Das LSG hat nicht festgestellt, daß die Beklagte vor Absendung des Schreibens vom 1. September 1976 die Zustimmung der Klägerin zur Offenbarung der darin mitgeteilten Tatsachen einzuholen unternommen hat. Das hat die Beklagte selbst nicht behauptet. Zumindest aus diesen Erwägungen ist sie zur Offenbarung nicht befugt gewesen.
Die Beklagte leitet ihre Berechtigung zur Mitteilung der im Schreiben vom 1. September 1976 angegebenen Tatsachen schließlich zu Unrecht aus § 35 Abs. 2 SGB 1 her. Diese Vorschrift betrifft nur die Amtshilfe unter Leistungsträgern im Sinne des § 12 Satz 1 SGB 1. Sie gilt noch nicht einmal für die im Geltungsbereich des SGB bestehenden Verbände der Leistungsträger, für die sonstigen öffentlich-rechtlichen Vereinigungen und für die Aufsichtsbehörden (Thieme aaO, § 35 AT, Anm. 12; Hauck/Haines aaO, K § 35 Rdz 14) und kann damit erst recht auf das Verhältnis eines Leistungsträgers zu einer Stelle außerhalb des Geltungsbereichs des SGB weder unmittelbar noch entsprechend angewendet werden (vgl. Schellhorn, aaO, § 35 Anm. 33). Das mag es nicht generell ausschließen, daß bei der Gewährung von Amtshilfe auch gegenüber ausländischen Stellen im Einzelfall die Mitteilung geheimzuhaltender Tatsachen zulässig sein kann. Voraussetzung hierfür ist jedoch wiederum, daß zwingende öffentliche Interessen eine solche Mitteilung gebieten oder jedenfalls - der Senat braucht dies auch hier nicht abschließend zu entscheiden - eine Güterabwägung zu einem Vorrang des Interesses an der Mitteilung der Tatsachen gegenüber dem Anspruch auf Geheimhaltung führt (vgl. Schellhorn, wie vor). Dies ist vorliegend aus den bereits dargelegten Gründen nicht der Fall.
Der Revision kann nach alledem der Erfolg nicht versagt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.