10 RV 95/76
Gründe
Der Kläger ist 1942 als Volksdeutscher - wie er behauptet - unfreiwillig zur Waffen-SS einberufen und zur Wachmannschaft des Konzentrationslagers A. versetzt worden. Dort ist er an Fleckfieber erkrankt. Er ist heute erwerbsunfähig. Sein Antrag, ihm wegen seiner Gesundheitsstörungen, die Folge der Fleckfiebererkrankung seien, eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu zahlen, ist abgelehnt worden. Die Klage dagegen hatte keinen Erfolg.
Nach § 1 I BVG erhält derjenige, der durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen ihrer gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung. Als militärischer Dienst ist jeder nach deutschem Wehrrecht als Soldat oder Wehrmachtsbeamter sowie der Dienst im Deutschen Volkssturm, in der Feldgendarmerie und in den Heimatflakbatterien anerkannt (§ 2 I BVG). Ob und inwieweit auch ein Dienst in der SS darunter fällt, ist nach wie vor zum Teil ungeklärt. Fest steht, daß ein Dienst in der SS jedenfalls in der Zeit vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht als militärischer Dienst angesehen werden kann. Offen ist, wie der nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geleistete Dienst in der SS zu bewerten ist. Der 10. Senat des BSG vertritt hierzu die Auffassung, daß alle Angehörigen der bewaffneten SS-Verbände, d.h. auch der Waffen-SS, grundsätzlich keinen militärischen Dienst i.S. des § 2 BVG und insbesondere keinen Dienst „nach deutschem Wehrrecht“ geleistet hätten. Sie hätten nicht dem Wehr-Gesetz vom 21.5.1935 unterstanden. Auch gehe aus einer Geheimen Kommandosache Hitlers hervor, daß die SS weder ein Teil der Wehrmacht noch ein Teil der Polizei war, sondern eine Gliederung der NSDAP darstellte.
Der 10. Senat räumt zwar ein, daß der Gesetzgeber den Dienst in der Waffen-SS versorgungsrechtlich dann als militärischen Dienst i.S. des § 21 BVG habe gewertet wissen sollen, wenn die SS-Leute dem Befehl der Wehrmacht unterstellt waren. Da dieser Wille aber im Gesetz selbst nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen sei, hat der 10. Senat die Richtigkeit dieser Ausnahme, die von dem 11. Senat und dem BVerwG vertreten wird, bislang immer dahinstehen lassen. Er tut es auch in dieser Entscheidung wieder. In allen früheren Fällen haben - wie auch im jetzigen Ausgangsfall - SS-Leute, die zu Konzentrationslager-Wachmannschaften gehörten, oder deren Hinterbliebene Ansprüche auf Versorgung geltend gemacht. Die Bewachung von Konzentrationslagern war - das wiederum ist unbestritten - für SS-Leute, gleich welchem Verband sie angehörten, kein militärischer oder auch nur militärähnlicher (vgl. § 3 I BVG) Dienst. Die Konzentrationslager waren keine Einrichtungen der Wehrmacht. Sie unterstanden dem SS-Hauptamt, später dem SS-Wirtschaftsverwaltungs-Hauptamt. Eine Ausnahme von diesem ver-sorgungsrechtlichen Grundsatz ist nur in den Fällen gemacht worden, in denen ab 1944 Soldaten der Wehrmacht zum Teil gegen ihren Willen - etwa bei Frontuntauglichkeit - in die Waffen-SS eingestellt und zur Bewachung der Konzentrationslager verwendet wurden. Da diese Tätigkeit sich auf Befehle der militärischen Vorgesetzten zurückführen lasse, müsse sie als militärischer Dienst gewertet werden. Diese Ausnahme greife in dem jetzigen Ausgangsfall jedoch nicht, da der Kl. von Anfang an Mitglied der Waffen-SS war, und nie der Wehrmacht angehört hat. Der 10. Senat räumt zwar ein, daß diese Ausnahme die Angehörigen der Waffen-SS, die unfreiwillig zur SS einberufen worden sind oder zunächst im Fronteinsatz gestanden haben und dann zum Wachdienst in Konzentrationslagern abkommandiert wurden, versorgungsrechtlich schlechter stellt als Wehrmachtssoldaten in vergleichbarer Situation. Diese Ungleichheit sei aber - so der 10. Senat - „nicht nur eine zwangsläufige Konsequenz dessen, daß der Gesetzgeber den Dienst in der Waffen-SS nicht generell dem Dienst nach deutschem Wehrrecht gleichgestellt hat, sondern auch die Auswirkung der Tatsache, daß die Waffen-SS durch ihre Verbindung mit der allgemeinen SS auch mit anderen Aufgaben betraut wurde, die ausschließlich der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zuzurechnen sind. In diesem Zusammenhang müssen dem Gesetzgeber insbesondere die unerhörten Verbrechen vor Augen gestanden haben, die während des Krieges in den Konzentrationslagern geschehen sind.“ Solche Erwägungen hätten es nicht zugelassen, den im Wachdienst der Konzentrationslager tätig gewesenen SS-Leuten eine Versorgung nach dem BVG zuzubilligen. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung verletze daher den Gleichheitssatz (Art. 3 I GG) nicht.
Ob die Versagung des Versorgungsschutzes möglicherweise deswegen eine unbillige Härte darstelle, weil dem Kl. keine andere Wahl geblieben sei, als der Einberufung zur Waffen-SS und seiner Abkommandierung zum Konzentrationslager-Wachdienst Folge zu leisten, könne dahinstehen. Diese Überlegung lasse jedenfalls eine andere Auslegung des § 2 I BVG nicht zu. Das Vorliegen einer besonderen Härte könne nicht zu einer von dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht mehr gedeckten extensiven Auslegung des Begriffes „militärischer Dienst!“ führen. Für den Kl., der sich anscheinend im Wachdienst nichts habe zuschulden kommen lassen, komme allenfalls eine Anerkennung als militärischer Dienst gemäß § 6 BVG (Anerkennung als militärischer Dienst in Sonderfällen) in Betracht. Darüber könne der Senat jedoch nicht entscheiden, da bislang über diese Frage noch keine Entscheidung der Verwaltungsbehörde ergangen sei.