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11 RA 18/76

Aus den Gründen

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der - 1893 geborenen - Klägerin als früherer Ehefrau des am 12.1.1972 verstorbenen Versicherten eine Hinterbliebenenrente nach § 42 Satz 1 AVG zusteht.

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten war am 20.10.1960 aus dem Verschulden des Mannes rechtskräftig geschieden worden. Dieser hatte sich in einem vor dem Prozeßgericht geschlossenen Vergleich zuvor „ohne Rücksicht darauf, aus wessen Verschulden die Ehe geschieden wird“, verpflichtet, an die Klägerin ab Rechtskraft der Scheidung eine monatliche Unterhaltsrente von 70,00 DM zu zahlen. Die Klägerin hatte eine vollstreckbare Ausfertigung hiervon erhalten. Die vereinbarten Unterhaltszahlungen hatte der Versicherte bis Ende 1961 geleistet und sie dann im Hinblick auf seine Erkrankung eingestellt.

Nach dem Tode des Versicherten erhielt die Beigeladene, die der Versicherte im Dezember 1960 geheiratet hatte, Witwenrente. Den von der Klägerin im März 1972 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte dagegen ab, weil die Voraussetzungen des § 42 Satz 1 AVG nicht erfüllt seien. Das SG hob die der Klägerin und der Beigeladenen erteilten Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab April 1972 Geschiedenen-Witwenrente zu gewähren.

Auf die von der Beigeladenen eingelegte Berufung wies das LSG die Klage ab. Es verneinte die Voraussetzungen des § 42 Satz 1 AVG. Der Prozeßvergleich habe zwar eine - vom EheG unabhängige - Unterhaltspflicht begründet und einen „sonstigen Grund“ i.S. des § 42 Satz 1 AVG für eine Unterhaltspflicht gebildet; im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten sei das aber nicht mehr der Fall gewesen; zu dieser Zeit habe keine konkrete Unterhaltspflicht mehr bestanden, so daß der Versicherte die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich gemäß § 767 ZPO habe beseitigen können und im Falle drohender Zwangsvollstreckung wohl auch beseitigt hätte. Die Klägerin und der Versicherte hätten nämlich durch schlüssiges Verhalten vereinbart, daß die Klägerin während der Erkrankung des Versicherten ihre Unterhaltsforderung nicht geltend mache und nicht aus dem Titel vollstrecke. Sie habe etwa ein Jahr nach dem Prozeßvergleich durch ihre Kinder erfahren, daß der Versicherte wegen schwerer Erkrankung zur Unterhaltszahlung nicht mehr in der Lage sei; von da an habe sie Unterhalt in gleicher Höhe von einem ihrer Kinder erhalten und im Gegensatz zu vorher nichts mehr zur Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs gegen den Versicherten unternommen. Dies und das jahrelange Unterlassen der Beitreibung habe der Vorsicherte auch noch vor seinem Tode als einen an die Dauer seiner Erkrankung und die bestehenden Einkommensverhältnisse gebundenen „Verzicht“ auf die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs ansehen müssen. Ob die durch konkludentes Verhalten zustandegekommene Vereinbarung als pactum de non petendo oder als Stundung zu werten sei, könne dahinstehen; jedenfalls habe sie eine rechtshemmende Einwendung (i.S. des § 767 Abs. 1 ZPO) gegen den sachlich-rechtlichen Anspruch begründet.

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet ...

Nach § 42 Satz 1 AVG, der hier allein Anspruchsgrundlage sein kann, wird einer früheren geschiedenen Frau des Versicherten nach dessen Tod Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat.

Von diesen Alternativen bedarf im vorliegenden Falle nur die zweite, d.h. die Unterhaltspflicht aus sonstigen Gründen einer näheren Prüfung. Eine Unterhaltspflicht nach den Vorschriften des EheG scheidet nämlich nach den Feststellungen des LSG aus, weil die Klägerin und der Versicherte mit dem Prozeß vergleich vom 20.10.1960 eine vom EheG unabhängige Unterhaltspflicht des Versicherten begründen und deshalb nicht noch eine Unterhaltspflicht nach dem EheG daneben bestehen lassen wollten; insoweit sind von den Beteiligten auch keine Rügen erhoben worden und vom Revisionsgericht keine Beanstandungen zu erheben. Ebenso steht unangefochten fest, daß der Versicherte im Jahr vor seinem Tode keinen Unterhalt an die Klägerin gezahlt hat.

Die - somit verbleibende - Alternative der Unterhaltspflicht aus sonstigen Gründen könnte an sich durch die vertraglich übernommene Unterhaltsverpflichtung im Vergleich vom 20.10.1960 und zusätzlich durch die beigefügte Vollstreckungsklausel erfüllt werden, die einen Vollstreckungsanspruch gegen den Staat begründete (BSGE 20, 1, 3). Das LSG hat jedoch Feststellungen getroffen, die es ausschließen, insoweit noch zur Zeit des Todes des Versicherten eine Unterhaltspflicht aus sonstigen Gründen zu bejahen.

Nach den Feststellungen des LSG haben die Klägerin und der Versicherte vereinbart, daß die Klägerin ihre Unterhaltsforderung nicht geltend macht und nicht aus dem Vollstreckungstitel vollstreckt. Diese Vereinbarung bezog sich, worauf es hier ankommt, (jedenfalls auch) auf die Unterhaltsansprüche zur Zeit des Todes des Versicherten, d.h. auf die Unterhaltsansprüche für die Zeit des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dessen Tode. Diesen „Dauerzustand“ hat das LSG zwar zeitlich nicht fixiert; aus dem Gesamtzusammenhang des Berufungsurteils in Verbindung mit dem erstinstanzlichen Urt. läßt sich jedoch erkennen, daß das LSG keine längere Zeit als ein Jahr vor dem Tode als den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand zugrunde gelegt hat. Den in dieser Zeit entstandenen Unterhaltsforderungen hätte der Versicherte also die vom LSG festgestellte Vereinbarung entgegenhalten können.

Entgegen der Auffassung der Klägerin hält der Senat eine solche Vereinbarung im Rahmen des § 42 Satz 1 AVG für rechtserheblich. Das LSG hat insoweit zu Recht eine „konkrete“ Unterhaltspflicht verlangt, und, ohne daß darin ein logischer Widerspruch läge, das Bestehen des Unterhaltsanspruchs für sich allein nicht genügen lassen. Damit hat sich das LSG nicht in Gegensatz zur bisherigen Rechtspr. des BSG gesetzt. In dieser wurde zwar wiederholt hervorgehoben, es sei nicht erforderlich, daß ein bestehender Unterhaltsanspruch auch geltend gemacht oder realisiert worden oder daß er realisierbar gewesen sei (BSGE 20, 1, 5; SozR Nr. 65 zu § 1265 RVO); das Bestehen des Anspruchs wurde in diesem Zusammenhang für ausreichend erachtet. Demgegenüber wurde jedoch andererseits betont, daß ein bestehender Titel und Anspruch nicht genügt, wenn der Versicherte die Wirkungen des Titels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZPO beseitigen oder wenn er dem Unterhaltsanspruch die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten konnte (BSGE 20, 1; SozR Nr. 27 zu §1265 RVO). Das wurde damit gerechtfertigt, daß es dem Sinn der §§ 1265 RVO, 42 AVG, d.h. der in Satz 1 verkörperten Unterhaltsersatzfunktion dieser Hinterbliebenenrenten widerspreche, auch Ansprüche, die mit solchen Abwehrmöglichkeiten behaftet sind, nach dem Tode des Versicherten durch die Rentengewährung zu ersetzen. Nichts anderes kann in Fortführung dieser Rechtspr. alsdann gelten, wenn die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs vertraglich ausgeschlossen war; auch dann bestand keine konkrete Unterhaltspflicht, deren Wegfall den Ersatz durch die Hinterbliebenenrente rechtfertigen könnte. In diesem Falle konnte ferner die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung gemäß § 767 Abs. 1 ZPO beseitigt werden (BSGE 20, 1, 5).

Die Klägerin hat allerdings bestritten, daß die vom LSG festgestellte Vereinbarung überhaupt zustandegekommen sei. Insoweit wendet sie sich gegen tatsächliche Feststellungen des LSG. Das LSG hat aus dem tatsächlichen Verhalten der Klägerin eine schlüssige Willenserklärung des von ihm festgestellten Inhalts entnommen; es ist davon ausgegangen, daß der Versicherte dieses Angebot angenommen hat, dies der Klägerin jedoch wegen ihres Verzichts hierauf nicht zu erklären brauchte (§ 151 BGB). Bei diesen Ausführungen hat das LSG jedenfalls Rechtsregeln über Willenserklärungen und über das Zustandekommen eines Vertrages nicht verkannt. Es ist daher nur zu prüfen, ob die entsprechenden Feststellungen des LSG verfahrensrechtlich einwandfrei zustandegekommen sind, d.h. ob das LSG hierbei keine Verfahrensvorschriften, insbesondere Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat. Das ist nicht der Fall, was bedeutet, daß der Senat als Revisionsgericht an die getroffenen Feststellungen gebunden ist (§ 163 SGG). ...

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