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5 RJ 40/76

Gründe

Die Klägerin ist italienische Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in Italien. Streitig ist, ob ihr aus neun zur deutschen Rentenversicherung erbrachten Beitragsmonaten ihres am 20.09.1973 verstorbenen Ehemannes (Versicherter) eine Witwenrente zu zahlen ist. Das SG hat einen solchen Anspruch bejaht und gegen sein Urteil die Sprungrevision zugelassen. Dem Versicherten hatte die Beklagte mit Bescheiden vom 09.04.1965 bzw. 21.09.1972 zunächst Rente wegen BU und ab 01.07.1972 wegen EU gewährt. Es handelte sich um prorata-temporis-Renten nach den VOen Nrn. 3 und 4 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeiter (VO Nrn. 3 und 4).

Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das SG hat die Beklagte mit Recht zur Gewährung einer Witwenrente verurteilt.

Nach Art. 28 Abs. 2 der VO Nr. 4 war dem Versicherten nur dann keine Leistung zu gewähren, wenn die Versicherungszeiten und gleichgestellten Zeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaates zurückgelegt worden waren, insgesamt nicht 6 Monate erreichten. Zur Zeit des Todes des Versicherten, am 20.09.1973, waren die VOen Nrn. 3 und 4 durch die am 1.10.1972 in Kraft getretene VO Nr. 1408/71 aufgehoben worden (Art. 99 VO Nr. 1408/71). Nach Art. 48 Abs. 1 VO Nr. 1408/71 ist der Träger eines Mitgliedsstaats nicht verpflichtet, Leistungen aus Versicherungszeiten zu gewähren, deren Gesamtdauer nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedsstaats weniger als ein Jahr betragen, es sei denn, daß ein Leistungsanspruch schon ausschließlich aufgrund dieser Zeiten erworben worden ist. Die in Art. 48 Abs. 1 genannten Zeiten werden bei Nichtberücksichtigung in dem Staat, in welchem sie erbracht worden sind, vom zuständigen Träger jedes anderen Mitgliedsstaats bei der Festsetzung der Rentenbezüge berücksichtigt (Art. 48 Abs. 2 VO Nr. 1408171).

Der Beklagten ist zuzustimmen, daß der Tod des Versicherten einen neuen Versicherungsfall darstellt, auf den grundsätzlich das Recht anzuwenden ist, welches im Augenblick des Eintritts des neuen Versicherungsfalles gültig war, d.h. im vorliegenden Falle das Recht der VO Nr. 1408/71. Zwar beträgt die Gesamtdauer der nach deutschem Recht zurückgelegten Versicherungszeiten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin weniger als ein Jahr, so daß deshalb kein Leistungsanspruch der Klägerin bestehen könnte, jedoch hat die Klägerin einen Leistungsanspruch allein nach den deutschen Rechtsvorschriften. Nach § 1263 Abs. 2 RVO werden Hinterbliebenenrenten gewährt, wenn dem Verstorbenen zur Zeit seines Todes Versichertenrente zustand oder zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit für die Rente wegen BU von ihm erfüllt war oder nach § 1252 RVO als erfüllt galt. Dem Ehemann der Klägerin stand zur Zeit seines Todes die gewährte Versichertenrente zu. Bei der Versichertenrente handelte es sich zwar um keine allein nach deutschem Recht zu zahlende, sondern um eine in Verbindung mit dem EWG-Recht zu zahlende prorata-temporis-Rente. Der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente ergibt sich aber allein aus den deutschen Rechtsvorschriften, nämlich aus der ersten der in § 1263 Abs. 2 RVO getroffenen Regelungen. Bei dieser Regelung kommt es nicht darauf an, aus welchem Rechtsgrund dem verstorbenen Versicherten die Versichertenrente gezahlt worden ist. Die Tatsache, daß dieser seinen Anspruch auf Versichertenrente nur nach den Vorschriften des EWG-Rechts erworben hatte, weil nach deutschem Recht die Wartezeit nicht erfüllt war, schließt nicht aus, daß die Klägerin ihren Anspruch auf Hinterbliebenenrente allein nach den deutschen Rechtsvorschriften erworben hat.

Daß die in § 1263 Abs. 2 RVO getroffene Regelung der des Art. 48 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71 vorgeht, ergibt sich aber nicht nur aus dem Wortlaut des letzten Halbsatzes des Art. 48 Abs. 1 der VO Nr. 1408/71, sondern auch aus den Zielen des EWG-Vertrages, die Grundlage, Rahmen und Grenzen der EWG-VOen über die soziale Sicherheit sind. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung häufig dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß die Anwendung dieser VOen nicht zu einer Kürzung oder einem Verlust von Ansprüchen führen dürfe, die ohne diese VOen bestehen würden; die Vorschriften der EWG-VOen sollten vielmehr diese Ansprüche mindestens erhalten (vgl. z.B. EuGH Bd. XIII, 276). Die mit dem EWG-Recht auch erstrebte Gleichbehandlung von Versicherten, die Rentenansprüche nach dem EWG-Recht erworben haben gegenüber Versicherten mit Rentenansprüchen nach deutschem Recht und die sich daraus ergebende Beseitigung einer Schlechterstellung der Bezieher von Renten nach dem EWG-Recht verbietet es, Versichertenrenten nach EWG-Recht bei der Anwendung des § 1263 Abs. 2 RVO anders als Versichertenrenten nach deutschem Recht zu behandeln. Art. 48 Abs. 1 EWG-VO Nr. 1408/71 enthält keine Ausnahmeregelung von dem Gleichbehandlungsgebot und mindert daher nicht die Ansprüche, die sich aus bereits vorher bewilligten Versichertenrenten ergeben, er enthält vielmehr nur eine Regelung für Leistungen, die unabhängig von diesen Versichertenrenten zu bewilligen sind.

Da somit die Beklagte aus der ersten der drei in § 1263 Abs. 2 RVO genannten Regelungen verpflichtet ist, der Klägerin eine Hinterbliebenenrente zu gewähren, war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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