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11 RA 138/75

Aus den Gründen

Der Kläger begehrt Witwerrente aus der Versicherung seiner am 13.3.1973 verstorbenen Ehefrau.

Beide Eheleute waren ganztags im öffentlichen Dienst berufstätig. Mit Wirkung vom 1.1.1973 erhielten beide eine Gehaltserhöhung. Vom 1.1.1973 bis zu ihrem Tode am 13.3.1973 verdiente die Versicherte 3.060,07 DM netto, der Kläger 2.979,40 DM netto. Im Haushalt lebte noch der jüngere, am 14.8.1969 geborene Sohn. Er wurde während der Arbeitszeit der Versicherten unentgeltlich von den Großeltern betreut. Im Rentenantrag gab der Kläger an, seine Frau habe nach dem Dienst etwa vier Stunden täglich im Haushalt gearbeitet, während er dort nur geringfügig und überwiegend im 500 qm großen Garten tätig gewesen sei. Die beklagte BfA lehnte den Antrag ab.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LSG ihr stattgegeben.

Die Revision ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden muß. Nach § 43 AVG ist Voraussetzung für die Gewährung von Witwerrente, daß die versicherte Ehefrau den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat. Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt läßt sich diese Voraussetzung nicht bejahen, jedenfalls nicht abschließend beurteilen.

Zu Recht rügt die Beklagte zunächst die Rechtsansicht des LSG zur Kindesbetreuung durch die Großeltern. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist davon auszugehen, daß die Großeltern das Kind der Eheleute während der Berufstätigkeit der Mutter unentgeltlich betreut haben. Sie haben damit den Unterhaltsbedarf eines gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kindes der Eheleute zum Teil befriedigt; die Kinderpflege durch die Großeltern gehörte somit zum Familienunterhalt (§ 1360a Abs. 1 BGB). Diese Auffassung steht mit der Entscheidung des 4. Senats des BSG in SozR Nr. 6 zu § 1266 RVO im Einklang. Dort wurde der Unterhaltsbedarf der Kinder vom Familienunterhalt nur ausgenommen, soweit die Kinder diesen Bedarf durch eigene Mittel selbst befriedigt haben. Das war hier nicht der Fall.

Innerhalb der Beiträge zum Familienunterhalt ist die unentgeltliche Kinderpflege durch die Großeltern als Unterhaltsbeitrag eines Dritten zu werten. Die Rechtsprechung hat Unterhaltsbeiträge von Dritten mehrfach angenommen. Dies gilt z.B. für Beiträge zum Familienunterhalt, die Kinder über den eigenen Unterhaltsbedarf hinaus geleistet haben (SozR Nr. 6 zu § 1266 RVO), für eine Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG (SozR Nr. 7 zu § 1266 RVO = BSGE 31, 90) und für den Fall, daß die Eltern der Versicherten Unterhalt und Verpflegung für die Versicherte und deren Kind unentgeltlich gewährt haben (SozR Nr. 11 zu § 1266 RVO am Ende, vgl. auch SozR 2000 § 1266 Nr. 3). Der Wertung als Unterhaltsbeitrag eines Dritten steht nicht entgegen, daß er unentgeltlich als Sachleistung gewährt worden ist. Hilfen von Familienangehörigen wegen ihrer Unentgeltlichkeit außer acht zu lassen, wäre ungerechtfertigt. Die Gewährung von Witwerrente hängt davon ab, ob die Familie eine Unterhaltseinbuße bestimmten Umfangs durch den Tod der Frau erleidet. Durch deren Tod entfallen aber zwangsläufig nur die Unterhaltsleistungen der Frau und nicht auch solche anderer Familienangehöriger. Als Unterhaltsbeiträge werden andererseits gerade bei der Ehefrau in erster Linie Sachleistungen wie Haushaltsführung und Kinderbetreuung berücksichtigt; es wäre nicht einzusehen, warum dann Sachleistungen anderer Familienmitglieder bzw Angehöriger außer Betracht bleiben sollten. Dem steht das Urteil des 12. Senats vom 1.12.1972 - 12 RJ 226/72 - (FEVS 22 (1974), 69) nicht entgegen. Diese Entscheidung bezog sich auf eine uneigennützig gewährte Nachbarschaftshilfe und eine karitative Hilfe durch Gemeindeschwestern. Insofern kann eine Ausnahme angebracht sein, weil es sich um bloße Gefälligkeiten des täglichen Lebens handele.

Nicht zu folgen ist dem LSG auch in dem Ansatz der Unterhaltsanteile der Ehegatten bei der Haushaltsführung und der restlichen Kindesbetreuung. Das LSG hat unter Bezugnahme auf SozR Nr. 27 zu § 1241 RVO die Beiträge der Eheleute „entsprechend den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen“ unterschiedlich bewertet, d.h. bei der Ehefrau mit 60 % und bei dem Ehemann mit 40 %. Soweit es hiermit tatsächliche Feststellungen getroffen hat, sind sie zwar für das Revisionsgericht bindend, weil insoweit keine Verfahrensrügen erhoben wurden. Jedoch hat das BSG wiederholt entschieden, daß die tatsächlichen Unterhaltsbeiträge nicht allein maßgebend sein können, wenn beide Eheleute berufstätig gewesen sind; dann kann sich ein Ehemann nicht auf einen geringeren tatsächlichen Beitrag berufen, wenn er rechtlich zu einem höheren Beitrag bei der Haushaltsführung und Kindesbetreuung verpflichtet gewesen ist (SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO, ebenso SozR 2000 § 1266 Nr. 3 am Ende und Urteil vom 15.6.1976 - 11 RA 102/75 -). In allen diesen Entscheidungen ist als Grundsatz herausgestellt, daß die Eheleute sich bei gleicher beruflicher Inanspruchnahme auch im gleichen Maß an der Haushaltsführung und Kindesbetreuung beteiligen müssen. Es besteht kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Die Entscheidung des BSG in SozR Nr. 27 zu § 1241 RVO steht dem nicht entgegen, weil dort über Rechtspflichten von Eheleuten zur Beteiligung an der Hausarbeit nichts ausgesagt ist. Nach dem hier festgestellten Sachverhalt ist der Kläger zu einer dem Beitrag der Versicherten gleichwertigen Beteiligung an Haushaltsführung und verbleibender Kindesbetreuung verpflichtet gewesen. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, daß wegen des Alters des Kindes außerhalb der Betreuungszeit durch die Großeltern möglicherweise dessen Betreuung in stärkerem Maße der Mutter obliegen mußte. Denn dann mußte der Ehemann diese stärkere Belastung der Mutter anderweit ausgleichen. An diesen Grundsätzen ist jedenfalls bei der Entscheidung über Witwerrenten aus den in SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO und im Urteil vom 15.6.1976 - 11 RA 102/75 - genannten Gründen festzuhalten.

Hiernach müßte wohl die Klage abgewiesen werden, wenn die Kindesbetreuung durch die Großeltern während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes höher zu bewerten ist als die Differenz von rd. 80,00 DM in den Gehältern des Klägers und seiner Frau. Dafür spricht zwar manches; immerhin fehlt jedoch eine ausdrückliche Feststellung des Wertes der Kindesbetreuung durch die Großeltern in der Entscheidung des LSG. Schon deshalb ist es geboten, den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen; eine eigene Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat ist aber auch aus einem anderen Grunde untunlich i.S. des § 170 Abs. 2 S. 2 SGG. Der Kläger hat nämlich im Revisionsverfahren vorgetragen und im einzelnen dargelegt, daß eine Kindesbetreuung des jüngeren Sohnes durch Großeltern überhaupt nicht erfolgt ist, vielmehr sei das Kind von einer Schwester des Klägers gegen Entgelt betreut worden. Eine solche entgeltliche Betreuung könnte aber nicht als Unterhaltsbeitrag eines Dritten gewertet werden. Die Eltern wären dann ihrer Verpflichtung zur Kindesbetreuung selbst dadurch nachgekommen, daß sie Geldmittel hierfür zur Verfügung gestellt haben. Dann ergäbe sich für die Berechnung des Beitrages der Ehefrau zum Familienunterhalt ein anderes Bild, in diesem Falle wäre die Differenz der Nettoeinkommen ausschlaggebend. Bei abschließender Klageabweisung durch den Senat wäre also damit zu rechnen, daß der Kläger ein Neufeststellungsverfahren nach § 79 AVG beantragt. Unter diesen Umständen erscheint es sinnvoller, daß das LSG erneut den Sachverhalt hinsichtlich der Kindesbetreuung prüft.

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