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11 RA 106/75

Aus den Gründen:

Die Klägerin war litauische Staatsangehörige und wurde 1941 in das Deutsche Reich eingebürgert. Nach dem Schulbesuch in Litauen erhielt sie 1933 eine Anstellung bei der Speditionsfirma P. mit dem Sitz in Kaunas. Nach dreimonatiger Einarbeitung wurde sie mit der Leitung der „Außenstelle“ der Firma P. in dem deutschen Grenzort Eydtkau betraut. Deren Aufgabe war die Zollabfertigung der nach Deutschland einzuführenden Waren. Das Gehalt wurde der Klägerin von Kaunas aus gezahlt. Die Beschäftigung endete am 31.7.1937 wegen Auflösung der Arbeitgeberfirma. Beiträge zur deutschen RentV sind für die Zeit der Beschäftigung bei der Firma P. nicht entrichtet.

Die Beklagte bewilligte der Klägerin ab Mai 1972 das vorgezogene Altersruhegeld; dabei rechnete sie die Zeit der Beschäftigung bei der Firma P. nicht an. Die u.a. auf Anrechnung dieser Zeit errichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg.

Die Revision der Beklagten ist begründet; die Klägerin hat keinen Anspruch auf Anrechnung der streitigen Zeit.

Nach § 16 Satz 1 FRG steht u.a. eine nach vollendetem 16. Lebensjahr vor der Vertreibung in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG genannten ausländischen Gebieten, zu den Litauen gehört, verrichtete Beschäftigung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Bundesgebiet, für die Beiträge entrichtet sind, gleich. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt. Das ergibt sich freilich entgegen dem bloßen Gesetzeswortlaut nicht bereits daraus, daß die Beschäftigung nicht in Litauen, sondern im Reichsgebiet ausgeübt worden ist. Entscheidend ist vielmehr, daß auf diese Beschäftigung das Recht der reichsgesetzlichen RentV anzuwenden war (vgl. SozR Nr. 12 zu § 16 FRG).

Nach dem das deutsche Sozialversicherungsrecht beherrschenden Grundsatz der Territorialität gilt der Versicherungszwang innerhalb der Grenzen der inländischen Staatsgewalt (BSG 7, 257, 263; 17, 177; 22, 32). Er erfasst die im Inland ausgeübten Beschäftigungen. Dieser Grundsatz wird durch die von der Rechtsspr. entwickelte „Ausstrahlungstheorie“ für Fälle des Übergreifens einer Beschäftigung über die Staatsgrenzen hinweg erweitert. Umgekehrt kann er jedoch auch durch eine „Einstrahlung“, d.h. das geringfügige Übergreifen eines ausländischen Betriebes in das Inland (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 36. Nachtrag, S. 308m III) eingeengt werden. Eine solche „Einstrahlung“ muß dann aber im Rahmen von § 16 FRG so behandelt werden, als wäre sie im „einstrahlenden“ Ausland verrichtet. Im vorliegenden Falle hat jedoch eine derartige „Einstrahlung“ aus Litauen nicht stattgefunden.

Die „Einstrahlung“ hatte im Gegensatz zur „Ausstrahlung“ schon unter dem Gesichtspunkt der Versicherungsfreiheit vorübergehender Beschäftigungen einen Niederschlag in gesetzlichen Regelungen gefunden (vgl. Brackmann aaO). Maßgeblicher Ausdruck war in der hier in Betracht kommenden Zeit § 1 Nr. 5 der VO vom 9. 2. 1923 (RGBl I 109). Danach blieben Dienstleistungen im Inland von Angestellten ausländischer Betriebe versicherungsfrei, soweit diese mit einzelnen Betriebshandlungen vorübergehend in das Inland übergriffen. Das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift hat das LSG zu Unrecht bejaht.

Die litauische Arbeitgeberfirma der Klägerin hat mit ihrer „Außenstelle“ in Eydtkau nicht nur vorübergehend in das Inland übergegriffen. Nach den Feststellungen des LSG war die von der Klägerin geleitete Außenstelle vielmehr eine auf Dauer angelegte Einrichtung. Der daraus zu ziehenden Folgerung, daß es sich um keine nur vorübergehend in das Inland übergreifende Betriebshandlung handelte, steht nicht entgegen, daß die Klägerin ihren Wohnsitz in Litauen beibehielt, an Besprechungen in Kaunas teilzunehmen hatte, ihr Gehalt von Kaunas aus ausgezahlt erhielt und daß ihre Mitarbeiter litauische Staatsangehörige waren. Unerheblich ist auch, ob die Außenstelle organisatorisch selbständig war.

Handelt es sich aber bei der Beschäftigung der Klägerin unter Berücksichtigung von § 1 Nr. 5 der VO vom 9.2.1923 nicht um die „Einstrahlung“ eines ausländischen Betriebes, so unterlag sie den Vorschriften der reichsgesetzlichen Rentenversicherung und dem deutschen Versicherungszwang. Diese Beschäftigung kann damit nicht im Wege einer am Sinn von § 16 FRG orientierten ausdehnenden Auslegung als „in“ Litauen und damit in einem ausländischen Vertreibungsgebiet verrichtet angesehen werden.

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