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5 RJ 98/74

Aus den Gründen

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin aus der Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes eine Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO zusteht.

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten W. wurde am 16.8.1946 aus dem Verschulden des Versicherten rechtskräftig geschieden. Der Versicherte war während dieser Ehe als Angestellter, und zwar zuletzt vor der Scheidung als Dolmetscher bei der französischen Besatzungsmacht beschäftigt. Er heiratete am 4.1.1947 die Beigeladene. Die Klägerin hat nicht wiedergeheiratet. Der Versicherte ist am 25.4.1969 gestorben.

Der Versicherte bezog seit dem 1.2.1968 die Versichertenrente wegen EU. Die Klägerin bezog im Zeitpunkt des Todes des Versicherten wegen einer MdE von 80 v.H. eine Versorgungsgrundrente von monatlich 200 DM, eine Ausgleichsrente von ebenfalls 200 DM, ein Wohngeld von monatlich 29 DM und einen Zuschuß des Sozialamtes von monatlich 44,25 DM. Die Beklagte gewährte der Beigeladenen die Witwenrente.

Sie lehnte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Hinterbliebenenrente ab, weil die Voraussetzungen des § 1265 RVO nicht vorlägen.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Rente aus der Vers. ihres geschiedenen Ehemannes nach § 1265 RVO.

Nach § 1265 Abs. 1 Satz 1 RVO wird einer geschiedenen Ehefrau des Versicherten nach dessen Tode nur dann Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Nach den unangefochtenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG hat der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin keinen Unterhalt geleistet; es hat auch kein Unterhaltstitel oder ein sonstiger - vom EheG unabhängiger - Grund für eine Unterhaltsverpflichtung vorgelegen. In Betracht käme daher allenfalls eine Unterhaltsverpflichtung nach § 58 EheG.

Nach dieser Vorschrift muß der schuldig geschiedene Ehemann den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt gewähren, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Unterhaltsberechtigt ist also nur, wer unterhaltsbedürftig ist, d.h., wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Dieser allgemeine Grundsatz im Unterhaltsrecht gilt auch für das Verhältnis der geschiedenen Ehegatten zueinander (vgl. Brühl, Unterhaltsrecht, 1. Teil, 3. Aufl. 1973, Randziffer 521 S. 342). Die Beantwortung der Frage, ob die Einkünfte der geschiedenen Ehefrau zur Deckung des angemessenen Unterhalts ausreichen, setzt voraus, daß zunächst die Höhe des angemessenen Unterhalts festgestellt wird.

Dabei sind - wie aus § 58 Abs. 1 des EheG hervorgeht - die Lebensverhältnisse der Ehegatten zur Zeit der Scheidung bestimmend. Es sind danach die gemeinsamen Lebensverhältnisse während der bestehenden Ehe zu berücksichtigen, die sich aus den Einkommensverhältnissen und der gesellschaftlichen Stellung beider Ehegatten ergeben. Da der Versicherte während bestehender Ehe mittlerer kaufmännischer Angestellter und die Klägerin nicht berufstätig war, so ergibt sich unter Berücksichtigung der seit der Scheidung eingetretenen Veränderungen der allgemeinen Preis- und Lohnverhältnisse ein auf die Zeit des Todes des Versicherten projizierter ehelicher Lebensstandard, der von einem monatlichen Einkommen von höchstens 800 DM bestimmt worden wäre. Nach der ständigen Rechtspr. des BSG beträgt der angemessene Unterhalt der geschiedenen Frau 1/3 bis 3/7 des Gesamtnettoeinkommens (vgl. SozR Nr. 64 zu § 1265 RVO und die dort zitierten Entsch.en). Der angemessene Unterhalt der Klägerin wäre also im Jahre 1969 auch dann nicht höher als monatlich 400 DM gewesen, wenn man mit Rücksicht auf den durch ihre Kriegsbeschädigung möglicherweise bedingten Mehrbedarf von der oberen Grenze des durch die Rechtsprechung gesetzten Rahmens von V» bis *h ausginge. Von der Klägerin wird auch nicht in Zweifel gezogen, daß ihr Lebensbedarf mit 400 DM monatlich ausreichend bemessen gewesen wäre.

Dieser angemessene Unterhalt der Klägerin war durch die vom VersorgA gezahlte Ausgleichsrente und die Grundrente in Höhe von insgesamt 400 DM monatlich voll gedeckt. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann die Grundrente bei der Frage nicht unberücksichtigt bleiben, ob der angemessene Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau durch eigenes Einkommen gesichert ist. Es ist zwar richtig, daß die Grundrente nicht dem Zweck dient, den normalen Unterhaltsbedarf des Beschädigten zu decken. Die Grundrente stellt die Entschädigung für Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dar und soll die Mehraufwendungen ausgleichen, die der Beschädigte infolge der Schädigung gegenüber einem gesunden Menschen hat (vgl. BT-Drucks. I/1333, Begr. zum Entw. des BVG Allgemeiner Teil III und zu den §§ 28 bis 33 sowie BR-Drucks. 192/59, Begr. zum 1. KOVNG unter A 1 zu Art. I). Unabhängig von dieser Zweckbestimmung der Grundrente kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, daß dem Beschädigten auch die Grundrente zur Deckung seines Lebensbedarfs zur Verfügung steht. Ob der Beschädigte im Einzelfall schädigungsbedingte Mehraufwendungen hat oder nicht, ist bei der Bemessung des angemessenen Lebensbedarfs zu berücksichtigen. Das ändert aber nichts daran, daß auch die Grundrente geeignet ist, diesen - möglicherweise erhöhten - Lebensbedarf zu decken. Das wird auch durch die Vorschriften des § 138 Abs. 3 Nr. 5 AFG, § 76 BSHG nicht ausgeschlossen, die für bestimmte Zwecke die Anrechnung der Grundrente ausschließen. Diese Vorschriften behandeln die Frage, ob die gegenwärtige Grundrente einer von der Bedürftigkeit abhängigen Sozialleistung entgegensteht, und tragen dem in der zitierten Begr. zum 1. KOVNG zum Ausdruck gekommenen Ziel des Gesetzgebers Rechnung, daß die Grundrente von einer Gewährung einer anderen Sozialleistung unberührt bleibt; sie soll ohne Rücksicht auf sonstiges Einkommen gewährt und bei der Bemessung anderer Leistungen unberücksichtigt gelassen werden. Im Rahmen des § 1265 RVO handelt es sich aber hiervon abweichend um die bürgerlich-rechtliche Vorfrage, ob die frühere Grundrente Einfluß auf den in der Vergangenheit liegenden Unterhaltsanspruch hatte, nicht also um die Anrechnung der gegenwärtigen Grundrente auf die Hinterbliebenenrente. Deshalb wird durch die Berücksichtigung der Grundrente auch nicht der Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Zwar sind nicht alle Sozialleistungen, die dem Berechtigten gewährt werden, als Einkommen zu behandeln, das seine Bedürftigkeit verringert. Leistungen, die kraft Gesetzes der Unterhaltspflicht im Rang nachgehen und deren Erbringung den Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Leistungsträger bzw. den Staat zur Folge haben, sind von der Anrechnung ausgeschlossen (vgl. Brühl a.a.O., 351, Randziffer 539; Das Bürgerliche Gesetzbuch, Komm, herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, 10. und 11. Aufl. 1968, IV. Bd., 3. Teil, Anm. 42 zu § 58 EheG). Von diesen Ausnahmefällen abgesehen sind aber alle Einkünfte bei der Frage der Unterhaltsbedürftigkeit zu berücksichtigen, die geeignet sind, den Unterhalt zu befriedigen. Dabei ist unbeachtlich, welcher Art die Einkünfte sind und welche konkrete Zweckbestimmung die Leistung hat (vgl. Brühl a.a.O.). Auch das BSG hat bereits entschieden, daß VersorgRentenbezüge einschließlich der Grundrente zur Bestreitung des Lebensunterhalts dienen (vgl. SozR Nr. 10 zu § 1266 RVO). Ist danach die Grundrente geeignet, die Unterhaltsbedürfnisse zu befriedigen, so kann sie ungeachtet ihrer Zweckbestimmung bei der Frage nicht außer acht gelassen werden, ob die geschiedene Ehefrau den Unterhaltsbedarf aus ihren eigenen Einkünften decken kann. Bei Berücksichtigung der Grund- und Ausgleichsrente in Höhe von monatlich 400 DM stand der Klägerin ein ausreichendes Einkommen zur Verfügung, um den angemessenen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Sie hatte daher keinen Anspruch auf Unterhalt gegen ihren geschiedenen Ehemann nach dem EheG.

Die Anwendung des § 1265 Abs. 1 Satz 2 RVO scheidet im vorliegenden Fall schon deshalb aus, weil eine Witwenrente zu zahlen ist.

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