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11 RA 208/73

Aus den Gründen

Unter den Beteiligten ist noch streitig, wie die richterliche Tätigkeit der Klägerin in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und späteren DDR in den Jahren 1946 bis 1952 nach § 22 FRG zu bewerten ist.

Die 1910 geborene Klägerin hat 1935 die erste und 1940 die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt. Vom 01.01.1940 bis 30.06.1941 war sie als juristische Hilfsarbeiterin bei einer BG beschäftigt. Ab November 1945 war sie beim AG L. als Gerichtsassessorin und ab Juni 1946 beim LG L. als Landgerichtsrätin, später „Landrichterin“, tätig. Sie war dort zunächst Vorsitzende einer erstinstanzlichen Kammer für Ehesachen, wobei sie als Einzelrichterin entschied; spätestens ab September 1950 war sie Vorsitzende einer mit Ehesachen befaßten Berufungskammer, bei deren Entscheidungen außer ihr regelmäßig noch zwei Volksrichter mitwirkten. Im Juli 1952 floh die Klägerin in die Bundesrepublik.

Durch Bescheid vom 09.08.1968 (und Neufeststellungsbescheid vom 11.05.1971) gewährte die Beklagte der Klägerin Rente wegen EU. Dabei stufte sie die Klägerin nach der Anl. 1 zu § 22 FRG für die Zeit am AG in die Leistungsgruppe B 3 und für die Zeit am LG in die Leistungsgruppe B 2 ein.

Das LSG verurteilte die Beklagte, „die Zeit vom 01.11.1945 bis 31.08.1950 der Leistungsgruppe B 2 und die Zeit vom 01.09.1950 bis 31.07.1952 der Leistungsgruppe B 1 nach Anl. 1 zu § 22 FRG zuzuordnen“.

Die Revision der Beklagten hatte Erfolg, die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.

Das LSG hat die Zeit, in der die Klägerin als Gerichtsassessorin tätig war, zu Unrecht der Leistungsgruppe B 2 zugeordnet. Nach Satz 1 der maßgebenden Definition umfaßt diese Leistungsgruppe Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortungsvoller Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben. Die Definitionen der Leistungsgruppen der Anlage 1 zum FRG sind allerdings auf Beschäftige in der Privatwirtschaft ausgerichtet; Beschäftigte im öffentlichen Dienst lassen sich nur in sinngemäßer Anlehnung an die Definitionsmerkmale einordnen. (SozR Nr. 3 zu § 22 FRG). Das darf jedoch nicht zu einem Verzicht auf Merkmale führen, die nicht Beschäftigungen in der Privatwirtschaft eigentümlich sind, sondern in gleicher Weise auch für Beschäftigungen im öffentlichen Dienst Bedeutung haben. Insbesondere gilt das für das Merkmal der „besonderen Erfahrungen“ (SozR Nr. 4 zu § 22 FRG). Über solche besonderen Erfahrungen hat die Klägerin während ihrer Tätigkeit als Gerichtsassessorin noch nicht verfügt. Sie war damals von dem Alter von 45 Jahren, in dem diese Erfahrungen regelmäßig gesammelt zu sein pflegen (vgl. BSG 24, 113, 115; SozR Nr. 4 zu § 22 FRG), noch weit entfernt. Allerdings kann diese Altersgrenze bei Angestellten, deren Berufstätigkeit eine abgeschlossene Hochschulausbildung erfordert, unterschritten werden, weil sie die geforderten Erfahrungen schon in kürzester Zeit sammeln können (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 20.09.1973 - 11 RA 20173 und vom 24. Oktober 1974 - 11 RA 156/73 -); dementsprechend wird z.B. bei dem im Berufskatalog der Leistungsgruppe B 2 erwähnten Oberarzt auch kein Mindestalter gefordert. Das bedeutet indessen nicht, daß sie die „besonderen Erfahrungen“ bereits mit dem Studienabschluß aufzuweisen hätten; auch sie können diese nur durch Ausübung der Berufstätigkeit sammeln und darum bei regelmäßigem Beschäftigungsverlauf diese Erfahrungen nicht vor Vollendung des 30. Lebensjahres erworben haben. Der juristische Vorbereitungsdienst kann dabei nicht schon der Ausübung des angestrebten Berufs gleichgesetzt werden. Er dient nicht dem Sammeln von Erfahrungen im Beruf, sondern der Ausbildung für diesen. Zumindest im Regelfalle kann daher ein Gerichtsassessor, weil er die „besonderen Erfahrungen“ erst erwerben muß, der Leistungsgruppe 2 nicht zugeordnet werden. Ob anderes zu gelten hat, wenn dem richterlichen Dienst andere zur Vermittlung einschlägiger Erfahrungen geeignete Tätigkeiten vorangegangen sind (vgl. Nr. 3 zu § 22 FRG), mag auf sich beruhen, da die Klägerin bis Juni 1946 außer als Gerichtsassessorin nur 18 Monate als juristische Hilfsarbeiterin bei einer BG tätig gewesen war.

Hierbei ist nicht verkannt, daß sich die Tätigkeit des Gerichtsassessors nicht von der des endgültig angestellten Richters unterscheidet. Das ist jedoch für das Merkmal der „besonderen Erfahrungen“ ohne Bedeutung; der Gesetzgeber geht im Rahmen von § 22 FRG offenbar davon aus, daß sich solche Erfahrungen jedenfalls günstig auf die Entlohnung auszuwirken pflegen.

Auch eine Zuordnung der Klägerin zur Leistungsgruppe B 1 für die Folgezeit, insbesondere die Zeit ihrer Tätigkeit als Vorsitzende einer Berufungskammer, entspricht nicht dem Gesetz. Zu dieser Leistungsgruppe gehören nach ihrer Definition Angestellte in leitender Stellung mit Aufsichts- und Dispositionsbefugnis. Diese Merkmale können bei Ausübung richterlicher Tätigkeit nicht erfüllt sein; der Beruf des Richters ist jedoch grundsätzlich einer Tätigkeit mit umfassender Aufsichts- und Dispositionsbefugnis gleichzuachten (vgl. SozR Nr. 3 zu § 22 FRG). Daraus folgt indessen nicht, daß die richterliche Tätigkeit für sich allein bereits eine Zuordnung zur Leistungsgruppe B 1 rechtfertigt. Die Definition dieser Leistungsgruppe ist nicht erschöpfend; ihr voller Sinn erschließt sich erst aus dem Stufenverhältnis der Leistungsgruppen und insbesondere aus dem Vergleich mit den Merkmalen der Leistungsgruppe B 2 (vgl. BSG 24, 113, 115). Das bedeutet, daß für eine Zuordnung zur Leistungsgruppe B 1 nur Raum ist, wenn auch „Erfahrungen“ gegeben sind, die das Maß der für die Leistungsgruppe B 2 geforderten überschreiten. Das ist bei Akademikern regelmäßig erst im Alter von 45 Jahren der Fall (vgl. SozR Nr. 2 und Nr. 3 zu § 22 FRG). Die Klägerin hatte jedoch selbst bei Beendigung ihrer Tätigkeit am LG L. das Alter von 45 Jahren noch nicht erreicht; sie war zudem im Verhältnis zu ihrem Lebensalter nur verhältnismäßig kurze Zeit in ihrem Beruf tätig gewesen. Allerdings können Akademiker das für die Einstufung in die Leistungsgruppe 1 geforderte hohe Erfahrungsmaß schon vor Erreichen des 45. Lebensjahres besitzen, wenn sie schon vorher eine berufliche Position erreicht haben, die sich aus den allgemeinen Positionen ihrer Kollegen deutlich heraushebt. Bei Richtern muß sich diese Position dabei deutlich von dem sog. Eingangsamt unterscheiden. Auch das traf bei der Klägerin in ihrer Zeit am LG L. nicht zu. Als Vorsitzende einer erstinstanzlichen Kammer war sie als Einzelrichterin tätig; ihre Position entsprach damit im wesentlichen der eines Richters im Eingangsamt, auch wenn sie daneben noch gewisse Verwaltungsaufgaben wahrzunehmen hatte. Aber auch als Vorsitzende einer Berufungskammer hat sie noch keine deutlich herausgehobene Stellung eingenommen. Sie ist nicht zur „Oberrichterin“ ernannt worden (aus welchen Gründen auch immer); davon abgesehen war die Kammer außer mit ihr nur mit zwei sog. Volksrichtern besetzt, deren Qualifikation nach den Bekundungen der Klägerin und ihres Ehemannes damals jedenfalls noch hinter der von Volljuristen weit zurückblieb. Die berufliche Stellung der Klägerin war danach nicht mit der des planmäßigen Vorsitzenden einer landgerichtlichen Kammer im Bundesgebiet vergleichbar. Dessen hervorgehobene Stellung (vgl. Bayerischer VerfGH, NJW 1969, 1808, 1809) war und ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß er - von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen - als Vorsitzender einer mit drei Volljuristen als Berufsrichtern besetzten Kammer tätig wird.

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