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11 RA 170/73

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 1973 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist die Anrechnung von Beitragszeiten bei der Berechnung des Altersruhegeldes.

Der 1906 geborene Kläger entrichtete ab Oktober 1927 als Selbständiger freiwillige Beiträge zur Angestelltenversicherung. Bei der Berechnung des ihm mit Bescheid vom 14. April 1971 gewährten Altersruhegeldes ließ die Beklagte die in der Zeit von Januar 1929 bis Juni 1936 entrichteten Beiträge unberücksichtigt, weil sowohl in der Versicherungskarte Nr. 4 als auch in der den Kläger betreffenden Schriftwechselkarte vermerkt ist, die in zu niedriger Beitragsklasse entrichteten Beiträge seien lt. Schreiben vom 18. Mai 1937 beanstandet und lt. Schreiben vom 9. Januar 1939 für "unheilbar unwirksam" erklärt worden. Die Klage hatte in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg. Zur Begründung hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt: Die Beklagte könne zwar für beide Schreiben weder einen Zustellungsnachweis noch ein Empfangsbekenntnis vorweisen, weil ihre Verwaltungsvorgänge vernichtet worden seien; der Zugang der Schreiben sei jedoch durch die genannten Vermerke nachgewiesen, und zwar sei der Beweis des ersten Anscheins erbracht. Aufgrund des Erfahrungssatzes, daß eine so festgehaltene Beanstandung zuvor dem Versicherten mitgeteilt worden sei, müsse angenommen werden, daß die Schreiben an den Kläger abgesandt worden seien. Dafür, daß sie ihn nicht erreicht hätten, fehle jeder Anhalt. Der Kläger habe damals einen festen Wohnsitz gehabt; es sei weder Krieg noch aus anderen Gründen eine außergewöhnliche Lage gewesen; im Bereich der Post hätten normale Verhältnisse geherrscht. Anderenfalls müßten gleich beide Schreiben und noch weitere im Rahmen des Schriftwechsels in Verlust geraten sein. Zudem habe der Kläger seinerzeit die Beitragsentrichtung (bis zum Jahre 1950) unterbrochen. Seine Sachdarstellung setze eine Summierung von Zufällen voraus, die es so nicht geben könne. Sein Erinnerungsvermögen sei also wohl beeinträchtigt.

Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß),

die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung des Altersruhegeldes auch die Beiträge für die Zeit von Januar 1929 bis Juni 1936 zu berücksichtigen.

Er meint, den beiden Vermerken sei allenfalls zu entnehmen, daß eine Beanstandung in Form eines Entwurfs erfolgt sei; mit Gewißheit könne nicht festgestellt werden, daß die beiden Schreiben auch wirklich abgesandt worden seien. Keinesfalls aber seien Tatsache und Zeit des Empfangs dieser Schriftstücke nachgewiesen; hierfür könne ein Beweis des ersten Anscheins nicht genügen.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Das LSG hat sie zugelassen, "um in einem nicht eine Beitragserstattung betreffenden Falle die Klärung der Frage zu ermöglichen, wann beim Fehlen von Zustellungsnachweisen Verwaltungsakte als zugegangen gelten". Diese Begründung erweckt zwar Bedenken, ob damit ein Zulassungsgrund im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dargetan ist. Denn einen Rechtssatz, aufgrund dessen Verwaltungsakte als zugegangen gelten, hat das LSG weder angewandt, noch auf seine Anwendbarkeit geprüft. Da das LSG die Zulassung nicht zu begründen brauchte, läßt sich jedoch nicht feststellen, daß hier keinesfalls die Zulassungsvoraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zu bejahen waren. Der Senat ist daher an die ausgesprochene Zulassung gebunden.

Die Revision ist jedoch nicht begründet. Der Kläger könnte die Berücksichtigung der entrichteten Beiträge nur fordern, wenn diese Beiträge nicht ordnungsgemäß von der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) als dem damals zuständigen Versicherungsträger beanstandet und für unwirksam erklärt worden wären. Ein solches Verwaltungshandeln des Versicherungsträgers bedurfte zwar keiner bestimmen Form; es mußte aber, um rechtswirksam zu sein, dem Kläger bekanntgemacht werden. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt deshalb davon ab, ob die Schreiben, zumindestens das vom 9. Januar 1939, dem Kläger zugegangen sind.

Das hat das LSG für erwiesen angesehen. Insofern hat es eine tatsächliche Feststellung getroffen. Tatsächliche Feststellungen sind nach § 163 SGG für das Bundessozialgericht (BSG) bindend, außer wenn dagegen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hätte die Feststellung nur mit Verfahrensrügen bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist in der nach § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG gebotenen Form angreifen können. Eine solche Verfahrensrüge hat der Kläger deutlich erkennbar jedenfalls nicht geltend gemacht. Sein Vorbringen läßt sich allenfalls dahin auslegen, daß er eine Verletzung des § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG rügen will. Nach dieser Vorschrift entscheidet aber das Gericht, wenn es Tatsachen feststellt, nach seiner freien Überzeugung. Die Beweiswürdigung ist daher im allgemeinen nicht mit Verfahrensrügen angreifbar. Der Befugnis zur freien Beweiswürdigung sind allerdings Grenzen gezogen, und der Kläger will offenbar die Überschreitung der Grenzen rügen. Auch insoweit läßt sich aber wiederum nur durch Auslegung der Revisionsbegründung annehmen, daß der Kläger die Grenzen der freien Beweiswürdigung durch eine unzulässige Anwendung des sog. Beweises des ersten Anscheins überschritten glaubt. Diese Ansicht trifft nicht zu.

Den Beweis des ersten Anscheins hat das LSG nur für die Absendung der Schreiben und nicht auch für den Zugang der Schreiben an den Kläger für erbracht angesehen. Das LSG hat dabei angenommen, erfahrungsgemäß - und zwar aufgrund eines typischen Erfahrungsablaufs - hätten die Bediensteten der RfA Vermerke der hier vorliegenden Art über die Beanstandung und die Unwirksamkeitserklärung von Beiträgen in die Versicherungskarte und in die Schriftwechselkarte erst nach der Absendung der entsprechenden Schreiben an den Versicherten eingetragen. Daß ein solcher Erfahrungssatz in Wahrheit nicht bestehen würde, ist nicht ersichtlich. Ebensowenig ist dargetan, daß das LSG irgendwelche Umstände nicht berücksichtigt hätte, die im vorliegenden Falle der Anwendung dieses Erfahrungssatzes und dem daraus gezogenen Schluß auf die Absendung der Schreiben an den Kläger entgegenstehen könnten.

Den außerdem erforderlichen Zugang der Schreiben beim Kläger hat das LSG ohne Anwendung bestimmter Erfahrungssätze nach Abwägen der für und gegen den Zugang sprechenden Umstände festgestellt. Hierbei ist ein Überschreiten der Grenzen der freien Beweiswürdigung weder geltend gemacht, noch erkennbar.

Nach alledem beanstandet der Kläger das angefochtene Urteil zu Unrecht. Seine Revision ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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