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5 RJ 77/72

Gründe I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus einen Anspruch auf Waisenrente nach § 1267 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hat.

Der am 22. Dezember 1944 geborene Kläger bezog aus der Versicherung seines für tot erklärten Vaters die Waisenrente. Die Beklagte stellte die Zahlung dieser Rente mit dem 31. Dezember 1969 ein, weil der Kläger in diesem Monat das 25. Lebensjahr vollendet hatte. Dies teilte sie ihm schriftlich mit. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 6. November 1969 die Weitergewährung der Waisenrente über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus, weil sich sein noch fortdauerndes Studium an der Pädagogischen Hochschule F. durch den freiwilligen Wehrdienst vom 1. April 1963 bis zum 31. März 1967 verzögert habe. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 27. November 1969 ab, weil ein über drei Jahre hinausgehender freiwilliger Wehrdienst nicht der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Sinne des § 1267 RVO gleichgestellt werden könne.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 14. Dezember 1970 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 28. Oktober 1971 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Waisenrente über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus. Wenn § 45 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) den Bezug der Waisenrente bis zum vollendeten 27. Lebensjahr zulasse, so könne das nicht entsprechend auf die Waisenrente nach der RVO übertragen werden, denn insoweit bestehe keine Gesetzeslücke, sondern eine ausdrückliche Begrenzung auf das vollendete 25. Lebensjahr. Die unterschiedliche Regelung in BVG und in der RVO verstoße auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Zwar könne nach § 1267 RVO die Waisenrente über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus gewährt werden, wenn die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht unterbrochen oder verzögert worden ist. Das sei beim Kläger jedoch nicht der Fall, denn bei dem von ihm geleisteten freiwilligen Wehrdienst handele es sich nicht um Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Sinne des § 1267 RVO. Selbst wenn man zur Auslegung der Frage, was Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht ist, mit Rücksicht auf die beabsichtigte Neuregelung des § 1267 RVO die Vorschrift des § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG heranziehe, so könne der auf den Grundwehrdienst anzurechnende freiwillige Wehrdienst doch nur dann der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht gleichgestellt werden, wenn der Wehrdienst aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung für eine Dienstzeit von nicht mehr als drei Jahren geleistet worden ist. Auch diese unterschiedliche Behandlung des freiwilligen Wehrdienstes bis zu drei Jahren einerseits und über drei Jahre hinaus andererseits verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Da der Kläger den Wehrdienst aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung von vier Jahren geleistet habe, könne der von ihm geleistete Wehrdienst nicht der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht gleichgestellt werden.

Der Kläger hat dieses Urteil mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Er ist der Ansicht, der auf den Grundwehrdienst anzurechnende Teil seiner freiwilligen Wehrdienstleistung stehe im Sinne des § 1267 RVO der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht gleich. Das ergebe sich daraus, daß nach § 7 des Wehrpflichtgesetzes i.d.F. vom 14. Mai 1965 (BGBl. I, 391) der freiwillig abgeleistete Wehrdienst auf den Grundwehrdienst anzurechnen sei. Jedenfalls um diesen Teil des geleisteten Wehrdienstes sei das Studium wegen Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht verzögert worden.

Der Kläger beantragt,

  • unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, des Urteils des Sozialgerichts Freiburg vom 14. Dezember 1970 sowie des Bescheides der Beklagten vom 27. November 1969 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Waisenrente über den 31. Dezember 1969 hinaus bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

  • die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision des sei unbegründet.

Gründe II.

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das LSG hat mit Recht das die Klage abweisende Urteil des SG bestätigt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Weitergewährung der begehrten Waisenrente über den 31. Dezember 1969 hinaus.

Nach § 1267 Satz 2 RVO wird die Waisenrente im Falle der Schul- oder Berufsausbildung längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt. Ist die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht verzögert oder unterbrochen worden,. so wird die Waisenrente auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt. Das LSG ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß im Falle der Schul- oder Berufsausbildung - anders als in § 45 Abs. 3 BVG - die Waisenrente nicht grundsätzlich über das Vollendete 25. Lebensjahr hinaus bis zum 27. Lebensjahr zu gewähren ist. Der Gesetzgeber hat in § 1267 RVO und in § 45 Abs. 3 BVG bewußt unterschiedliche Altersgrenzen gewählt. Zwar mag die in § 45 Abs. 3 BVG genannte Altersgrenze moderneren sozialpolitischen Erkenntnissen entsprechen; das kann aber noch nicht zu der Annahme führen, daß der Gesetzgeber es in § 1267 RVO unabsichtlich unterlassen hat, die gleiche Altersgrenze auch hier einzuführen. Die Begrenzung auf das 25. Lebensjahr hat der Gesetzgeber in § 1267 RVO ganz bewußt vorgenommen, so daß insoweit eine Gesetzeslücke nicht besteht und eine entsprechende Anwendung des § 45 Abs. 3 BVG ausscheidet. Die unterschiedliche Regelung in § 1267 RVO und § 45 Abs. 3 BVG verstößt auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Wenn es auch von der Unterhaltsersatzfunktion der Waisenrenten her wünschenswert erscheinen mag, für alle Waisenrenten eine einheitliche Altersgrenze einzuführen (vgl. hierzu Bericht der Bundesregierung in BT-Drucks. VI/1126 S. 35), so ist es doch der Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers überlassen, die Altersgrenze für die auf einer Versicherung beruhenden Waisenrente anders festzusetzen als in der Kriegsopferversorgung oder im Beamtenrecht, insbesondere da die Finanzierung auf unterschiedlichen Grundlagen beruht.

Liegt danach die Altersgrenze für die Waisenrente im Falle der Schul- oder Berufsausbildung in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bei 27, sondern bei 25 Jahren, so kann der Kläger die Waisenrente über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus nur dann erhalten, wenn die Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht unterbrochen oder verzögert worden ist. Das ist nur dann der Fall, wenn der vom Kläger als Soldat auf Zeit freiwillig geleistete Wehrdienst als Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Sinne des § 1267 Satz 3 RVO anzusehen ist. Nach § 3 Abs. 1 des Wehrpflichtgesetzes in der hier anzuwendenden Fassung vom 14. Mai 1965 (BGBl. I, 391) wird die Wehrpflicht durch den Wehrdienst oder durch den zivilen Ersatzdienst erfüllt. Der aufgrund der Wehrpflicht zu leistende Wehrdienst umfaßt nach § 4 Abs. 1 a.a.O. den Grundwehrdienst, die Wehrübung und im Verteidigungsfall den unbefristeten Wehrdienst. Von diesen Arten des Wehrdienstes kommt im vorliegenden Fall nur der Grundwehrdienst in Betracht. Der Grundwehrdienst betrug nach § 5 Abs. 1 a.a.O. 18 Monate. Während nach § 4 Abs. 3 a.a.O. die freiwillig Grundwehrdienst Leistenden die Rechtsstellung von Soldaten haben, die aufgrund der Wehrpflicht Wehrdienst nach § 7 a.a.O. der aufgrund freiwilliger Verpflichtung (von Soldaten auf Zeit) in der Bundeswehr geleistete Wehrdienst auf den Grundwehrdienst angerechnet. Das bedeutet, daß Soldaten auf Zeit keinen Grundwehrdienst zu leisten brauchen, soweit sie aufgrund der freiwilligen Verpflichtung Wehrdienst geleistet haben. Der Grund dafür liegt darin, daß der von Soldaten auf Zeit freiwillig geleistete Wehrdienst dem aufgrund der Wehrpflicht zu leistenden Grundwehrdienst gleichwertig ist und ihn überflüssig macht. Der Gesetzgeber des Wehrpflichtgesetzes hat daher durch die angeordnete Anrechnung den von Soldaten auf Zeit freiwillig geleisteten Wehrdienst dem aufgrund der Wehrpflicht zu leistenden Grundwehrdienst gleichgestellt. Das bedeutet insbesondere, daß der auf den Grundwehrdienst anzurechnende freiwillige Wehrdienst im Sinne des § 1267 Satz 3 RVO dem aufgrund der gesetzlichen Wehrpflicht zu leistenden Grundwehrdienst gleichsteht. Allerdings kann dies nicht uneingeschränkt gelten. Man muß bedenken, daß die gesetzliche Wehrpflicht wesentlich für die Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung sein muß (vgl. SozR Nrn. 40, 47 zu § 1267 RVO). Das trifft aber bei Soldaten auf Zeit nicht in jedem Falle zu, wie noch zu zeigen sein wird. Hat sich ein Soldat auf Zeit aus anderen Gründen als wegen der bestehenden Wehrpflicht zum freiwilligen Wehrdienst verpflichtet, so entspricht es trotz der gebotenen Anrechnung auf den Grundwehrdienst nicht dem Sinn des § 1267 Satz 3 RVO, ihm die Waisenrente über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus zu gewähren.

Die Waisenrente will es den Waisen ermöglichen, ohne Gefährdung des Lebensunterhalts eine Schul- oder Berufsausbildung abzuschließen und damit eine qualifizierte Existenzgrundlage zu schaffen. Da eine solche Ausbildung nach der Vorstellung des Gesetzgebers im allgemeinen mit dem 25. Lebensjahr abgeschlossen sein kann, hat er die Bezugsdauer der Waisenrente für den Regelfall der Schul- oder Berufsausbildung bis zum 25. Lebensjahr begrenzt. Ausnahmsweise kann diese Altersgrenze dann unbillig sein, wenn die Waise die Schul- oder Berufsausbildung unverschuldet und im Interesse der Allgemeinheit nicht bis zum 25. Lebensjahr beenden kann, weil sie der gesetzlichen Wehrpflicht nachkommt. Dieser Grund trifft aber nicht nur auf solche Waisen zu, die ohne ihr eigenes Zutun zum Grundwehrdienst einberufen werden. Er gilt zunächst selbstverständlich auch für solche Waisen, die durch freiwillige Meldung den Zeitpunkt des Grundwehrdienstes beeinflussen, denn nach § 4 Abs. 3 des Wehrpflichtgesetzes haben sie in vollem Umfang die Rechtsstellung eines Soldaten, der aufgrund der Wehrpflicht Grundwehrdienst leistet. Die freiwillige Erfüllung des Grundwehrdienstes steht also der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht gleich. Aber auch diejenigen Soldaten, die nicht nur freiwillig ihren Grundwehrdienst leisten, sondern sich darüber hinaus als Soldaten auf Zeit verpflichten, kann man nach dem Sinn des § 1267 Satz 3 RVO jedenfalls dann nicht anders behandeln als die freiwillig Grundwehrdienst leistenden Soldaten, wenn sie den Wehrdienst nur oder vorwiegend wegen Bestehens der gesetzlichen Wehrpflicht leisten und sich nur bei dieser Gelegenheit für eine etwas darüber hinausgehende Zeit verpflichten. Bei Berufssoldaten allerdings wird man generell verneinen können, daß sie sich vorwiegend wegen Bestehens der gesetzlichen Wehrpflicht zum Wehrdienst verpflichten, denn im Vordergrund steht immer die Berufswahl. Aber auch bei solchen Soldaten auf Zeit, die sich für einen längeren Zeitraum verpflichten, muß man davon ausgehen, daß sie unabhängig von der gesetzlichen Wehrpflicht den berufsähnlichen Status eines Soldaten erreichen wollen (vgl. hierzu SozR Nr. 31 zu § 1267 RVO) und sich nicht vorwiegend wegen der Wehrpflicht und anstelle des zu leistenden Grundwehrdienstes freiwillig verpflichten. Lediglich dann, wenn der Soldat auf Zeit den freiwilligen Wehrdienst vorwiegend wegen des mit der Anrechnung auf den Grundwehrdienst verbundenen Erlöschens der gesetzlichen Wehrpflicht leistet ist der freiwillige Wehrdienst der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht im Sinne des § 1267 Satz 3 RVO gleichgestellt. Das ist aber der Fall, wenn die Dauer der freiwilligen Verpflichtung die Dauer des Grundwehrdienstes nicht erheblich übersteigt.

Ist danach die Dauer der Verpflichtung eines Soldaten auf Zeit für die Frage von Bedeutung, ob er vorwiegend wegen des Bestehens der gesetzlichen Wehrpflicht oder vorwiegend aus anderen Gründen Wehrdienst leistet, so muß eine zeitliche Grenze für die Beantwortung dieser Frage gefunden werden.

Ebenso wie in § 1267 RVO war die Weitergewährung der Waisenrente über das 25. Lebensjahr hinaus früher in § 45 BVG geregelt. Der Gesetzgeber hat aber später erkannt, daß diese Regelung bei allzu wörtlicher Auslegung zu eng ist und hat daher in § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG n.F. den freiwilligen Wehrdienst von Soldaten auf Zeit bei einer Verpflichtung von nicht mehr als drei Jahren ausdrücklich der Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht gleichgestellt. Diese Vorschrift, die noch mehrere Parallelen hat (z.B. § 18 Abs. 4 des Bundesbesoldungsgesetzes) ist zwar nicht entsprechend auf die Waisenrente nach der RVO anzuwenden. Die darin enthaltene Regelung kann jedoch zur Auslegung der Frage herangezogen werden, was nach dem Sinn der verlängerten Waisenrente als Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht anzusehen oder ihr doch jedenfalls gleichzustellen ist. Die in § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG und in den ähnlich lautenden Vorschriften gezogene Grenze von drei Jahren für die freiwillige Verpflichtung wird dem bereits erwähnten Gedanken gerecht, daß bei einer längeren freiwilligen Verpflichtung davon ausgegangen werden kann, daß die gesetzliche Wehrpflicht nicht vorwiegendes Motiv für den freiwilligen Wehrdienst und damit auch nicht wesentlich für die Unterbrechung oder Verzögerung der Ausbildung ist. Über die in § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG sowie in verschiedenen ähnlichen Vorschriften enthaltene und für die RVO beabsichtigte gleichartige Regelung (vgl. BT-Drucks. VI/1126 S. 35) kann bei der Auslegung des § 1267 Satz 3 RVO nicht hinausgegangen werden. Die Grenze erscheint auch hier sinnvoll und wird der Interessenlage gerecht.

Der Kläger, der sich für vier Jahre als Soldat auf Zeit verpflichtet hatte, hat daher keinen Anspruch auf Waisenrente über das vollendete 25. Lebensjahr hinaus.

Der Senat hat die danach unbegründete Revision des Klägers zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

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