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5 RKnU 11/72

Gründe I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen den beigeladenen W.K. einen Unterhaltsanspruch hat, den die Beklagte nach § 615 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf die wiederaufgelebte Witwenrente anrechnen kann.

Die Klägerin war in erster Ehe mit J.R. (R.) verheiratet. Nach dessen - durch eine Quarzstaublungenerkrankung verursachten - Tode bezog die Klägerin Witwenrente von der Beklagten und von der beigeladenen Knappschaft. Am 3. September 1964 schlossen die Klägerin und der Beigeladene zu 2. die Ehe. Die Klägerin erhielt Abfindungen von der Beklagten und der beigeladenen Knappschaft. Diese Ehe wurde durch Urteil des Landgerichts Duisburg vom 1. März 1967 aus Verschulden des Beigeladenen zu 2. geschieden.

Die Beklagte gewährte der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 10. Dezember 1968 die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Unfallversicherung des ersten Ehemannes nach § 615 Abs. 2 RVO für die Zeit vom 3. April 1968 an. Die Klägerin erhielt außerdem die wiederaufgelebte Witwenrente aus der knappschaftlichen Versicherung ihres ersten Ehemannes. Da die Klägerin nach dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Amtsgerichts M./R. vom 21. Juni 1968 gegen ihren geschiedenen zweiten Ehemann für die Zeit vom 1. März 1968 an einen Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich 150,00 DM hatte, rechneten die Beklagte und die beigeladene Knappschaft diesen Unterhaltsanspruch anteilmäßig im Verhältnis von 99 : 51 auf die jeweilige wiederaufgelebte Witwenrente an. Außerdem behielten sie die bei der Eingehung der zweiten Ehe gezahlten Abfindungsbeträge in Raten an den wiederaufgelebten Renten ein.

Das Amtsgericht M./R. änderte mit Urteil vom 19. Juni 1970 das Unterhaltsurteil vom 21. Juni 1968 gemäß § 323 der Zivilprozeßordnung (ZPO) mit Wirkung vom 1. Februar 1970 dahin, daß der beigeladene W.K. nicht mehr verpflichtet ist, an die Klägerin Unterhalt zu zahlen. Dieses Urteil wurde damit begründet, daß dem Renteneinkommen des geschiedenen zweiten Ehemannes von monatlich 556,30 DM ein eigenes Renteneinkommen der Klägerin von monatlich 515,08 DM gegenüberstehe, wobei allerdings wegen Einbehaltung von Überzahlungen nur monatlich 350,00 DM ausgezahlt würden. Dieses Urteil hat die Klägerin nicht angefochten. Die Beklagte lehnte den von der Klägerin gestellten Antrag auf unverkürzte Zahlung der Witwenrente mit Bescheid vom 15. September 1970 ab, weil die Klägerin entgegen dem amtsgerichtlichen Urteil nach wie vor gegen ihren geschiedenen zweiten Ehemann einen monatlichen Unterhaltsanspruch von 150,00 DM habe, denn bei der Beurteilung dieses Unterhaltsanspruchs müßten die wiederaufgelebten Renten unberücksichtigt bleiben.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 24. März 1971 unter Aufhebung des Bescheides vom 15. September 1970 verurteilt, vom 1. Februar 1970 an der Klägerin die ungekürzte Unfall-Witwenrente (unter Nichtanrechnung eines Unterhaltsanspruchs gegen ihren geschiedenen Ehemann W.K.) zu zahlen. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Beiladung der Bundesknappschaft und des geschiedenen Ehemannes W.K. die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das LSG hat die Ansicht vertreten, in den Verhältnissen der Klägerin, die für die letzte Feststellung der Leistung maßgebend gewesen seien, sei eine die ungekürzte Zahlung der Witwenrente rechtfertigende wesentliche Änderung im Sinne des § 622 Abs. 1 RVO eingetreten. Die Klägerin habe im Zeitpunkt der Rentenfeststellung gegen ihren geschiedenen zweiten Ehemann einen Unterhaltsanspruch von monatlich 150,00 DM gehabt, denn sie sei ohne Einkommen gewesen, während ihr geschiedener Ehemann ein Gesamteinkommen von monatlich 512,90 DM gehabt habe. Bereits seit Februar 1970 habe sie keinen Unterhaltsanspruch mehr, denn es fehle an der Unterhaltsbedürftigkeit. Das ergebe sich aus einem Vergleich ihrer Einkünfte mit denjenigen ihres geschiedenen Ehemannes. Ihr Renteneinkommen habe - nach Anrechnung des Unterhaltsanspruchs von monatlich 150,00 DM - monatlich 532,40 DM betragen. Die zur Tilgung der überzahlten Abfindungen einbehaltenen Beträge müßten außer Betracht bleiben, weil sie aus den vorher empfangenen Abfindungssummen zu begleichen seien. Im übrigen seien die Überzahlungen Ende Juni 1970 getilgt gewesen. Demgegenüber habe der geschiedene Ehemann der Klägerin ein Gesamteinkommen von monatlich 586,20 DM gehabt. Der dem Lebenszuschnitt der Klägerin entsprechende Unterhalt sei durch ihr eigenes Einkommen gesichert gewesen. Wolle man - wie die Beklagte und die beigeladene Bundesknappschaft - die wiederaufgelebten Witwenrenten bei der Prüfung der Unterhaltsbedürftigkeit wegen ihrer Subsidiarität außer Betracht lassen, so würde das zu dem unerwünschten Ergebnis führen, daß die Klägerin über ein monatliches Einkommen von 682,40 DM, der geschiedene Ehemann jedoch nur über ein Einkommen von monatlich 436,20 DM verfügen würde.

Dieses Urteil haben sowohl die Beklagte als auch die beigeladene Bundesknappschaft mit der - vom LSG zugelassenen - Revision angefochten. Sie sind übereinstimmend der Ansicht, bei der Prüfung der Frage, ob die Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann nach den §§ 58 ff. des Ehegesetzes (EheG) einen Unterhaltsanspruch habe, müßten die wiederaufgelebten Renten wegen ihrer Subsidiarität außer Betracht bleiben, denn erst nach Feststellung des Unterhaltsanspruchs könne festgestellt werden, ob und in welcher Höhe ein Anspruch auf die wiederaufgelebten Renten bestehe. Lasse man aber die wiederaufgelebten Witwenrenten außer Betracht, so sei die Klägerin unterhaltsbedürftig und der geschiedene Ehemann angesichts seiner Unterhaltsfähigkeit auch weiterhin zum Unterhalt verpflichtet. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, daß der bestehende Unterhaltsanspruch wegen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts M./R. nicht realisierbar sei. Da sie von der Beklagten auf die Rechtslage aufmerksam gemacht worden sei, habe ihr zugemutet werden können, das amtsgerichtliche Urteil mit der Berufung anzufechten.

Die Beklagte und die beigeladene Bundesknappschaft beantragen übereinstimmend,

  • das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts G. vom 24. März 1971 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die beigeladene Bundesknappschaft beantragt hilfsweise,

  • den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Klägerin und der beigeladene W.K. beantragen übereinstimmend,

  • die Revision der Beklagten und der beigeladenen Bundesknappschaft zurückzuweisen.

Während der beigeladene W.K. mit dem LSG die Ansicht vertritt, ein Unterhaltsanspruch bestehe nicht, weist die Klägerin zusätzlich noch darauf hin, daß auch ein bestehender Unterhaltsanspruch nicht angerechnet werden könne, weil er nicht realisierbar sei. Sie habe sich im Verfahren vor dem Amtsgericht M./R. gegen die Abänderungsklage nach § 323 ZPO gewehrt. Von der Einlegung der Berufung habe sie auf Anraten ihrer Anwälte wegen der fehlenden Erfolgsaussichten und wegen des Kostenrisikos abgesehen. Ihr sei daher nicht zuzumuten gewesen, ihren Unterhaltsanspruch im Berufungsverfahren geltend zu machen.

Gründe II.

Die zulässigen Revisionen der Beklagten und der beigeladenen Bundesknappschaft haben keinen Erfolg. Das LSG hat mit der Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Ergebnis mit Recht das der Klage stattgebende Urteil des SG bestätigt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die ungekürzte wiederaufgelebte Witwenrente aus der Unfallversicherung ihres verstorbenen ersten Ehemannes.

Der Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1968, mit dem die wiederaufgelebte Witwenrente unter anteiliger Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs von monatlich 150,00 DM festgestellt wurde, ist zwar nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend geworden. Gleichwohl ist die Beklagte nach § 622 Abs. 1 RVO zur Neufeststellung dieser Rente verpflichtet, denn in den für die Rentenfeststellung maßgebend gewesenen Verhältnissen ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Es mag dahingestellt bleiben, ob sich die Einkommensverhältnisse der Klägerin einerseits und die des beigeladenen W.K. andererseits seitdem so verändert haben, daß die Klägerin gegen ihren geschiedenen Ehemann keinen Unterhaltsanspruch mehr hat. Selbst wenn man unterstellt, daß dieser Unterhaltsanspruch materiell noch in alter Höhe von monatlich 150,00 DM fortbesteht, liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse jedoch darin, daß ein solcher Unterhaltsanspruch mit Rücksicht auf das rechtskräftig gewordene Urteil des Amtsgerichts M./R. vom 19. Juni 1970 nicht mehr zu verwirklichen ist. Ein nicht zu verwirklichender Unterhaltsanspruch kann nach § 615 Abs. 2 Satz 2 RVO nicht auf die wiederaufgelebte Witwenrente angerechnet werden, auch wenn er materiell-rechtlich besteht. Das genannte Urteil des Amtsgerichts M./R. mag zwar in seiner Begründung und im Ergebnis unrichtig sein, weil das Bestehen und die Höhe der wiederaufgelebten Witwenrente erst festgestellt werden kann, wenn vorher - unabhängig von der wiederaufgelebten Witwenrente - die Höhe des Unterhaltsanspruchs gegen den geschiedenen zweiten Ehemann festgestellt worden ist (vgl. BSG 30, 220, 222 = SozR Nr. 29 zu § 1291 RVO). Wenn das rechtskräftige, negative Unterhaltsurteil auch nicht verhindert, daß der Versicherungsträger oder die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit von dem Bestehen eines Unterhaltsanspruchs in bestimmter Höhe ausgehen, so hat es doch die Wirkung, daß die Klägerin einen solchen - evtl. bestehenden Unterhaltsanspruch - nicht verwirklichen kann. Zwar ist ein materiell bestehender Unterhaltsanspruch auch dann anzurechnen, wenn die Witwe in dem Unterhaltsprozeß nicht alle geeigneten und billigerweise von ihr zu erwartenden Mittel ergriffen hat, um den begründeten Unterhaltsanspruch durchzusetzen (vgl. BSG 27, 171 = SozR Nr. 22 zu § 1291 RVO). In der Regel genügt die Witwe aber ihrer Pflicht zur Geltendmachung der ihr zustehenden Unterhaltsansprüche, wenn sie vor dem dafür zuständigen Gericht ihren Unterhaltsanspruch verfolgt. Entscheidet das zuständige Gericht über den erhobenen Unterhaltsanspruch und weist es die Klage ganz oder zum Teil ab, so darf die Witwe, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, den Richterspruch hinnehmen, weil sie die von ihr zu erwartenden Schritte zur Vermeidung der Anrechnung des ihr materiell-rechtlich zustehenden Unterhaltsanspruchs getan hat. Ob darin, daß ein Rechtsmittel nicht ergriffen wird, ein Verhalten liegt, das der Witwe zum Vorwurf zu machen ist, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab, wobei es insbesondere auf die Aussichten des Rechtsmittels ankommt und darauf , ob die Witwe in einer für sie verständlichen Form darüber belehrt worden ist, aus welchen besonderen Gründen das Rechtsmittel hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und welche Schritte sie für diese Einlegung zu unternehmen hat. In der Regel kann es einer Witwe nicht zum Vorwurf gereichen, wenn sie sich darauf verläßt, daß die gerichtliche Entscheidung über ihren Unterhaltsanspruch zutreffend ist und wenn sie deshalb kein Rechtsmittel einlegt (vgl. dazu BSG 27, 161, 176). Im vorliegenden Fall liegen keine besonderen Umstände vor, die die Klägerin veranlassen mußten, das negative Unterhaltsurteil des Amtsgerichts mit der Berufung anzufechten. Zwar hat die Beklagte die Anwälte der Klägerin auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hingewiesen. Mit Rücksicht auf die zumindestens schwankende zivilgerichtliche Rechtsprechung zur Anrechnung einer wiederaufgelebten Witwenrente bei der Prüfung der Unterhaltsbedürftigkeit brauchte die Klägerin nicht von den Erfolgsaussichten einer Berufung überzeugt zu sein und konnte deshalb wegen des bestehenden Kostenrisikos davon absehen, das amtsgerichtliche Urteil mit der Berufung anzufechten. Das bedeutet aber, daß der materiell-rechtlich möglicherweise bestehende Unterhaltsanspruch nicht zu verwirklichen ist und daher nicht nach § 615 Abs. 2 Satz 2 RVO auf die wiederaufgelebte Witwenrente aus der Unfallversicherung angerechnet werden darf. Es kann deshalb auch die Frage dahingestellt bleiben, auf welche von mehreren wiederaufgelebten Witwenrenten ein etwaiger Unterhaltsanspruch anzurechnen ist und ob die von der Beklagten und der beigeladenen Bundesknappschaft praktizierte anteilige Anrechnung dem geltenden Recht entspricht.

Der Senat hat die danach unbegründeten Revisionen der Beklagten und der beigeladenen Bundesknappschaft zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 193, 194 SGG in Verbindung mit § 100 ZPO.

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