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5 RKn 8/71

Gründe I.

Der 1926 geborene Kläger, gebürtiger Deutscher, wohnte und arbeitete bis 1946 im Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Im August 1946 übersiedelte er - nach einem Zwischenaufenthalt in Ost-Berlin - in das unter polnischer Verwaltung stehende Schlesien. Von dort kehrte er 1958 in das Bundesgebiet zurück und übte in der Folge bis 1965 eine knappschaftlich versicherte Beschäftigung aus. Die Anerkennung als Heimatvertriebenen versagte ihm die Kreisverwaltungsbehörde.

Auf seinen Antrag gewährte ihm die Beklagte im Jahre 1966 die Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit, wobei sie die vom Kläger in der polnischen Sozialversicherung verbrachten Versicherungszeiten nicht berücksichtigte. Die hiergegen erhobene Klage hat der Kläger damals wieder zurückgenommen.

Auf seine Bitte um Überprüfung der Angelegenheit lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 27. März 1969, bestätigt durch Widerspruchsbescheid von 10. Juni 1969, erneut ab, die in Schlesien zurückgelegten Versicherungszeiten rentensteigernd zu berücksichtigen. Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) hat das Landessozialgericht (LSG) mit der angefochtenen Entscheidung von 10. Dezember 1970 zurückgewiesen. Das Gericht ist der Auffassung, die vom Kläger zurückgelegten nichtdeutschen Versicherungszeiten könnten nicht berücksichtigt werden, weil er die persönlichen Voraussetzungen für eine Anwendung des Fremdrentengesetzes (FRG) nicht erfülle. Allenfalls könne gefragt werden, ob der Kläger unter die Bestimmung des § 1 Buchst. b) FRG falle. Indessen treffe nicht zu, daß der Kläger im Sinne dieser Vorschrift infolge der Kriegsauswirkungen den früher für ihn zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen könne. Die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme des polnischen Versicherungsträgers sei keine Kriegsfolge, weil der Kläger weder vor Beginn des zweiten Weltkrieges bereits eine Rente aus Polen bezogen habe noch zu dieser Zeit mit einer solchen hätte rechnen können. § 1 FRG verstoße auch nicht gegen das Grundgesetz (GG). Der Kläger sei auch nicht im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 3 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten verhindert gewiesen.

Gegen diese Entscheidung des LSG richtet sich die Revision des Klägers. Er trägt vor, die Beklagte und das LSG hätten die §§ 1 und 2 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) sowie die §§ 1 und 17 FRG unzutreffend interpretiert. Außerdem sei es nicht abwegig, wenn er sich auf die Art. 1 bis 3 und 103 GG berufe.

Der Kläger beantragt,

  • unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Bescheid der Beklagten von 27. März 1969 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 1969 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Beitragszeit vom 26. September 1946 bis 27. Juni 1958 rentensteigernd zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt

  • Zurückweisung der Revision.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Gründe II.

Die statthafte Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf rentensteigernde Anrechnung seiner in der polnischen Sozialversicherung verbrachten Versicherungszeiten.

Der die Anrechnung dieser Zeiten erstmals versagende Bescheid der Beklagten vom 1. August 1966 in der Gestalt des bestätigenden Widerspruchsbescheides ist gemäß § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auch in der Sache bindend geworden, weil der Kläger seinerzeit die hiergegen erhobene Klage zurückgenommen hat. Allerdings hat die beklagte Bundesknappschaft nach § 93 Abs. 1 RKG eine Leistung neu festzustellen, wenn sie sich bei erneuter Prüfung überzeugt, daß sie zu niedrig festgestellt worden ist. Hiervon brauchte sich jedoch die Beklagte im konkreten Fall nicht zu überzeugen.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG stehen die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten den deutschen Beitragszeiten gleich. Allerdings findet diese Vorschrift nur auf die in § 1 FRG näher bezeichneten Personengruppen Anwendung. Der Kläger ist nicht, wie § 1 Buchst. a) FRG verlangt, als Vertriebener im Sinne des Bundesvertriebenengesetzes anerkannt: Die Stadt Recklinghausen hat als zuständige Behörde diese Anerkennung versagt. Der Kläger ist auch nicht nach dem 8. Mai 1945 in ein ausländisches Staatsgebiet zur Arbeitsleistung „verbracht“ worden (§ 1 Buchst. c) FRG), sondern in das polnisch verwaltete Schlesien gegangen. Schließlich ist er auch nicht heimatloser Ausländer im Sinne des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25. April 1951 (§ 1 Buchst. d) FRG). Nach allem könnte der Kläger allenfalls unter die Bestimmung des § 1 Buchst. b) FRG fallen. Danach findet das FRG Anwendung u.a. auf Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, wenn sie unabhängig von den Kriegseinwirkungen ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des FRG genommen haben, „jedoch infolge der Kriegseinwirkungen den früher für sie zuständigen Versicherungsträger eines auswärtigen Staates nicht mehr in Anspruch nehmen können“. An den letzteren Voraussetzungen fehlt es beim Kläger.

Die Unmöglichkeit, den früher für ihn zuständigen auswärtigen - polnischen - Versicherungsträger in Anspruch zu nehmen, kann für den Kläger darin liegen, daß ihm dieser Träger trotz eingetretener Erwerbsunfähigkeit keine Rente aus den von ihm von 1946 bis 1958 in Schlesien zurückgelegten Versicherungszeiten an seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland zahlt. Wie der erkennende Senat bereits in der Entscheidung vom 25. Mai 1972 (SozR Nr. 5 bei § 1 FRG) entschieden hat, anerkennt das FRG die Unmöglichkeit, den Versicherungsträger eines auswärtigen Staates in Anspruch zu nehmen, allerdings nur unter einer bestimmten zeitlichen Abfolge der rechtserheblichen Umstände als Kriegsauswirkung: Der Versicherungsträger muß für den Antragsteller „früher“, d.h. bevor der Krieg auf die Möglichkeit des Versicherten, den Träger in Anspruch zu nehmen, einwirken konnte, „zuständig“ gewesen sein. Der ausländische Versicherungsträger darf mithin nicht erst zu einer Zeit, zu der der Krieg seine sozialrentenrechtlich nachteiligen Wirkungen bereits entfaltet hatte, für den Antragsteller „zuständig“ geworden sein. Da der Kläger erst geraume Zeit nach Kriegsende - August 1946 - in das polnisch verwaltete Schlesien übersiedelt und erst hierdurch eine ihn betreffende „Zuständigkeit“ des polnischen Versicherungsträgers begründet hat, erfüllt er nicht den Tatbestand des § 1 Buchst. b) FRG.

An diesem Ergebnis vermag auch § 17 FRG nichts zu ändern. Zwar findet nach dieser Vorschrift § 15 FRG auch auf Personen Anwendung, die nicht zu dem Personenkreis des § 1 Buchst. a) bis d) gehören; jedoch hat dies zur Voraussetzung, daß die Beiträge entrichtet sind a) an einen außerhalb des Geltungsbereiches des FRG befindlichen deutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung oder b) an einen nichtdeutschen Träger, sofern sie ein deutscher Träger bei Eintritt des Versicherungsfalles wie nach den Vorschriften der Reichsversicherungsgesetze entrichtete Beiträge zu behandeln hatte (sogenannte „übergegangene“ Versicherungszeiten). Diese Voraussetzungen treffen auf die vom Kläger bei einem polnischen Versicherungsträger verbrachten Beitragszeiten aber ebenfalls nicht zu.

Demnach steht dem Kläger eine Fremdrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu.

Dafür, daß der Kläger im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 3 RKG „durch feindliche Maßnahmen“ an einer Rückkehr aus Schlesien verhindert gewesen wäre, ist keinerlei Anhaltspunkt gegeben. Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben von den polnischen Behörden nicht als Feind, sondern als polnischer Staatsangehöriger behandelt worden. Damit scheidet eine rentensteigernde Anrechnung der in Polen verbrachten Zeit als Ersatzzeit gleichfalls aus.

Das angefochtene Urteil trifft hiernach zu. Die Revision des Klägers hiergegen war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

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